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Archiv "Solidarität mit Ingrid und Ursula" (09.02.1989)

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Academic year: 2022

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THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Z

um Kongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnik in der Essener Zeche Carl sind Frauen aus der ganzen Bun- desrepublik und aus dem deutsch- sprachigen Ausland angereist. Ich gucke mir die Publikationen an, die ausliegen, spreche mit ein paar Frauen, um rauszufinden, welche die interessanteste Arbeitsgruppe ist, und gerate dann wirklich in eine, die mir ganz neue Perspektiven er- schließt.

Als erstes höre ich, daß eine alte Forderung der Frauenbewegung, das Recht auf den eigenen Körper, wie es mit der Formel „Mein Bauch gehört mir" gefordert wurde, neu bewertet werden muß. Selbstbestim- mung können Frauen schließlich mißbrauchen, um sich im Reagenz- glas befruchtete Eier einpflanzen zu lassen, um sich als

Leihmutter zu vermieten oder als Prostituierte.

An Stelle der Selbstbestimmung

soll eine kollektive Entscheidung treten. Wie soll das funktionieren?

Die Frauen sollen gemeinsam diskutieren und dann entscheiden, im Kollektiv.

—Welche Frauen? Nachbarin- nen, Arbeitskolleginnen, Freundin- nen oder wer?

—Frauen eben. Im Kollektiv er- zielen sie eine Übereinstimmung.

—Und wenn nicht?

Alle Macht dem Kollektiv Weg mit den Gesetzen

In der idealen Gesellschaft kommt sowas nicht vor. Dann wird eben weiterdiskutiert. Selbstbestim- mung ist ein Wert der bürgerlichen Gesellschaft, erfahre ich. Besser ist die natürliche, kollektive Entschei- dung, wie sie vor den Hexenverfol- gungen gang und gäbe war. Damals haben sich die Frauen nicht reinre- den lassen.

Gesetzliche Regelungen, wie immer sie aussehen mögen, werden abgelehnt. Statt dessen wird die Ab- schaffung der Gesetze gefordert. Ich traue meinen Ohren nicht. Die Ab- schaffung der Gesetze gegen Gen-

und Reproduktionstechnik' Es gibt doch überhaupt keine. Nein, die Abschaffung der Gesetze überhaupt ist gemeint.

Ich schaue mich um. Die mei- sten Frauen hier sind jung, gerade zwanzig bis Anfang dreißig, vom Jargon her Studentinnen. Aber nicht alle. Doch von den älteren geht kei- ne Mäßigung aus. Keine Erklärung, wie ein Rechtsstaat funktioniert, welche Vorteile er bietet, gerade für die Schwachen.

Maria Mies, die Wortführerin der Gruppe, Professorin an einer Kölner Fachhochschule für Sozialar-

Erfahrungen mit den Frauen gegen Gen- und Reproduktions-

technologie

beit, ich schätze sie auf knapp sech- zig, begründet ihre Ablehnung der Gesetze aus der Geschichte der Frauenbewegung. Damals hätten wir Frauen auch die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen gefor- dert.

Bei einzelnen Gesetzen kann ich mir das vorstellen. Aber insgesamt?

Die Abschaffung sämtlicher Geset- ze? Eine komplexe Gesellschaft, wie die unsere, ohne Rechtssicherheit und verbindliche Regelungen?

Dann wird diskutiert, wie mög- liche Gefahren der modernen Re- produktionstechniken abgewendet werden sollen. Aufklärung und Öf- fentlichkeitsarbeit werden genannt.

Sicher, sowas darf nicht vernachläs- sigt werden. Auf kirchliche Grup- pierungen soll Einfluß genommen werden. Insbesondere wird eine Veranstaltung in Bad Boll genannt, zu der Frauen aus kirchlichen Orga- nisationen kämen, die ansprechbar

wären, obwohl ihnen der Durchblick fehle.

Trotzdem: Öffentlichkeitsarbeit ist schön und gut, aber sie bringt es nicht. Damit kommt frau nicht wei- ter. Frauen müssen den Widerstand selbst in die Hand nehmen und ihre Rechte verteidigen.

Solidarität: gerne - Kritik: nein danke

Was soll das bedeuten, frage ich. Ich ernte ein mildes Lächeln.

Eine Kleine schreit, wir brauchen die Revolution, und reckt ihre zarte Faust. Ich bin bereit, es ihrem Alter zugute zu halten. Aber auf den an- deren Tischen wird wild geklopft.

Ein paar Monate später werden die Räume des Genarchivs und an-

derer Gruppen, die sich gegen Gen- und Repro- duktionstechnik wenden und die auch den Essener Kongreß veranstaltet haben, durch- sucht. Ingrid Strobl und Ursula Pen- selin werden verhaftet.

Ich schaue mir das Genarchiv an. Es befindet sich in einer zweck- entfremdeten Wohnung, die dem wachsamen Auge des Essener Woh- nungsamtes offenbar entgangen ist.

Das Archiv besteht aus einigen Bü- chern und einer Sammlung von Zei- tungsausschnitten. Dabei handelt es sich nicht um Artikel aus Fachzeit- schriften, sondern um Ausschnitte aus üblichen Tages- und Wochen- blättern, wie meine Oma sie über Gartenpflanzen gesammelt hat.

Aber anders als meine Oma, die ih- rem Hobby auf eigene Kosten nach- ging, wird diese Sache finanziert.

Die Frauen gehören zum Essener Verein „Frauen helfen Frauen", der einen Haushalttitel hat und Geld von der Stadt kriegt, und sie werden durch ABM-Stellen vom Arbeitsamt gefördert. Ich frage, an welchen Aufgaben sie arbeiten und was sie in der nächsten Zeit planen. Das wird sehr ausweichend beantwortet. Be- sonders fällt mir auf, daß sie kein In- teresse an einer Mitarbeit von Au- ßenstehenden haben. Ich finde es merkwürdig. Die meisten politi-

Solidarität

mit Ingrid und U rsula

A-306 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 6, 9. Februar 1989

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schen Gruppen, die ich kenne, sind da offener.

Auf einer Riesensolidaritätsver- anstaltung, für die die Kölner Uni- versität, die auch schon Ziel eines Anschlags war, ihre Aula zur Verfü- gung gestellt hat, versuche ich mich zu informieren.

Ingrid Strobl ist angeblich fest- genommen worden, weil sie einen Wecker gekauft haben soll, der bei den Anschlägen Verwendung fand.

Was mich brennend interessieren würde, ist, ob sie einen Wecker des gleichen Fabrikats gekauft hat oder genau den, der benutzt wurde. Aber weder die Rednerinnen aus den ver- schiedenen Gruppen noch die An- wältin von Ingrid Strobl nehmen zu den Tatvorwürfen konkret Stellung.

Wir erfahren, daß die Bundesrepu- blik ein mieser Verein ist, der poli- tisch aktive Leute einsperrt, um sie mundtot zu machen. Aus dem Publi- kum kommt keine Frage. Sind die Leute aus ganz Deutschland ange- reist, um solche Gemeinplätze zu hören?

An Stelle konkreter Informa- tion werden verschiedene Aktionen, auch Anschläge gegen Institute im Kölner Raum, gerechtfertigt. Für Leute, die sich auch „engagieren"

wollen, werden Termine genannt.

Eine Diskussion kommt nicht zu- stande. Nach den Statements gehen die Leute auseinander. Warum sagt oder fragt keiner was? Denken sie sich ihren Teil?

Ein paar äußern im persön- lichen Gespräch ihre Vorbehalte.

Aber laut fällt kein kritisches Wort.

Die Leute auf dem Podium können das Gefühl mit nach Hause nehmen, in einer breiten Solidaritätswelle zu schwimmen.

Verschlungene Wege zur Publizität

Das tut ihnen gut. Zum Ab- schluß wünschen sie sich, daß auch die Gen- und Reproduktionstechnik soviel Aufmerksamkeit finden wird wie die verhafteten Frauen. Ihr Wunsch geht in Erfüllung. In den nächsten Wochen erscheinen in vie- len Zeitungen Artikel zum Thema.

Viele kleine Zeitungen drucken so-

gar unveränderte Ergüsse des Gen- archivs ab.

Die Gesamthochschule Essen gibt einer winzigen Alternativzei- tung sogar einen Druckkostenzu- schuß und finanziert dem Genarchiv eine Art Selbstdarstellung. In dem mit dem Geld der Uni Essen finan- zierten Artikel rechtfertigen die von der Kriminalisierung „betroffenen"

Frauen einen Sprengstoffanschlag auf den Technologiepark Heidel- berg, die Störung von zwei Biotech- nologiemessen in Hannover und Düsseldorf und nicht näher be- schriebene Aktionen gegen human- genetische Beratungsstellen.

Der Zweck heiligt die Mittel

Im Anschluß an den Artikel fin- det sich eine Solidaritätsadresse ver- schiedener Essener Frauenprojekte.

Ich spreche mit einigen „solidari- schen" Frauen, schildere meine Ein- drücke vom Kongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnik Im Ge- spräch sehen die Frauen die Sache differenzierter. Aber nach außen, da muß frau eben zusammenhalten.

Eine kleine Düsseldorfer Frau- enzeitschrift interviewt die Rechts- anwältin von Ingrid Stobl, ohne ihr eine einzige kritische Frage zu stel- len. Im Anschluß an das Interview schreibt die Redakteurin, deren Tä- tigkeit durch eine ABM-Stelle mög- lich gemacht wird, durch die Verhaf- tung sollen kritische Journalisten eingeschüchtert werden. Mir kommt der Gedanke, daß sie dann wirklich nichts zu fürchten hat.

Die ABM-Stelle ist nicht die einzige Förderung, die die Zeitung erhält: ihre Redaktionssitzungen werden als Kurs der Volkshochschu- le abgerechnet, und das Kulturamt schaltet Anzeigen, ohne einen Blick auf die kaum verkaufte Auflage zu werfen.

Im Mai nehme ich am Bundes- treffen der Frauengesundheitszen- tren teil. Mit einer Frau vom Frank- furter Frauengesundheitszentrum, die auch gegen Gen- und Reprotech- nik aktiv ist, gerate ich in eine Dis- kussion. Ich bleibe freundlich, sage aber, daß ich Anschläge nicht für ein

geeignetes Mittel der politischen Auseinandersetzung halte.

—Die Anschläge sind doch nur gegen Sachen.

—Sie sollen Leute massiv unter Druck setzen und einschüchtern.

—Aber das hat es doch ge- bracht. Seitdem wird viel mehr über uns geredet. Wir stehen in allen Zei- tungen. Und werden zu Vorträgen eingeladen.

Damit hat sie leider recht. Wie ich von den Genarchiv-Frauen ge- hört habe, sind sie jetzt als Fachfrau- en und Referentinnen bei Volks- hochschulen und anderen Bildungs- werken heiß begehrt.

—Trotzdem, das ist doch keine Methode.

—Du fällst völlig auf diese Kri- minalisierungstaktik des Staates rein. Findest du etwa richtig, daß sie Ingrid und Ursula einfach einsper- ren, bloß um uns fertig zu machen?

—Warum sagt Ingrid nicht, wo dieser Wecker geblieben ist, wenn sie nichts mit dem Anschlag zu tun hat?

Im Bann der Schweigespirale

Die Frankfurterin stampf wü- tend mit dem Fuß auf und zieht ab.

Ich habe das Gefühl, daß der Wider- spruch für sie völlig unerwartet kommt. Von den Schweizer Frauen, die zugehört haben, sagt mir eine, daß sie auch nicht für Anschläge wä- re. Warum hat sie in der Diskussion nichts gesagt? Sie wollte sich nicht so exponieren.

Die zentrale Veranstaltung am Samstagnachmittag ist der Repro- duktionstechnik gewidmet. Als Re- ferentin ist eine Professorin von der Uni Bremen eingeladen worden. Ihr Honorar wird von einem Zuschuß des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ge- zahlt. Am Ende ihres Vortrages schlägt sie vor, eine Solidaritäts- adresse an Ingrid und Ursula, die stellvertretend für uns alle im Ge- fängnis sitzen, zu schicken. Für mich sitzen sie nicht. Ich hoffe, auch für einige andere nicht. Aber die Reso- lution wird ohne Widerspruch ver- abschiedet. Elisabeth Rieping Dt. Ärztebl. 86, Heft 6, 9. Februar 1989 (33) A-307

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