Die Information:
Bericht und Meinung NACHRICHTEN
Der Modellversuch zum Transparenzparagraphen läuft
Das regierungsamtliche For- schungsvorhaben im Rahmen der strukturpolitischen Projekte im Gesundheitswesen mit dem Titel
„Modellversuche zur Erhöhung der Leistungs- und Kostentranspa- renz in der gesetzlichen Kranken- versicherung gemäß Paragraph 223 RVO" wird seit Jahresbeginn 1982 planmäßig in zwei Stufen durchgeführt. Das Bundesarbeits- ministerium, das diesen Modell- versuch mit öffentlichen Mitteln in Höhe von rund 2 Millionen DM un- terstützt, hat aus den 20 Kranken- kassen und 15 wissenschaftlichen Instituten, die sich auf die Aus- schreibung vom Oktober 1980 hin beworben haben, sechs „Modell- Krankenkassen" ausgewählt, die an einer gezielten Überprüfung von „geeigneten Krankheitsfäl- len" und einer Unterrichtung so- wohl der Versicherten als auch der beteiligten Ärzte über die Leistun- gen und Kosten mitwirken sollen.
An der ersten Phase des Modell- projektes nehmen teil: die AOK Main-Kinzig in Hanau, die Be- triebskrankenkassen der Volkswa- genwerk AG (Wolfsburg), die Betriebskrankenkasse der Firma Kienzle Apparate GmbH, Villingen, beide in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Betriebskrankenkassen (Essen);
ferner die Innungskrankenkasse Göppingen, die Braunschweiger Krankenkasse (Hamburg) als re- präsentative Modell-Arbeiterer- satzkasse und die Techniker-Kran- kenkasse (Hamburg).
Wissenschaftlich beraten, betreut und ausgewertet wird das Projekt vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), Berlin. Im Mittelpunkt der ersten Stufe der angelaufenen Arbeiten stehen zwei Fragen:
I> Welche Krankheitsfälle sind im Sinne einer besseren Leistungs- und Kostentransparenz für eine Prüfung und eine Unterrichtung
der Versicherten und der behan- delnden Ärzte geeignet?
Welcher datentechnische und organisatorische Aufwand ist er- forderlich, um die für Prüfung und Unterbringung erforderlichen In- formationen zusammenzubrin- gen? Dabei werden auch erhöhte Datenschutzanforderungen be- rücksichtigt, die bei persönlichen medizinischen Daten zwingend geboten sind.
Der erste Zwischenbericht über die Phase 1 des Modellprojektes, der jetzt den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversiche- rung, der Arbeitsgemeinschaft für Gemeinschaftsaufgaben der Kran- kenversicherung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie der Kassenärztlichen und der Kas- senzahnärztlichen Bundesvereini- gung zugeleitet worden ist, um- reißt die Absichten und Aufgaben der „Pionier-Krankenkassen". Der seit Inkrafttreten des Krankenver-
sicheru ngs-Kostendämpfu ngsge- setzes (KVKG) am 1. 7. 1977 in Kraft getretene sogenannte Trans- parenzparagraph 223 RVO soll nach Darlegung der Gutachter da- von absehen, allgemein und glo- bal über das Leistungs- und Ko- stengebaren der Krankenkassen zu informieren. Hingegen soll mit Hilfe der EDV darüber unterrichtet und nachgeforscht werden, wie
„geeignete Fälle" identifiziert und überprüft sowie in ihrem „sachlo- gischen Zusammenhang" darge- stellt werden können. Undifferen- zierte und isolierte Unterrich- tungsmaßnahmen werden als we- nig wirksam und zudem als ko- stenaufwendig bezeichnet.
Zunächst haben sich die Kranken- kassen darauf konzentriert, be- sonders ausgabenintensive Berei- che und Krankheitsfälle zu durch- leuchten. Das projektbegleitende Institut rät aber, nicht so sehr be- triebswirtschaftliche Fragen und
Fragen der Preisgestaltung in den Vordergrund des Interesses zu rücken, sondern vielmehr Fragen nach der Zweckmäßigkeit der ein- zelnen Leistungen. Dabei soll die
Leistungsstruktur über einen län- geren Zeitraum und nach Versi- chertengruppen getrennt struk- turiert erfaßt werden.
Auffällig ist dabei die soziologi- sche, teilweise linkslastige Prä- gung der Forschungszielrichtung durch das Berliner Institut: So sol- len auch die kostenmäßigen Aus- wirkungen dargestellt werden, die eine anhaltende Medikalisierung sozialer Probleme bedeutet (zum Beispiel Streßbewältigung durch Dauermedikation von Beru hi- gungs-, Anregungs- und Schlaf- mitteln; Verlagerung vom Alkohol- zum Medikamentenmißbrauch).
Ferner sollen die epidemiologi- schen Häufigkeiten bestimmter Leistungen bei der Ursachenana- lyse und der Bewertung des Aus- gabenspektrums beachtet wer- den. Auch das Problem der
„Selbsteinweisung" soll berück- sichtigt werden.
Um den Arbeitsaufwand und die Kosten des Modellversuchs in Grenzen zu halten, sollen die Mo- dellkassen zunächst exemplarisch vorgehen, nicht hingegen eine flä- chendeckende Umsetzung aller Möglichkeiten des Daten-Fund an- streben. Sämtliche Daten sollen jeweils auf den Leistungsempfän- ger, den Leistungserbringer und den Veranlasser von Leistungen zusammengeführt werden kön- nen. Die Informationstiefe und die Wertigkeit der bestehenden Da- tenhaltung der beteiligten Kassen soll ständig überprüft werden. Für sämtliche Kassen wurde eine ge- meinsame Struktur für die relevan- ten Stamm- und Leistungsdaten sowie für ein Schlüsselverzeichnis entwickelt. Tunlichst soll darauf geachtet werden, daß die jeweils für die Modellkassen vorgege- benen Aufgaben eingehalten wer- den. Es ist nicht beabsichtigt, ei- nen gemeinsamen Datenpool zu bilden und ihn für kassenübergrei- fende bzw. -vergleichende Unter- suchungen einzusetzen. In jedem Fall sollen die strengen Vorschrif- ten des Sozialdatenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht eingehalten werden. HC
26 Heft 46 vom 19. November 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B