Abfüllonlagen der pharmazeutischen Industrie, die Steri- lisation erfordern. Foto: Braun Melsungen
VARIA TECHNIK FUR DEN ARZT
Das im August 1994 ver- abschiedete Medizinproduk- tegesetz sieht strengere Kon- trollen für die Qualitätssiche- rung steriler Medizinproduk- te vor. Welche Anforderun- gen müssen strahlensterili- sierte Medizinprodukte erfül- len, um die CE-Kennzeich- nung zu erhalten? Die Bun- desvereinigung Verbandmit- tel und Medizinprodukte (BVMed) e.V. informierte, zusammen mit Vertretern der Qualitätssicherung aus Indu- strie und Gesundheitswesen, anhand von alltäglichen Bei- spielen aus der Praxis Mitte Juni in Köln.
Möglichkeiten der Sterilisation
„Egal welcher Risikoklas- se ein steriles Medizinpro- dukt je nach Anwendungs- zweck und -risiko angehört, der Hersteller muß ein Qua- litätssicherungssystem erar- beiten und von benannten Stellen zertifizieren lassen", so Dr. Günter Koppensteiner, Leiter der Qualitätssicherung bei der Braun Melsungen AG, „wichtige Inhalte sind Aufrechterhaltung der Steri- lität und Sterilisationsvor- gang, wobei Dampf-, Ethy- lenoxid- oder Strahlensterili- sation mit Elektronen- oder Gammastrahlen in Frage kommen." In Europa liegt der Anteil strahlensterilisier- ter Medizinprodukte bei etwa 35 Prozent, da dieses Verfah- ren einige Vorteile bietet:
Gamma- und Elektronen- strahlen können Materialien gut durchdringen und errei- chen auch Produkthohlräu- me. Somit ist eine Sterilisati- on in der Verpackung mög- lich. Materialspannungen durch Druck- oder Tempera- turänderung treten kaum auf,
was zur Folge hat, daß sich die Strahlensterilisation für viele Materialien eignet. Ebenso- wenig finden sich Rückstände des sterilisierenden Agens im Sterilisationsgut; die Produk- te sind also sofort anwendbar und gut verträglich. Da nur zwei Parameter, Dosis und Bestrahlungszeit, die Effekti- vität der Sterilisation bestim- men, ist das Verfahren auch gut reproduzierbar.
„Entscheidet sich ein Her- steller für die Strahlensterili- sation mit Kobalt 60 als Strahlenquelle,
so kann er, wie weltweit üblich, eine Mindest- dosis von 25 KiloGray ein- setzen oder entsprechend neueren Norm- entwürfen eine spezifische Do- sis für sein Me- dizinprodukt erarbeiten", er- klärte der Mi- krobiologe Dr.
Ralf Walther. In jedem Fall ist ein Sicherheits- faktor von einer Million einzu- kalkulieren, das heißt, die Abtö- tungsrate des Sterilisations-
verfahrens muß einemil- lionmal höher sein als die notwendige Strahlungskapa- zität für die Ausgangskeim- zahl. Ersteres Verfahren ge- währleistet dies nur bei Aus- gangskeimzahlen von höch- stens 1 000 Keimen pro Ein- heit. Für die Bestrahlung mit einer produktspezifischen Dosis ist eine mikrobiologi- sche Verfahrensvalidierung nötig. „Hierfür soll der Her- steller zunächst in Form einer Dosiskartierung festhalten, welcher Punkt des Produkts
welche Strahlenenergiemen- ge absorbiert", erläuterte Dr.
Hans Joachim Lengert, Lei- ter der Strahlensterilisation der Willy Rüsch AG. Aus der minimal absorbierten Strah- lenmenge sei der erzielte Ste- rilitätsgrad abzuleiten, wäh- rend Qualitätskontrollen auf physikalische und chemische Veränderungen an den Pro- dukten vorzunehmen seien, die der maximalen Dosis aus- gesetzt waren. Solch eine Do- siskartierung ermöglicht es, bei Kenntnis der Ausgangs-
verkeimung nach Art, Menge und Resistenz der Keime den erforderlichen Dosisbereich festzulegen.
Nachteile bei Kunststoffen
Zusätzlich zur Prüfung auf Sterilität auf statistischer Basis, für die ein kompeten- ter mikrobiologischer Labor- dienst nötig sei, forderte Dr.
Walther die Prüfung auf Py-
rogenfreiheit, da nach Strah- lensterilisation signifikante Belastungen mit Pyrogenen gramnegativer Keime vorlie- gen können.
Rainer Buchalla, Apothe- ker, wies auf mögliche negati- ve Auswirkungen der Strah- lensterilisation auf Medizin- produkte aus Kunststoff oder in Kunststoffverpackung hin
— ein Nachteil des Verfahrens neben den aufwendigen Auf- lagen des Arbeits- und Um- weltschutzes. Die Sterilisati- on könne Verfärbung, Ge- ruchsbildung und eine Verän- derung der mechanischen Ei- genschaften verursachen; aus Zusatzstoffen wie Weichma- chern oder Antioxidanzien entstünden möglicherweise Abbauprodukte unbekannter Struktur und Eigenschaften.
Er forderte die Hersteller auf, bereits bei der Rohstoffaus- wahl mit geeigneten Testme- thoden zu überprüfen, ob sich der zu verarbeitende Kunst- stoff während der Strahlen- sterilisation chemisch oder physikalisch verändert.
Resultieren tatsächlich Risiken aus der Anwen- dung von Medizinproduk- ten, werden Mitarbeiter des Bundesinstituts für Arznei- mittel und Medizinprodukte (BfArM) aktiv. „Wir erfassen und bewerten Risikomeldun- gen zentral, tauschen Infor- mationen mit den Sicher- heitsbeauftragten der Her- steller, Vertreiber oder Im- porteure aus und schalten, wenn erforderlich, die zu- ständige Landesbehörde ein.
Diese ergreift dann die der Gefahrenstufe entsprechen- den Maßnahmen", erklärte Professor Dr. Roger Grase als Vertreter des BfArM.
Künftig soll ein Sicherheits- plan für Medizinprodukte als Rechtsverordnung diese Aufgaben des BfArM kon- kretisieren. Bislang fehlen immer noch Informations- möglichkeiten für Hersteller über Medizinprodukterisiken entsprechend dem „Rote- Hand-Brief" bei Arzneimit- teln. Es existiert jedoch ein Formblatt zur Übermittlung von Risikomeldungen an das BfArM. Birgit Strohmaier
Strahlensterilisierte Mec izin arodukte
Hürden für Hersteller auf dem Weg zur CE-Kennzeichnung
A-2666 (84) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 40, 6. Oktober 1995