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Archiv "Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz: „Rohfassung“ mit viel Sprengstoff" (14.03.2003)

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enn Bundeskanzler Gerhard Schröder am Freitag im Bun- destag zu seiner Regierungser- klärung ans Rednerpult tritt, wird sicher auch seine an Grippe erkrankte Gesund- heitsministerin wieder auf dem Damm sein. Die Krankheit hat ihr möglicherwei- se Muße zum Lesen verschafft, zum Bei- spiel der Rohfassung des Gesundheitssy- stemmodernisierungsgesetzes. Darin ha- ben Schmidts Referenten auf 253 Seiten in Paragraphen formuliert, was in den unlängst vorgelegten Eckpunkten nur sehr vage festgehalten war. Dieser Entwurf (Vermerk: „weder hausintern noch mit der Leitung abgestimmt“) wurde einigen Zeitungsredaktionen Ende Februar gezielt zugespielt. Doch Ulla Schmidt erklärte ausweichend, sie habe ihn noch gar nicht gelesen.

Das bräuchte sie insofern nicht, als die darin enthaltenen Vorgaben ihren Reformplänen erwartungsgemäß ent- sprechen, zum Teil allerdings sehr viel weiter gehen als bisher vermutet. So waren es bislang eher allgemeine Ankündigungen der Bundesgesund- heitsministerin, die nichts Gutes für die niedergelassenen Fachärzte erwarten ließen. Mit dem Bekanntwerden der Rohfassung ist die Zeit der Spekulatio- nen jedoch vorbei. Ebenso akribisch wie emotionslos zeichnet der Entwurf den Weg vor, auf dem die ambulant tätigen Fachärzte über kurz oder lang aus den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) herausgelöst und einer ungewissen Zu- kunft überlassen werden sollen. Der von vielen befürchtete „Angriff von allen Seiten“ auf die Fachärzte hat begonnen – in der Begründung zum Gesetz wird das beschönigend als die „Beseitigung von Schnittstellenproblemen“ umschrieben.

Ulla Schmidt will den Sicherstellungs- auftrag der Kassenärztlichen Vereini- gungen nur noch auf die hausärztliche

Versorgung beschränken. Zu den Haus- ärzten zählen die Allgemeinärzte, Kin- derärzte, Gynäkologen und Augenärz- te. Für diese Arztgruppen soll es bei Kol- lektivverträgen mit den Krankenkassen bleiben. Alle übrigen, auch die Psycho- therapeuten, genießen zwar eine Art von Bestandsschutz, sofern sie bereits zuge- lassen sind. Ihnen wird aber die Möglich- keit eröffnet, sich freiwillig aus der KV zu verabschieden, um durch Einzelverträge mit den Krankenkassen ihr Glück zu versuchen. Tun sie das, gibt es für sie kein Zurück mehr. Neue Fachärzte kön- nen nur noch über Einzelverträge mit den Kassen an der ambulanten Versor- gung teilnehmen. Eine reguläre Zulas- sung ist nicht mehr vorgesehen.

Zulassung nur für fünf Jahre

Eine weitere gravierende Änderung beim Zulassungsstatus für Vertragsärz- te beträfe Haus- und Fachärzte glei- chermaßen. Geplant ist, die Zulassung als Vertragsarzt generell auf fünf Jahre zu befristen. Die Verlängerung der Zu- lassung soll dann von dem Nachweis ei- ner „unabhängigen qualitätsgesicher- ten Fortbildung“ abhängig gemacht werden. Vertragsärzte, die diesen Nach- weis nicht erbringen, würden dem Ent- wurf zufolge ihre Zulassung verlieren.

Für Sprengstoff könnten die geplan- ten Gesundheitszentren sorgen. Dabei handelt es sich um Einrichtungen in privater oder öffentlicher Trägerschaft (etwa in Form einer GmbH) mit ange- stellten Ärzten. Die Zentren können haus-, aber auch fachärztlich tätig wer- den, wobei die angestellten Hausärzte in der Bedarfsplanung und bei der Zulas- sung wie die freiberuflich niedergelasse- nen Kollegen zählen. Gesundheitszen- tren sollen sowohl Ärzte, die ihre Praxis

aufgeben wollen, wie auch ganze Praxen übernehmen können – sogar in Gebie- ten, die wegen Überversorgung gesperrt sind. Für die in Gesundheitszentren tätigen Fachärzte gelten Einzelverträge mit den Krankenkassen.

Selbst in dieser Konstellation könnten die niedergelassenen Fachärzte immer- hin noch auf die freie Arztwahl und die Treue ihrer Patienten bauen. Allerdings setzt die Rohfassung des Modernisie- rungsgesetzes auch hier den Hebel an, und zwar mit den Hausarztmodellen.

Danach können Versicherte sich bei ei- nem Hausarzt (oder hausärztlich tätigen Gesundheitszentrum) einschreiben. Sie werden dafür von der Zuzahlung zu Arz- neimitteln bis auf eine geringfügige Ge- bühr pro Verordnungsblatt befreit. Für diese Versicherten gibt es dann keinen direkten Zugang zum Facharzt mehr – es gilt sowohl ein Überweisungsvorbehalt als auch die Berichtspflicht des Facharz- tes an den Hausarzt.

Während Hausärzte künftig grund- sätzlich eine Kopfpauschale erhalten sol- len, werden die Fachärzte nach Fallpau- schalen und Leistungskomplexen hono- riert.Auch hier findet sich in der Rohfas- sung ein Haken: „Die Vergütung (für fachärztliche Leistungen, Anm. der Re- daktion) erfolgt in Abhängigkeit von der Beachtung bestimmter Leitlinien.“

Dahinter verbirgt sich der Qualitäts- aspekt, für dessen Definition das ge- plante Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin maßgeblich sein wird.

Die Begründung zum Gesetz beschreibt die Konsequenzen so: „Das heißt kon- kret, dass nicht mehr wie bisher im kollektivvertraglich organisierten Sy- stem . . . jeder zugelassene Leistungser- bringer an der Versorgung aller Versi- cherten teilnehmen kann, sondern die Krankenkassen erhalten das Instrumen- tarium, mengen- und qualitätsgesteuert P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1114. März 2003 AA665

Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz

„Rohfassung“ mit viel Sprengstoff

Im Bundesgesundheitsministerium kursiert ein erster – weitgehend ausformulierter – Vorentwurf für die Gesundheitsreform. Das Papier sei zwar noch nicht „abgestimmt“, heißt es,

der Entwurf lässt aber die Richtung erkennen: die Zerschlagung der ambulanten Strukturen.

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und damit zielgenau die notwendigen Leistungen für ihre Versicherten zu ei- nem angemessenen Preis einzukaufen.“

Immerhin erkennen die Autoren der Rohfassung hier selbst, welche Gefahr droht: Einkauf von Fachärzten durch die Krankenkassen zu Dumpingpreisen.

Paradoxerweise kommen sie zu dem Schluss, dass es langfristig eine bundes- weite, kassenartenübergreifende Institu- tion geben müsse, welche den bisherigen Part der Kassenärztlichen Vereinigun- gen (Interessenvertretung) für die am- bulant tätigen Fachärzte übernehmen könne. Daran lässt sich ablesen, was das zentrale Ziel des Gesundheitssystemmo- dernisierungsgesetzes ist: die Zerschla- gung der angeblichen Kartellmacht der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Dass KVen und KBV in Zukunft sehr viel weniger Einfluss haben sollen, lässt sich aus einer Vielzahl von Geset- zespassagen ablesen. Ein wichtiger Machtfaktor würde hingegen in Zu- kunft das Deutsche Zentrum für Qua- lität in der Medizin. Es soll „für die Be- wertung des medizinischen Nutzens und der Qualität sowie der Wirtschaft- lichkeit der Leistungen“ auf diversen Gebieten tätig werden:

> Bereitstellung von Informationen für Versicherte über Leistungen, Qua- lität und wissenschaftliche Erkenntnis- se in der ambulanten und stationären Versorgung;

> Erstellung von evidenzbasierten Leitlinien und pflegerischen Standards für ausgewählte Krankheiten;

> Erstellung von wissenschaftlichen Arbeiten und Stellungnahmen zur Qua- lität von GKV-Leistungen;

> Abgabe von Empfehlungen an die Bundesausschüsse, die bislang Richtli- nien erlassen, um eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Ver- sorgung zu gewährleisten;

> Abgabe von Empfehlungen zur Anerkennung von Fortbildungsmaß- nahmen für den Nachweis der Fortbil- dungspflicht der Ärzte – an ihre Erfül- lung würde der Bestand der Zulassung gekoppelt;

> Abgabe von Empfehlungen an die GKV-Spitzenverbände über Refe- renzarzneimittel zur Bildung eines vor- läufigen Festbetrags;

> von 2005 an Abgabe von Empfeh- lungen, für welche chronischen Krank-

heiten Disease-Management-Program- me entwickelt werden sollten und welche Anforderungen an diese zu stellen sind.

Das Zentrum werde „eine wichtige Hilfestellung für die Selbstverwaltung“, kündigen die Autoren des Rohentwurfs im Begründungsteil an. Man kann es auch anders lesen: Die Definitionsmacht über Art und Umfang der medizinischen Versorgung in Deutschland läge letztlich beim Zentrum, wenn auch den Kranken- kassen neue Spielräume eröffnet wer- den und die Bundesausschüsse erhalten bleiben. Ihre Macht wird jedoch deut- lich begrenzt. Ein Beispiel: Keiner der Ausschüsse darf in Zukunft eine eigene Empfehlung abgeben, wenn das Zen- trum angekündigt hat, sich in Kürze zum selben Thema äußern zu wollen.

Finanzierung aus Steuern

Wie viel Gestaltungsmacht das Zen- trum entfalten könnte, hinge allerdings auch von seiner Finanzausstattung ab.

Bezahlt werden soll es durch Steuermit- tel. Zweiter entscheidender Faktor wäre, wen das Bundesministerium für Gesund- heit und Soziale Sicherheit (BMGS) in das Direktorium beruft. Es soll sich aus einem Direktor, dem Stellvertreter und einem fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirat zusammensetzen, auf dessen Un- abhängigkeit Wert gelegt wird.

Einfluss würde zudem das Kuratori- um des Zentrums ausüben. Darin wird neben diversen Repräsentanten we- sentlicher gesellschaftlicher Gruppen einem Vertreter der Ärzteschaft Sitz und Stimme zugestanden. Das Kurato- rium soll der Rohfassung des Gesetz- entwurfs zufolge über Aufgaben und vor allem über die Prioriätensetzung des Zentrums entscheiden.

Sitze und Stimmen dort sind auch für die Vertreter von Patientenorganisatio- nen vorgesehen. Dies ist ein Beispiel für die geplante Ausweitung ihres Einflus- ses in verschiedenen Gremien, auch den Bundesausschüssen beispielsweise. Wie umfangreich die Erweiterung von Patien- tenrechten und -souveränität mithilfe des jüngsten Gesetzes ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Angekündigt ist all dies seit dem Antritt der rot-grünen Re- gierungskoalition – ohne Folgen. Fest- gelegt wird darüber hinaus erneut, ei-

nen zuständigen Patientenbeauftragten zu etablieren.Aufschlussreich sind eben- so die Passagen, die sich mit der zukünf- tigen Arzneimittelversorgung befassen.

Auch hier wird deutlich, welch über- großen Einfluss das Zentrum nehmen könnte. Es würde in Zukunft „Empfeh- lungen zum Nutzen einschließlich seiner finanziellen Bewertung sowie zur An- wendung der Arzneimittel“ an die Bun- desausschüsse abgeben. Diese würden grundsätzlich im Fall einer Erstzulas- sung eines patentgeschützten Mittels abgegeben, ebenso aber für Medika- mente, „die von erheblicher Bedeutung für die Patientenversorgung sind oder erhebliche Ausgaben verursachen“.

Dass hier Spielraum für politisch moti- vierte Vorgaben ist, wird an mancher Kleinigkeit deutlich. So kann das BMGS das Zentrum „beauftragen“, während die Spitzenverbände der Krankenkas- sen und die KBV nur „um Empfehlun- gen bitten“ könnten. Zudem soll dem Zentrum für eine Überprüfung seiner Empfehlungen ein Zeitraum von bis zu drei Jahren eingeräumt werden.

Ernst machen will Ulla Schmidt mit ihrer Ankündigung, in Zukunft den Ver- sandhandel von Medikamenten zuzu- lassen und den Besitz von bis zu fünf öf- fentlichen Apotheken in einer Hand zu genehmigen. Zudem sollen den Kran- kenkassen weitergehende Verhand- lungsmöglichkeiten mit den Arzneimit- telherstellern eingeräumt werden.

Der Rohentwurf enthält zudem zahl- reiche Passagen zu Datenschutz und -transparenz. Geplant ist die Einführung von Quartals-Patientenquittungen „auf Verlangen schriftlich in verständlicher Form“, für die der Versicherte pro Quar- tal einen Euro plus Versandkosten bezah- len müsste. Die bisherige Krankenversi- chertenkarte soll bis spätestens 2006 zur elektronischen Gesundheitskarte erwei- tert werden. Zahlreiche weitere Vorga- ben zielen im Grundsatz darauf, die Viel- zahl der im Gesundheitswesen erhobe- nen Daten „versichertenbeziehbarer“ als bisher zu machen. Um gleichzeitig dem Datenschutz der Versicherten Rechnung zu tragen, sind entsprechende Verfahren (Pseudonymisierung) sowie Institutionen vorgesehen (Vertrauensstelle, Datenauf- bereitungsstelle). Sabine Rieser, Josef Maus Die Rohfassung des Gesundheitssystemmodernisierungs- gesetzes im Internet: www.aerzteblatt.de/plus1103 P O L I T I K

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A666 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1114. März 2003

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