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Archiv "Erstes „PID-Baby“: Es geht nicht um das perfekte Kind" (27.04.2012)

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A 850 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 17

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27. April 2012

ERSTES „PID-BABY“

Es geht nicht um das perfekte Kind

In Lübeck kam im Januar das erste Kind nach Präimplantationsdiagnostik zur Welt. Die Mutter berichtet, warum sie und ihr Mann sich für die umstrittene Methode entschieden haben.

D

ie kleine Mia* ist ein ganz normales Baby. Sie war bei ihrer Geburt 3 070 Gramm schwer, 50 Zentimeter groß, „putzmunter und kerngesund“, berichtete der da- malige Direktor der Unifrauenkli- nik Lübeck, Prof. Dr. med. Klaus Diedrich. Und dennoch ist sie auch etwas Besonderes – sie ist nämlich das erste in Deutschland nach Prä- implantationsdiagnostik (PID) ge- borene Kind. Mia wurde am 27. Ja- nuar im Kinderwunschzentrum Lü- beck geboren.

Bei der PID werden im Zuge ei- ner künstlichen Befruchtung Em- bryonen auf schwere Erbkrankhei- ten hin untersucht. Diese Methode wurde zunächst vom Bundesge- richtshof (BGH) im Jahr 2010 und dann 2011 vom Bundestag erlaubt.

Derzeit erarbeitet das Bundesge- sundheitsministerium eine Rechts- verordnung (dazu Interview und Beitrag in diesem Heft).

Mias Eltern haben sich nach einer langen Leidensgeschichte entschieden , eine PID vornehmen zu lassen. Alles begann im Jahr 2008. „Während meiner damaligen Schwangerschaft stellten die Ärzte fest, dass unser Kind schwerstbe- hindert sein würde. Das Kind hatte so starke Wasseransammlungen, dass es nicht lebensfähig gewesen wäre.“ Deshalb habe sie sich ge- meinsam mit ihrem Mann zu einem Schwangerschaftsabbruch durchge- rungen, berichtet Annette Z.*. Der Grund für die Behinderung blieb ungeklärt.

Die zweite Schwangerschaft en- dete 2010 mit einer Fehlgeburt in der zehnten Woche. „Man hatte uns dann angeraten, es noch einmal zu versuchen.“ Als Annette Z. wieder schwanger wurde, bestätigten sich zu einem relativ späten Zeitpunkt der Schwangerschaft ihre schlimms- ten Befürchtungen. Auch dieser

Embryo war schwerstbehindert.

Annette Z. wollte trotz dieser nie- derschmetternden Diagnose einen Abbruch vermeiden. „Ein behinder- tes Kind, bei dem beispielsweise ein Downsyndrom festgestellt wor- den wäre, hätten wir auf keinen Fall abgetrieben“, sagt sie. „Ich bin ganz ehrlich. Wir haben den Abbruch bis zur 18. Woche hin ausgezögert, in der Hoffnung, dass bei dem Kind das Herz von selbst aufhört zu schlagen.“

Dieses Mal wurde der Fötus un- tersucht, und es wurde die Diagno- se Desbuquois-Syndrom gestellt.

Diedrich erläutert diese Krankheit:

„Das Desbuquois-Syndrom ist eine seltene Skeletterkrankung, die auto- somal-rezessiv vererbt wird. Klini- sche Symptome sind ein pränatal beginnender Kleinwuchs mit rhizo- mel und mesomel verkürzten Glied- maßen, ausgeprägter Überstreck- barkeit der Gelenke, Kyphoskoliose

Bei der Anwen - dung der PID muss eine klare Grenze ge zogen werden.

Diese An sicht ver - treten die Eltern des ersten nach Präim- plantationsdiagnostik geborenen Kindes.

Foto: Fotolia/FirmaV

*Name geändert

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27. April 2012 A 851 und charakteristischen fazialen

Dys morphien.“ Schwere Formen seien mit einer hohen Letalität ver- bunden. „Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.“

An Diedrich hatte sich das Ehe- paar gewandt, nachdem es von der Methode der Präimplantationsdia - gnostik erfahren hatte. Am Lübecker Universitätsklinikum beschäftigten sich Humangenetiker (Prof. Dr.

med. Gabriele Gillessen-Kaesbach) und Reproduktionsmediziner seit Jahren intensiv mit künstlicher Be-

fruchtung und der bereits zugelas- senen Polkörperdiagnostik. Die bis dahin unzulässige PID war noch nicht durchgeführt worden. Doch inzwischen hatte der BGH sie er- laubt, so dass sich Diedrich und sei- ne Kollegen entschieden, die Me- thode anzuwenden. Mia gilt damit als erstes PID-Baby.

Zwar hatte bereits im Jahr 2005 der Berliner Arzt Dr. med. Matthias Bloechle einer Frau nach vier Fehl- geburten mit Hilfe von PID zu ei- nem gesunden Kind verholfen. Da- mals war es allerdings darum ge- gangen, eine Chromosomenstörung auszuschließen. Bloechle hatte sich selbst angezeigt, weil die Untersu- chungsmethode nach dem Embryo- nenschutzgesetz verboten war.

Aufgrund des Urteils des Bun- desgerichtshofs beantragten Died- rich und seine Kollegen bei der universitären Ethikkommission die Erlaubnis, beim Ehepaar Z. eine PID vorzunehmen. Diese erhob keine Einwände. Zunächst wurde Frau Z. dann hormonell stimuliert.

Ihre Erfahrungen damit waren alles andere als positiv. „Es kam zu Wasseransammlungen, die zu ei- nem starken Druck im Bauch führ- ten.“ Schließlich konnten zehn Ei- zellen entnommen werden, von de- nen sechs fertilisiert wurden. Von diesen sechs Embryonen zeigten zwei keinen Hinweis auf die gene- tische Mutation, die das Desbu- quois-Syndrom auslöst. Drei waren Träger der Erkrankung. Der sechs- te Embryo war nicht sicher zu be- urteilen. Die beiden Embryonen

ohne Anlage für das Desbuquois- Syndrom wurden im Blastozysten- stadium in die Gebärmutter über- tragen. Ein Embryo nistete sich nach Transfer ein. „Und dann die- ses Hoffen und Bangen. Hat es ge- klappt? Hat es nicht geklappt?“, er- innert sich Annette Z. Es hätte ja auch passieren können, dass alle Embryonen mit der Krankheit be- lastet gewesen wären oder dass nicht genügend Eizellen vorhanden gewesen wären oder dass sich die transferierten Embryonen nicht entwickelt hätten.

Und wie ist es mit ethischen Be- denken? Mias Mutter lehnt es kate- gorisch ab, eine PID zur Züchtung eines perfekten Kindes anzuwen- den. „Ich glaube nicht, dass sich je- mand einer solchen Prozedur unter- zieht, weil er ein Kind mit blauen Augen haben will“, sagt sie.

Für sinnvoll hält Annette Z. die PID nur, um schwerwiegende Krankheiten auszuschließen. Dann sei sie auf jeden Fall besser als ein belastender Spätabbruch. „Vom Ge-

setzgeber muss aber ganz klar eine Grenze gesetzt werden.“ Und wo sollte diese Grenze verlaufen? Nach kurzem Nachdenken meint Annette Z.: „Bei schwerwiegenden Krank- heiten, die zum Tode führen.“ Sie sieht die PID allerdings durchaus nicht als einzigen Ausweg: „Wir hätten uns auch eine Adoption vor- stellen können.“

Doch das Ehepaar Z. musste sich auch der Kritik im Bekann- tenkreis stellen. „Eine Kollegin sagte mir, sie hätte so einen Schritt

nicht mit ihrem Gewissen verein- baren können.“ Mias Mutter kann das akzeptieren, aber: „Das Leid, das wir jahrelang erfahren haben, kann man sich kaum vorstellen.

Wer das nicht ertragen musste, kann sich auch nicht in uns hinein- versetzen.“ Letztendlich bereue sie es nicht, dass sie diesen Weg

gegangen sei.

Gisela Klinkhammer

Die künstliche Befruchtung kann zur Erfüllung des Kinderwunsches verhelfen.

Die PID kann zur Vermeidung schwerwiegender Erbkrankheiten dienen.

Foto: Fotolia/Liddy Hansdottir

Was denkt die Redaktion über PID? Ist sie tatsächlich in engen Grenzen zu recht- fertigen? Oder ist ein Dammbruch zu befürchten?

Ein Pro und Kontra zu dieser Thematik unter www.aerzteblatt.de/nachrichten/49904.

Seit der Veröffentlichung des „Diskussionsentwurfs zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik (PID)“

im Jahr 2000 hat sich das Deutsche Ärzteblatt intensiv an der Debatte über PID beteiligt. Die Beiträge unter www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung

PID IM INTERNET

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