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art, aber fair in der Sache“: So be- schrieb Dr. med. Leonhard Han- sen Ende Oktober in Berlin, was den Charakter der neuen Symposiums- reihe „KBV kontrovers“ der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung prägen soll. Hansen, Zweiter Vorsitzender der KBV, kündigte für den Auftakt mehrere Diskussionsrunden zum Thema „Wie weit geht der Wettbewerb?“ an und ver- sicherte: „Bei uns wird gleich nach mei- ner Begrüßung losgestritten.“So heftig kam es nicht. Doch Eintracht strahlten Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. med. Manfred Richter-Reich- helm erwartungsgemäß nicht aus.
Der Erste Vorsitzende der KBV warnte vor den Folgen unfairen Verhaltens für Ärzte und Patien- ten im Wettbewerb, die Grüne fand viele Bedenken überzogen. „Jeder steht im Wettbewerb mit seinem Kollegen um die Ecke“ – schon diese Feststellung Richter-Reich- helms überzeugte sie nicht. Die Ärzte beklagten doch selbst, dass dieser Wettbewerb nicht optimal sei, widersprach sie, und dass Pati- enten eben zum Kollegen gingen, wenn sie ein gewünschtes Rezept nicht bekämen. Deshalb müsse man eben Wettbewerb übers Vertragsge- schehen erzeugen.
Der KBV-Vorsitzende konterte:
Leichtfertiges Verschreiben gebe es in Zeiten von Richtgrößen und Praxis- budgets nicht. Und er sorge sich, dass die Krankenkassen die neuen Mög- lichkeiten der Vertragsgestaltung nutz- ten, um Rosinenpickerei zu betreiben.
Dies könne zu „brutalem Druck öko- nomischer Art“ führen.Bender signali- sierte an diesem Punkt gewisses Ver- ständnis. Für Krankenkassen dürfe es
„nicht einfach freie Wildbahn“ geben,
sprich: Risikoselektion. Die Vertrags- ärzte hätten im Versorgungsgeschehen aber durchaus Marktmacht: „Ich glau- be nicht, dass man sich für die Ärzte fürchten muss.“
Kontrovers gestaltete sich auch die Diskussionsrunde mit Dr. med. Leon- hard Hansen, Dr. Rolf Hoberg (stellver- tretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands), Birgit Mickley (Referatsleiterin im Gesundheitsmi- nisterium Nordrhein-Westfalen), Jörg
Robbers (Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft) und Prof. Dr. Jürgen Wasem (Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Uni- versität Duisburg-Essen). Wer wie schnell mit welchen Zielen die erweiter- ten Möglichkeiten zur Integrierten Ver- sorgung nutzen wird – darüber gingen die Meinungen auseinander.
Bei großen Krankenhausträgern lie- gen die Blaupausen quasi schon in der Schublade, behauptete Mickley: „Die werden vorneweg laufen.“ Das liege vor allem daran, dass diese Anbieter strukturell bessere Voraussetzungen
hätten als ambulant tätige Ärzte: Es sei ihnen leichter möglich, Schnittstellen und Arbeitsbereiche zu definieren, Ko- sten und interne Vergütungen zu kalku- lieren, aber auch Pilotprojekte zu star- ten und zu steuern. Bei den Vertragsärz- ten ist ein vergleichbares Engagement für Mickley nicht in Sicht: „Ich erkenne keine Vision, wo sie 2010 oder 2015 ste- hen wollen.“ Dies sei bedauerlich.
Denn vieles wäre angesichts einer zu- nehmenden Zahl alter, multimorbider Menschen ihrer Meinung nach im am- bulanten Bereich besser aufgehoben als im stationären.
Prof. Wasem gab ihr teilweise Recht:
Die Krankenhäuser machten sich „wie die Wilden auf den Weg“. Das sei aber erst einmal nur ein Startvorteil, der nicht zwangsläufig zur Dominanz führen müsse. Widerspruch kam von Hansen.
Er glaubt, dass eher die kleinen Klini- ken das Rennen machen werden: „Die sind viel aktiver.“ Ihnen gehe es nämlich darum, sich das Überleben zu sichern, wenn infolge des neuen Fallpauschalensystems Spezialisie- rung immer wichtiger werde.
Genau dies beäugen die Kran- kenkassen mit Argwohn. Hoberg unterstrich, dass es bei Koopera- tionen um eine bessere Versor- gung der Patienten gehe und nicht darum, dass sich Anbieter Markt- anteile sicherten. Dass die Kran- kenhäuser die ambulante Versor- gung so gut beherrschten wie die stationäre, daran habe er „große Zweifel“. Auf jeden Fall bestehe erheblicher Bedarf an niedrig- schwelligen Integrationsansätzen, beispielsweise unter Einbindung von Hausärzten, Pflegediensten und Anbietern sozialer Hilfen: „Da passiert viel zu wenig.“
DKG-Hauptgeschäftsführer Rob- bers verteidigte engagiert die Kliniken, die interessierte Blicke auf die ambu- lante Versorgung werfen: „Warum soll ein Krankenhaus die Versorgung einer Brustkrebspatientin nicht schultern und steuern können?“ Hektik und Sor- gen ob der Motive von Anbietern sind seiner Meinung nach aber fehl am Platz: Integrationsmodelle würden nur zögerlich anlaufen, „weil die Partner erst einmal miteinander umgehen ler- nen müssen“. Sabine Rieser P O L I T I K
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A2914 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 457. November 2003
KBV-Symposium zum Thema Wettbewerb
In den Startlöchern
Manche nennen es noch Spielwiese, andere schon Geschäft – in die Integrierte Versorgung scheint Bewegung zu kommen.
Diskussionsrunde mit (von links) Robbers, Wasem, Hoberg, Hansen, Mickley und Moderator Dr. Andreas Lehr
Foto:Roland Ilzhöfer