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Archiv "Arbeitszeitgesetz: Paradoxe Auswirkungen" (10.09.2004)

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uch Dr. med. Dieter Bimmel hatte sich auf das neue Arbeitszeitge- setz gefreut: „Ich war mir sicher, dass sich unsere Lebensqualität erhöht, wenn die Bereitschaftsdienste zur Ar- beitszeit zählen und die Wochenarbeits- zeit auf 48 Stunden begrenzt wird“, sagte der Herzchirurg am Universitätsklini- kum Bonn im Gespräch mit dem Deut- schen Ärzteblatt. Aber das Gegenteil sei der Fall. Da keine zusätzlichen Ärz- te eingestellt würden, bewirke die Um- setzung des „gut gemeinten“ neuen, seit dem 1. Januar 2004 geltenden Arbeits- zeitgesetzes vor allem eine Arbeitsver- dichtung für die Ärzte. Lästig sei auch, dass man nun zwar jeweils für kürzere Zeit, aber dafür häufiger in der Klinik erscheinen müsse. Außerdem drohten den Ärzten des Universitätsklinikums Einkommenseinbußen von bis zu 30 Prozent, weil die Klinikverwaltung vor- sorglich sämtliche Nebenabreden in den Arbeitsverträgen gekündigt habe, ergänzte Dr. med. Kai Winkler, eben- falls Herzchirurg am Universitätsklini- kum. Derzeit werden in Bonn zwar noch alle Bereitschaftsdienste vergütet.

Wie lange dies so bleibt, ist aber offen.

„Wir werden demnächst weniger Geld bekommen und trotzdem die gleiche Arbeit erledigen wie bisher“, prognosti- zierte Herzchirurg Dr. med. Johannes Schuhmacher.

Der Anästhesist Prof. Dr. med. Kuno Rommelsheim betonte: „Wir lehnen das novellierte Arbeitszeitgesetz nicht grundsätzlich ab. Aber wir wenden uns massiv gegen den hier geübten Miss- brauch des Gesetzes.“ Die von der Kli- nikverwaltung angestrebte kosten- und stellenneutrale Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelungen führe paradoxer- weise zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Ärzte. Des- halb sei die „gefühlte“ neue Arbeitszeit

nicht sozial, klagte Herzchirurg Dr.

med. Osman Ashraf. Sollte demnächst zusätzlich Schichtdienst eingeführt wer- den, werde alles nur noch schlimmer.

Für Ausbildung und Lehre bleibe be- reits jetzt kaum Zeit, sagte die Radiolo- gin Dr. med. Claudia Schlimper.

Die Bonner Ärzte wollen die „gefühl- te“ Verschlechterung ihrer Arbeitsbedin- gungen nicht tatenlos hinnehmen. Im Rahmen einer Vollversammlung der Ärzteschaft des Universitätsklinikums am 11. Mai 2004, an der mehr als 200 der rund 650 Ärzte teilnahmen, wurden die Auswirkungen des „Jäger“-Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 9. September 2003 und die daraus resultierende Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes kritisch diskutiert. In einem offenen Brief an den Vorstand des Universitätsklinikums haben die Ärzte ihre Befürchtungen formuliert und einen Forderungskatalog aufgestellt.

„Eine Einhaltung der Auflagen des Arbeitszeitgesetzes ist bei gleich blei- bender Versorgungsqualität und unver- änderten Patientenzahlen kostenneutral nicht möglich“, heißt es in der Erklä- rung (nachzulesen unter www.dummes zeugh.de). Alle bisherigen Entwürfe führten zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung oder zu einer Ver- schlechterung der ärztlichen Arbeits- bedingungen mit Verlagerung der Re- gelarbeitszeit in die Abend- und Nacht- stunden. Durch die dünnere Personal- decke in der Regelarbeitszeit könne dann weder eine qualifizierte Facharzt- weiterbildung noch eine angemessene Studentenausbildung gewährleistet wer- den. „Unsere Arbeitsdichte wird erheb- lich erhöht und führt so zu einer Überla-

stung der Ärzte, die eigentlich durch das Gesetz entlastet werden sollten“, schrei- ben die Ärzte an ihren Arbeitgeber.

Forschungsmöglichkeiten werden eingeschränkt

Außerdem würden die Möglichkeiten zu Forschungstätigkeiten erheblich ein- geschränkt, weil durch die Gleichstel- lung aller Krankenhäuser der Sonder- status der Universitätskliniken bezüg- lich Forschung und Lehre nicht berück- sichtigt werde. Quintessenz aus Sicht der Ärzte: „Wir halten eine Umset- P O L I T I K

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A2426 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3710. September 2004

Arbeitszeitgesetz

Paradoxe Auswirkungen

Am Universitätsklinikum Bonn soll das revidierte

Arbeitszeitgesetz ohne Neueinstellungen umgesetzt werden.

Dadurch wird die Intention des Gesetzes konterkariert.

Protest in Bremen: Im Mai reiste eine Delegation der Bonner Ärzteschaft zum 107. Deutschen Ärztetag, um ihren Unmut über die Auswirkungen des EuGH-Urteils kundzutun. Prof. Dr. med.

Dr. Joachim Nadstawek, Leiter der Schmerzambulanz, sprach vor dem Plenum.

Foto:Ärzteschaft Bonn

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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3710. September 2004 AA2427

zungsform des Arbeitszeitgesetzes, die zulasten der Patienten-Versorgung, zu- lasten der Ausbildungsverpflichtung, zu- lasten der Forschungsaktivität und der allgemeinen Arbeitsbedingungen der Klinikärzte geht, für nicht hinnehmbar.“

Die Vollversammlung der Bonner Ärzteschaft am Universitätsklinikum hat einen Forderungskatalog beschlos- sen. Dieser enthält fünf Punkte:

>Die 5-Tage-Woche wird grund- sätzlich beibehalten. Arbeit an Sonn- und Feiertagen muss einen Sondersta- tus erhalten und entsprechend vergütet werden.

>Die Regelarbeitszeit liegt zwischen 8 und 16 Uhr. Außerhalb dieser Zeit an- fallende Arbeit muss besonders ver- gütet werden. Adäquate Pausenrege- lungen sind zu treffen.

>Geleistete Arbeitsstunden müssen vollständig dokumentiert und Über- stunden angemessen vergütet werden.

Wir verwahren uns gegen Interventio- nen, die darauf abzielen, ärztliche Mit- arbeiter von dieser Verpflichtung abzu- halten. Gegebenenfalls sind geeignete Zeiterfassungssysteme einzurichten.

>Die Ausbildungsstandards müssen gesichert bleiben. Die Umsetzung des EuGH-Urteils sowie des Arbeitszeit- gesetzes muss gewährleisten, dass die geltenden ärztlichen Ausbildungsstan- dards umsetzbar bleiben. Die ärztliche Weiterbildung darf nicht an Qualität verlieren und muss innerhalb der nor- malen Arbeitszeit erreichbar sein.

>Die durch die geplante Umstruk- turierung der Arbeitszeit entstehenden Gehaltseinbußen (bis zu 30 Prozent) können nicht hingenommen werden und müssen durch entsprechende Re- gelungen ausgeglichen werden.

„Die berufliche Lebensplanung der Klinikärzte hat sich in den letzten Jah- ren verändert“, nannte Bimmel einen Grund, warum sich die Ärzte weniger gefallen lassen, als es vielleicht früher der Fall war. Arbeit im Krankenhaus stelle immer öfter eine langjährige be- rufliche Perspektive dar – auch, weil der Weg in die Niederlassung in vielen Re- gionen und für viele Fachgebiete ver- sperrt sei. Bimmel: „Deshalb muss das Arbeitsumfeld so angepasst werden, dass man der Tätigkeit auch ohne ge- sundheitlichen Schaden bis zur Rente nachgehen kann.“ Jens Flintrop

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nscheinend aufgeschreckt von den andauernden Protesten gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV, scheuen Regierung wie Opposition vor weiteren Reformen zurück. Die Rundumerneuerung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hin zu ei- ner Bürgerversicherung will Rot-Grün erst nach der Bundestagswahl angehen.

Bei der Reform der Pflegeversicherung begnügt sich die Koalition mit einer Mi- nikorrektur, die lediglich einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes Rech- nung trägt (dazu Seite eins in diesem Heft). Gänzlich vom Tisch ist wegen zu hoher Verwaltungskosten die auf Drän- gen der Union in das GKV-Modernisie- rungsgesetz aufgenommene Neurege- lung für den Zahnersatz. Statt mit einer einheitlichen Pauschale soll der Zahn- ersatz nach dem Vorbild des Kranken- geldes vom Arbeitnehmer allein mit einem höheren Anteil am Krankenkas- senbeitrag finanziert werden. Damit würde der Arbeitnehmerbeitrag um 0,4 Prozentpunkte steigen. Auch soll die Neuregelung erst zum 1. Juli 2005 wirk- sam werden, zeitgleich mit der um ein halbes Jahr vorgezogenen Ausgliede- rung des Krankengeldes aus dem GKV- Leistungskatalog. Dies geht aus einem rot-grünen Gesetzentwurf hervor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt und der noch in dieser Woche in den Bun- destag eingebracht werden soll.

Der Gesetzgeber reagierte damit auf Warnungen von Kassenvertretern, dass die vereinbarten 4,56 Euro Monatsbei- trag nicht ausreichten, um die Kosten zu decken. Allein der Verwaltungsauf- wand kostet nach Expertenschätzung zusätzlich bis zu drei Euro monatlich.

Angesichts des Rückzuges liegen in der Union die Nerven blank. Zwar stimmte CDU-Chefin Angela Merkel zähneknirschend einem Kurswechsel zu. Dennoch ist das Aus für die Pau-

schale eine bittere Niederlage für die Union – war es doch Merkel selbst, die sich mit Vehemenz für die Neuregelung einsetzte. Ihr galt die kleine Pauschale für den Zahnersatz als Testlauf für die von ihr geplante große Kopfpauschale im Gesundheitswesen. Der Test scheint misslungen und Merkels Kopfpauscha- le damit bereits am Kiefer ins Stocken geraten.

CSU-Sozialexperte Horst Seehofer hingegen, der die Zahnersatzpauschale von Anfang an abgelehnt hatte, sieht sich bestätigt. Seehofer: „Ein einkom- mensabhängiger Beitrag für den Zahn- ersatz ist die unbürokratischste Lö- sung.“ Seehofer wies Darstellungen von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zurück, er habe nie vor den Problemen beim Zahnersatz gewarnt.

Die hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) kritisierte den Kurswechsel: Wenn die Verlässlichkeit in politische Entscheidungen derart abnimmt, verspiele man das Vertrauen der Wähler.

Rot-Grün profitiert

Für Rot-Grün zahlt sich der Rückzug gleich dreifach aus:

>Dem CDU-Kopfpauschalenmo- dell wurde ein Dämpfer verpasst.

>Die Arbeitgeber werden mit der gebündelten Befreiung von Kranken- geld- und Zahnersatzkosten ab Mitte nächsten Jahres entlastet, was noch vor der Bundestagswahl 2006 auf dem Ar- beitsmarkt spürbar werden könnte.

>Die Wähler bleiben vor den im Frühjahr anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein- Westfalen (beide SPD-regiert) von weiteren Belastungen verschont.

Zu den Verlierern zählen dagegen Versicherte, die im Vertrauen auf das Gesetz bereits private Zusatzversiche- rungen abgeschlossen haben. Etwa eine halbe Million Versicherte hätten sich für eine private Absicherung entschie- den, erklärte der Verband der privaten Krankenversicherung. Noch ist offen, was aus diesen Verträgen wird. Als wahrscheinlich gilt, dass es wegen der dann fehlenden Rechtsgrundlage für die Verträge Sonderkündigungsrechte geben wird. Samir Rabbata

Zahnersatzpauschale

Test misslungen

Das Abrücken von der geplanten

Pauschale für Zahnersatz ist eine

Niederlage für die Union.

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