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Archiv "Schweigen macht Täter: Die Opfer ausländerfeindlicher Gewalt als Patienten in Berliner Krankenhäusern" (15.10.1993)

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THEMEN DER ZEIT

borgenheit in einer intakten Familie bewahrt er sich seine positive Le- benseinstellung.

Die Stärke der amerikanischen Serie, die von der Bundesvereinigung Lebenshilfe und der Europäischen Down-Syndrome Association befür- wortet wird, liegt zum großen Teil in ihrer optimistischen Ausstrahlung.

„Life goes on", so der Originaltitel nach einem Beatles-Song, kann durch seine humorvolle, warmherzi- ge und unterhaltsame Art sicherlich zu einem besseren, unkomplizierte- ren Umgang mit Behinderten beitra- gen. Nicht zuletzt durch die hervor- ragende schauspielerische Leistung von Chris Burke, der für seine Rolle als Corky bereits eine Golden Globe- Nominierung erhielt. Von sich selbst sagt der 23jährige, mit Down-Syn- drom geborene Schauspieler: „Ich bin ein Up-Kind". Mit einem speziel- len Coach trainiert er seine Texte, die mit der Zeit immer komplexer und umfangreicher wurden.

Ein besonderer Glücksfall ist auch die Besetzung der Rolle von Libby Thacher, der liebevollen und gleichzeitig etwas schusseligen Mut- ter. Patti LuPone kann auf eine Mu- sical-, Film- und Fernsehkarriere zu- rückblicken. Als erste Amerikanerin spielte sie Hauptrollen bei der Royal Shakespeare Company. Doch ihre Rolle in „Alles o.k. Corky" stellte für Patti LuPone eine besondere Her- ausforderung dar. „Manchmal bleibt mir fast das Herz stehen, wenn wir bestimmte Szenen spielen, zum Bei- spiel wenn Corky mich fragen muß, ob er mein Unfall gewesen ist," be- richtet die Schauspielerin.

Filme wie „Gottes vergessene Kinder" und „Rainman" haben be- wiesen, daß anspruchsvolle Themen auch unterhaltsam vermittelt werden können. Dieser Überzeugung waren jedenfalls die Produzenten von „Al- les o. k. Corky", die im Herbst 1989 zehn Millionen Dollar Entwicklungs- kosten in ein riskantes TV-Projekt investierten. Der Erfolg gab ihnen recht: Seit nunmehr vier Jahren wird die Serie mit wachsender Beliebtheit in den Vereinigten Staaten ausge- strahlt.

„Alles o. k. Corky" ist in der ARD ab dem 25. Oktober jeweils um 17.55 Uhr zu sehen. Kli

AU FSATZE

Donnerstagabend in der Ret- tungsstelle eines städtischen Kran- kenhauses in Berlin. Wir warten auf die diensthabende Chirurgin. Sie hat- te sich bereit erklärt, uns über Ver- letzungen infolge ausländerfeindli- cher übergriffe zu berichten. Spon- tan konnte sie uns mehrere Fälle mit zum Teil schweren Verletzungen aus den letzten Wochen nennen:

Mehrere Fälle mit schweren

Verletzungen

Ein 23jähriger Asylbewerber wird im April 1992 überfallen. Der rechte Gehörgang ist von einem Hä- matom ausgefüllt. Die rechte Ohr- muschel ist geschwollen und zum Teil abgerissen. Ferner zeigt sich re- troaurikulär eine große Platzwunde mit Hämatom. Occipital ist eine bis auf die Schädelkalotte reichende sechs Zentimeter lange Platzwunde sichtbar. Die Verletzungen sind so schwerwiegend, daß der Patient sta- tionär aufgenommen wird.

Im Juli 1992 wird ein 40jähriger Ausländer mit einem Messer ange- griffen. Die Folgen sind zahlreiche Schnittverletzungen am rechten Oberarm, an der rechten Hand, an der Nase, an beiden Oberschenkeln und perianal. Alle Wunden sind zwei bis drei Zentimeter eingängig und verlaufen subcutan. Die Wunde am

Oberarm reicht tiefer bis in das Mus- kelgewebe. Der Mann verliert dabei sehr viel Blut. Die Blut-Hb-Konzen- tration beträgt 9,1 mg/dl. Eine statio- näre Behandlung ist erforderlich.

Ein besonders schwerer Fall wird uns vom Sozialmedizinischen Dienst Berlin-Marzahn berichtet.

Betroffen ist ein 43jähriger Vietna- mese. Der Übergriff auf ihn zeigt bei- spielhaft, wie ausländerfeindliche Gewalt das Leben des Opfers zerstö- ren kann. Am 14. Oktober 1991 war- tet Herr N. an einer Haltestelle in Berlin-Hellersdorf auf den Bus, als drei Skinheads im Alter von 16 bis 17 Jahren auftauchen. Ohne erkennba- ren Grund schlagen sie ihn bewußt- los. Nach Zeugenaussagen treten sie dem am Boden liegenden Mann mit Stahlkappenschuhen gegen den Kopf. Im Krankenhaus wird eine la- terobasale Schädelfraktur linkstem- poral mit Liquorrhoe und eine occi- pitoparietale Kopfplatzwunde rechts festgestellt. Herr N. liegt zwölf Tage im Koma, entwickelt ein Durch- gangssyndrom und wird nach weite- ren vier Wochen stationärer Behand- lung entlassen.

Vereinbarungen zum Schutz der Ausländer Ein Jahr später besuchen wir Herrn N. in Marzahn. Er bewohnt mit sei- ner Frau und seinem Sohn ein Zim-

Schweigen macht Täter

Die Opfer ausländerfeindlicher Gewalt als Patienten in Berliner Krankenhäusern

Eine Umfrage der Ärztekammer Berlin im Oktober 1992 ergab, daß im lau- fenden Jahr in 20 Berliner Krankenhäusern mehr als 300 Opfer ausländer- feindlicher Gewalt behandelt werden mußten. Um etwas zum Schutz verletzter Flüchtlinge und Einwanderer zu tun, haben die Ausländerbeauftragte des Se- nats von Berlin, Vertreter der Kriminalpolizei, der ärztlichen Leitung des Uni- versitätsklinikums Rudolf Virchow, der Ärztekammer Berlin und des Behand- lungszentrums für Folteropfer verschiedene Vereinbarungen getroffen, die un- ter anderem im folgenden Artikel vorgestellt werden.

A1 -2676 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993

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mer im Wohnheim für vietnamesi- sche Vertragsarbeiter. In dem für 500 Personen angelegten Wohnheim le- ben derzeit mehr als 2 000 Men- schen. Mit Hilfe eines Dolmetschers berichtet uns HerrN., daß er bis heu- te unter den Auswirkungen des Überfalls zu leiden hat. Im Vorder- grund stehen für ihn ein rechtsseiti- ger quälender ständiger Tinnitus so- wie ein HWS-Syndrom. Laut HNO- Konsil finden sich rechts ein vernarb- tes Trommelfell und eine hochgradi- ge kombinierte Schwerhörigkeit. Auf

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181AUFSÄTZE

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Dies sind nur einige Beispiele von Verletzungen, die Ausländern in den vergangeneu Monaten zugefügt wurden. "Ich brauche nicht von Fäl- len der letzten Monate zu berichten.

In dieser Woche wird sich genug er- eignen." (Zitat eines Arztes). Uns er- schreckt nicht nur die Häufigkeit und Schwere der Gewalttätigkeiten, son- dern vor allem die stillschweigende Akzeptanz. Um etwas zum Schutz ver- letzter Flüchtlinge und Einwanderer zu tun, haben die Ausländerbeauf- tragte des Senats von Berlin, Vertreter

Zahlreiche türkische und deutsche Demonstranten nehmen noch dem Anschlag vom 29. Mai in Solingen, bei dem fünf Türkinnen ums Leben gekommen sind, mit T ronsporenten an einer Großkundgebung gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter dem Motto "Stoppt die Gewalt" auf dem Rathaus-

markt in Hornburg teil. Foto: dpo

psychischer Ebene zeigt sich eine spürbare Wesensveränderung mit starker Depression und deutlicher Verlangsamung bis hin zur Apathie.

Außerdem leidet er unter Angstzu- ständen. Er verläßt das Wohnheim nur noch in Begleitung anderer.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist ihm auch das nicht mehr möglich.

Der Überfall hat das Leben von Herrn N. radikal verändert; auf un- absehbare Zeit wird er nicht für sei- nen Lebensunterhalt sorgen können.

Damit ist für ihn auch eine Rückkehr nach Vietnam ausgeschlossen. Die einzige Perspektive für Herrn N. und seine Familie besteht in der Bewilli- gung eines Rentenanspruchs.

der Kriminalpolizei, der ärztlichen Leitung des Universitätsklinikums Rudolf Virchow, der Ärztekammer Berlin und des Behandlungszentrums für Folteropfer kürzlich folgende Ver- einbarungen getroffen:

~ In allen Berliner Kranken- häusern und Erste-Hilfe-Stellen soll ein Informationsblatt verteilt wer- den, das vom Arzt dem Patienten ausgehändigt werden soll und diesem Rechts- und Sozialberatung durch das Büro der Ausländerbeauftragten des Senats und der Bezirke anbietet.

~ Die Ärzte sollten die meist verängstigten Patienten dazu ermuti- gen, Anzeige gegen die Täter zu er- statten.

Ar2678 (30) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993

~ Der Vertreter der Berliner Kriminalpolizei will für Patienten und Ärzte einen Katalog von Hinwei- sen erstellen, die zur schnelleren Er- greifung der Täter führen können.

~ Die Leitung des Universitäts- klinikums Rudolf Virchow plant dar- über hinaus eine Plakataktion unter dem Titel "Schweigen macht Täter - Gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt. Für Integration und Koope- ration. Wenn Sie von Verstößen ge- gen diese Prinzipien wissen, wenden Sie sich bitte an den Klinikumsvor- stand". Die Aktion soll zur Nachah- mung in anderen Krankenhäusern anregen.

~ Das Behandlungszentrum für Folteropfer hat sich bereits nach den Ereignissen in Rostock im letz- ten Sommer dazu bereit erklärt, Op- fer rassistischer Überfälle medizi- nisch und psychosozial zu betreuen.

Als Reaktion auf die jüngsten Presse- berichte über Gewaltakte gegen Ein- wanderer und Flüchtlinge in einzel- nen Berliner Polizeirevieren bieten die Internationale Liga für Men- schenrechte ebenso wie auch das An- tirassistische Telefon den von ähnli- chen Übergriffen Betroffenen Bera- tung an.

Keine Alibiaktionen

Diese Reaktionen lassen hoffen, daß die großen Demonstrationen und Lichterketten keine rein symbo- lischen Alibiaktionen waren. Bitte wenden auch Sie sich an die Auslän- derbeauftragten, die Flüchtlingsbera- tungsstellen und die Ärztekammer Ihres Landes, wenn Sie Zeuge von Folgen ausländerfeindlicher Gewalt werden. Nur so kann das Schweigen gebrochen werden, das dem Täter die Tat erst ermöglicht.

Anschrift der Verfasser:

J. Köchling, F. Meißner-Brocke, I. Moreno Richter, C. Pross, B. Schlechter, A. Wolters,

Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin

Haus 6

Klinikum Westend Spandauer Damm 130 14050 Berlin

Referenzen

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