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er Weg zur Steuerreform ist mit Risiken gepflastert.Noch klafft eine Finanzie- rungslücke von etwa 15 Mil- liarden Mark, wenn es dabei bleibt, daß die Steuerzahler durch das vor- liegende Reformpaket bis 1999 um insgesamt 30 Milliarden Mark entla- stet werden sollen. Der Fehlbetrag ist nur durch einen weitergehenden Subventionsabbau oder die Er- höhung von Verbrauchsteuern zu schließen. Im Mittelpunkt der Dis- kussion steht die Mehrwertsteuer, deren Einnahmen fast zu gleichen Teilen Bund und Ländern zufließen.
Ein entsprechender Beschluß kann aber nicht vor 1999 wirksam werden; der Kanzler steht bis dahin im Wort. Die Steuerreform soll aber schon 1998 mit der Herabsetzung des Solidarzuschlags um 2 Prozent- punkte auf 5,5 Prozent und mit der Absenkung der Steuersätze auf ge- werbliche Einkommen beginnen.
Eine vorzeitige zusätzliche Er- höhung der Verbrauchsteuern, vor allem der Mineralölsteuer, ist daher nicht auszuschließen. Wenig spricht dafür, daß die Mehrwertsteuer 1999 gleich um zwei Punkte auf 17 Pro- zent angehoben wird. Das käme ei- nem finanzpolitischen Offenba- rungseid sehr nahe. Daher wird es den Sozialpolitikern allenfalls län- gerfristig gelingen, den Finanzie- rungsanteil des Bundes in der Ren- tenversicherung fühlbar auszuwei- ten. Aber dieser Konflikt zwischen der Finanz- und der Sozialpolitik ist
noch nicht entschieden; er wird die Beratungen über die Steuerreform weiterhin belasten.
Als eine Hürde auf dem Weg zur Steuerreform wird sich auch wie- der einmal die SPD-Mehrheit im Bundesrat erweisen. Das Reformpa- ket enthält mit seiner deutlichen Absenkung der Grenzsteuersätze für die unteren Einkommen aber ein Angebot an die SPD; sie wird das nicht blockieren können. Ihre Kritik dürfte sich daher auf einzelne Punk- te, wie die Besteuerung der Zuschlä- ge bei Nacht- und Sonntagsarbeit, die höhere Besteuerung der Renten und auf die drastische Herabsetzung des Spitzensatzes beschränken. Eine Blockadepolitik dürfte sich für die SPD politisch nicht auszahlen.
Mittlere Einkommen benachteiligt
Das Vorschlagspaket der Kom- mission ist teilweise auf harte Kritik gestoßen. Sicherlich hätte man der Politik mehr Mut bei dem Versuch gewünscht, alle Gruppen der Steuer- zahler stärker zu entlasten und die steuerlichen Sonderregelungen noch stärker zu beschneiden. Das hätte je- doch den parallellaufenden Maas- tricht-Prozeß stören und die politi- schen Widerstände der vom Abbau von Subventionen betroffenen Grup- pen verstärken können. Das Reform- paket entspricht zwar nicht dem wirt- schaftlichen und finanzpolitischen
Optimum; die Koalition dürfte frei- lich die Grenzen des politisch Durch- setzbaren weitgehend ausgeschöpft haben. Sie ist dabei, in der Finanzpo- litik eine dramatische Kehrtwende einzuleiten. Nach Jahren der Abga- benerhöhungen sollen nun die Abga- ben wieder gesenkt werden, um An- reize für Leistung und Investitionen zu setzen. Dieser mit hohen politi- schen Risiken belastete Versuch ver- dient Unterstützung, auch wenn man sich an der einen oder anderen Stelle andere Lösungen vorstellen könnte.
Am ehesten können sich noch die Bezieher mittlerer Einkommen beklagen. Bei ihnen fällt die Entla- stung durch den neuen Tarif am ge- ringsten aus; der Abbau der begün- stigenden Regelungen trifft auch sie. Unter dem Strich könnten sich im mittleren Einkommensbereich Mehrbelastungen ergeben. Das wä- re vor allem dann der Fall, wenn die Mehrwertsteuer zum Ausgleich an- gehoben werden müßte. Allerdings schlägt auch die kräftige Absenkung des Eingangssteuersatzes entlastend auf die Bezieher mittlerer und höhe- rer Einkommen durch.
Die Beschlüsse der Koalition si- gnalisieren, daß die Alterseinkünfte, die bislang steuerlich begünstigt wa- ren, künftig höher belastet werden sollen.
Das wird auch die Angehörigen der berufsständischen Versorgungs- werke betreffen. Bei einer ersten Durchsicht der Pläne ist aber nicht zu erkennen, daß die Altersversor- A-277
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 6, 7. Februar 1997 (13)
Das Tauziehen um
die Steuerreform beginnt
Die Koalition hat ihre Steuerreformpläne auf den Weg gebracht. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr. Dennoch wäre es eine Illusion zu glauben, daß das, was die von der Regierung berufene Kommission be- schlossen hat und was von den Parteigre- mien und den Fraktionen der Koalition
mit großer Mehrheit abgesegnet worden
ist, am Ende auch im Gesetzblatt stehen
wird. Die Gesetzgebung beginnt erst,
wenn die Bundesregierung den nun vom
Finanzministerium zu erarbeitenden Ge-
setzentwurf beschließt und diesen dem
Bundesrat und dem Bundestag zuleitet.
gung der Freiberufler Belastungen ausgesetzt werden soll, die gegenüber anderen Gruppen als diskriminierend empfunden werden müßten. Zwar wird der zu versteuernde Ertragsan- teil der Versorgungsrenten generell angehoben, jedoch für diejenigen Versicherten nur auf 30 Prozent, die keine steuerfreien Beitragsanteile vom Arbeitgeber erhalten haben.
Versorgungswerke voraussichtlich nicht betroffen
Bei Ärzten, die immer als Ange- stellte gearbeitet haben, wird dagegen künftig die Hälfte der Rente steuer- lich erfaßt. Unklar ist noch, wie jene Versicherten behandelt werden, die nur eine Reihe von Jahren als Ange- stellte, zum Beispiel als Assistenzärz- te, gearbeitet und sich dann als nie- dergelassene Ärzte selbständig ge- macht haben.
Offensichtlich sollen die Zinsein- nahmen der Versorgungswerke nicht in die Besteuerung einbezogen wer- den, soweit die Werke ausschließlich Renten und nicht Wahlrechte zwi- schen Rente und Kapitalbetrag anbie- ten. Auch wird wohl nicht daran ge- dacht, die Versorgungswerke in die Körperschaftsteuer einzubeziehen.
Dies kann freilich nur ein vorläufiger Befund sein. Walter Kannengießer l Der Inhalt des Vorschlagspa- ketes wird unter Varia/Wirtschaft in diesem Heft vorgestellt.
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P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL
(14) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 6, 7. Februar 1997
Das Ärzteblatt im Internet
Die Veröffentlichungen im Deut- schen Ärzteblatt gibt es auch im Internet. Das Angebot umfaßt ei- ne Vorschau auf das jeweils neue- ste Heft, einen aktuellen Nachrich- tendienst mit Meldungen aus der Politik und der Medizin und eine Datenbank mit allen Beiträgen von Heft 1/1996 an. Die Redaktion ist per e-mail zu erreichen. Auch auf den Stellenmarkt des Deut- schen Ärzteblattes kann online zugegriffen werden. Die Internet- Adresse unserer Startseite lautet:
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Risikostrukturausgleich
Betriebskrankenkassen für schrittweisen Abbau
Der Bundesgesundheitsminister betrachtet den Risikostrukturaus- gleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen nach eigenen Worten mit „wachsendem Unbehagen“. Das Instrument, das für alle Kassen glei- che Startchancen beim Wettbewerb um Versicherte herstellen sollte, ist zu einem bürokratischen Ungetüm mu- tiert. Vor allem die einzahlenden Krankenkassen laufen gegen den fi- nanziellen Verschiebebahnhof Sturm.
Beitragssätze haben sich angeglichen
Nach den Ersatzkassen melden sich nun auch die Betriebskranken- kassen (BKK) zu Wort. Sie meinen:
Die Wettbewerbsbedingungen sind inzwischen für alle Kassen gleich, und auch das zweite Ziel des Risikostruk- turausgleichs, die Verringerung der Beitragssatzspanne innerhalb der ge- setzlichen Krankenversicherung, ist erreicht. 1993 haben nach Angaben des BKK-Bundesverbandes 64 Pro- zent der Versicherten (West) einen Beitragssatz bezahlt, der weniger als ein Prozent vom durchschnittlichen Beitragssatz abgewichen ist. 1996 wa- ren dies schon 84 Prozent.
Hinzu komme, argumentieren die Betriebskrankenkassen, die freie Kassenwahl für alle Versicherte. Den- noch könne dies nicht zu einer völlig neuen Risikoverteilung führen, die den Bedarf an Finanzausgleich redu- ziere. Vielmehr sei es gerade der Risi- kostrukturausgleich, der den stärk- sten Anreiz zum Kassenwechsel ver- hindere, indem er die Beitragssatzun- terschiede nivelliere.
Daß der gesetzlich erzwungene Ausgleich den politisch gewollten Wettbewerb der Kassen untereinan- der verhindere und statt dessen zur Einheitsversicherung führe, macht der BKK-Bundesverband am eigenen Beispiel deutlich. Zwar sei es den Be-
triebskrankenkassen 1996 gelungen, rund 72 000 neue freiwillige Versi- cherte zu gewinnen, was wegen der höheren Beitragseinnahmen zu einem vergleichsweise geringeren Defizit ge- führt habe. Dieser Vorteil werde den Betriebskrankenkassen im laufenden Jahr aber über nachträgliche Einzah- lungen in den Risikostrukturausgleich wieder genommen.
Ein weiteres Manko sieht der BKK-Bundesverband in der völlig unzureichenden Datenlage, die der Berechnung des Risikostrukturaus- gleichs zugrunde liegt. Dies habe dazu geführt, daß die Betriebskrankenkas- sen bei Abschlagszahlungen von 390 Millionen DM in 1995 mit der Schlußrechnung nochmals 640 Millio- nen DM in den gemeinsamen Kassen- topf einzahlen mußten. Bundesweit betrachtet haben die Betriebskran- kenkassen 1,4 Milliarden DM einge- zahlt, die Ersatzkassen sogar 15 Milli- arden DM. Größter Empfänger der Transferleistungen waren die Allge- meinen Ortskrankenkassen mit 15,3 Milliarden DM.