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Prag, 19. Januar 2016

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Ústav germánských studií

Prag, 19. Januar 2016

Barbora Baráková hat sich ein überaus interessantes Thema für Ihre Masterarbeit ausgesucht, nämlich die (auch theoretisch durchaus widerständige) Frage nach ‚dem‘ Autobiographischen in Comics. Die

Grundfrage ihrer Masterarbeit so zu reformulieren, obwohl der Titel doch ausdrücklich auf Comics wie Literatur abhebt, verkürzt dabei die Fragestellung dennoch nicht: Über ‚das‘ Autobiographische in der Literatur ist in den letzten Jahren/Jahrzehnten so viel geforscht und publiziert worden, dass es jedenfalls ein ausreichend bearbeitetes Forschungsfeld darstellt. Dies sieht für die Frage nach einem

autobiographischen Moment in Comics durchaus anders aus; hier liegen weitaus weniger Modellierungs- Angebote vor und von den vorliegenden sind durchaus auch nicht alle überzeugend. Dies hat natürlich auch damit zu tun, dass das anerkannteste Modell für die Beschreibung eines autobiographische Modus in der Literatur – der sogenannte „autobiographische Pakt“ von Philippe Leujeune – für Comics so nicht passen will. Lejeune sieht im „autobiographischen Pakt“ ein Übereinkommen des Autors mit dem Leser, dass im Falle einer Autobiographie Autor, Erzähler und Protagonist (deckungs-)gleich sind. Dies lässt sich aber eben nich bruchlos auf Comics übertragen, wobei das Problem nicht in der Instanz des Protagonisten und auch nicht in der ‚Kategorie‘ des Autors liegt (auch Comics haben natürlich immer jemanden, der sie hervorgebracht hat), sondern in der Instanz des Erzählers. Gleichgültig wie die Instanz des Erzählers in literarischen Texten modelliert ist: Sie ist unhintergehbar und zwangsläufig vorhanden.

Dies hat wiederum mit dem monomedialen Status des literarischen Erzählens zu tun, das sich eben ganz im Medium der Sprache vollzieht. Der Comic aber wird außer im Medium der Sprache auch im Medium der Bilder realisiert; Bilder aber haben per se keine referentialisierbare Instanz, die dem Erzähler

gleichkäme. Hinzu kommt, dass die sprachlichen Anteile von Comics ebenfalls nicht durchgängig in einer solchen Weise referentialisierbar sind: Die Sprechblasen entsprechen eher der Figurenrede der Dramatik in der Literatur oder im Film; einzig die anderen meist geradlinig-eckig gerahmten Passagen können (müssen aber auch wiederum nicht) auf eine dem Erzähler in der Literatur vergleichbare Instanz zurückgeführt werden. Wenn es also – wie der Vf. dieses Gutachtens an anderer Stelle gründlich

herauszuarbeiten versucht hat – stimmt, dass Filme nicht in gleicher Weise zu erzählen vermögen wie die Literatur, wenn es weiterhin stimmt, dass von den medialen Grundbedingungen her der Comic zumindest in seinem Bildanteil und in jenem Anteil an den Textblöcken, die als Sprechblasen Figurenrede

Gutachten zur Diplomarbeit von Barbora Baráková

Autobiographisches in Comics und in Literatur

Prof. Dr. Manfred Weinberg DAAD-Langzeitdozent stellvertretender Institutsleiter Ústav germánských studií Filozofická fakulta Univerzita Karlova v Praze Náměstí Jana Palacha 2 11638 Praha 1

Telefon: (+420) 221 619-244 Fax: (+420) 221 619-241

Email: Manfred.Weinberg@ff.cuni.cz Homepage: http://german.ff.cuni.cz

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vorstellen, dem Film näher ist als der Literatur – dann sind die Grundlagen für eine bruchlose

Übertragung von Lejeunes autobiographischem Pakt erst einmal nicht gegeben. Andernteils ist es nur zu deutlich, dass es Comics gibt, die sich als autobiographisch inszenieren und auch so rezipiert werden. Die Frage, wie sich diese Tatsache theoretisch modellieren lässt, ist somit eine überaus komplexe und

widerständige Frage, zu der man in einer Masterarbeit keine (end-)gültige Antwort erwarten kann. Frau Baráková ist allerdings über die Maßen dafür zu loben, dass sie sich auf eine Frage von solch

theoretischer Widerständigkeit überhaupt eingelassen hat. Angesichts der Tatsache, dass in den Studiengängen der philologischen Fächer in der Tschechischen Republik die Auseinandersetzung mit Theorie jedenfalls nicht im Vordergrund steht, hat sich Frau Baráková schon in ihrem BA-Studium in Olmütz, schließlich in ihrem Master-Studium in Prag und nicht zuletzt bei der Ausarbeitung ihrer Master- Arbeit eine beachtenswerte Souveränität im Umgang mit (Literatur-)Theorie erworben. Objektiv

betrachtet könnte manches in dieser Arbeit noch pointierter gesagt und klarer herausgearbeitet werden; es könnte zudem manches theoretische Argument einfach präziser ‚platziert‘ werden – aber auch

Masterarbeiten sind ja immer nur im Blick auf jenen Horizont beurteilbar, in dem sie entstanden sind.

Von daher gilt für die Arbeit zunächst, dass sie ein erstaunlich hohes theoretisches Reflexionsniveau durchhält und dass auch die Lektüren/„Analysen“ des zweiten Teils dagegen nicht abfallen.

Im Einzelnen: Barbora Baráková beginnt ihre Masterarbeit mit einer erfreulichen knappen „Einführung“

(S. 7f.), die die Grundfrage der Arbeit expliziert. Man liest:

„Diese Arbeit versucht am Beispiel der Autobiographie zu zeigen, dass die Literaturtheorie an Comics nur teilweise appliziert werden kann. Die Arbeit beschäftigt sich sowohl mit den theoretischen Fragen, die sich hinsichtlich von Autobiographien stellen, als auch mit der praktischen Analyse und dem Vergleich zweier Autobiographien – eines Comics und eines literarischen Textes. Der Comic wird hier im Unterschied zur Literatur behandelt, dies bedeutet aber nicht, dass er als minderwertig gegenüber der Literatur verstanden wird“(S. 7).

Danach teilt sich die Arbeit in einen „Theoretische[n] Teil“ (S. 9ff.) und einen „Analyse“-Teil (S. 34 ff.), wobei der Comic „Vier Augen“ (S. 35ff.) von Sascha Hommer und die ‚klassische‘ literarische

Autobiographie „Alle Toten fliegen hoch. Amerika“ von Joachim Meyerhoff souverän interpretiert werden (S. 54ff.). Die Arbeit endet dann mit einem prägnanten „Fazit“ (S. 68ff.).

Den theoretischen Teil der Arbeit beginnt die Vf.in mit der Diskussion der zentralen Kategorien, zunächst in Form von „Begriffe[n]“ (S. 9ff.). Dazu gehören die in den Untertiteln nominierten

Begriffe/Perspektiven „Autobiographie, Memoiren, Graphic-Memoirs, Autographics und Autofiktion“ (S.

9ff.), „Authentizität“ (S. 12ff.), und die Frage nach dem „referentielle[n] Anspruch an die Autobiographie und die Interpretation“ (S. 14ff.). Dazu heißt es:

„Wie kann dieser referentielle Anspruch mit der bildlich dargestellten Weltrepräsentation verbunden werden? Die dargestellte Realität ist mit der subjektiven Interpretation des Autors verbunden. Falls der Leser dieses ‚subjektive Wahrnehmen‘ der Realität akzeptiert, kann er auch die dargestellte Welt als die subjektiv wahrgenommene Realität akzeptieren. Die Bilder müssen dabei kein Hindernis bilden. Dies hebt auch El Refaie hervor:

‚Autobiographical comics, for instance, never claim to offer a direct, mimetic representation of the world, but rather an interpretation of events as they are experienced by the artist, with aspects that are quite obviously and

deliberately exaggerated, adapted or invented.‘

Der Autor wird als eine vermittelnde Instanz zwischen der im Comic dargestellten Welt und dem Leser verstanden.“

(S. 14)

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Auch wenn Frau Baráková grundsätzlich die Fähigkeit entwickelt hat, Theorieangebote in ihren Stärken und Schwächen zu reflektieren, folgt sie manchmal dann doch zu sehr den vorhandenen Angeboten. Für den hier Gutachtenden stellt jedenfalls das Kriterium eines ‚subjektiven Wahrnehmens‘ keinen Ausweg aus den Theorie-Dilemmata dar.

Es folgen Aussagen „Zur Geschichte der Autorencomics“ (S. 16ff.) und zu „Erwachsenen-Comics und Autoren-Comics in Deutschland“ (S. 17ff.). Vor diesem Hintergrund geht die Vf.in dann die zentralen theoretischen Fragestellungen an, indem sie sich mit „Lejeunes ‚Der Autobiographische Pakt‘ in Beziehung zur Autobiographie in Comics“ (S. 20ff.) auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung teilt sich in ein Unterkapitel mit dem Titel „Erzählen, Erzähler und Fokalisierung in Comics“ (S. 20ff.) und eines mit dem Titel: „Identität: Erzähler = Protagonist = Autor“ (S. 24ff.). Auch in diesem Kapitel zeigt sich die Fähigkeit zum souveränen Umgag mit Theorie-Angeboten – hier von Dietrich Grünewald, Martin Schüwer, Jan-Noël Thon, Elisabeth El Refaie etc. Bei der Zusammenschau dieser unterschiedlichen Angebote liegt allerdings ein Problem darin, dass deren Voraus-Setzungen nicht in gleicher Weise mit reflektiert werden. Die Angebote sind etwa von von durchaus unterschiedlichen Grundverständnissen des Erzählens an und für sich geprägt, so dass die von Frau Baráková gewählte Vergleichsebene tatsächlich nicht immer aufgeht.

Ab da wird die theoretische Diskussion eher in Frageform weitergeführt (was ja bei unklaren

‚Verhältnissen‘ eine durchaus naheliegende Form der Auseinandersetzung ist: Das vierte Unterkapitel des zweiten Kapitels stellt die Frage „Was sind Paratexte und welche Funktion haben sie in Verbindung mit der Autobiographie? (S. 27ff.), die in dessen ersten Unterkapitel in die Frage „Wie unterschiedlich sind die Paratexte im Comic? (S. 30ff.) überführt wird, bevor sich die Vf.in dann zu „Umschlag und Titelseite in Comics“ (S. 32ff.) äußert. Allerdings muss man sich auch hier fragen, ob angesichts der medialen

‚Vielfalt‘ der Comics und ihrem Eingebundensein in ein ganz anderes Kommuniaktions-Universum die Rede von den ‚Paratexten‘ überhaupt noch ausreicht – oder ob man nicht zu einer Beschreibung im Sinne Bourdieus übergehen müsste, die auch alle anderen Kanäle, ‚in‘ denen kulturelles Kapital aufgehäuft werden kann, berücksichtigt.

Damit hat die Vf.in das ganze ‚Handwerkszeug‘ für angemessene „Analyse[n]“ (S. 34ff.) parat. Bezüglich des Comics „Vier Augen“ von Sascha Hommer diskutiert sie zunächst die folgende Dimension:

„Buchumschlag und der autobiographische Pakt“ (S. 36ff.), wobei sie sich mit den „Umschlagsversionen“

(S. 36Ff.), den „Klappentexte[n]“ (S. 38ff.), der „Namensidentität“ (S. 40ff.) entsprechend Lejeunes Modellierung des „autobiographischen Paktes“ und dem „Erzähler“ (S. 42ff.) beschäftigt. Danach werden

„Metatexte“ (S. 43ff.) diskutiert: zunächst eine ‚Anschlusskommunikation‘ auf der zugehörigen Internet- Plattform („Hallo Sascha“ [S. 44ff.]); dann wird die Frage nach dem im Comic „Vier Augen“

auftretenden „sprechende[n] Hund als Teil der Autobiographie“ (S. 47ff.) aufgeworfen und dabei auch auf den (nur) von daher verständlichen „Titel“ (S. 52ff.) abgehoben. An dieser Stelle hätte man sich dann auch durchaus eine gründlichere Diskussion des durch das phantastische ‚Element‘ des Hundes ja gerade nicht dementierten, sondern vielmehr verstärkten autobiographischen Gestus vorstellen können.

Die Analyse von Joachim Meyerhoffs ‚klassischer‘ literarischer Autobiographie „Alle Toten fliegen hoch. Amerika“ erfolgt nach den von der Analyse des Comics naheliegenden Leitbegriffen:

„Autobiographischer Pakt“ (S. 55ff.), „Metatexte“ (S. 58ff.), „Umschlag“ (S. 60ff.), „Vergleich“ (S.

62ff.) mit den weiteren Unterkapiteln „Mythos der eigenen Biographie“ (S. 62ff.; hier kann man sich

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fragen, ob eine so detaillierte Auseinandersetzung mit den offenbar in beiden Fällen deutlich

unterkomplexen Mythos-Verständnisse der Autoren überhaupt notwendig ist), „Anspruch“ (S. 64f.) und

„Erzähler“ (S. 65ff.). Es folgt, wie schon benannt, ein „Fazit“ der vorgelegten Arbeit (S. 68ff.).

Es würde an dieser Stelle viel zu weit führen, in die Einzelheiten der Interpretation von Comic und Erzählung einzusteigen; sie sind im Wesentlichen gelungen, auch wenn dieses (Fast-)Gelingen den Leser immer wieder zu der Mutmaßung bringt, dass die Vf.in grundsätzlich die Fähigkeit hätte, die Dinge noch prägnanter auf den Punkt zu bringen, davor in dieser Arbeit aber immer noch einen Schritt zurückbleibt.

Stattdessen sei der letzte Abschnitt des die Arbeit beschließenden Fazits zitiert:

„Als Weiterführung der Auseinandersetzung mit einer Theorie der Autobiographie in Comics wäre es nützlich, weitere Comics auf die benannten Punkte hin zu untersuchen, wobei das Hauptinteresse auf das Umgehen mit den drei Elementen des Protagonisten, des Erzählers und des Autors zu legen wäre. Dabei können sich durchaus auch noch weitere Wege zum Feststellen der Identität zwischen den drei Elementen finden lassen“ (S. 69).

Die Bescheidenheit dieser Schlussgeste ist zwar durchaus sympathisch, unterschätzt aber das von der eigenen Arbeit Geleistete, womit allerdings nicht gesagt sein soll, dass diese Arbeit die Frage nach einer angemessenen Beschreibung des autobiographischen Moments von Comics schon gelöst hat.

Im Gesamten hat man es mit einer anspruchsvollen, gut informierten, klar strukturierten und alles in allem gelungenen Arbeit zu tun, die allerdings an so einige Stellen signalisiert, dass die Vf.in grundsätzlich zu noch komplexeren Leistungen fähig ist. Zu kritisieren sind allenfalls selbst noch in der Schlussversion vorhandene stilistische Schwächen; hier hätte eine ‚Endkontrolle‘ durch einen Muttersprachler auf jeden Fall noch zu einem besseren Ergebnis geführt.

Trotz solcher Schwächen ist Barbora Baráková aber eine sehr überzeugende Arbeit gelungen, die ich ohne jeden Vorbehalt zur Verteidigung empfehle. Als Note scheint mir die Bestnote „výborně“

angemessen, jedenfalls wenn es der Vf.in in der Verteidigung gelingt, noch einmal in eine anspruchsvolle Debatte um die diese Arbeit prägenden literatur- und medientheoretischen Fragen einzusteigen.

(Prof. Dr. Manfred Weinberg)

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