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Archiv "Versorgung von Menschen mit Behinderung: Barrieren gibt es nicht nur äußerlich" (20.09.2013)

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A 1720 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 38

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20. September 2013

VERSORGUNG VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG

Barrieren gibt es nicht nur äußerlich

Optimal ist die ambulante, stationäre und zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen noch immer nicht. Die vier ärztlichen und zahnärztlichen

Spitzenorganisationen wollen das Augenmerk auf innere und äußere Barrieren lenken.

E

ine bessere medizinische Ver- sorgung der 9,6 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland wollen Kassenärztli- che Bundesvereinigung (KBV), Bundesärztekammer (BÄK), Kas- senzahnärztliche Bundesvereini- gung (KZBV) und Bundeszahn - ärztekammer (BZÄK) künftig ge- meinsam verstärkt angehen. Die vier ärztlichen und zahnärztlichen Organisationen trafen sich deshalb am 9. September erstmals zu einem gemeinsamen Erfahrungsaustausch.

Mit Betroffenen und Experten dis- kutierten sie, wie sich Barrieren ab- bauen lassen und welche speziellen Handlungsziele sich daraus für Ärz- te und Zahnärzte ergeben.

Seit der Unterzeichnung der UN- Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 hat sich schon einiges in Deutschland getan. Dennoch exis- tieren für Menschen mit Behinde- rungen immer noch viele Hürden, die eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft erschweren – auch in der gesundheitlichen Ver- sorgung. Behinderung habe eine medizinische und eine soziale Komponente, betonte Prof. Dr.

med. Michael Seidel, Ärztlicher Di- rektor der von Bodelschwingh - schen Stiftungen Bethel.

„Wir brauchen Fachwissen so- wie Handlungs- und Kommunikati- onskompetenz“, sagte er. Dabei sei die Haltung von Ärztinnen und Ärzten oft noch ein Problem. „Es ist paradox“, analysierte er. „Wäh- rend uns kranke Menschen vertraut sind, empfinden wir es teilweise als berufliche Kränkung, wenn wir Er- krankungen nicht beeinflussen kön- nen. Wir müssen lernen, dass nicht alles repariert werden kann“, erklär- te Seidel. „Barrieren gibt es nicht nur äußerlich. Der Abbau muss im Kopf und im Herzen der Ärztinnen

und Ärzte beginnen.“ Danach müssten mit politischen Entschei- dungsträgern adäquate Rahmenbe- dingungen hergestellt werden (In- terview: DÄ, Heft 33-34/2013).

Ambivalente Gefühle beschrieb Prof. Dr. med. Jeanne Nicklas- Faust, Geschäftsführerin der Bun- desvereinigung Lebenshilfe und selbst Mutter einer behinderten Tochter, auch auf der Seite der be- hinderten Menschen: „Sie haben oft zuvor schwierige Erfahrungen im Gesundheitsbereich gemacht, die dazu führen, dass sie erst möglichst spät zum Arzt gehen“, erläuterte sie. Andererseits verdankten sie der Medizin viel Lebenszeit.

Entscheidend ist „Weisheit der Kommunikation“

Den Kern barrierefreier gesundheit- licher Versorgung brachte der ehe- malige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutsch- land, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Huber, auf den Punkt: Die ärztlichen Beru- fe seien nicht allein durch naturwis- senschaftliche Expertise und tech- nische Kompetenz geprägt, sondern in entscheidendem Maße durch „die Weisheit der Kommunikation“.

„Die entscheidende Barrierefreiheit ist die Freiheit partnerschaftlicher Kommunikation“, sagte er. Die gro- ße Herausforderung sei es, die Selbstbestimmung des behinderten Menschen und die Fürsorge der Ärzte in Balance zu halten.

„Wir müssen innere sowie äuße- re Barrieren überwinden“, betonte auch Dr. med. Christoph von Ascheraden, Vorstandsmitglied der BÄK. Er verwies darauf, dass mitt- lerweile viele Vorgaben des Geset- zes über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf den Weg ge- bracht worden seien, aber: „Wir sind noch weit davon entfernt, alle Inhalte und Zielsetzungen des Ge- setzes verwirklicht zu haben.“

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), hob den Nationalen Akti- onsplan zur Umsetzung der UN-Be- hindertenrechtskonvention hervor.

Dieser sehe vor, in den nächsten zehn Jahren eine ausreichende An- zahl von Arztpraxen barrierefrei zu gestalten. Barrierefreiheit bedeute allerdings nicht nur die Bereitstel- lung von Rampen, Fahrstühlen und breiten Türen. Vielmehr gehe es auch um andere Kommunikations- Die vier ärztlichen

und zahnärztlichen Organisationen wollen sich gemein- sam um eine barrie- refreie Versorgung kümmern: Wolfgang Eßer, KZBV, Regina Feldmann, KBV, Christoph von Asche- raden, BÄK und Dietmar Oesterreich, BZÄK (von links).

Foto: Mathias Bonatz, KBV

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20. September 2013 A 1721 wege und um das Eingehen auf die

individuellen Bedürfnisse.

Für Patienten mit Sehbehinde- rung, Hörschädigung oder geistiger Behinderung sei es zwar noch im- mer schwer, sich in Krankenhäu- sern und Arztpraxen zurechtzufin- den, erläu terte die Hausärztin Dipl.- Med. Regina Feldmann, Vorstand der KBV. Manchmal helfe es je- doch schon, sich den Patienten mit Behinderung zuzuwenden, sich deutlich auszudrücken oder gut sichtbare Schilder anzubringen, er- mutigte sie die anwesenden Ärztin- nen und Ärzte.

Unterstützung – zumindest bei der Überwindung der äußeren Bar- rieren – gibt es bei der KBV und den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen: „Mit praktischen Tipps hilft die KBV, Praxisinhabern Maßnahmen aufzuzeigen, die auch ohne großen finanziellen Aufwand umsetzbar sind“, erklärte Feld- mann. Eine entsprechende Broschü- re „Barrieren abbauen – Ideen und Vorschläge für Ihre Praxis“ sei auf- grund der großen Nachfrage schon zweimal nachgedruckt worden und könne bei der KBV kostenfreiange- fordert oder im Internet herunterge-

laden werden. Zudem setze sich die KBV derzeit bei der Bundesregie- rung für ein Förderprogramm „Bar- rierearme Praxis“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein.

Mundhygiene fällt Menschen mit Behinderung schwer Die besondere Situation in der Zahnmedizin verdeutlichte Dr.

med. dent. Wolfgang Eßer, stellver- tretender Vorsitzender der KZBV.

Der Leistungskatalog baue darauf auf, dass Patienten eigenverant- wortlich Mundhygiene betrieben.

Menschen mit Behinderung könn- ten dies jedoch oft nicht und erhiel- ten daher nicht die notwendige Be- treuung. „Diese Barriere wollen wir mit unserem Versorgungskonzept abbauen“, sagte er und verwies auf das Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“.

Für Zahnärzte sei es schwierig, Menschen mit einer geistigen Be- hinderung zu erklären, was bei ei- ner Untersuchung passiere und aus welchem Grund. Deshalb sei hier der richtige Umgang mit den Pa- tienten besonders wichtig, betonte Prof. Dr. med. dent. Dietmar Oes- terreich, Vizepräsident der BZÄK.

„Wir wollen externe und interne Barrieren angehen. Eine wertschät- zende Einstellung und offene kom- munikative Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung sollen für Ärzte und Zahnärzte – aber auch für die Gesellschaft – selbstver- ständlich sein“, ergänzte er.

Auf einen besonderen Versor- gungsbedarf von Erwachsenen mit Behinderungen wies Seidel hin. Be- hinderte Kinder könnten in Sozial- pädiatrischen Zentren betreut wer- den. Behinderte jenseits des 18. Le- bensjahrs jedoch fielen nach jahre- langer Betreuung sozusagen in ein Loch. Denn auch Patienten, die gar nicht dazu in der Lage seien, selbst Verantwortung für sich zu überneh- men, seien dann gezwungen, die pädiatrische Versorgung zu verlas- sen. Diese „gesetzgeberische Bar- riere“ beklagte Eßer auch für die Mundgesundheit der Betroffenen.

Die Gruppenprophylaxe wird näm- lich von den Sozialpädiatrischen Zentren ebenfalls nur bis zum 18.

Lebensjahr angeboten.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

@

Broschüre, Vorträge und demnächst auch Checklisten für Ärzte: www.kbv.

de/43908.html

Dr. med. Wolfgang Blank ist Hausarzt im baye- rischen Kirchberg im Wald. Zusammen mit Kollegen versorgt er circa 3 000 Patienten.

Darunter sind zwei Rollstuhlfahrer, vier stark sehbehinderte und etwa 20 stark hörbehinder- te Frauen und Männer. Für zwei Rollstuhlfahrer statt der Eingangstreppe einen Lift anbauen für 40 000 Euro? Nicht finanzierbar. Für vier Seh- behinderte die ganze Praxis umgestalten? Un- realistisch.

Solche umfangreichen Maßnahmen seien denn auch „für viele Kollegen ein rotes Tuch“, stellte Blank fest. Er leitete bei der Kooperati- onstagung einen Workshop, bei dem es in mehreren Arbeitsgruppen um die Ideensuche und den Erfahrungsaustausch für die Umge- staltung zu barrierearmen Praxen ging. Denn viele Ärztinnen und Ärzte, hat Blank anderer- seits festgestellt, wollen etwas ändern. Auch, weil ihre Patienten immer älter werden und da- mit deren Einschränkungen und Behinderun- gen zunehmen.

Der Hausarzt bietet seit längerem Workshops für Ärzte und Medizinische Fachange- stellte an und sagt: „Es geht eher darum, die Barrieren in den Köpfen wegzubekom- men.“ Oder, wie es in einer der Gruppen formuliert wurde:

„Manchmal ist eine empathi- sche Praxis hilfreicher als eine umgebaute, in der der Patient spürt: Hier bin ich eigentlich nicht erwünscht.“

Anregungen, wie ein Praxisteam den Weg zur Praxis erleichtern und die Versorgung dort für Behinderte vereinfachen kann, hatten die Teilnehmer viele: Weiß jeder, welche Hilfen man für den Weg organisieren kann, auch die neue Auszubildende? Sind Behindertenpark- plätze vorhanden, auch solche ohne Festle- gung auf ein Kennzeichen? Mobile Rampen?

Sind die Klingelschilder gut sichtbar und groß,

ist eindeutig, in welchem Stock die Praxis liegt?

Erreicht man als hörbehin- derter Patient den Arzt rasch per Fax oder E-Mail? Gibt es Krückenhalter an der Anmel- dung, eine Garderobe mit Ha- ken in verschiedenen Höhen, Stühle im Wartezimmer, aus denen man auch tatsächlich wieder hochkommt?

Wer sich seine Praxis aus der Perspektive von behin- derten Patienten anschaue, entdecke man- ches, was sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand ändern lasse, befanden alle Arbeits- gruppen. Man könne Betroffene auch bitten, eine gemeinsame Begehung zu machen, lau- tete ein Tipp. Gut geeignet seien dafür ebenso Vertreter von Gesundheitsberufen in der Nach- barschaft wie Physiotherapeuten, jemand vom Sanitätshandel oder ein Architekt. Rie

BARRIEREN BESEITIGEN: FINDIG, NICHT TEUER

P O L I T I K

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