• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Replantationen — Funktion und soziale Aspekte" (06.11.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Replantationen — Funktion und soziale Aspekte" (06.11.1980)"

Copied!
14
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES

ÄRZTE BLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Heft 45 vom 6. November 1980

Replantationen —

Funktion und soziale Aspekte

Leo Zwank, Peter Hertel und Leonhard Schweiberer

Aus der Abteilung für Unfallchirurgie

(Direktor: Professor Dr. med. Leonhard Schweiberer) der Chirurgischen Universitätsklinik Homburg (Saar)

Die Replantationschirurgie hat in den letzten fünf Jahren eine unge- ahnte Entwicklung genommen. In der Replantation von Groß- und Kleingliedmaßen wurde nach zögernden Anfängen auch in Europa eine weitgehend standardisierte Technik erarbeitet.

Skepsis und Aufsehen begleiteten die bisherigen Veröffentlichungen.

Nachdem nun in einzelnen Zentren für Replantation größere Erfah- rungswerte vorliegen, werden erste Langzeitergebnisse bekanntge- geben.

In diesem Beitrag werden funktionelle und soziale Aspekte berück- sichtigt, welche sich im Laufe des dreieinhalbjährigen Bestehens des Replantationszentrums Homburg (Saar) ergaben.

Unter Replantation versteht man das Wiedereinpflanzen eines abgetrenn- ten Körperteils. Je nachdem, ob es sich um kleine periphere Körperteile oder größere Körperabschnitte han- delt, unterscheidet man Klein- und

Großreplantationen. Bei den am häufigsten vorkommenden Abtren- nungen im Bereich der Extremitäten werden Abtrennungen distal des Hand- oder Sprunggelenkes als Kleinamputationen, proximale Ab- trennungen als Großamputationen bezeichnet.

Die dem Kleinamputationsbereich zugehörigen Skalpierungsverletzun- gen, Penis-, Ohr- oder Gesichts- weichteilabtrennungen sind sehr selten.

Mit Großreplantationen beschäfti- gen sich die Chirurgen tierexperi- mentell bereits seit Anfang dieses Jahrhunderts (4)"). Die ersten Versu- che waren jedoch wenig ermuti- gend. Nach dem Wiederanschluß von ganzen Extremitäten kam es re- gelmäßig zu Störungen des Organis- mus, die in den meisten Fällen sehr rasch zum Tode der Versuchstiere führten.

Die beobachteten Symptome wur- den unter dem Begriff Tourni- quet-Syndrom zusammengefaßt:

Blutdruckabfall, Pulsanstieg, Mi-

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis. Ein erweitertes Literaturverzeichnis ist den Sonderdrucken beigefügt.

(2)

Aktuelle Medizin Aeplantationschirurgie

krozirkulationsstörungen, metaboli- sche Störungen (Azidose), Hyperka- liämie, Hämatokriterhöhung.

Als Ursachen wurden eine Volumen- verschiebung in die replantierte Ex- tremität sowie eine Schädigung des Organismus durch Zellzerfallspro- dukte und Säureäquivalente aus der replantierten Extremität erkannt.

Derartige Störungen wurden akut nach dem Gefäßanschluß oder aber auch mehrere Tage nach Replanta- tion bei gut durchbluteter Extremität und aufgefülltem Kreislauf gesehen.

Sie traten regelmäßig auf, wenn das Intervall zwischen Abtrennung und Wiederanschluß der Extremität 6 Stunden überschritt.

Erst nach 1960 wurden unter Küh- lung und Antibiotikagabe längere Überlebenszeiten und eine Funktion der Extremitäten erreicht (6). Durch exakte Kühlung konnte das tolerable Intervall zwischen Abtrennung und Wiederanschluß ohne allgemeine Störungen bis zu 20 Stunden verlän- gert werden (6). Inzwischen lagen auch größere klinische Erfahrungen in der Behandlung von Gefäß- und Nervenverletzungen vor. — Einer Re- plantation beim Menschen stand nichts mehr im Wege.

1962 gelang Malt in Boston die erste erfolgreiche Replantation eines voll- ständig abgetrennten Armes bei ei- nem zwölfjährigen Jungen. Voraus- gegangen war die Replantation ei- ner teilweise abgetrennten oberen Extremität durch Salesses 1960 und Kleinert 1961. In diesen ersten Fällen wurden Sensibilität und Motorik teil- weise wiedererlangt. Die in den Tier- versuchen beobachteten Komplika- tionen blieben aus. Die Anoxämie- zeit lag allerdings in jedem Fall unter 6 Stunden, die Amputate waren wäh-

rend der Anoxämiezeit gekühlt.

Ermutigt durch diese Erfolge und durch die wegen der inzwischen erarbeiteten mikrochirurgischen Technik wesentlich verbesserte Re- generation von Nervenverletzungen, wurden ab Ende der 60er Jahre zunehmend Großreplantationen durchgeführt.

Die erfolgreiche Replantation von Kleingliedmaßen (Finger) ist wegen der kleinen Gefäße und Nerven an die Entwicklung der mikrochirurgi- schen Operationstechnik gebunden.

Lediglich Fingerendglieder und -kuppen sowie Ohr- und Nasenantei- le können gelegentlich auch ohne Gefäßanastomose einheilen. Nach 1960 wurde das Mikroskop zuneh- mend zur Anastomose kleiner Gefä- ße (5) und zu Nervenanastomosen (8) benutzt. Erst mit optischer Hilfe gelang es, experimentell Kleinglied- maßen erfolgreich zu replantieren.

Über die erste erfolgreich durchge- führte Kleinreplantation am Men- schen unter mikrochirurgischer Anastomosentechnik wurde 1968 von Komatsu und Tamai berichtet.

Sie replantierten 1965 einen total ab- getrennten Daumen.

Ende der 60er Jahre wurde auch be- kannt, daß in China seit 1963 Groß- und seit 1966 Kleinreplantationen durchgeführt wurden (2). Heute überblicken chinesische Kliniken mit die größte Zahl an Groß- und Kleinreplantationen (2).

In Europa wurde 1974 der erste Re- plantationsdienst in Wien eingerich- tet (8). Es folgten eine Reihe weiterer Kliniken in allen europäischen Län- dern.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Interesse an dieser chir- urgischen Technik vor allem durch einen vielbeachteten Vortrag von Owen auf dem Deutschen Chir- urgenkongreß im Mai 1975 in Mün- chen geweckt.

Im Klinikum rechts der Isar in Mün- chen begann der Replantations- dienst im November 1975 mit der erfolgreichen Replantation eines Daumens (1).

Größere Fallzahlen an Replantatio- nen wurden erst in den letzten 4 Jahren mitgeteilt. Die Zahl der Groß- replantationen liegt weit hinter der von Kleinreplantationen zurück. Un- tere Extremitäten wurden nur ver- einzelt replantiert.

Replantationstechnik

Großreplantationen

Um Großreplantationen erfolgreich durchzuführen, sind Kenntnisse der Osteosynthesetechnik, der Gefäß- und Nervenchirurgie, der plasti- schen Chirurgie und insbesondere der traumatologischen Pathophysio- Iogie erforderlich. Nach der Beurtei- lung des Allgemeinzustandes des Verletzten und der Replantierbarkeit der Extremität ist die rasche Wieder- herstellung der Blutzirkulation das vorrangigste Ziel. Während des Transportes und während der Vor- bereitung zur Operation wird die ab- getrennte Extremität gekühlt, am be- sten sind dazu Kryogel-Beutel geeig- net. Die Kühlung muß jedoch beim Abwaschen im Operationssaal un- terbrochen werden. Während der Operation können die in sterile Tü- cher eingepackten Kryogel-Beutel um die Extremität gewickelt werden, in der Umgebung der Abtrennung ist dies jedoch nicht möglich, da hier- durch die Operation behindert wür- de. Beim Transport und bis zum Operationsbeginn kann die Kühlung bei sorgfältiger Durchführung voll- ständig sein. Ab Operationsbeginn kann man nicht mehr exakt mit einer kalten Anoxämiezeit rechnen. Als to- lerable Anoxämiezeit sehen wir des- wegen bei Abtrennung größerer Muskelmassen (Oberarm, Bein) nach wie vor das 6-Stunden-Intervall an. Berichte über erfolgreiche Groß- replantationen nach extrem langen Anoxämiezeiten unter Kühlung (2) beziehen sich ausnahmslos auf Ab- trennungen im distalen Unterarmbe- reich, wo nur ein geringer Muskelan- teil betroffen ist.

Eine Perfusion der amputierten Ex- tremität mit Ringer-Lösung und He- parin oder niedermolekularem Dex- tran, wie von einigen Autoren vorge- schlagen wird (2), haben wir bisher nicht routinemäßig durchgeführt.

Auch ein starkes Ausmelken der Ex- tremität war nicht erforderlich. Wir fanden lediglich an den Gefäßenden thrombotisches Material, welches sich durch Spülen und zartes Aus- streichen des Gefäßes entfernen ließ. Auch andere klinische Arbeiten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2658 Heft 45 vom 6. November 1980

(3)

Replantationschirurgie

betonen, daß bei der Perfusion aus den Venen klare Perfusionsflüssig- keit ablief, also keine Thromben aus- gespült wurden (7). Offensichtlich wird bei einer plötzlichen Abtren- nung durch den unmittelbar reflek- torisch auftretenden Gefäßspasmus das Blut weitgehend aus der Extre- mität herausgepreßt, die Extremität ist bleich und schlaff. Bei peripheren Zusatzverletzungen der amputierten Extremität kann allerdings durch Perfusion aus dem verminderten Ausfluß ein weiterer Gefäßschaden aufgedeckt werden.

Experimentell wurden die Gewebe- schäden amputierter Extremitäten durch Dauerperfusion mit stroma- freier Hämoglobinlösung hinausge- zögert. Diese Methodik könnte ge- eignet sein, längere Transporte zu ermöglichen oder bei Polytraumen, die eine sofortige Replantation nicht zulassen, die Extremität für längere Zeit replantierbar zu erhalten.

Bei der Operation stellen wir nach ausgiebiger Wundreinigung und De- bridement eine stabile Osteosynthe- se durch Platte oder äußeren Span- ner her. Die Knochenenden werden gekürzt, wenn dadurch eine größere Stabilität zu erreichen ist. Die in den meisten Berichten angewandte in- tramedulläre Stabilisation durch Marknägel, Rush-pin oder Knochen- späne wenden wir nicht an, weil der Knochen im Abtrennungsbereich von Weichteilen entblößt ist und bei Zerstörung des Markraumes in den ersten postoperativen Wochen nicht ausreichend ernährt werden kann.

Auch bei offenen Frakturen werden bei Marknagelungen wesentlich schlechtere Ergebnisse gesehen als bei Plattenosteosynthesen. Nach der Stabilisierung des Knochens erfolgt die Anastomose der wichtigsten Ar- terie, eventuell mit Interponat der Vena saphena. Die Anastomose wird mit Einzelknopfnähten durchge- führt, proximal des Ellenbogen- und Kniegelenkes mit 5 x 0-Nähten, di- stal davon mit 6 oder 7 x 0-Nähten.

Vor Beendigung der Anastomose wird nach proximal und distal hin ein Fogarty-Manöver durchgeführt.

Bei ablaufender Toleranzzeit der Anoxämie wird die arterielle Strom-

bahn vor der Osteosynthese wieder- hergestellt (10).

Anschließend werden möglichst zwei Venen anastomosiert, deren periphere Stümpfe guten Rückfluß aufweisen. Dann erfolgt die Anasto- mose der durchtrennten Nerven mit interfaszikulärer Nahttechnik. Den Nervenanastomosen wenden wir be- sondere Sorgfalt, zu, da von ihrer exakten Durchführung die spätere Funktion abhängt.

Arterien- und Venenanastomosen distal des Ellenbogen- und Kniege- lenkes sowie sämtliche Nervenana- stomosen werden mit Hilfe des Mi- kroskopes durchgeführt.

Zuletzt werden Muskeln und Sehnen versorgt. Wir achten darauf, daß kei- ne Hohlräume entstehen, die Fas- zienlogen der Muskulatur werden gespalten, ebenso die Sehnenretina- kula und der Karpaltunnel.

Der Hautverschluß ist bei erhebli- cher Weichteilquetschung grob adaptierend, Gefäße, Nerven, Seh- nen, Knochen und Osteosynthese- material werden gedeckt. Bei glatten Wundrändern erfolgt eine exakte Hautnaht mit Drainagen.

Nach Abdeckung mit sterilen Kom- pressen wird die ganze Extremität mit synthetischer Watte eingepackt, um Gewebeschäden durch den Auf- lagedruck zu vermeiden.

Kleinreplantationen

Die Kleinreplantationen, welche überwiegend im Handbereich vor- kommen, erfordern gute handchir- urgische Kenntnisse sowie eine Aus- bildung und ständiges Training in der mikrochirurgischen Operations- technik. Der Zeitfaktor spielt keine so wesentliche Rolle wie nach Groß- amputationen. Bei ca. 4°C-Kühlung und trocken verpackt kann eine Hand bis 12 Stunden, ein Finger bis 24 Stunden konserviert werden.

Schäden des Organismus sind nach Kleinreplantationen nicht zu erwar- ten, da sich keine oder nur minimale Muskelanteile im Replantat finden.

Am Beispiel der Fingerreplantation wird das Vorgehen kurz dargestellt:

Nach Präparation der Gefäß- und Nervenstümpfe unter dem Mikro- skop sowie Anschlingen der Beuge- sehnenstümpfe und sorgfältiger Wundausschneidung, die alles ge- schädigte Gewebe umfaßt, erfolgen zuerst die Osteosynthese des Fin- gers durch 1 oder 2 Kirschnerdrähte sowie die End-zu-End-Anastomose der tiefen und oberflächlichen Beu- gesehne. Dann werden, wenn mög- lich, beide volaren Fingerarterien End-zu-End anastomosiert. Die Ana- stomosen müssen spannungsfrei im gesunden Gewebe durchgeführt werden. Gefäßdefekte werden mit Mikroveneninterponaten über- brückt. Bei Zerstörung der Arterie auf der einen Seite kann der proxi- male oder distale Stumpf auch dia- gonal mit der anderen Seite unter Interposition eines Venentransplan- tates verbunden werden. Nach den Arteriennähten werden beide vola- ren Fingernerven unter interfasziku- lärer Nahttechnik End-zu-End ana- stomosiert. Anschließend wird die Hand gedreht, und es erfolgt die Versorgung der streckseitigen Ge- bilde: Die Strecksehnenenden wer- den durch U-Nähte adaptiert, es soll- te versucht werden, auch die Seiten- zügel am Finger zu rekonstruieren.

Auch die Venennähte erfolgen meist dorsal, da die dorsalen Venen grö- ßer und besser zu anastomosieren sind als die volaren Begleitvenen.

Pro Finger werden 1 bis 2 Venen End-zu-End anastomosiert. Es wer- den die Venen zur Anastomose be- vorzugt, die den kräftigsten Reflux zeigen. Venendefekte werden durch Veneninterponate überbrückt. Die Operation endet mit adaptierenden Hautnähten und einem lockeren Verband. Jede zirkuläre Abschnü- rung im Bereich der Finger muß ver- mieden werden.

Von Anfang an wurde die Replanta- tionschirurgie mit Skepsis betrach- tet. Malt wagte wegen zahlreicher Anfeindungen erst 1964 die Veröf- fentlichung des Berichtes über ei- nen 1962 replantierten Arm, als eine Funktion sicher nachweisbar war.

Auch heute noch wird die Funk- tionsmöglichkeit replantierter Glied-

(4)

Replantationschirurgie

maßen von vielen Ärzten bezweifelt.

Selbst Chirurgen sind geradezu er- staunt, wenn sie sehen, daß in den replantierten Gliedmaßen wieder ei- ne Sensibilität erreicht wird. Von vie- len wird eher als selbstverständlich angesehen, daß die replantierten Gliedmaßen ständig schwerste Schmerzen verursachen. Weiter im- mer wieder gehörte Vorurteile sind:

Replantationen seien ungeheuer zeit-, kosten- und personalaufwen- dig. Dies könne nur von zusätzlich geschaffenen Abteilungen bewältigt werden. Instrumentarium und Gerä- te für die Operation seien besonders teuer. Ziel dieser Arbeit ist es, nach dreijähriger Erfahrung eines Re- plantationszentrums die entstande- nen Mehrkosten und die erzielten Ergebnisse zu analysieren.

Ergebnisse

Von Mai 1977 bis Februar 1980 wur- den in unserer Klinik 324 Klein- und 35 Großreplantationen sowie 92 Akuteingriffe zur Revaskularisation und Reinnervation verletzter Extre- mitätenteile durchgeführt (Tabel- le 1). Nicht gezählt werden sollen in diesem Kosten- und Nutzenver- gleich die operativen Eingriffe, die vom mikrochirurgischen Team im Routinebetrieb als Wahleingriffe durchgeführt wurden (Nervenrekon- struktionen, Gefäßrekonstruktio- nen). 1979 haben wir eine Nachun- tersuchung der Klein- und Großre- plantationen durchgeführt.

0

Kleinreplantationen

Es wurden 76 Patienten nachunter- sucht, deren Erstbehandlung 3 Mo- nate bis 2 Jahre zurücklag.

Bei diesen 76 Patienten wurden ins- gesamt 133 Amputate wieder replan- tiert: 24 Daumen, 94 Finger und 15 Amputationen im Mittelhandbereich (Tabelle 2). Als Verletzungsursache überwogen Quetschverletzungen (Tabelle 3).

Der Krankenhausaufenthalt dieser Patienten dauerte zwischen 1 Tag und 34 Tagen, durchschnittlich 7,6 Tage pro Patient. 3 der Verletzten wurden nicht stationär behandelt, Replantation und Weiterbehandlung erfolgten ambulant. Die Dauer der ambulanten Behandlung betrug 33 bis 293 Tage, durchschnittlich 96 Ta- ge. Die Verletzten waren zwischen 38 und 306 Tagen arbeitsunfähig, durchschnittlich 102 Tage (Tabel- le 4). 5 der Verletzten waren Selb- ständige oder Angestellte in leiten- der Funktion und arbeiteten bereits wenige Tage nach der Replantation wieder in ihrem Betrieb; diese weni- gen Ausnahmen wurden in der stati- stischen Berechnung nicht mitge- zählt. Männer waren von den Verlet- zungen wesentlich häufiger betrof- fen als Frauen, unter den 76 Patien- ten fanden sich nur 6 weibliche Ver- letzte. Die Mehrzahl dieser Unfälle ereignete sich bei Handarbeitern im Lehrlingsalter oder in den Altersstu- fen der vollen Berufstätigkeit. Fast

die Hälfte aller Verletzten (46 Pro- zent) waren zwischen 10 und 30 Jah- re alt (Tabelle 5).

Zur Nachuntersuchung der Verletz- ten wurde das in der Tabelle 6 dar- gestellte Untersuchungsschema be- nutzt.

Die replantierten Finger wurden ein- zeln bewertet, um eine Aussage zu gewinnen über die Funktion der Fin- ger in Relation zur Amputationshöhe (Tabelle 7).

Die Beweglichkeit der Langfinger wurde nach einer von Buck- Gramcko angegebenen Meßtabelle zur Bewertung der Ergebnisse von Beugesehnenrekonstruktionen er- mittelt (Tabelle 8). Die Daumenfunk- tion haben wir nach dem in Tabelle 9 dargestellten Schema bewertet.

Es konnte klar ermittelt werden, daß die Funktion der einzelnen Finger und Daumen um so besser war, je distaler und glatter die Abtrennung war. Von den Quetsch- und Ausriß- verletzungen erreichten nur wenige eine dem Bewertungsschema ent- sprechende gute Funktion, die re- plantierten Finger waren dennoch durchweg brauchbar. Bei den schweren Quetschverletzungen der Hand mit mehrfacher Fingerabtren- nung war die Funktion nach Replan- tation gegenüber einem Amputa- tionsergebnis wesentlich besser, ob- gleich die Beweglichkeit der einzel- nen Finger als befriedigend oder

Tabelle 1: Übersicht über die bisher durchgeführten Klein- und Großreplantationen so- wie ihre Einheilungsraten von Mai 1977 bis Februar 1980

Kleinreplantationen 324 Einheilungsrate: 82%

Großreplantationen 35 Einheilungsrate: 95%

Tabelle 2: Aufschlüsselung der nachuntersuchten Klein- replantationen

Nachuntersucht:

76 Verletzte 133 Amputationen

24 Daumen-, 94 Finger-, 15 Mittelhand-

amputationen

Tabelle 3: Aufschlüsselung der Verletzungsart bei den nachuntersuchten Kleinre- plantationen

Nachuntersuchte

Amputationsverletzungen:133 Schnittverletzungen 47 Quetschverletzungen 55 Ausrißverletzungen 25 Explosionsverletzungen 6

2660 Heft 45 vom 6. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Tabelle 4: Übersicht über die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung sowie der Arbeitsunfähigkeit nach Kleinreplantation

Minimal Maximal Durchschnitt

Stationäre Behandlung 1 Tag 34 Tage 7,6 Tage

Ambulante Behandlung 33 Tage 293 Tage 96,0 Tage

Dauer der Arbeitsunfähigkeit 38 Tage 306 Tage 102,0 Tage

2,6%

Patientenzahl

Altersverteilung der Replantationen

23,6%

22 -4,

-10J 10 -20 20-30 30-40 40-50 50-60 19.7%

Tabelle 5: Altersverteilung der Verletzten, bei welchen in unserer Klinik eine Replantation durchgeführt wurde

Aktuelle Medizin Replantationschirurgie

schlecht gewertet werden mußte.

Beispiele hierzu sind in den Abbil- dungen 1 bis 4 zu sehen.

Ob die Amputation total oder subto- tal war, spielte für die Funktion kei- ne Rolle. Nach glatten totalen Ab- trennungen wurde immer eine bes- sere Funktion erreicht als nach sub- totalen Amputationen mit erhebli- cher Quetschung von Stumpf oder Amputat.

Die replantierten Daumen erreichten nach objektiven Kriterien in allen Fällen eine nützliche Funktion, nach Replantation einzelner Langfinger wurde die Gesamtfunktion der Hand in der Mehrzahl der Fälle im Ver- gleich zu einer Amputation nicht verbessert, in einigen Fällen sogar gestört (Tabelle 7). Subjektiv emp- fanden allerdings die Verletzten im allgemeinen auch in der Erhaltung eines einzelnen Langfingers einen Gewinn für Funktion und Aussehen.

Nur zwei Patienten hätten die erfolg- te Behandlung nicht wieder über sich ergehen lassen, einer nach funktionell wertloser Langfingerre- plantation, ein anderer nach Replan- tation eines ausgerissenen Dau- mens mit gutem objektivem Ergeb- nis. Hier war die entgangene Rente Hauptursache der Unzufriedenheit.

In chinesischen und japanischen Nachuntersuchungen wird die Zahl der unzufriedenen Patienten mit 0 angegeben (2, 7, 15). In einer um- fangreichen Nachuntersuchung der Chirurgischen Klinik rechts der lsar in München wurde kein Patient ge- funden, der die Replantation nicht wieder hätte durchführen lassen (1).

In einer Untersuchung der 2. Chir- urgischen Universitätsklinik Wien (3) waren 11 Prozent mit dem erzielten Ergebnis unzufrieden und hätten re- trospektiv eine Replantation nicht wieder durchführen lassen.

Für die subjektive Beurteilung des Verletzten ist neben dem kosmeti- schen Aussehen und der erreichten Funktion vor allem die Sensibilität im replantierten Körperteil sehr wichtig. Parästhesien oder gar stän- dige Schmerzen können zu einer sehr negativen subjektiven Einstel-

(6)

.•• . . • . •• , Aktuelle Medizin

Abbildung 1: Totale Amputation des Kleinfingers, subtotale Amputation des Ring- und Mittelfingers der rechten Hand eines 20jährigen Schreiners vor und fünf Monate nach Replantation

Abbildung 2: Totale Amputation des Zeige- und Mittelfingers, tiefe Schnittverletzung mit Nerven-, Gefäß- und Sehnendurchtren- nung des Daumens der linken Hand eines 19jährigen Arbeiters vor und sechs Monate nach Replantation

Abbildung 3: Schwere Quetschverletzung der linken Hand eines 23jährigen Handwerkers mit subtotaler Amputation des Daumens im Sattelgelenkbereich sowie Beugesehnen-, Gefäß- und Nervenverletzungen des zweiten und dritten Fingers im Bereich der Mittelhand, vor und fünf Monate nach Replantation des Daumens sowie Gefäß-, Nerven- und Sehnenversorgung in der Mittelhand

2662 Heft 45 vom 6. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(7)

. .•.

Aktuelle Medizin

Abbildung 4: Totale Amputation sämtlicher Langfinger im Grundgelenksbereich der linken Hand sowie totale Abtrennung der Mittelhand rechts bei einem 28jährigen Bergmann vor und ein Jahr nach Replantation. Von der linken Hand wurde nur ein Finger mitgeliefert, die anderen wurden am Unfallort nicht gefunden. Der Zeigefinger der amputierten rechten Mittelhand, dessen Grundgelenk völlig zerstört war, wurde deswegen von dem Amputat abgetrennt und primär als Zeigefingerersatz auf die linke Hand transponiert, so daß rechts drei Langfinger übrigblieben und links zwei. Die obere Bildreihe zeigt Verletzung und Funktion der linken Hand, die untere Bildreihe Verletzung und Funktion der rechten Hand

Abbildung 5: Quetschverletzung der rechten Hand eines 24jährigen Studenten mit totaler Amputation des Daumens und subtotaler Amputation des Zeigefingers vor und zehn Wochen nach Replantation

(8)

Tabelle 6: Darstellung des Untersuchungsschemas, welches bei der Nachuntersuchung angewandt wurde

1. Subjektive Einstellung: sehr zufrieden zufrieden

unzufrieden OP nochmals erwünscht Amputation wäre besser gewesen

2. Objektiver Befund:

a) kosmetisches Aussehen sehr gut gut

befriedigend unbefriedigend b) Funktion:

Grobgriff: kräftig mäßig unvollkommen nicht durchführbar Spitzgriff: kräftig mäßig unvollkommen nicht durchführbar Moberg-Test: sehr gut gut genügend ungenügend Beweglichkeit: sehr gut (14-15 Punkte)

gut (11-13 Punkte)

befriedigend ( 7-10 Punkte)

schlecht ( 0— 6 Punkte)

c) Sensibilität:

Hoffmann-Tinel-Test:

Heiß-kalt-Unterscheidung:

2-Punkte-Diskriminierung: mm) Ninhydrin-Test: deutlich / schwach

d) Röntgenbefund: in guter Stellung knöchern fest verheilt Pseudarthrose

Fehlstellung

Längenverlust mm

3. Tätigkeit nach Replantation:

alter Beruf ähnlicher Beruf ohne manuelle Tätigkeit

a) Welche typische Tätigkeit kann nicht mehr durchgeführt werden?

4. Gesamtbewertung:

Aktuelle Medizin Replantationschirurgie

lung führen. In unserer Nachunter- suchung fanden wir bei 58,6 Prozent der Replantate eine gute Nerven- funktion, das heißt es wurde wieder ein Zwei-Punkte-Diskriminierungs- vermögen erreicht. Bei weiteren 24 Prozent bestand immerhin ein ober- flächliches Berührungsempfinden ohne Parästhesien (Tabelle 10). Pa- tienten, bei welchen die Replantate oder ein Teil der Replantate eine schlechtere Sensibilität beziehungs- weise keine Sensibilität wieder er- reicht hatten, wurden bei der Nach- untersuchung zur operativen Revi- sion mit eventueller Nerveninterpo- sition einbestellt. Alle waren mit die- sem erneuten Eingriff einverstan- den, obwohl bei einigen bereits Se- kundäreingriffe vorangegangen wa- ren. Insgesamt wurden bei den 76 nachuntersuchten Patienten 27 Sekundäreingriffe durchgeführt:

14mal Tenolysen und Beugesehnen- plastiken, 11 mal Umstellungsosteo- tomien und Arthrodesen am Kno- chen, 2mal sekundäre Streckseh- nennähte. Bei den 14 Tenolysen be- ziehungsweise Beugesehnenplasti- ken waren 8mal Nervenrevisionen beziehungsweise Nerveninterponate im Eingriff miteingeschlossen (Ta- belle 11). Die Zahl der späteren Se- kundäreingriffe an den Beugeseh- nen war nach Daumenreplantatio- nen relativ geringer als nach Finger- replantationen, die Zahl der Umstel- lungsosteotomien und Arthrodesen war relativ gleich hoch.

Die Abbildungen 5 bis 7 zeigen gu- te funktionelle Ergebnisse nach Quetsch- und Schnittverletzungen.

Beschwerden: 18 der 76 Patienten hatten leichtere Schmerzen in den replantierten Fingern, 3 Verletzte klagten über stärkere und fast stän- dige Schmerzen. 55 Verletzte gaben keinerlei Schmerzen an. Alle, deren Replantationen weniger als 1 Jahr zurücklagen, klagten über vermehr- te, teilweise unangenehme Kälte- empfindlichkeit der replantierten Teile. Verletzte, die bereits den zwei- ten Winter nach der Replantation er- lebten, berichteten übereinstim- mend über eine Besserung dieser Beschwerden in der zweiten Kälte- periode.

2664 Heft 45 vom 6. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(9)

Finger D1 D2 D3 D4 D5 Mittel- hand

Zone IV V

1 1

1 1

1 1 2 7 Noten 1

2 3 4

1 2 4 1 2

1 2 2 2 2

1 2 2 7

1 2 1 1 Noten 1

2 3 4

6 1

3 2

2 1 2

2

1 3 1

2 1 1

2 2 2 Noten 1

2 3 4

Tabelle 7: Aufschlüsselung der Ergebnisse, die nach dem in Tabelle 6 dargestellten Untersuchungsschema gefunden wurden, die Sche- mazeichnung zu Tabelle 7 erläutert die Zoneneinteilung der Abtren- nungshöhe (nach Biemer)

Einteilung Zonen 1 bis 5

Schnitt gesamt 1 3 6 1 3 13 11 4 2 2 2

1 1 1 2 3 3 1 1 4

2 Quetschung gesamt 1 3 6 2 3 15 1 13 2 2 1 1 3

Ausriß gesamt 4 3 8 5 4 1

Noten 1 2 3 4

2 4 1

1 1

Explosion gesamt 2 4

Aktuelle Medizin Replantationschirurgie

Großreplantationen

Während bei Kleinreplantationen in einigen Fällen nahezu eine Restitu- tio ad integrum erreicht werden kann, verbleiben bei Großreplanta- tionen immer Funktionslücken. Wir haben 18 Großreplantationen im Be- reich der oberen Extremität und 4 Replantationen der unteren Extre- mität nachuntersucht (Tabelle 12).

Nach Großreplantationen dauerte der stationäre Aufenthalt zwischen 18 und 126 Tagen, durchschnittlich 42 Tage. Die Dauer der ambulanten Behandlung und der Arbeitsunfähig- keit betrug minimal 286 Tage und dauert bei einigen der nachunter- suchten Verletzten noch an (Ta- belle 13).

Da unsere ältesten Großreplantatio- nen erst eineinhalb Jahre zurücklie- gen und fast ausnahmslos schwere Gewebszerstörungen vorlagen, die eine volle Funktion von vornherein ausschließen, haben wir die Großre- plantationen nach noch bestehen- den Schmerzen, Brauchbarkeit der Extremität und Aussehen des re- plantierten Extremitätenanteils be- wertet.

Starke Schmerzen, wie sie bei Min- derdurchblutung oder Nervenfehl- wachstum beobachtet werden, gab keiner dieser Verletzten an. Von den 18 Replantationsfällen der oberen Extremität gaben 3 an, keinerlei Schmerzen zu haben, 15 litten an zumindest zeitweise auftretenden leichten bis mittleren Beschwerden.

Von den Replantationen im Bereich der unteren Extremität litten noch alle an leichten bis mittleren Bela- stungsbeschwerden, leichte Ruhe- schmerzen bestanden bei 2 Ver- letzten.

Die Brauchbarkeit richtet sich nach der wiedererlangten Sensibilität, der Greiffunktion, Haltefunktion und Stützfunktion. Eine Schutzsensibili- tät wurde in allen Fällen zumindest in einem Teil der replantierten Extre- mität wieder erreicht, ebenso eine Greif-, Halte- oder Stützfunktion, so daß sowohl subjektiv als auch objek- tiv eine Brauchbarkeit in allen Fällen bejaht werden konnte. Als Halte-

(10)

Aktuelle Medizin

Abbildung 6: Schnittverletzung der linken Hand eines 16jährigen Schülers vor und fünf Monate nach Replantation

Abbildung 7: Kreissägenverletzung der rechten Hand eines 19jährigen Schreiners mit totaler Daumenamputation und Schnittver- letzung an der Beugeseite des Zeigefingergrundgelenkes mit Nerven- und Sehnenverletzung vor und acht Wochen nach Replantation

Abbildung 8: Totale Amputation des rechten Unterarmes eines 20jährigen Arbeiters im Ellenbogengelenk vor und acht Monate nach Replantation

2666 Heft 45 vom 6. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(11)

tl

• •

Aktuelle Medizin

Abbildung 9: Subtotale Amputation des rechten Unterarmes eines 45jährigen Schreiners vor und zweieinhalb Jahre nach Replantation

Abbildung 10: Subtotale Amputation beider Unterschenkel eines 36jährigen Eisenbahners vor und zehn Monate nach Replantation (Rechtes Bein: Abtrennung im distalen Drittel bis auf zwei Strecksehnen, linkes Bein: Abtrennung im proximalen Drittel bis auf eine Hautbrücke von fünf Zentimeter Breite)

Abbildung 11: Rechte Hand eines 13jährigen Jungen, der den Daumen durch eine Explosionsverletzung verlor, vor und sieben Monate nach Transposition der zweiten Zehe des rechten Fußes zum Daumenersatz. — Die rechte Abbildung zeigt den Fuß 8 Tage nach der Entnahme der Zehe

(12)

Aktuelle Medizin Replantationschiru rgie

Tabelle 8: Darstellung des Untersuchungsschemas für die Beweg- lichkeit der Finger (Nach Buck-Gramcko)

Messung an den Langfingern Punkte

FKHA/Gesamtbeugung 0 -2,5 cm/ ~ 200- 6 2,5-4 cm/ ~ 180° 4 4 -{) cm/~ 150° 2

>6 cm/ < 150° 0

Streckdefizit 0°-30" 3

31°-50° 2

51°-70° 1

>70° 0

Bewegungsausmaß ~ 160° 6

~ 140° 4

~ 120° 2

< 120° 0

Bewertung: sehr gut 14/15 Punkte

gut 11-13

befriedigend 7-10

schlecht 0- 6

Tabelle 9: Das von uns angewandte Untersuchungsschema zur Bewertung der Daumenfunktion

Messung am Daumen Punkte

Abstand Kuppe D1 - 5 MHK 0-1 cm 6 1-3 cm 4 3-{) cm 2

> 6cm 0

Streckdefizit Q-3cm 6

3-5cm 4 5-Bcm 2

> 6cm 0

Adduktionsdefizit 0 cm 3

~0,5 cm 2 0,5-2 cm 1

>2 cm 0

Bewertung sehr gut 14/15 Punkte

gut 11-13

befriedigend 7-10

schlecht 0- 6

2668 Heft 45 vom 6. November 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

funktion sahen wir an, wenn ein in die Hand geschobener Gegenstand gut umfaßt und gehalten werden konnte.

Kosmetisch konnte in keinem Fall der Großreplantationen ein gutes Er- gebnis erreicht werden, in keinem einzigen Falle lag eine glatte Abtren- nung vor. Die Verletzten selbst emp- fanden die deformierte Gließmaße jedoch in allen Fällen weniger stö- rend als einen Amputationsstumpf.

Drei der Verletzten mit Replantation im Bereich der oberen Extremität und einer der Verletzten mit Replan- tation im Bereich der unteren Extre- mität können wieder schwere kör- perliche Arbeiten verrichten. in den anderen Fällen wurde eine sensible Beihand oder Haltehand erzielt, die vor allem für das tägliche Leben (An- und Auskleiden, Essen usw.) von er- heblichem Wert ist.

Replantationen der unteren Extre- mität werden noch immer weitge- hend abgelehnt, da eine protheti- sche Versorgung zu funktionell gu- ten Ergebnissen führt. Aber auch hier darf man nicht nur die Funktion bewerten. Falls die replantierte Ex- tremität keine Beschwerden verur- sacht, wird die körperliche Vollstän- digkeit vom Verletzten wesentlich höher eingeschätzt als die gut funk- tionierende Prothese.

Bei den Großreplantationen waren ausnahmslos Sekundäreingriffe er- forderlich. Am häufigsten erfolgten diese am Knochen, der, da er im Abtrennungsbereich auf eine mehr oder weniger weite Strecke von Weichteilen entblößt ist, in der Er- nährung gestört wurde und Nekro- sezonen aufwies. Je schneller die Replantation nach Abtrennung er- folgte, desto komplikationsloser war in jedem Fall der postoperative Ver- lauf und desto mehr an Funktion wurde erreicht. Schäden durch Hautdefekte und Weichteilzerstö- rungen konnten eher beherrscht werden als Muskelschäden.

Die Abbildungen 8 bis 10 zeigen funktionelle Ergebnisse nach Groß- replantationen.

(13)

SO

(Fehlen der Sensibilität)

3 (2,2%)

S1

(tiefe Schmerzempfindung vorhanden)

5 (3,7%)

S2

(oberflächliche Berührungsempfindung vorhanden, gleichzeitig Parästhesien)

15 (11,5%)

S3

(oberflächliches Berührungsempfinden ohne Parästhesien)

32 (24,0%)

S4

(2-Punkte-Diskriminierungsvermögen vorhanden)

78 (58,6%)

27 14 11

8 2 Sekundäreingriffe

Beugesehnen Knochen Nerven Strecksehnen

22 18 4 Amputationen

obere Extremitäten untere Extremitäten Tabelle 10: Darstellung der Sensibilitätsergebnisse

Sensibilität bei 133 Kleinreplantationen nach (Highet-Schema)

Tabelle 11: Aufschlüsselung der Sekundäreingriffe nach Kleinreplantationen

Nachuntersuchte Patienten 76

Tabelle 12: Aufschlüsselung der nachuntersuchten Groß- replantationen

Nachuntersuchte Patienten 21

Tabelle 13: Stationäre und ambulante Behandlung sowie Arbeits- unfähigkeitsdauer nach Großreplantationen

Minimal Maximal Durchschnitt

Stationäre Behandlung Ambulante Behandlung Arbeitsunfähigkeit

18 Tage 286 Tage 286 Tage

126 Tage 42 Tage Aktuelle Medizin

Replantationschirurgie

Kosten

Wie in allen Krankenhausbereichen schlagen die Personalkosten am meisten zu Buche. Ein Replanta- tionsdienst muß rund um die Uhr aufrechterhalten werden und erfor- dert, da die Eingriffe sich oft über viele Stunden erstrecken, einen ei- genen Bereitschaftsdienst. Als Min- destbesatzung für den Bereit- schaftsdienst sind ein Operateur und eine Instrumentenschwester an- zusehen. Beide lassen sich nach entsprechender Vorübung aus allen operativen Fächern rekrutieren, es muß also keine besondere Abteilung geschaffen werden. Die Bereit- schaftsdienstkosten des Kranken- hausträgers für Arzt und Schwester betragen im Jahr insgesamt 178 000 DM. Eine Erweiterung des Stellen- planes würde die Kosten wesentlich ausweiten. In unserer Klinik wurde bisher keine zusätzliche Stelle ge- schaffen, und der Replantations- dienst ist nur aufrechtzuerhalten, wenn sich Ärzte und Schwestern fin- den, die bereit sind, zu ihren übli- chen Bereitschaftsdiensten zusätzli- che Dienste zu übernehmen.

An besonderem Instrumentarium sind anzuschaffen: 1 Operationsmi- kroskop für etwa 40 000 DM, Mikro- besteck mit Ersatzinstrumenten für etwa 5000 DM. Die übrigen laufen- den Kosten in Operationssaal und Stationen entsprechen denen des allgemeinen Operationsbetriebes ei- ner Unfallchirurgie. Die Mikroinstru- mente müssen allerdings öfters aus- gewechselt werden als das übliche Instrumentarium, da sie wegen ihrer feinen Beschaffenheit häufiger be- schädigt werden. Kleinreplantatio- nen sind im allgemeinen nur kurze Zeit stationär, Großreplantationen bedürfen einer längeren stationären Behandlung mit vorübergehender Intensivbetreuung.

Diskussion

Wie aus der Ergebnisanalyse hervor- geht, hat sich der Aufwand der Re- plantationschirurgie nach der sub- jektiven Meinung der betroffenen Verletzten weitgehend gelohnt. Die-

(14)

Aktuelle Medizin Replantationschirurgie

se positive Einstellung mag teilweise auf die besonders intensive und sorgfältige Behandlung zurückzu- führen sein, beweist jedoch gerade bei schlechter Funktion, wie wichtig einem Verletzten die Erhaltung der Extremität ist.

Wie sieht nun die objektive Kosten- Nutzen-Analyse aus? Auf der einen Seite etwa 200 000 DM Mehrauf- wand pro Jahr, auf der anderen Sei- te 150 replantierte beziehungsweise revaskularisierte Gliedmaßen pro Jahr, die lange behandelt werden müssen, zum Teil nur unvollkom- men funktionieren und manchmal sogar Schmerzen bereiten.

Replantationen einzelner Langfin- ger bringen aus ökonomisch-sozia- ler Sicht keinen zusätzlichen Ge- winn, da sie im allgemeinen im Ver- gleich zur Amputation kaum die Handfunktion verbessern. Sie tragen jedoch bei kosmetisch gelungenem Ergebnis wesentlich zum psychi- schen Gleichgewicht der Verletzten bei, da viele Menschen, besonders Frauen, mit Fingerstümpfen oder fehlendem Finger ein unsicheres komplexhaftes Verhalten entwickeln und die verletzte Hand zu verstecken suchen.

Daumenreplantation und Replanta- tionen mehrerer Langfinger bezie- hungsweise die Wiederherstellung einer völlig zerquetschten Hand sind dagegen auch aus ökonomisch-so- zialen Gesichtspunkten von erhebli- chem Wert, da Amputationen hier Rentensätze zwischen 20 und 40%

nach sich ziehen, eine einzige ge- lungene Replantation also den jähr- lichen Mehraufwand eines ganzen Replantationsdienstes voll aus- gleicht. Bei einer Amputation wären Krankenhausaufenthalt und ambu- lante Behandlungsdauer durch- schnittlich wesentlich kürzer gewe- sen, die Dauer der Arbeitsunfähig- keit hätte sich allerdings kaum ver- kürzt, da öfter eine Umschulung er- forderlich gewesen wäre bezie- hungsweise längere Arbeitslosigkeit gedroht hätte.

Großreplantationen im distalen Un- terarmbereich sind sicher von ähnli-

chem ökonomischem Wert, wäh- rend Großreplantationen der proxi- malen Armregion und der unteren Extremität von diesem Gesichts- punkt aus noch kaum einzuschätzen sind (10). Eine primäre Einordnung des Ergebnisses nach dem wieder- erreichten Arbeitsplatz, wie sie von chinesischen Autoren durchgeführt wird (2), halten wir für problema- tisch, da die Chancen dazu nach

Land und Regierungssystem ver- schieden sind und auch im eigenen

Land zum Beispiel davon abhängen können, ob jemand in der freien Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst arbeitet.

Besonders wichtig ist die Replanta- tionschirurgie bei Kindern und Ju- gendlichen, nicht nur weil hier die Chancen, wieder eine Funktion zu erreichen, höher sind, sondern weil durch fehlende Gließmaßen die be- rufliche Entfaltungsmöglichkeit und damit die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit behindert sein kann.

Ein 13jähriger Junge, der eine hand- werkliche Berufsausbildung plante, verlor den rechten Daumen durch Explosionsverletzung. Da eine Re- plantation nicht möglich war, sah er alle Hoffnungen auf den gewünsch- ten Beruf schwinden. Durch eine Transplantation der zweiten Zehe zum Daumenersatz konnte eine so gute Funktion der Hand erreicht werden, daß er heute allen Anfor- derungen der Lehre gerecht wird (Abbildung 11). Die Technik solcher Transplantationen wurde aus der Replantationschirurgie entwickelt.

Zusammenfassung

In der Replantation von Groß- und Kleingliedmaßen wurde nach einem zögernden Beginn inzwischen auch in Europa eine weitgehend standar- disierte Technik erarbeitet. Mehrere Kliniken überblicken eine so große Zahl an Kleinreplantationen, daß heute eine Aussage über die funktio- nellen Ergebnisse möglich ist. Aus der eigenen Klinik wurden 133 Klein- replantationen und 22 Großreplan- tationen nachuntersucht. — Die Zahl der von einzelnen Kliniken über-

blickten Großreplantationen ist noch zu klein, um eine statistische Interpretation der funktionellen Er- gebnisse zu liefern. An Hand des ei- genen Krankengutes kann jedoch schon gezeigt werden, daß Großre- plantationen an oberen und unteren Extremitäten mit hoher Einheilungs- rate durchgeführt werden können und daß funktionelle Ergebnisse er- reicht werden, die nach subjektiver und objektiver Bewertung jeder Pro- these überlegen sind. — Durch die Einrichtung eines Replantations- dienstes entstehen einer Klinik er- hebliche Mehrkosten. Diese werden am Beispiel der eigenen Klinik den erreichten Ergebnissen gegenüber- gestellt. Eine bilanzierte Kosten-Nut- zen-Analyse ist wie auch in anderen medizinischen Bereichen kaum möglich. Durch die Erhaltung einer funktionstüchtigen Extremität wer- den der Allgemeinheit so erhebliche Kosten erspart, daß bereits eine ein- zige Replantation die jährlichen Mehrkosten des Dienstes decken kann.

Literatur

(1) Biemer, E.: Replantation von Extremitäten- teilen, Akt. Chir. 13 (1978) 93— (2) Chen, C. W.;

Quian, Y. Q.; Ya, Z. Extremity Replantation, World J. Surg. 2 (1978) 513 — (3) Frey, M.;

Mandl, H.; Holle, I.; Freilinger, G.: Funktionelle Spätergebnisse nach Replantationen im Hand- und Fingerbereich, Plast. Chir. 3 (1979) 234 — (4) Höpfner, E.: über Gefäßnaht, Gefäß- transplantationen und Replantationen von am- putierten Extremitäten, Arch. klin. Chir. 70 (1903) 417 — (5) Jacobson, I. H. II; Suarez, E. L.

Microsurgery in Anastomosis of small Vessels, Surg. Forum 211 (1960) 293 — (6) Lapchinsky, A. G.: Recent Results of Experimental Trans- plantation of preserved Limbs and kidneys and possible Use of this technique in Clinical Prac- tice, Ann. Ny. Acad. Sci. 87 (1960) 539 — (7) Matsuda, M.; Shibahard, H.; Kato, N.: Long- Term results of replantation of 10 upper extre- mities, World J. Surgery 2 (1978) 603 — (8) Millesi, H.: Microsurgery of peripheral nerves, Hand 5 (1973) 157 — (9) O'Brien, B.: Clinical replantation of digits, Plast. and Reconstr. Sur- gery 52 (1973) 490 — (10) Zwank, L.; Schweibe- rer, L.; Hertel, P.: Indikation, Technik und Er- gebnisse bei Klein- und Großreplantationen, Zeitschr. plast. Chir. 2 (1978) 133

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Leo Zwank Dr. med. Peter Hertel Professor Dr. med.

Leonhard Schweiberer

Abteilung für Unfallchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik 6650 Homburg (Saar)

2670 Heft 45 vom 6. November 1980 DEUTSCHES ARZ'1'FBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Zusammenfassend lässt sich für die Vormittage in den beiden untersuchten Heimen kons- tatieren, dass die Aktivitäten der BewohnerInnen ein relativ diffuses Bild abgeben. Zwar

Die Ärzteschaft meldet aber im Interesse ihrer Patienten ihre Bedenken an, wenn in Grenz- fällen eine darüber hinausgehende Information dem Patienten scha- det;

Diese Faktoren zeigen, dass die Schweiz zu den am besten vorbereiteten Ländern zählt und fähig ist, Katastrophenhilfe zu leisten, auch wenn der Bedrohung durch Erdbeben gegenwärtig

Der kriegerische Erfolg hängt nicht davon ab, dass alle, auch Greise, Frauen und Minderjährige, diese grausamste Pflicht erfüllen, sondern dass jeder an seinem Platz das denkbar

Herr Bundesrat Welti äusserte zum Brüsseler Entwurf von 1874: «Wenn die Schweiz in einen Krieg verwickelt wird, so muss derselbe äussersten Kraftanstrengung geführt werden; jeder,

genständigen Positionen für die Ausräumung von Lymphabflussgebieten gibt, wird im Rahmen onkologischer viszeralchirurgischer Eingriffe neben der Hauptleistung die

Die Autoren folgern, dass eine Be- schäftigung mit der komplexen Anato- mie der autonomen Nervenversorgung im kleinen Becken sowie die minimal- invasive laparoskopische

Nach den bisherigen Ergebnissen führt die TME durch Schonung der autonomen Beckennerven zu einer deutlichen Reduzierung postoperati- ver Blasenfunktionsstörungen.. Darüber hinaus