„Ärzte benötigen mehr Informationen zu seltenen Erkrankungen“
Der CSU-Politiker ist zuversichtlich, dass sich die Versorgungssituation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in den nächsten Jahren verbessern wird.
Herr Zöller, wird das deutsche Gesund- heitssystem Menschen mit chroni- schen seltenen Erkrankungen gerecht?
Zöller: Lange Zeit wurden Men- schen mit seltenen Erkrankungen in der Tat sehr stiefmütterlich behan- delt. Der Weg bis zu einer Diagnose und zu einer eventuellen Therapie war und ist für Menschen mit selte- nen Erkrankungen häufig noch sehr lang. Das stark sektorierte Gesund- heitssystem in Deutschland kann ei- nen solchen Weg noch zusätzlich er- schweren. Eine Studie des Bundes- ministeriums für Gesundheit aus dem Jahr 2009 kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Defizite am besten mit einer besseren Koordination, Koope- ration und Vernetzung von For- schung, medizinischer Versorgung, Patienten und Angehörigen beseiti- gen lassen. Inzwischen haben wir das Nationale Aktionsbündnis für Men- schen mit seltenen Erkrankungen ge- gründet, dessen Ziel es ist, bereits be- stehende Initiativen zu bündeln und weiterzuentwickeln, Forscher und Ärzte zu vernetzen und Vor- schläge für einen nationa- len Aktionsplan für sel- tene Erkrankungen zu erarbeiten. Das For- schungsministerium wiederum baut die Forschung durch eine weitere Förderung von Verbün-
den für seltene Erkrankungen nach- haltig aus. In den letzten zwei Jahren wurden außerdem Referenzzentren, zum Beispiel in Tübingen, Freiburg oder Berlin, gegründet.
Mit dem geplanten Patientenrechtege- setz wollen Sie auch die Rechte von Menschen mit einer seltenen Erkran- kung stärken. Inwiefern?
Zöller: Das Patientenrechtegesetz stärkt die Rechte aller Patienten mit ihren jeweiligen Bedürfnissen – da- her werden natürlich die Belange der bisher eher vernachlässigten Krankheiten besonders davon pro- fitieren. Zudem werden die Rechte der Patienten gegenüber den Kran- ken- und Pflegekassen gestärkt, was chronisch Kranken, die in viel- fältiger Weise auf die Unterstüt- zung ihrer Krankenkasse angewie- sen sind, ebenfalls zugutekommt.
Ist die Erhöhung des Zwangsrabatts für Hersteller von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen vom Tisch?
Zöller: Mit dem Arzneimittelmarkt- neuordnungsgesetz ist der gesetzlich festgelegte Herstellerabschlag von sechs auf 16 Prozent für alle ver- schreibungspflichtigen Medikamen- te ohne Preisobergrenze gestiegen.
Hersteller von Arzneimitteln für sel- tene Erkrankungen können jedoch einen Antrag auf Reduktion bezie-
hungsweise Erlass der Ab- schläge stellen, wenn
durch die Abschläge die Aufwendungen für
Forschung und Ent- wicklung für das
Arzneimittel nicht
mehr ausreichend finanziert werden können.
Wie lässt sich die Bereitschaft von Ärz- ten fördern, sich mit seltenen Erkran- kungen zu beschäftigen?
Zöller: Ärzte benötigen insbeson- dere mehr Informationen zu selte- nen Erkrankungen. Diese müssen bereits während der Ausbildung vermittelt werden. Aber nicht jeder Arzt kann jede seltene Erkrankun- gen kennen beziehungsweise dia - gnostizieren. Daher ist es von gro- ßer Bedeutung für Menschen mit seltenen Erkrankungen, dass Ärzte ihre Patienten mit unklarer Diagno- se an Experten überweisen. Eine zu- nehmend wichtigere Rolle werden in diesem Zusammenhang auch die bereits erwähnten Spezialzentren für seltene Erkrankungen spielen.
Viele EU-Staaten haben bereits Natio- nalpläne für die Versorgung von Men- schen mit seltenen Erkrankungen ver- abschiedet. Droht Deutschland zum Schlusslicht in Europa zu werden?
Zöller: Das eine ist, einen National- plan zu verabschieden, das andere, ihn umzusetzen. Damit wir das errei- chen, haben wir alle maßgeblichen Partner eingebunden. Der Zusam- menschluss zwischen dem Bundes- gesundheitsministerium, dem Bun- desministerium für Bildung und For- schung, der Achse* sowie 23 weite- ren Bündnispartnern ist ein Garant dafür, dass wir eine qualitativ gute und umsetzbare Lösung finden.
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Das Interview führte Petra Spielberg.
INTERVIEW
mit Wolfgang Zöller, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten
Wolfgang Zöller (69) trat mit 27 Jahren in die CSU ein und ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundes- tages. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildete von Anfang an die Ge- sundheits- und So- zialpolitik. Der Fran- ke war stellvertre- tender Vorsitzender der CDU/CSU-Frak- tion und ist seit 2009 Patientenbe- auftragter der Bun- desregierung.
Foto:
Georg J.
Lopa ta
* Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen
A 2648 Deutsches Ärzteblatt