130 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008
M E D I Z I N
Grenze der Intensivtherapie
Seit den ersten Untersuchungen zum anoxischen Koma (1, 2) nach kardiopulmonaler Reanimation (nach Safar) sollten neben den tragenden neurologi- schen Verlaufsuntersuchungen zunehmend die bespro- chenen Untersuchungen (EEG/somatosensibel evo- zierte Potenziale [SEP]/neutronenspezifische Enolase [NSE]/MRT) eigentlich seit 20 Jahren intensivmedizi- nischer Standard sein. Nur so sind zeitgerecht unter kontrollierten Bedingungen auch die Grenzen der Be- handlung des postanoxischen Komas zu erkennen.
Die zeitgerechte Prognosestellung bei Komapatienten mit schwersten Hirnschädigungen bedarf einer vertieften, interdisziplinären Diskussion. So weisen zum Beispiel beim posttraumatischen Bulbärhirn-Syndrom, das sich auf den vollständigen Hirnfunktionsverlust zu entwickelt, die diagnosebasierende Bildgebung, ein isoelektrisches EEG, fehlende frühe SEP und/oder frühe akustisch evo- zierte Potenziale auf die Grenze der Intensivtherapie hin – schon vor der Manifestation des Hirntodes. Auch in dieser Situation, die man als terminale Komaphase bezeichnen könnte, wird die oben beschriebene Befundkonstellation einen bei Fortführung der Therapie unumkehrbaren Ver- lauf voraussagen: hier den nahen, kommenden Hirntod, dort das spätere permanente postanoxische apallische Syndrom (oder Tod). Der letztverantwortliche Arzt darf geforderten Entscheidungen nicht aufgrund lückenhafter diagnostischer Erkenntnisse ausweichen oder sie auf
nachgelagerte Versorgungsstrukturen verschieben. Jede berechtigte Unsicherheit allerdings muss herausgearbeitet werden und zu einer erweiterten Beobachtung und Dia- gnostik führen. Bei klarer Befundkonstellation sollte früh- zeitig eine klare Entscheidung, auch über die Einstellung der Therapie getroffen werden.
Der Beitrag fällt in eine Zeit, wo Limitationen der in- tensivmedizinischen Behandlung erarbeitet werden, die den Zugang zur Intensivstation begrenzen, aber auch den
„Exit“ neu definieren sollen, um ressourcen-adaptierte Versorgungswege zu formulieren. Die automatisierte Verlagerung wesentlicher ärztlicher Entscheidungen auf technische Befunde ist eine ernste Gefahr. Dieser neuro- logisch-internistische Beitrag erfahrener Kliniker be- schwört diese Gefahr nicht herauf, er verweist auf die eigentlich selbstverständliche Integration der Angehöri- gen in eine syndromspezifische palliative Intensivmedi- zin. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0130
LITERATUR
1. Brierley JB, Adams JH, Graham C, Simpson JA: Neocortical death af- ter cardiac arrest: a clinical, neurophysiological, and neuropathologi- cal report of two cases. Lancet 1971; 7724: 560–5.
2. Ingvar DH, Brun A, Johansson L: Survival after severe cerebral ano- xia with destruction of the cerebral cortex: the apallic syndrome. Ann NY Acad Sci 1978; 315: 184–214.
Interessenkonflikt
Der Autor ist Studienleiter für die BRD Asprera „ MMF in der Therapie der Myasthenia gravis“.
Prof. Dr. med. Rudolf Wihelm Christian Janzen ehem. Chefarzt Neurologische Klinik Krankenhaus Nordwest Landwehrweg 12c 61350 Bad Homburg
Die Autoren des Beitrags haben auf ein Schlusswort verzichtet.
zu dem Beitrag
Prognose kardiopulmonal reanimierter Patienten – ein Diskussionsbeitrag
von Prof. Dr. med. Frank Thömke , Sacha L. Weilemann in Heft 42/2007
DISKUSSION
REFERIERT
Minocyclin beim akuten Schlaganfall?
Minocyclin, ein halbsynthetisches Tetrazyklinderivat, zeigt im Tiermodell einen neuroprotektiven Effekt bei multipler Sklerose, dem M. Parkinson, der ALS und dem M. Huntington. Die Autoren führten eine placebo-kon- trollierte Studie an 152 Patienten mit akutem Schlaganfall durch. Diese erhielten innerhalb von 6 bis 24 h nach dem akuten Ereignis entweder 200 mg Minocyclin für 5 Tage oder Placebo. Analysiert wurden mittels NIH Stroke Scale (NIHSS), dem modifizierten Rakin Scale (mRS) und dem Barthel Index (BI) die Veränderungen zwischen Tag 0 und Tag 90. 74 Per- sonen erhielten Minocyclin, 77 Placebo. NIHSS und mRS waren bei den mit Minocyclin behandelten Patienten signifikant höher, der BI-Score sig-
nifikant niedriger als in der mit Placebo behandelten Gruppe. Diese Ver- besserungen waren bereits am Tag 7 (p = 0,0001) und am Tag 30 (p = 0,0001) nachweisbar. Tod, Herzinfarkt, Apoplexrezidiv und hämor- rhagische Transformation des Hirninfarkts waren in beiden Behandlungs- armen während der dreimonatigen Nachbeobachtung gleich häufig zu verzeichnen.
Das signifikant bessere Abschneiden der Minocyclingruppe dürfte auf einen neuroprotektiven Effekt der Substanz zurückzuführen sein, meinen die Autoren. Ob eine höhere Dosierung, eine intravenöse Applikation oder ein früheres Zeitfenster noch günstigere Ergebnisse liefern könnte, muss
weiteren Studien vorbehalten bleiben. w
Lampi Y et al.: Minocycline treatment of acute stroke: an open-label, evaluator-blinded study. Neurology 2007; 69: 1404–10.
E-Mail: y_lampi@hotmail.com