Kassenärztliche Vereinigungen sind im politischen Sprachgebrauch „Kartelle“
und „Monopole“, die einer sinnvollen Weiterentwicklung des Gesundheitswe- sens im Weg stehen. Sie seien „Macht- blöcke“, verkrustet und nur auf die eige- nen Interessen fixiert.
Die politischen Parteien unterschei- den sich lediglich in der Schärfe der Kri- tik.Alle Aussagen laufen jedoch auf eine drastische Beschneidung der KV-Kom- petenzen hinaus. Zwar hat sich die Bundesgesundheitsministerin nicht den
„Ratschlägen“ diverser Sachverständi- ger angeschlossen, den Sicherstellungs- auftrag von den KVen auf die Kranken- kassen zu verlagern. Ulla Schmidt will aber eine „gemeinsame Sicherstellung“.
Das dürfte sich in erster Linie beim künftigen Vertragsgeschehen auswirken.
Schon mit der Einführung der Disease- Management-Programme wurde deut- lich, dass die rot-grüne Koalition den Einfluss der Krankenkassen auf die Steuerung des Leistungsgeschehens und der Behandlungsqualität nachhaltig stärken will.
Abgesang auf das „Kollektiv“
Ulla Schmidt will zwar mithilfe der bis- lang üblichen Kollektivverträge (alle Krankenkassen schließen einheitlich und gemeinsam Verträge über Leistun- gen und Vergütung mit allen Kassenärz-
ten) eine flächendeckende und einheitli- che ambulante Versorgung für die Pati- enten erhalten. Sie will aber auch den Krankenkassen mit so genannten Di- rektverträgen den Weg in die selektive Vertragsgestaltung mit einzelnen Ärzten oder Gruppen ebnen. Kritiker sehen darin den Einstieg in die Einkaufsmo- delle der Krankenkassen, Pessimisten gar den Anfang vom Ende der Kas- senärztlichen Vereinigungen.
Ein Schulterschluss mit der Union dürfte den Bewahrern des KV-Systems jedoch auch nicht mehr Ruhe besche- ren: Seehofer, inzwischen zwar ein er- klärter Gegner jeglicher Budgets, ist bei seinem Weg vom Saulus zum Paulus kaum mehr zu stoppen. Der frühere Bundesgesundheitsminister und jetzige Frontmann in Sachen Gesundheit im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, kann sich die KVen durchaus als reine Abrechnungsstellen vorstellen, deren gestalterische Aufga- ben sich in der Mengen- und Qualitäts- kontrolle erschöpfen. Tarifpartner der Krankenkassen zu sein – das sieht Horst Seehofer nicht mehr als KV-Auf- gabe der Zukunft. Seehofer traut es den ärztlichen Körperschaften offenbar nicht mehr zu, gemeinsam mit den Kassen eine Gebührenordnung zu ent- wickeln, mit der alle leben können. So etwas müsse wohl der Minister machen, meinte der Christsoziale kürzlich in ei- nem Zeitungsinterview.
Ambulant und stationär:
Gleiche Vergütungsstrukturen
Auch Ulla Schmidt verfolgt in Ho- norarfragen ihre eigenen Vorstellungen.
Sie will das Fallpauschalensystem der Krankenhäuser auf die Kassenärzte übertragen. Danach würden die Fach- ärzte nach Fallpauschalen honoriert, die Hausärzte hingegen nach Kopfpauscha- len. Mit dieser Vergütung nach einheitli- chen Grundsätzen könnte, so die Hoff- nung der Ministerin, in Zukunft der Durchbruch für die Integrationsversor- gung gelingen. Bisher sind alle Ansätze einer besseren Verzahnung von stationä- rer und ambulanter Versorgung an der Abschottung der Sektoren, vor allem aber an der unterschiedlichen Finanzie- rungssystematik gescheitert.
P O L I T I K
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Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002M
an muss schon suchen in den Wahlprogram- men, um Stellungnahmen der Parteien zu medizinethischen Fragen zu finden. Die Aussagen sind durchweg eher dürftig. Dabei kann es durch- aus sein, dass in der nächsten Legislaturperiode schneller entschieden werden muss, als es der dann amtierenden Regierung lieb ist. So geht das Embryonenschutzgesetz nicht auf einen möglichen Import von embryonalen Stammzellen ein. Deshalb bestand Handlungsbedarf, als im Jahr 2000 der Bonner Neuropathologe Prof. Dr. med. Oliver Brüst- le einen Antrag an die Deutsche Forschungsge- meinschaft zur Forschung an importierten embryo- nalen Stammzellen einreichte. DieDeutsche Forschungsgemeinschaft wollte das Votum des Bundestages abwarten. Dieser entschied für einen Import bereits existierender embryo- naler Stammzelllinien unter be- stimmten Auflagen, die Tötung wei- terer Embryonen sollte durch eine Stichtagsregelung verboten werden.
Wie lange das Ende April verab-
schiedete Stammzellgesetz Bestand haben wird, ist fraglich. Die Union will „an den strengen Grundsätzen des deutschen Embryonenschutzge- setzes festhalten“. In diesem Zusammenhang lehnt sie in ihrem Regierungsprogramm auch eine
„Legalisierung der aktiven Sterbehilfe“ ab. „Wir unterstützen nachdrücklich den Einsatz für ein Le- ben in Würde, wie etwa in der Hospizbewegung.“
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ie Union würde in ihrer Einstellung zu ethi- schen Fragen am ehesten bei den Grünen Gleichgesinnte finden. Diese lehnen verbrauchen- de Embryonenforschung ab: „Wir wollen die reali- stischen Chancen für die Heilung von Menschen nutzen und fördern. Aber wir lehnen die Zielset- zung ab, mithilfe der Gentechnik den ,perfekten Menschen’ zu erschaffen. Unser Maßstab ist die In- dividualität jedes Menschen, nicht seine Ange- passtheit an vermeintliche Normen der körperli- chen ,Gesundheit’, ,Fitness’ oder ,Schönheit’.“Die PDS hält zwar „eine politische Rahmen- setzung“ für notwendig, geht aber über einige allgemeine Statements nicht hinaus: „Das Inter- esse der Forschung an embryonalen Stammzellen und der Zugriff auf die weibliche Reproduktions- fähigkeit dürfen nicht über das Selbstbestim- mungsrecht von Frauen und die Menschenwürde gestellt werden“, heißt es im PDS-Regierungs- programm.
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uch die SPD hält sich eher bedeckt; sie lässt al- lerdings eine gewisse Offenheit gegenüber gentechnischen Möglichkeiten erkennen – offen- bar getreu nach Gerhard Schröders geforderter„Ethik des Heilens“: „Die Gesund- heits- und Genomforschung liefert neue Erkenntnisse über die Ursa- chen von Erkrankungen und deren Entstehung. Damit lassen sich die Lebensqualität der Menschen, ihre Lebenserwartung und die Heilung von Krankheiten verbessern. Wir werden deshalb die Gesundheits- und Genomforschung stärken, da- mit neue Präventions- und Therapieverfahren ent- wickelt werden können.“ Dezidierter forschungs- freundlich nehmen die Freien Demokraten Stel- lung. Sie bezeichnen das Stammzellgesetz als „Mi- nimalkonsens“. Die FDP habe ihm zugestimmt, sei sich aber bewusst, dass es nachgebessert werden müsse. „Durch die restriktive Stichtagsregelung werden kaum Zelllinien zur Verfügung stehen, die qualitativ für therapeutische Forschung geeignet sind.“ Immerhin soll aber auch nach dem Willen der Freien Demokraten das Klonen von Menschen verboten und international geächtet bleiben.
Einige Parteiprogramme nehmen auch explizit Stellung zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Grünen lehnen die PID „als eine Methode zur Selek- tion behinderten Lebens bei künstlicher Befruchtung ab“. Im Gegensatz dazu tritt die FDP dafür ein, sie in engen rechtlichen Grenzen auch in Deutschland zu ermöglichen. Gisela Klinkhammer