Mit einem spezifischen Hemm- stoff, der den definierten Än- derungen im Erbgut, dem Phi- ladelphia-Chromosom, Rech- nung trägt, sind bei allen For- men der chronisch myeloi- schen Leukämie (CML) hohe Responseraten sowohl hin- sichtlich zytogenetischer als auch hämatologischer Remis- sionen zu erzielen. Für die Pa- tienten bedeutet dies eine Al- ternative oder – in Kombina- tion – eine zusätzliche Option zu den bisherigen Therapie- formen.
Bei einem Symposium der Firma Novartis während der Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesell- schaft für Hämatologie und Onkologie in Mannheim er- läuterte Dr. Andreas Hoch- haus (Mannheim) das Wirk- prinzip: Die Substanz STI571 (Glivec®) blockiert kompe- titiv die ATP-Bindungsstel- le der aktivierten Tyrosinki- nase bcr-abl; ein Enzym, das bei 95 Prozent der Patien- ten mit CML infolge der zytogenetischen Aberration gebildet wird und für die ma- ligne Transformation essenzi- ell ist.
Gut verträglicher neuer Wirkstoff
Der Hemmstoff blockiere zwar auch einige andere Ty- rosinkinasen, so Prof. Dietger Niederwieser (Leipzig), die Mehrheit werde jedoch nicht inhibiert. Resistenzen sind möglich, etwa durch Mutatio- nen im Kinasegen oder bei Genamplifizierung, hier wird eine Kombinationstherapie mit Interferon versucht.
Seit 1998 wurden mehrere Tausend CML-Patienten mit dem oralen Medikament be- handelt. In klinischen Studien hat sich bei Patienten in der chronischen Phase bereits nach drei Monaten eine Ma-
jorremission in der zytogene- tischen Antwort gezeigt; 91 Prozent der Patienten sind über ein Jahr progressions- frei. In der akzelerierten Pha- se scheint die zytogenetische Antwort nach drei Monaten prognostische Aussagekraft zu besitzen: Alle Patienten, die sich dann in einer Major- remission befanden, sind nach 1,1 Jahren noch am Leben.
Die Reaktion könnte deshalb ein Entscheidungskriterium für oder gegen eine Stamm- zelltransplantation sein.
Bei Patienten in der Bla- stenkrise liegt der Median für die hämatologische Remissi- on bei 8,3 Monaten; 65 Pro- zent der Patienten sind nach sechs Monaten progressions- frei. Die Verträglichkeit be- zeichnete Hochhaus als gut, Nebenwirkungen nichthäma- tologischer Art (Übelkeit, Flüssigkeitsretention, Mus- kelkrämpfe, Diarrhö, Derma- titis) sind meist leicht; bei den hämatotoxischen Nebenwir- kungen wurde eine Granulo- zytopathie und/oder Throm- bopenie beobachtet. Die Sub- stanz soll für Interferon-resi- stente Patienten in der chro- nischen Phase und für akzele- rierte Stadien mit Blastenkri- sen zugelassen werden.
Die neue Wirksubstanz zeigte auch bei Patienten mit fortgeschrittener Phila- delphia-Chromosom-positiver akuter lymphatischer Leuk- ämie (ALL) eine niedrige Grad-III/IV-Toxizität bei gu- ter klinischer Wirkung, wie Prof. Oliver Ortmann (Frank- furt/Main) darlegte. Bei Pati- enten mit Rezidiv wurde ei- ne hohe initiale Ansprechrate dokumentiert, eine Mono- therapie sei allerdings nicht ausreichend; eine Kombinati- on mit Chemotherapie oder der Immunsuppression nach Stammzelltransplantation ist möglich. STI571 müsse früh-
zeitig eingesetzt und Resisten- zen müssten beachtet werden.
Sowohl bei CML- als auch Philadelphia-Chromosom-po- sitiven ALL-Patienten mit Stammzelltransplantation in- duzierte der neue Wirkstoff auch bei Patienten ohne Nachweis der Spenderhäma- topoese deren Rekonstituti- on ohne ungewöhnliche Ne- benwirkungen, sagte Dr. Tho- mas Fischer (Mainz).
Zusätzlich scheint STI571 auch bei anderen Krebsarten mit Mutationen im Erbgut wirksam, bei denen pathoge- netisch eine Tyrosinkinase in- volviert ist – etwa bei gastro- intestinalen Stromatumoren (GIST). Diese Malignome sind meist schon bei Diagno- sestellung metastasiert und äußerst chemoresistent. Bei Gabe von 400 oder 600 mg/
die STI571 hat Prof. Heikki Joensuu (Hus) in Finnland bei bisher 86 Patienten in 59 Prozent eine partielle und 26 Prozent eine stabile Remis- sion beobachtet, 13 Prozent waren progressiv. Der Refe- rent stufte die neue Substanz deshalb als ersten effektiven systemischen Ansatz bei die- sen Tumoren ein und progno- stiziert für die Zukunft den Einsatz als adjuvante Behand- lung nach Chemotherapie.
Offene Fragen sind ne- ben dem Langzeit-Überleben und der langfristigen Toxi- zität noch der Einsatz bei anderen Tumoren, die durch Tyrosinkinasen „getrieben“
werden. Denkbar sind hier Keimzelltumoren, Basalzell- karzinome der Haut und auch das kleinzellige Bronchialkar- zinom. Dr. Renate Leinmüller V A R I A
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A138 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 3½½½½18. Januar 2002
Leukämie-Therapie
Neues Wirkprinzip mit Enzymblockade
Unternehmen
Glutamat-Antagonist für alle Stadien des Morbus Parkinson
Der Glutamat-Antagonist Amantadinsulfat (PK-Merz®) greift im Gegensatz zu fast allen anderen Parkinson- Therapeutika nicht am dop- aminergen System an, son- dern dämmt die glutamaterge Überaktivität ein. Er ist Mit- tel der Wahl für alle Stadien des Morbus Parkinson. So zö- gert Amantadin im Frühstadi- um den Beginn der L-Dopa- Therapie hinaus; im Spätsta- dium ist es die einzige Sub- stanz, die bereits vorhandene Dyskinesien reduziert. Das belegen Studien der amerika- nischen Gesundheitsbehörde.
Ein De-novo-Parkinson- Patient sollte nach Empfeh- lungen von Prof. A. Rajput (Kanada) deshalb zunächst 300 mg Amantadinsulfat täg- lich als Monotherapeutikum erhalten. Genügt dies nicht mehr, ist ein Dopaminagonist hinzuzufügen. Reicht dies auch nicht mehr aus, wird als dritte Substanz L-Dopa ver- ordnet. Bei Patienten, die bereits mit L-Dopa behan- delt werden, könne durch die Kombination mit Aman-
tadin das Auftreten motori- scher Komplikationen erheb- lich hinausgezögert oder so- gar verhindert werden, sag- te Prof. Heinz Reichmann (Dresden) anlässlich des „In- ternational Congress on Par- kinson Disease“ in Helsinki.
Außerdem lasse sich die L- Dopa-Dosis zum Teil erheb- lich reduzieren.
Wie die zwölf Monate spä- ter durchgeführte Kontroll- untersuchung zeigte, wirkte Amantadin auch nach ei- nem Jahr noch unvermindert.
Amantadinsulfat unterschei- det sich bezüglich seiner Phar- makokinetik deutlich von Amantadinhydrochlorid. Das Sulfat, so Prof. Peter Riede- rer (Würzburg), flute langsa- mer an als das Hydrochlorid.
So führt Amantadinsulfat zu einem gleichmäßigeren Plas- maspiegel, weist weniger Ne- benwirkungen auf und kann deshalb höher dosiert wer- den. Ein weiterer Vorteil des Sulfats ist die Verfügbarkeit als Infusion, das Mittel der Wahl bei dekompensiertem
Parkinson. EB