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Archiv "Gesunder Wettbewerb oder Wettbewerb für Gesunde?" (26.05.1995)

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POLITIK LEITARTIKEL

Gesunder Wettbewerb

oder Wettbewerb für Gesunde?

B

isher beschränkte sich der Wettbewerb in der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) auf die Möglichkeit der Versicherten, sich ihre Ärzte, ihre Apotheke, ihre Physiotherapeuten, ihre Augenoptiker, ihre Akustiker und — wenn auch etwas eingeschränkt

— ihre Krankenhäuser auszuwählen.

Infolge festgelegter oder ausgehan- delter Leistungspreise gab es daneben keinen „Preiswettbewerb", der für die Versicherten Sinn gemacht hätte, zumal auch der Leistungsumfang im wesentlichen gesetzlich vorgeschrie- ben war. Es war ein Leistungswettbe- werb im Bemühen, womöglich in der Qualität, gesteuert durch Vertrauens- beziehungen direkt oder auch mittel- bar durch Beratung oder Empfeh- lung. Motivation und Verantwor- tungsbewußtsein entwickelten sich entsprechend. Ein Wettbewerb der Ärzte beispielsweise, um einander die Patienten abspenstig zu machen, galt und gilt als sittenwidrig. Gezieltes Marketingverhalten bei gegenseitiger Vertretung oder im Notdienst ist un- kollegial: „Groß herauskommen" als Behandlungsziel zeugt von ethischen Defiziten. Sich gegenseitig zu helfen bei der ärztlichen Arbeit durch Konsi- lien, durch Übernahme von Patienten mit kompliziertem Krankheitsverlauf und durch Wissensaustausch ist Berufspflicht.

Das Fehlen ökonomischer Wett- bewerbsmechanismen wurde als sy- stemimmanent verstanden. Schließ- lich bezahlten die Versicherten keine leistungsbezogenen Preise, sondern sozial gestaffelte Beiträge ohne nen- nenswerte Verbindung zu ihrer per- sönlichen Inanspruchnahme. Dersel- be Solidargedanke, der vom Gesun- den zum Kranken und vom Mehrver- diener zum Wenigerverdiener den so- zialen Ausgleich in der GKV bewirkt, sollte auch im Versichertenbewußt- sein zu sparsamer Nutzung der Gel- der der Versichertengemeinschaft

Die „Zauberformel" für eine weitere Stufe zur Strukturreform im Gesund- heitswesen mit der Abstandssicherung vom staatlichen Interventionismus und rückwärts zu den Zielen einer sozialen Krankenversicherung in Selbstverwal- tung soll „Wettbewerb" heißen.

fortwirken. Denjenigen, denen die Leistungen von solchen Krankenkas- sen vergütet werden, hat der Gesetz- geber die „Sparsamkeit" in die Regie geschrieben und darüber hinaus Kon- trollsysteme angeordnet.

Pflichtversicherungen der mei- sten unselbständig Beschäftigten und in ihrem Sog auch freiwillige Versi- cherungen der Selbständigen ließen einen Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen gegeneinander nur am Rande zu. Die über hundertjähri- ge Bewährungsprobe der GKV über zwei Weltkriege und zwei Währungs- zusammenbrüche hinweg hat abseits von wirksamen „Marktprozessen"

stattgefunden. Das hat über lange Zeit hinweg ethischen Motivationen wie Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Solidarität und im ärztlichen Bereich auch der Kollegialität den Boden be- reitet und Grundeinstellungen in der Krankenversicherung gefestigt.

‚Wettbewerb" mit seltsamen Blüten Unter dem Schirm von Markter- satzkräften, den selbstverwalteten Versichertengemeinschaften einer- seits und den Vereinigungen derjeni- gen, die in der Krankenversorgung die Arbeit verrichteten, andererseits, wurden stets tragfähige Kompromisse gefunden.

Der Wettbewerb war zunächst auch nicht gefragt. Er wurde lebendig mit den zunehmenden Wahlmöglich- keiten für eine immer größere Zahl von Angestellten, die sich zugunsten

der eine Art privates Prestige aus- strahlenden Ersatzkassen auswirkte, und mit dem sinkenden Prestige der Ortskrankenkassen als das große so- ziale Sammelbecken ohne besondere Patientenfreundlichkeit. Zunehmend entwickelten sich auch die Beitrags- sätze auseinander, in der Regel zum Nachteil der Ortskrankenkassen, so daß auch handwerkliche Unterneh- mer zur Versicherung ihrer Beschäf- tigten bei den Innungskrankenkassen motiviert wurden.

So setzte ein „Werbewettbe- werb" der Krankenkassen um die Versicherten ein, der heute — kurz vor der Eröffnung von Wahlmöglichkei- ten für alle Versicherten — die seltsam- sten Blüten treibt.

Gleichzeitig arbeiten immer mehr Menschen im gesundheitlichen Wirtschaftsbereich, unselbständig und selbständig: in den Krankenhäu- sern, in den ambulanten Pflegedien- sten, als selbständige Physiotherapeu- ten, klinische Psychologen, Sozialar- beiter, Apotheker, Ärzte, Zahnärzte und in den immer größer werdenden Verwaltungen.

Auch der durchaus sinnvolle und sich zugunsten der Krankenversor- gung auswirkende Wettbewerb nimmt deshalb zu. Seine Instrumente Dienstbereitschaft und Werbung bis hin zu systematischen Marketing- Strategien durchdringen die bisher wenig exponierten Verhaltensnormen der Gesundheitsberufe. Die „Norma- tive Kraft des Faktischen" zerrt an Berufsordnungen und sittlichen Ma- ximen, um sie der Heilslehre des Wettbewerbs zugänglich zu machen.

Diese Heilslehre verspricht die Selbstregulierung von Leistungsprei- sen und Leistungsqualität im Sinne ei- ner Steigerung der Effizienz des „Sy- stems".

Wenig Aufmerksamkeit wird da- bei jedoch dem diesen Prozeß beglei- tenden Verfall der bisher geschützten ethischen Prioritäten gewidmet, die Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 21, 26. Mai 1995 (15) A-1485

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POLITIK LEITARTIKEL/AKTUELL

<assenä rzte

Der neue Einheitliche Bewer- tungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) wird nicht am 1. Oktober die- ses Jahres, sondern erst am 1. Januar 1996 in Kraft treten können. Wie der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Win- fried Schone, mitteilte, sind die not-

KBV-Vorsitzender Dr.

Winfried Schorre:

„Der neue EBM hat eine politische Di- mension. Er ist Be- weis für die Hand- lungsfähigkeit der Selbstverwaltung."

Foto: Eifrig wendigen Abstimmungsprozesse noch nicht so weit gediehen, um den ursprünglich vorgesehenen Termin halten zu können. Dennoch konnte der Vorstand der KBV-Vertreterver- sammlung am 20. Mai ein fertiges Konzept vorlegen, das neben den strukturellen Neuerungen wie der Einführung von Ordinationsge- bühren, Therapiemodulen, Konsulta- tionszuschlägen und ablaufbezogenen Leistungskomplexen auch die jeweili- gen Bewertungsvorschläge umfaßt.

Im Vorfeld der Vertreterver- sammlung zeigten sich Dr. Schorre und sein für die EBM-Reform zustän- diger Vorstandskollege Dr. Lothar Wittek zuversichtlich, daß der jetzt vorliegende Entwurf für die Delegier- ten konsensfähig ist. Nach umfangrei- chen Vorarbeiten der KBV-Honorar- abteilung und zahlreichen Ge- sprächen mit den verschiedenen Be- rufsverbänden hatte zuletzt eine klei- ne Arbeitsgruppe um Schone und Wittek das Konzept ausgefeilt. Her- ausgekommen ist ein EBM-Modell auf der Basis des Beschlusses der Ver- treterversammlung vom Dezember

letzten Jahres, das den Faktor Zeit stärker berücksichtigt als zuvor und die sogenannte „zuwendungsintensi- ve Medizin" merklich fördert.

Alles in allem laufen die Vor- schläge des KBV-Vorstandes auf ei- nen finanziellen Mehrbedarf in Milli- ardenhöhe hinaus. Dies sei jedoch völlig gerechtfertigt, meinte der KBV- Vorsitzende unter Hinweis auf die be- triebswirtschaftlichen Kalkulationen, die dem neuen EBM zugrunde liegen.

Ob dem auch die Krankenkassen fol- gen werden, ist hingegen eine noch völlig offene Frage. Dr. Schorre: „Wir werden das in den Verhandlungen se- hen. Aus unserer Sicht ist der EBM in sich stimmig, und über bestimmte Mo- dalitäten — beispielsweise Rabatte — läßt sich reden."

Der neue EBM, so Schorre und Wittek übereinstimmend, habe zu- dem eine gewichtige politische Di- mension. An seinem Schicksal ent- scheidet sich nach Auffassung der KBV die Handlungsfähigkeit der ge- meinsamen Selbstverwaltung. Einer-

Dr. Lothar Wittek, Vorsitzender der KV Bayerns, ist im KBV- Vorstand feder- führend für die Erar- beitung des neuen EBM.

Foto: Archiv

seits habe das Gesundheitsstrukturge- setz für die Erledigung bestimmter Aufgaben (Leistungskomplexe) ex- akte Fristen gesetzt. Auf der anderen Seite muß sich der neue EBM im an- gestrebten Kassenwettbewerb und der damit verbundenen Vertragsviel- falt bewähren. (Ein ausführlicher Be- richt über die Vertreterversammlung erscheint im nächsten Heft.) JM bei Gesundheitsleistungen unver-

zichtbar sind, wenn die Krankenbe- handlung im Einzelfall nicht Schaden nehmen soll: Im Zweifelsfall muß das Interesse des Berufstätigen bei Ge- sundheitsleistungen hinter dem des Kranken zurücktreten. Ein profitori- entierter Wettbewerb darf also inso- weit nicht einreißen, nicht nur bei den Ärzten. Nur der Wettbewerb in der Krankenversorgung ist wichtig.

Die „Sekundärtugenden", auf die sich Kranke und gesundheitlich Betreute verlassen müssen, sind wei- terhin unverzichtbar. Im Wettbewerb werden sie zweifellos weniger ge- schützt. In der Vertragsebene bei- spielsweise werden sie ausgenutzt, um gleiche Leistungen zu günstigeren Preisen zu erreichen oder um mehr Leistungen, Innovationen oder hu- mane Verantwortlichkeiten unent- geltlich einzukaufen.

Durch neu etablierte Wettbe- werbs-Szenerien zwischen den arbeitsteiligen Versorgungsstruktu- ren werden ökonomische Ziele anvi- siert, die höchst fragwürdige Versor- gungsstrategien provozieren, wie bei- spielsweise kombinierte Budgets oder gar totale Case-Managements.

Rivalisierende Vertragsmodelle sind sinnvoll auf der Suche nach dem Besseren, dem Wirksameren. Als eta- blierte Wettbewerbsstrukturen kön- nen sie Motivationsänderungen und Wertewandlungen einleiten, die sich keineswegs immer zugunsten einer möglichst guten Patientenversorgung auswirken.

An welchen Kriterien kann die Effizienz des Wandels dann noch ge- messen werden? Der Mensch als ge- sundes Zoon politicon kann vieles er- tragen; als Kranker ist er auch im Wettbewerb das schwächste Glied.

Der soziale Konsens und der Verzicht auf Wettbewerb, der die Kompromisse zwischen den Marktre- geln, den Geboten der Menschlich- keit und der persönlichen Verantwor- tung im GKV-System trägt, ist ein Beispiel gereifter Zivilisation. Was der Wettbewerb daran voranbringen kann, sollte eher defensiv abgewogen werden.

Prof. Dr. med.

Ernst-Eberhard Weinhold Dorfstraße 140

23637 Nordholz

EBM-Reform wird erst 1996 in Kraft treten

A-1486 (16) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 21, 26. Mai 1995

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