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Archiv "Weltkongreß für Sozialpsychiatrie in Hamburg" (03.03.1995)

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MEDIZIN KONGRESSBERICHT

Weltkongreß für

Sozialpsychiatrie in Hamburg

D

er 14. Weltkongreß für Sozial- psychiatrie, der vom 5. bis 10.

Juni 1994 in Hamburg statt- fand, war unter mehreren Ge- sichtspunkten bemerkenswert.

Unter der Schirmherrschaft des früheren Bundespräsidenten Ri- chard von Weizsäcker versammelten sich mehr als 3 000 Teilnehmer aus al- ler Welt erstmals auf deutschem Bo- den, um über die sozialen Aspekte psychischer Krankheit und Gesund- heit zu diskutieren. Die Experten blieben jedoch nicht unter sich. Denn mit eingeladen und den Kongreß mit- organisiert sowie inhaltlich gestaltet hatten neben den beiden deutschen Fachgesellschaften, der „Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP)" und der „Deutschen Gesell- schaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DPPN)", der

„Bundesverband der Angehörigen Psychisch Kranker" und der „Bun- desverband Psychiatrie-Erfahrener", also die von der Psychiatrie direkt als Angehörige oder Patienten betroffe- nen „Nutzer". Wer gedacht hatte, die- ser „Trialog" zwischen den drei betei- ligten Gruppen könne nicht gutge- hen, wurde schnell eines besseren be- lehrt. Nur selten wurde in der Vergan- genheit so ernsthaft und fair mitein- ander diskutiert wie in den nachmit- täglichen 120 Symposien und Work- shops, während die Vormittage ein- stündigen Übersichtsreferaten inter- nationaler Experten und daran sich anschließenden, die Thematik vertie- fenden Referaten vorbehalten waren.

Luc Ciompi, der in den Ruhe- stand gehende Direktor der sozial- psychiatrischen Universitätsklinik Bern, war einer von fünf Referenten, die das Thema „Sozialpsychiatrie"

handhabbar zu machen versuchten.

Er legte dar, daß sich die heutige Sozi- alpsychiatrie aus zwei großen und recht gegensätzlichen Quellen speise:

Die eine, nüchtern-sachliche, for- schungsorientierte, ausgesprochen akademisch zumeist ärztlich domi-

nierte Seite habe in den vergangenen 40 Jahren einen beachtlichen Er- kenntnisgewinn bezüglich der objek- tivierenden Erforschung der Bezie- hungen zwischen psychischen Krank- heiten und sozialem Umfeld erbracht.

Ihr verdanken wir beispielsweise unser Wissen, daß sich bei schizophre- nen Erkrankungen die schlechten Verläufe in sozialen Unterschichten häufen, daß die Krankheit in Ent- wicklungsländern erheblich besser verläuft als in Industrienationen, daß trotzdem überall etwa das gleiche Er- krankungsrisiko besteht.

Für die Praxis wichtig wurden insbesondere die englischen Untersu- chungen von Wing und Brown (1970) zum sogenannten Institutionalismus, die die schädliche Wirkung eines An- staltsmilieus belegten (Hospitalis- mussyndrom). Vorher waren defizitä- re Zustände bei Langzeitpatienten al- ler Diagnosegruppen vielfach als un- ausweichliche Krankheitsfolgen ver- kannt worden.

Diese Erkenntnisse waren die wesentlichen wissenschaftlichen Grundlagen zur Entwicklung außer- stationärer Dienste und Einrichtun- gen, wie sie wenige Jahre später die deutsche Psychiatrie-Enquete (1975) und Ende der 80er Jahre die „Ex- pertenkommission zur Reform der psychiatrischen Versorgung" propa- giert hat.

Auch die Krisenforschung der 60er und die Rehabilitationsforschung der 70er und 80er Jahre sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die seit einigen Jahren sich durchsetzen- den gemeindepsychiatrischen Versor- gungssysteme mit der Schwerpunkt- verlagerung und Dezentralisierung der Betreuung gerade auch psychisch schwer gestörter Patienten von der psychiatrischen Großklinik in das kleinräumige soziale Umfeld, aus dem die Patienten und viele ihrer Pro- bleme herstammen, ziehen aus sozial- psychiatrischer Grundlagenforschung ihre Legitimation.

Dies gilt in ganz besonderem Maße für die heute keineswegs mehr utopische Forderung nach Auflösung der großen psychiatrischen Kranken- häuser und Ersetzung durch in die Allgemeinmedizin integrierte kleine psychiatrische Abteilungen an Allge- meinkrankenhäusern, die nicht nur eine zeitgemäße Akutversorgung psy- chisch Kranker sicherzustellen ver- mögen, sondern im Verbund mit am Ort niedergelassenen Nervenärzten und den bereits genannten sogenann- ten komplementären Einrichtungen (Wohnheime und Wohngruppen, Ta- gesstätten, beschützte Werkstätten, sozialpsychiatrische Dienste) auch für chronisch Kranke die bessere Alter- native zum Großkrankenhaus sind.

Nicht zu vergessen ist dabei, daß Nut- zen-Kosten-Untersuchungen aus den verschiedensten Teilen der Welt — darunter namentlich solche aus den USA, der Schweiz und für Deutsch- land aus Mannheim — übereinstim- mend belegen, daß die täglichen oder jährlichen Kosten einer klinikexter- nen ambulanten und teilstationären Behandlung nur etwa 40 bis 50 Pro- zent derjenigen einer Vollhospitalisa- tion betragen.

Ganz abgesehen davon, daß die Patienten selbst eine erhöhte Rehabi- litationschance, eine verbesserte Le- bensqualität und eine verminderte so- ziale Diskriminierung erfahren. Der- artige, nach Erkenntnissen sozial- psychiatrischer Grundlagenforschung entwickelte gemeindezentrierte Ver- sorgungssysteme kommen mit weit weniger Betten pro Tausend der Be- völkerung aus als tradierte Struktu- ren.

Allen voran die Engländer haben aus diesen Befunden — nicht zuletzt aus ökonomisch-pragmatischen Gründen — die Konsequenz gezogen, ihre psychiatrischen Großkranken- häuser eines nach dem anderen zu schließen. Es sind schon 45 von vor- mals etwa 100. Die Praxis der heute real existierenden Sozialpsychiatrie A-606 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 9, 3. März 1995

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MEDIZIN

wäre jedoch schwerlich denkbar ohne die andere Seite, die ideologisch-poli- tisch geprägte, zum Teil auch antipsy- chiatrische Aufbruchs- und Protest- bewegung der 60er und 70er Jahre.

Diese war (und ist es zum Teil immer noch) eher unakademisch, wenn nicht antiakademisch, zeitweise auch un- oder gar antimedizinisch und damit der objektivierenden Forschung eher abgeneigt. Gleichwohl verdankt die Sozialpsychiatrie dieser zweiten Quelle viel.

Die italienische Psychiatriere- form der 70er Jahre ist ebensowenig ohne sie denkbar wie die von Frank- reich ausgehende Sektorisierungsbe- wegung, die inzwischen zu einem der (berechtigten) Glaubenssätze der modernen Gemeindepsychiatrie ge- worden ist. Auch die „therapeutische Gemeinschaft" des Engländers Max- well Jones, die mit dem Namen von Frieda Fromm-Reichmann verbun- dene Schizophrenie-Psychotherapie und — zumindest mittelbar — die von K. Dörner und anderen in Deutsch- land in Gang gebrachte Aufdeckung der Verbrechen der Nazipsychiatrie haben hier ihren Ursprung.

Zur praktischen Sozialpsychia- trie gehören, nur um Mißverständnis- sen vorzubeugen sei es erwähnt, selbstverständlich auch biologische Behandlungsmethoden. Die Psycho- pharmakotherapie ist selbstverständ- licher und integraler Bestandteil na- hezu jeder Psychosenbehandlung, al- lerdings haben genuin sozialpsychia- trische Forschungen familien- oder auch rehabilitationsbezogener Art ih- re Bedeutung relativiert und zu medi- kamentöser Low-dose- oder auch In- tervallbehandlung geführt.

Alle hier angesprochenen As- pekte psychiatrischen Handelns wur- den im Verlauf der Tagung vertieft und präzisiert und auf ihre Haltbar- keit in den lebhaften Diskussionen abgeklopft. Summa summarum zeigte sich dabei, daß die Probleme global, die jeweils gefundenen Lösungen aber durchaus unterschiedlich waren.

Insofern konnten alle voneinander lernen.

Die Anwesenheit vieler Psych- iater aus dem ehemaligen Ostblock führte zwangsläufig zu einer breiten Diskussion über den „Mißbrauch der Psychiatrie" zu politischen Zwecken.

KONGRESSBERICHT / FÜR SIE REFERIERT

Referenten und Diskussionsteilneh- mer waren etablierte Psychiater, die sich über den Zusammenbruch des Systems hinweggerettet haben und jetzt noch immer wichtige Schlüs- selpositionen besetzen. Vertreten wa- ren aber auch jene neugegründeten, unabhängigen Psychiatervereinigun- gen, die für die Rehabilitierung der früher als geisteskrank klassifizierten Dissidenten eintreten. Was nicht mehr zu bestreiten war, wurde in die- sen Diskussionen auch nicht mehr be- stritten. Dem aufmerksamen Zuhörer blieb aber nicht verborgen, wie schwer es vielen Kollegen fällt, sich mit der eigenen Vergangenheit selbst- kritisch und ehrlich auseinanderzu- setzen.

Die russische Psychiatrie sieht sich vor die Aufgabe gestellt, ihre Grundlagen neu zu formulieren, da die alten Lehrbücher nicht mehr zu gebrauchen sind und es noch keine neuen gibt. Es bleibt auch zu fragen, wer sie so schnell schreiben sollte. Die Übersetzung westlichen Lehrmateri- als steckt noch ganz in den Kinder- schuhen. Selbst Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser sind nicht in der Lage, ausländische Zeitschriften zu abonnieren, weil die Valuta fehlen.

Da viele russische Psychiater eher deutsch als englisch sprechen und sich eher an europäischen als an amerika- nischen Entwicklungen orientieren, läge hier für deutsche medizinische

Einmaldosis

von Ciprofloxacin bei Reisediarrhoe

Die Reisediarrhoe stellt ein geläufiges Phänomen bei Touristen aus hochindustriellen Ländern dar, die Entwicklungsländer besuchen, wobei zwischen 30 und 50 Prozent der Reisenden erkranken.

Zur symptomatischen Therapie hat sich der Einsatz von Loperamid durchgesetzt, während die Gabe von Antibiotika umstritten ist.

Die Autoren untersuchten die Effizienz einer einmaligen Gabe von

Verlage und nicht zuletzt für die Ärz- teschaft selbst eine große Aufgabe zu helfen.

Die Sozialpsychiatrie ist, wie die- ser Weltkongreß gezeigt hat, auf dem Weg zu einer am Menschen orientier- ten Wissenschaft, in der die Beson- derheit und der biographische Sinn seiner Störung im Mittelpunkt aller Überlegungen und jedweden Han- delns zu stehen hat. Dies ist auch der Tenor der „Hamburger Erklärung", die die Teilnehmer am letzten Tag des Kongresses einmütig verabschiede- ten. Sie greift noch einmal die The- men „Mißbrauch der Psychiatrie",

„Würde des Menschen", „Personen- bezogene Hilfen" sowie „Vielfalt und Toleranz" auf, die in der einen oder anderen Ausformung diese Tagung beherrschten. Insofern war es nur konsequent, daß der künftige Präsi- dent der „Internationalen Gesell- schaft für soziale Psychiatrie", der amerikanische Psychiater Eliot Sorel, auch die Patienten und ihre An- gehörigen zum nächsten Weltkongreß nach Rom einlud. Eine Geste, die noch vor fünf Jahren undenkbar ge- wesen wäre.

Prof. Dr. med Manfred Bauer Psychiatrische Klinik

der Städtischen Kliniken Offenbach Starkenburgring 66

63069 Offenbach/Main

500 mg Ciprofloxacin bei britischen Truppen, die auf Belize eingesetzt wurden und dort Durchfälle ent- wickelten. Die einmalige Gabe des Antibiotikums konnte Dauer und Schwere der Reisediarrhoe eindeutig positiv beeinflussen. Die Autoren glauben, daß die Einmalgabe des An- tibiotikums die Compliance maxi- miert und Kosten und Dauer der Be- handlung signifikant senkt.

Salam I, Katelaris P, Leigh-Smith S, Far- thin, M J G: Randomised trial of single- dose ciprofloxacin for travellers' diar- rhoea. Lancet 1994; 344: 1537-39 Department of Medicine and Gastroenterology

Queen Elizabeth Military Hospital Woolwich, London

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 9, 3. März 1995 (57) A-607

Referenzen

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