A3228 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 48⏐⏐1. Dezember 2006
P O L I T I K
D
ie Rhön-Klinikum AG sieht sich selbst als Vorreiter bei der Einführung „vernünftiger“ Kranken- hausstrukturen, in „denen der Patient zum bestimmenden Faktor der Be- handlungsprozesse wird“. In diesem Sinne müsse sich „die bisherige Arzt- orientierung in eine klare Ausrich- tung allen Tuns an den Bedürfnissen der Patienten“ wandeln, heißt es im Konzernporträt des privaten Klinik- betreibers. Um diesem Ziel näher zu kommen, will Rhön-Vorstandschef Wolfgang Pföhler ein neues ärztli- ches Berufsbild implementieren. Im Kern geht es dabei um eine zuneh- mende ärztliche Arbeitsteilung in den Krankenhäusern.Vier Arzttypen
Pföhler schlägt vor, die ärztliche Tätigkeit im Krankenhaus in vier Leis- tungsbereiche zu unterteilen. Daraus ergeben sich dann vier Arzttypen:
>Ein personenbezogener Bera- ter übernimmt die Patientenführung im Krankenhaus. Dieser Arzttyp mit den Qualitäten eines guten Allge- meinmediziners begleitet den Patien- ten von der Aufnahme über die Be- handlung bis hin zur Entlassung über alle Pflegestufen hinweg und steht ihm als erster Ansprechpartner und Lotse zur Verfügung. Der Berater trifft Entscheidungen über Diagnostik und Therapie, die er auch gegen ande- re Ärzte durchsetzen kann.
>Ein Spezialist für hoch diffe- renzierte Einzelfunktionen ist für die eigentliche Behandlung des Pati- enten zuständig (insbesondere in der Hochleistungs- und Spezialmedizin).
Durch die Konzentration auf be- stimmte Operationen und Tätigkeiten soll die Qualität der Krankenversor- gung steigen.
>Einem Systembetreuer obliegt die Optimierung der Prozesskette im Krankenhaus. Seine Aufgaben um- fassen neben der technischen Beglei- tung der medizinischen Prozesse die Sicherstellung des Zugriffs auf die Da- ten des Patienten (Stichwort: elektro- nische Patientenakte) durch die Ärzte im eigenen Haus, aber auch durch Spezialisten in anderen Konzernklini- ken oder Medizinischen Versorgungszentren.
>Ein Beratungsspe- zialist konzentriert sich auf die Abgabe von Zweitmeinungen, um im Diskurs mit anderen Spe- zialisten Diagnose und Therapie zu verbessern.
„Im gegenwärtigen Chefarztsystem bleibt für Oberärzte, die den nächsten Karriereschritt gehen wollen, häufig nur der Weg in eine andere Klinik oder in die eigene Praxis“, sagte Pföhler am 24. November bei einem Sym- posium in Frankfurt/Main. Für den Krankenhausbetreiber sei dies mit einem Kompetenzabfluss verbun- den, der sich im Leistungsvolumen und Patientenaufkommen bemerkbar mache. Hier will Rhön gegensteu- ern, „indem wir leistungsbereiten Ärzten zusätzliche Aufgabenpakete, klar abgegrenzte Führungspositio- nen und neue Verantwortungsberei- che übertragen“.
Damit einher geht zwangsläufig ein Kompetenzverlust der Chefärzte:
Sie müssten lernen, trotz unveränder- ter Letztverantwortung, bestimmte Aufgaben zu delegieren und sich hel- fen zu lassen, betonte der Rhön-Vor- standschef folglich auch. Bislang sei-
en die Krankenhäuser so organi- siert, dass der Chefarzt und seine Fachabteilung im Mittelpunkt stün- den. Zwar funktionierten die hoch spezialisierten Abteilungen zumeist perfekt, jedoch optimiere der Arzt in der Regel nur die Leistung in seiner Fachabteilung, nicht aber das Ge- samtprodukt, nämlich die Verbesse- rung des Gesundheitszustandes des Patienten. Pföhler: „Die Schwächen dieses Organisationsprinzips liegen darin, dass der Informations- und Pa- tientenfluss zwischen den Abteilun- gen stockt und der Patient nur einen begrenzten Überblick über die Be- handlung als Ganzes hat.“
Machtverschiebungen
Rhön fordere zu Recht, dass sich an der ärztlichen Leistungserbringung im Krankenhaus etwas ändern müsse, betonte Dr. med. Frank Ulrich Mont- gomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, bei der Tagung: „Aber die von Pföhler beschriebenen Arzttypen sind nicht neu, es gibt sie in unter- schiedlichen Ausprägungen schon heute in vielen Krankenhäusern.“ So kümmere sich oft ein älterer Stations- oder Stationsoberarzt im Sinne eines
„personenbezogenen Beraters“ um die Patienten. Der „Spezialist für hoch differenzierte Einzelfunktionen“
könne mit dem in allen größeren Krankenhäusern vertretenen Konsili- ararzt verglichen werden. Der „Sys- tembetreuer“ sei vielerorts als medi- zinischer Controller schon heute ein wichtiges Bindeglied zwischen den medizinischen und administrativen Disziplinen. Einzig der „Beratungs- spezialist“ sei neu und als solcher auch überflüssig. Montgomery: „Ein Zweitmeinungsspezialist kann doch nur dann akzeptiert werden, wenn er selbst die gleiche Kompetenz im Fach hat wie Pföhlers Spezialist.“
Wer nur noch Zweitmeinungen ma- che, verliere seine erste Meinung.
„Ich halte eine verstärkte Differen- zierung für richtig, dabei sollte man aber auf Bewährtes zurückgreifen“, schloss Montgomery: „Und vor al- lem sollte man nicht unter dem Vor- wand einer Leistungsspezialisierung versuchen, Machtverschiebungen im Krankenhaus zu eigenen Gunsten zu
organisieren.“ I
Jens Flintrop
DER KLINIKARZT DER ZUKUNFT
Jeder macht nur noch das, was er am besten kann
Ein privater Klinikbetreiber will die ärztliche Arbeitsteilung
in den Krankenhäusern weiter forcieren – und nebenbei den Einfluss der Chefärzte eingrenzen.
Schwächen im Status quo:
Die Arztorientierung im Krankenhaus müsse einer Patien- tenorientierung weichen, meint Wolfgang Pföhler.
Foto:Rhön-Klinikum AG