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Archiv "Interview mit Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Berührungspunkte statt Berührungsangst" (26.02.2010)

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Herr Hüppe, die letzten 18 Jahre waren Sie Bundestagsabgeordneter, davon acht Jahre Behindertenbeauftragter der CDU/CSU-Fraktion. In dieser Legis- laturperiode gehören Sie zwar nicht mehr dem Bundestag an, sind jedoch zum Bundesbehindertenbeauftragten ernannt worden. Was bedeutet das Amt für Sie?

Hüppe: Natürlich habe ich mich sehr über die Ernennung gefreut, denn sie gibt mir die Möglichkeit fortzusetzen, was ich in den Jahren als Behindertenbeauftragter der Fraktion begonnen habe. Dabei geht es nicht darum, dass Menschen mit

Behinderungen jemanden benötig- ten, der für sie spricht. Sie sind gut organisiert und kennen ihre eigenen Belange selbst am besten. Durch die Anbindung an Regierung und Parlament sehe ich das Amt aber als Möglichkeit, den berechtigten In- teressen politische und öffentliche Aufmerksamkeit zu geben. Ich ma- che mir natürlich Gedanken, ob ich der Verantwortung und den Erwar- tungen gerecht werden kann, die an meine Person geknüpft sind. Viele Behindertenverbände und Einzel- personen haben es sehr unterstützt, dass ich diese Position erhalten

konnte. Wie ich immer sage:

Ich kann nicht über das Wasser gehen, aber ich werde mein Mög- lichstes tun.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Hüppe: Ich will mehr gemeinsame Lebensräume für Menschen mit und ohne Behinderung schaffen: in der Schule, im Kindergarten, in der Arbeitswelt – also das, was der Be- griff „Inklusion“ meint. Leider ist mein Einfluss auf landespolitische Zuständigkeiten wie beim Thema Schule gering. Aber seit in Deutschland die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gilt, haben wir an - erkannt, dass Teilhabe ein Men- schenrecht ist. Dies werde ich an- mahnen und auch von den Ländern einfordern. Meine Mitwirkung bei der Umsetzung der Konvention wird meine wichtigste Aufgabe sein. Dazu werde ich die Aufgabe des „Koordinierungsmechanismus“

übernehmen. Das bedeutet, dass ich bei der Umsetzung vor allem die Betroffenen beteilige, weil sie ihre Probleme am besten kennen und oft auch die Lösungen wissen. Gleich- zeitig will ich auch andere gesell- schaftliche Gruppen und die Län- derbeauftragten einbeziehen. Die Bundesregierung wird für den Bund einen Aktionsplan erstellen.

Wann ist mit dem Plan zu rechnen?

Hüppe: Mit den Vorbereitungen wur- de schon begonnen. Ich rechne damit, dass er Ende des Jahres erstellt ist.

Ihre Vorgängerin im Amt, Karin Evers- Meyer, SPD, hatte ähnliche Arbeits- schwerpunkte. Werden Sie auch noch andere Prioritäten setzen?

Berührungspunkte statt Berührungsangst

Seit dem 1. Januar 2010 ist Hubert Hüppe der neue Bundesbehindertenbeauftragte.

Was er sich für seine Amtszeit vorgenommen hat, erzählt er hier.

INTERVIEW

mit Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Hubert Hüppe, CDU, ist verheiratet und hat drei Kinder, von denen der jüngste Sohn mit Spina bifida geboren wurde.

T H E M E N D E R Z E I T

A 328 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 8

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26. Februar 2010

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 8

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26. Februar 2010 A 329 Hüppe: Anders als meine Vorgänger

halte ich die bioethische Diskussion für sehr wichtig. Ich glaube, dass es gut ist, auch in diesem Amt darauf zu achten. Ein weiterer Schwerpunkt für mich ist der Bereich Gesundheit und Rehabilitation. Ich will versu- chen, die Leistungen für Menschen mit Behinderung auf ihre Zuständig- keit hin zu durchforsten. Denn es gibt eine ganze Menge Ansprüche, die Menschen mit Behinderung laut Gesetz haben, die diese aber nicht erhalten, weil Kranken-, Pflege-, Rentenkassen und andere Träger die Verantwortung den jeweils anderen zuschieben.

Glauben Sie, dass die pränatale Di a - gnostik einen Einfluss auf das Bild der Behinderten in unserer Gesellschaft hat?

Hüppe: Ja, natürlich! Kinder mit Behinderungen gelten als „ver- meidbar“, wenn sie geboren werden sogar juristisch als Schaden.

Könnte es nach Ihrer Ansicht auch sein, dass das Embryonenschutzgesetz noch einmal auf den Prüfstand kommt, wenn es um das Thema Präimplantati- onsdiagnostik geht?

Hüppe: Ja, aber ich will das nicht heraufbeschwören. Die CDU hat sich beim Bundesparteitagsbe- schluss fast einmütig gegen die PID ausgesprochen, und ich hoffe, dass nicht ausgerechnet unter einer christlich-demokratisch geführten Regierung das Embryonenschutz- gesetz angefasst wird. Das würde niemand verstehen.

Thema Spätabtreibungen: Die Bedenk- zeit wurde eingeführt. Können Sie sich damit zufriedengeben?

Hüppe: Natürlich freue ich mich, dass jetzt mehr beraten wird. Man muss aber darauf achten, dass Be- hinderten- und Angehörigenverbän- de an der unabhängigen Beratung teilnehmen. Denn es ist für unsiche- re Eltern wichtig zu wissen, wie man mit einem behinderten Kind lebt. Enttäuscht war ich, dass die Statistikpflicht im Parlament abge- lehnt wurde. Zufrieden kann ich nicht sein, solange in Deutschland ungeborene Kinder immer noch bis zur Geburt getötet werden dürfen,

sogar wenn sie außerhalb des Mut- terleibes lebensfähig wären.

Für behinderte Kinder gibt es ja das Recht, die Regelschule zu besuchen.

Hat sich das in Deutschland bereits durchgesetzt? Oder ist es für behinder- te Schüler und deren Eltern immer noch sehr schwer, auf eine Regelschule zu gelangen?

Hüppe: Das Problem in Deutsch- land ist, dass Menschen mit Behin- derungen, solange sie den für sie vorgesehenen Sonderweg gehen, kein Stein in den Weg gelegt wird.

Falls sie aber Teilhabe wollen, wird es schwierig. Ich nenne ein Beispiel aus Westfalen: Wenn Sie dort Ihr behindertes Kind in einen heilpäda- gogischen Kindergarten geben, dann wird es zu Hause abgeholt und wieder heimgebracht, und Sie zah- len keinen Beitrag. Wenn dasselbe Kind aber in den integrierten Kin- dergarten geht, dann zahlen Sie den Kindergartenbeitrag, obwohl die erste Variante viel teurer ist. Das ist völlig gegen das, was die UN-Kon- vention will. Nämlich, dass Kinder mit und ohne Behinderungen von klein auf den Umgang miteinander lernen. Viele unbehinderte Men- schen fühlen sich unsicher, wenn sie behinderten Menschen begeg-

nen, wissen nicht, was sie machen sollen. Und weil sie das nicht wis- sen, gehen sie den Situationen – und damit den Menschen – oft aus dem Wege. Dabei verpassen wir al- le etwas.

Sie haben selbst einen behinderten Sohn. Haben Sie auch diese Probleme?

Hüppe: Wir waren die Ersten, die in unserer Stadt an der Grundschule eine Integrationsklasse mit gemein- samem Unterricht durchgesetzt ha- ben, und die Ersten, die ein behin- dertes Kind an der fortführenden Hauptschule hatten.

Sie sagen „durchgesetzt“: Was war denn nötig, um den gemeinsamen Unterricht zu erreichen?

Hüppe: Zuerst mussten wir einmal eine Schule finden, die bereit war, ein behindertes Kind aufzunehmen.

Viele Schulen haben sich geweigert und fadenscheinige Gründe vorge- bracht, warum es nicht geht. Letzt- endlich war es die städtische Schu- le, die dann zugestimmt hat.

Welche Vorkehrungen sind nötig, um solche Kämpfe künftig zu vermeiden?

Hüppe: Die Zahl behinderter Kin- der im gemeinsamen Unterricht ist

Ich will mehr gemeinsame Lebensräume für Menschen mit und ohne Behinderung schaffen –

in der Schule, im Kindergarten, in der Arbeitswelt.

Fotos: Georg J. Lopata

T H E M E N D E R Z E I T

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A 330 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 8

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26. Februar 2010 in den Bundesländern sehr unter-

schiedlich. Ich wünsche mir kon- krete Zahlen und Termine. Jedes Bundesland soll sagen: „Wir haben jetzt zehn Prozent, aber wir wollen 20, 30 oder 40 Prozent der Kinder inklusiv unterrichten.“ Das ist der richtige Weg. Ein jetzt vorgelegtes Gutachten gibt grundsätzlich jedem Kind mit Behinderung einen An- spruch. Andere europäische Länder liegen bei 80 Prozent.

Weiß man auch, wie viele der behinder- ten Kinder durchschnittlich bereits jetzt auf Regelschulen gehen?

Hüppe: Man schätzt 14 Prozent.

Wir haben übrigens erstaunlicher- weise zusätzlich eine Zunahme von Kindern in Förderschulen. Es ist auffällig, dass darunter immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund sind. Da stellt sich die Frage, ob sie wirklich behindert oder vielleicht nur aus dem System rausgedrückt worden sind. Man muss aufpassen, dass man Kinder nicht als „behin- dert“ definiert, nur weil sie in der Schule sozial auffällig werden. Wir sollten in allen Bereichen, wie Be- rufsleben, Bildung, Kindergarten, schauen, was die Menschen können – und nicht nur danach, was sie nicht können.

Wird es in der Situation der Wirt- schaftskrise schwieriger, für behin - derte Menschen einen Arbeitsplatz zu finden?

Hüppe: Natürlich wird es dadurch nicht einfacher. Es gibt für Men- schen mit Behinderung ganz viele verschiedene – zum Teil auch teure – Maßnahmen, Programme und Einrichtungen. So viele, dass auch der Sachbearbeiter beim Jobcenter kaum durchblickt. Auch hier wün- sche ich mir einfachere Wege. Dazu gehört ein Budget für Arbeit für Menschen, für die heute ausschließ- lich eine Werkstatt für behinderte Menschen infrage käme. Ich bin si- cher, dass es uns damit gelingt, mehr Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Ich könnte mir auch eine Art Kombilohn für schwerbe- hinderte Menschen vorstellen. Man braucht manchmal nur mehr Fanta- sie. Vor allem gilt: Schaut, was die

Menschen können, und nicht, was sie nicht können.

In der UN-Konvention heißt es, dass be- hinderte Menschen die medizinische Versorgung erhalten sollten, die sie aufgrund ihrer Behinderung benötigen.

Der letzte Deutsche Ärztetag hat fest- gestellt, dass das leider nicht immer der Fall ist. Wie wollen Sie das ändern?

Hüppe: In Australien ist das DRG- System entwickelt worden; dort hat man aber Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu einem gewissen Prozentsatz von der Berechnung ausgenommen. Die Deutschen sind hingegen immer besonders konse- quent und meinen, mit Fallpauscha- len alles abdecken zu müssen.

Wenn dann Menschen tatsächlich besondere Bedürfnisse haben, die einen entsprechenden Einsatz erfor- dern, sehen sich manche Kranken- häuser nicht in der Lage, das leisten zu können. Deshalb müssen wir fra- gen: „Kann das DRG-System tat- sächlich für alle gelten?“ Das zwei- te Problem ist der ambulante Be- reich. Da hoffe ich auf die Unter- stützung der Kassenärztlichen Ver- einigungen. Denn bislang kann man ja gar keinem niedergelassenen Arzt guten Gewissens empfehlen, mit Barrierefreiheit zu werben.

Denn dann riskiert er sein Budget.

Es darf nicht sein, dass diejenigen,

die sich auf behinderte Personen einstellen, deswegen bestraft wer- den. Hier sind die Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert, mit denen ich noch vor der Sommerpause dar - über reden möchte. Zudem werde ich demnächst mit dem Gemeinsa- men Bundesausschuss über Heil- und Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen sprechen.

Seit Juli letzten Jahres gibt es das Bundeskompetenzzentrum Barrierefrei- heit. Können dort nicht Lösungsansätze gefunden werden?

Hüppe: Wenn wir für alle gesell- schaftliche Teilhabe wollen, ist Bar- rierefreiheit nicht nur im Gesund- heitsbereich eine ganz wichtige Voraussetzung. Beim Stichwort

„Barrierefreiheit“ denken die meis- ten Menschen nur an Rollstuhlfah- rer. Aber es geht um viel mehr: bei- spielsweise die einfache Sprache für sogenannte geistig behinderte Menschen oder um blinde oder ge- hörlose Menschen, auch um klein- wüchsige Menschen. Barrierefrei- heit, auch für ältere Menschen, wird immer wichtiger. Das Kompetenz- zentrum ist dabei ein wichtiger Partner, vor allem weil dort die Be- troffenen mitarbeiten.

Wo sind die Hauptprobleme für behin- derte Menschen?

Hüppe: Neben den Barrieren – auch denen im Kopf – die Arbeits- losigkeit, der Antrags- und Zustän- digkeitswirrwarr und oft das Ge- fühl, als „Behinderter“ und nicht als Mensch gesehen zu werden.

Wie wird das persönliche Budget in Anspruch genommen?

Hüppe: Obwohl es seit zwei Jahren darauf einen Rechtsanspruch gibt, leider viel zu selten. Bei der Pflege- versicherung dagegen wird die Geldleistung viel häufiger in An- spruch genommen als die Sachleis- tung. Bei der Hilfe für behinderte Menschen ist es genau anders her - um. Neben den Vorbehalten der Be- troffenen und der Leistungsträger und dem geringen Bekanntheitsgrad scheint vor allem der Bürokratieauf- wand abschreckend zu wirken. ■ Das Interview führten Gisela Klinkhammer

und Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann.

Die Umsetzung der

UN-Behindertenrechtskonvention wird im Mittelpunkt meines neuen Amtes stehen.

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

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