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Archiv "Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmissbrauch" (10.10.2014)

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(1)

Medizinische Diagnostik

bei sexuellem Kindesmissbrauch

Konzepte, aktuelle Datenlage und Evidenz

Bernd Herrmann, Sibylle Banaschak, Roland Csorba, Francesca Navratil, Reinhard Dettmeyer

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Sexueller Kindesmissbrauch weist weltweit eine Prävalenz von 12–13 % auf (Mädchen 18 %, Jungen knapp 8 %). Dennoch bestehen Unsicherheiten im fachlich korrekten Vorgehen und hinsichtlich der wissenschaftli- chen Grundlagen von mit sexuellem Missbrauch assoziier- ten körperlichen Befunden. Dieser Beitrag fokussiert auf die körperlichen Verletzungsbefunde, nicht auf die psy- chischen beziehungsweise psychiatrischen Folgen.

Methodik: Selektive Literaturrecherche in verschiedenen Datenbanken: PubMed und Gesamtverzeichnis des „Quar- terly Update“.

Ergebnisse: Bei der überwiegenden Mehrzahl missbrauchter Kinder finden sich keine auffälligen körperlichen Befunde.

Die korrekte Erhebung, Dokumentation und auf aktueller Evidenz basierende Interpretation der Gesamtsituation hat erhebliche Implikationen für den Schutz betroffener Kinder.

Schlussfolgerung: Voraussetzung für eine fachgerechte me- dizinische Betreuung sind kinder- und jugendgynäkologische sowie forensische Kenntnisse und die Kenntnis der einge- schränkten Aussagekraft medizinischer Befunde bei Berück- sichtigung aktueller Empfehlungen, Leitlinien und Klassifika- tionen. Trotz der medizinischen Befunderhebung beruht die Diagnose des sexuellen Missbrauchs von Kindern in erster Linie auf einer qualifiziert erhobenen Aussage des Kindes.

Die hohe Rate an Normalbefunden (> 90 %) und die Gründe dafür müssen jedem Arzt bekannt sein. Die medizinische Un- tersuchung kann dazu beitragen, ein missbrauchsbedingtes pathologisches Körperselbstbild durch die Bestätigung kör- perlicher Normalität und Integrität zu entlasten.

►Zitierweise

Herrmann B, Banaschak S, Csorba R, Navratil F, Dettmeyer R: Physical examination in child sexual abuse—

approaches and current evidence. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 692–703. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0692

„Child sexual abuse is more common than childhood cancer, juvenile diabetes and congenital heart disease combined...“ (1).

E

ine Zusammenfassung von 39 Prävalenzstudien aus 28 Ländern aus den Jahren 1994–2007 ergab für sexuellen Kindesmissbrauch Prävalenzen von 10–20 % bei Mädchen und 5–10 % bei Jungen, was frühere Daten bestätigt (2, e1). Eine Metaanalyse von 323 Studien mit 9,9 Million Betroffenen weltweit ergab eine Prävalenz von 12,7 % (Mädchen 18 %, Jungen 7,6 %) (3). Das US-amerikanische Pflichtmeldesystem für Kindesmisshandlung verzeichnet 60 000–80 000 be- stätigte Fälle jährlich mit rückläufigem Trend (4). Daten aus Deutschland sind kaum erhältlich, es wird eine hohe Dunkelziffer angenommen. Ebenso wenig gibt es seriö- se Zahlen hinsichtlich der Häufigkeit von Unterformen des sexuellen Missbrauchs. In der Literatur wird ein le- benslang wirkender Zusammenhang zwischen sexueller Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend und chronischen seelischen und körperlichen Erkrankungen im Erwachse- nenalter gesehen (e2). Die ärztliche Auseinandersetzung mit dem Thema hat sich erst in den letzten Jahren hin zu evidenzbasierter Forschung und konsensusbasierter Fest- legung der „Best Clinical Practice“ entwickelt (5, e3–e6) und erfährt zunehmend auch in Deutschland fachliche Akzeptanz (6, 7, e7, e8). Dies gilt auch für die psychia - trischen und psychosomatischen Aspekte des sexuellen Missbrauchs von Kindern (e9).

Lernziele des vorliegenden Beitrages sind

die stärkere Beachtung des Stellenwertes medizi- nischer Diagnostik und des obligat multiprofes- sionellen Umgangs bei sexuellem Kindesmiss- brauch als umfassende ärztliche Versorgung eines Patienten zu fördern.

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikum Kassel: Dr. med. Herrmann Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Köln (AöR): Dr. med. Banaschak Institut für Rechtsmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen:

Prof. Dr. med. Dr. jur. Dettmeyer

Kinder- und Jugendgynäkologische Praxis, ehemals Universitätskinderklinik Zürich: Dr. med. Navratil

Universitätsklinik Debrecen, Gynäkologische Abt., Ungarn: PD Dr. med. Csorba

Punkte 3

cme

Teilnahme nur im Internet möglich:

aerzteblatt.de/cme

Prävalenz

Eine Metaanalyse von 323 Studien mit 9,9 Millio- nen Betroffenen weltweit ergab eine Prävalenz von 12,7 % (Mädchen 18 %, Jungen 7,6 %).

Daten aus Deutschland sind kaum erhältlich.

(2)

ein intensiveres Verständnis für den Nutzen und die potenziell günstige Auswirkung der medizini- schen Untersuchung auf betroffene Kinder trotz relativ selten nachweisbarer diagnostisch weg- weisender Befunde zu wecken und

die Würdigung medizinischer Befunde mit ihrer unterschiedlichen Hinweiskraft und den Be- schränkungen ihrer Evidenz zu verbessern.

Definition

Sexueller Kindesmissbrauch beschreibt die Einbezie- hung von Kindern und Jugendlichen in sexuelle Aktivi- täten, die sie nicht vollständig erfassen können und bei denen sie entwicklungsbedingt außerstande sind, als gleichberechtigt agierende Person einzuwilligen. So- ziale Tabus werden dabei verletzt, Erwachsene nutzen den Macht- und Altersunterschied durch Überreden und/oder Zwang. Die Absicht Erwachsener, Kinder für eigene sexuelle Erregung und Befriedigung zu nutzen, ist zentrales Merkmal des Missbrauchs. Das Spektrum reicht von nichtberührenden, nichtinvasiven Handlun- gen („Hands-off-Kontakte“) bis zur Vergewaltigung.

Der Missbrauch ist ein meist chronisches, komplexes und häufig stark traumatisierendes Ereignis für das Op- fer, häufig verübt von Angehörigen oder Vertrauensper- sonen im Kontext von Beziehungsabhängigkeit und starken Autoritätsbeziehungen (e10). Für die Opfer be- ängstigend, emotional verstörend und verbunden mit einer fundamentalen Störung der sexuellen Entwick- lung, kann der Missbrauch tiefgreifende Schuld- und Schamgefühle erzeugen sowie zu einem geringen Selbstwertgefühl mit familiärer sowie sozialer Isolation führen (e11). Er hat erheblichen, aber variablen Ein- fluss auf die seelische, emotionale und körperliche Ge- sundheit (5, e7).

Umgang mit Verdacht auf sexuellen Missbrauch

Der Umgang mit Kindern bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch erfordert einen hohen zeitlichen Auf- wand, Fortbildung und Engagement. Ärzte sind ge- fordert, ein empathisches, zugleich rationales und fachlich fundiertes Vorgehen zu praktizieren („Cool science for a hot topic“). Entscheidend ist es, die Problematik zu erkennen, was Aufmerksamkeit und Vertrautheit mit anamnestischen, somatischen und psychischen Hinweisen erfordert. Auch wenn über 90 % missbrauchter Kinder einen unauffälligen kör- perlichen Untersuchungsbefund aufweisen (8, 9), ist

der forensisch-diagnostische Aspekt der Untersu- chung nicht zu vernachlässigen, weil auch der fehlen- de Nachweis von Befunden forensisch bedeutsam sein kann. In den meisten Fällen beruht die Diagnose auf einer einfühlsam und nicht suggestiv erhobenen Aussage durch einen hierfür qualifizierten Arzt bezie- hungsweise Gutachter. Eine Vielzahl von psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten können Folge sexuellen Missbrauchs sein, ohne dass eine ein- zelne Auffälligkeit oder auch eine Kombination von Auffälligkeiten eine verlässliche Dia gnose erlauben.

Die fachlich korrekte Erhebung, Dokumentation und Interpretation vorliegender Befunde auf der Grund - lage aktueller Empfehlungen, Leitlinien und Klassifi- kationen, kann dennoch erhebliche Implikationen für den Schutz dieser Betroffenen haben. Neben kinder- und jugendgynäkologischen Kenntnissen ist auch eine multiprofessionelle Vernetzung obligat unter Einbe- ziehung der medizinischen Fachdisziplinen, der Ju- gendämter und anderen Einrichtungen (5, 10, 11, e8, e12). Die Behandlung möglicher Folgen (Verletzun- gen, Infektionen) und die Prophylaxe sexuell über-

Definition

Sexueller Missbrauch beschreibt die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in sexuelle

Aktivitäten, die sie nicht vollständig erfassen können und bei denen sie außerstande sind, als gleichberechtigt agierende Person einzuwilligen.

Erkennen der Problematik

Eine Vielzahl von psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten können Folge sexuellen Missbrauchs sein, ohne dass eine einzelne Auffäl- ligkeit oder auch eine Kombination von Auffällig- keiten eine verlässliche Dia gnose erlauben.

KASTEN 1

Anatomische Normvarianten der Genitalregion bei Mädchen

Varianten der Konfiguration des Hymens: Hymen altus, septiertes oder mikroperforiertes Hymen

anteriore oder superiore Kerben des Hymenalsaums

externe Hymenalgrate

Längsverlaufende intravaginale Schleimhautfalten („Längsgrate“) (Abbildung 2)

Wülste oder Vorsprünge des Hymenalsaums

polypartige Hymenalanhängsel

periurethrale und vestibuläre Bänder

Erytheme des Vestibulums

kongenitale Pigmentierungen

urethrale Dilatation bei labialer Traktion (Abbildung 2)

die sogenannte Linea vestibularis, eine avaskuläre me- diane Aufhellungslinie in der Fossa navicularis

(3)

tragener Infektionen oder einer Schwangerschaft sind weitere ärztliche Aspekte. Die Bestätigung phy- sischer Normalität, Integrität und Gesundheit durch den Arzt als Körperspezialisten, kann als primär the- rapeutischer Aspekt der Untersuchung helfen, die häufig bestehende pathologische Körperselbstwahr- nehmung der Opfer zu korrigieren. Dies kann als Weichenstellung für die nachfolgende, meist psycho- therapeutisch begleitete Bewältigung fungieren. Die medizinische Untersuchung ist somit in erster Linie als umfassendes Angebot ärztlicher Versorgung eines Patienten und nicht als Ermittlungsauftrag zu verste- hen.

Anamnese

Die allgemeine und kindergynäkologische Anamnese erfasst die physische, emotionale und soziale Situati- on des Patienten. Auch wenn es anlässlich der kör- perlichen Untersuchung meist nicht erforderlich ist, alle Details (erneut) zu erfragen, sind Kenntnisse zum Tatgeschehen und zur Einschätzung des medizi- nischen Befundes bedeutsam. Wenn möglich, sollten diese zunächst unabhängig vom Kind eingeholt wer- den. Bisweilen kann das Vertrauensverhältnis zwi- schen Arzt und Patient zu einer Aussage des Kindes führen: „I can tell you, because you are a doctor“ (8, 12, e13). Eine separate Anamnese mit dem Kind ist ratsam. Einstiegsfragen können sein, ob das Kind weiß, warum es zur Untersuchung kommt oder ob es etwas gibt, was dem Kind Sorgen bereitet. Grundvo-

raussetzung ist eine ruhige und akzeptierende Atmo- sphäre sowie eine freundliche, offene und nicht wer- tende Einstellung des Untersuchers. Fragen sollten einfach, nicht führend und nicht suggestiv sein, Ant- worten sind möglichst wörtlich zu dokumentieren.

Die emotionale Reaktion auf die Untersuchung wird zum Teil von der Qualität und Einfühlsamkeit der Untersuchung bestimmt, aber auch erheblich von präexistierenden Faktoren wie allgemeiner Ängst- lichkeit, vorhergehenden Arzterfahrungen, Alter, Entwicklungsstand und Art des Missbrauchs. Im All- gemeinen werden schonend durchgeführte und nicht erzwungene Untersuchungen von den Kindern gut toleriert (13). Die Anamnese und Vorbereitung des Kindes auf die Untersuchung sind deutlich zeitauf- wändiger als die Untersuchung selbst, welche in der Regel nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Ins- gesamt ist mit einem Zeitaufwand von 30–45 Minu- ten zu rechnen.

Klinische Untersuchung

Die medizinische Untersuchung soll nur nach entspre- chender Vorbereitung und mit Einverständnis des Kin- des durchgeführt werden. Sie dient hauptsächlich der Beurteilung des Anogenitalbefundes. Kommt es zu phy- sischen Verletzungen, ist die rasche und meist vollstän- dige Regenerationsfähigkeit anogenitaler Gewebe ent- scheidend für die Seltenheit von Befunden. Anamnes- tisch ist daher das Zeitintervall zwischen Missbrauch und Untersuchungszeitpunkt zu berücksichtigen. Da es typischerweise zu einer zeitlich verzögerten ärztlichen Vorstellung kommt, ist ein Großteil der Verletzungen meist abgeheilt. Aus forensischen Gründen sollte für den erfolgreichen Nachweis biologischer Spuren (Sper- mien) bei kurz zurückliegendem Ereignis (präpubertär etwa 24, pubertär etwa 72 Stunden) und aus medizini- schen Gründen bei blutenden Verletzungen eine soforti- ge ärztliche Vorstellung erfolgen (e14). Liegt der Miss- brauch wenige Tage zurück, ist eine rasche aber nicht notfallmäßige Vorstellung sinnvoll. Sedierungen bezie- hungsweise Narkosen sind nur bei akut blutenden Ver- letzungen indiziert, weil dem Kind die Möglichkeit ei- ner aktiven Bewältigung der Situation und Bestätigung seiner körperlichen Integrität genommen wird. Instru- mentelle vaginale Untersuchungen sind bei präpubertä- ren Kindern nicht indiziert, bei Adoleszenten möglich, aber allein wegen des Verdachts auf einen Missbrauch meist nicht erforderlich. Eine anale oder vaginale Palpa- tion ist kontraindiziert. Die Erhebung des Ganzkörper-

Anamnese

Die allgemeine und kindergynäkologische Anamnese erfasst die physische, emotionale und soziale Situation des Patienten.

Klinische Untersuchung

Das oft große Zeitintervall zwischen

Missbrauch und Untersuchungszeitpunkt als auch ein häufig nicht mit Verletzungen einhergehender Missbrauch sind die wichtigsten Gründe für die Seltenheit auffälliger Befunde.

KASTEN 2

Normale perianale Befunde

ohne Aussagekraft hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs

Erytheme

vermehrte Pigmentierung

(auch zirkuläre) venöse Stauungen

polypoide Anhängsel

glatte keilförmige Bezirke in der Mittellinie („Diastasis ani“) durch Kreuzungsvariationen der darunter verlaufenden Schließmuskelfasern

(4)

status ist obligatorisch, vermeidet das Fokussieren auf die Anogenitalregion und das Übersehen extragenitaler Verletzungen (8, 14, 15).

Die Untersuchung bei Verdacht auf sexuellen Miss- brauch ist im Wesentlichen eine Inspektion der Ano - genitalregion durch Variieren verschiedener Unter - suchungsmethoden und Techniken bei geeigneter Positionierung des Kindes: Rückenlage, Knie-Brustla- ge, Seitenlage (5, 10, e6, e15). Die Kombination der drei Standardtechniken Separation, labiale Traktion und Knie-Brust-Lage erhöht die Ausbeute auffälliger Befunde und wird in der neuesten Klassifikation nach Adams für die Einordnung eines Befundes als „bewei- send“ gefordert (11, 16) (Abbildung 1). Alle Verletzungs- befunde sind sorgfältig zu dokumentieren (17). Die Nut- zung eines Kolposkops stellt mittlerweile den „standard of care“ dar und verbindet eine ausgezeichnete Beleuch- tungsquelle, Vergrößerung und hochwertige Dokumenta- tion. Dies ermöglicht die für beweisende Befunde mittler- weile ebenfalls geforderte spätere Befundüberprüfung und Zweitmeinung und vermeidet die Notwendigkeit weiterer, unter Umständen traumatisierender Wiederholungsunter- suchungen (8, 10, 11, 14–16, 18, e16).

Anogenitale Befunde

Normalbefunde

Das Erscheinungsbild des äußeren Genitale, insbesondere des Hymens, wird vom Alter des Kindes, konstitutionellen sowie hormonellen Faktoren beeinflusst und stellt sich in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich dar. Das östrogenbedingt hell-rosige, wulstige Hymen des Neuge- borenen und jungen Säuglings entwickelt sich von einer anulären Konfiguration bei nachlassender Östrogenwir- kung postnatal zur typischen semilunären (Abbildung 2) oder halbmondförmigen Konfiguration in der hormonel- len Ruhephase, bevor als erstes Zeichen der beginnenden Pubertät wieder Östrogenisierungszeichen auftreten. Die anatomischen Normvarianten der Genitalregion (bei Mäd- chen) und der Perianalregion sind in Kasten 1 und Kasten 2 genannt. Sie entsprechen der Befundklasse 1 der soge- nannten Adams-Klassifikation (Kasten 3) (11).

Viele der früher fälschlich als missbrauchsbedingt in- terpretierten Befunde werden heutzutage den Normalbe- funden und -varianten zugeordnet. Insbesondere die Weite der hymenalen Öffnung hat keinerlei Aussagekraft. Tam- pons führen unter Umständen zu einer Erweiterung der Hymenalöffnung, aber nicht zu einer Verletzung. Gym- nastik, Laufen, Springen oder Spagat verletzen das Hy- men ebenso wenig wie Masturbation (e6, e11, e17–e24).

Normalbefunde trotz Penetration

Die medizinisch plausible Vereinbarkeit penetrierenden Missbrauchs mit nachfolgend erhobenen medizinischen Normalbefunden muss weiterbetreuenden Fachleuten und Vertretern der Ermittlungsbehörden (Polizei, Staatsan- waltschaft) bekannt sein, um Fehleinschätzungen der Glaubwürdigkeit der Opfer zu vermeiden. Der Terminus

„Virgo intacta“ suggeriert gerade Nichtmedizinern (vor al- lem Juristen) eine über den anatomischen Befund hinaus- gehende Vorstellung einer „intakten Jungfrau“. Die Frag- würdigkeit des Begriffs im Kontext eines möglichen sexu- ellen Missbrauchs verdeutlicht eine Studie, in der nur bei 2 (6 %) von 36 schwangeren Teenagern eindeutige Hinwei- se auf eine zurückliegende Penetrationsverletzung gefun- den wurden und nur bei 4 (11 %) verdächtige Befunde:

„Normal does not mean nothing happened“ (19). Das be- deutet, dass Normalbefunde bei Opfern sexuellen Kindes- missbrauchs mit oder ohne Penetration, chronisch und akut, die Regel darstellen und nicht die Ausnahme. Die Verwendung des Begriffes „Virgo intacta“ ist somit im Kontext des sexuellen Missbrauchs obsolet (9, 20–22).

Anogenitale Befunde bei missbrauchten Kindern

Anogenitale Befunde bei sexuellem Kindesmissbrauch unterliegen je nach Art und Häufigkeit des Missbrauchs großer Variabilität. Hierbei beeinflussen gegebenenfalls verwendete Objekte, der Grad der angewendeten Gewalt, das Alter des Kindes und die Intensität eventueller Gegen- wehr die Befunde (e25). Die einzigen Faktoren, die signi-

Anogenitaler Normalbefund

Viele der früher fälschlich als missbrauchsbedingt interpretierten Befunde werden heutzutage den Normalbefunden und -varianten zugeordnet.

Faktoren, die signifikant mit missbrauchs - assoziierten Befunden korrelieren, sind:

• Angabe von Schmerzen

• vaginale Blutungen

• verstrichene Zeit seit dem letzten traumati- schen Ereignis

KASTEN 3

Vereinfachte Version der Adams-Klassifikation*

Adams I: Normalbefunde und medizinisch anderweitig erklärbare Befunde

Adams II: Befunde mit unklarer Signifikanz, verdächtig auf ursächlichen sexuellen Missbrauch

Adams III: Verletzungsbefunde, die die Diagnose eines sexuellen Missbrauchs erlauben

*aus: Herrmann B: Übersetzte und kommentierte Adams-Klassifikation 2008–11. Info KIM 2014; 4: 2–4 (e26).

(5)

fikant mit der Diagnose missbrauchsassoziierter Befunde korrelieren, sind:

Angabe von Schmerzen

vaginale Blutungen

verstrichene Zeit seit dem letzten traumatischen Er- eignis (1).

Die Klassifizierung von Befunden ist hilfreich für Zu- ordnung, Verständnis und Interpretation. Weitgehend ak- zeptiert und wichtigste Leitlinie für die Bewertung von anogenitalen Befunden im Zusammenhang eines mögli- chen Missbrauchs ist die dreistufige sogenannte „Adams- Klassifikation“. Sie wurde in der letzten Dekade konsen- susbasiert, fortlaufend aktualisiert und weiterentwickelt, zuletzt im Jahr 2011 (Kasten 3) (11, e26).

Genitale Verletzungsbefunde bei sexuell missbrauchten Mädchen

Das Befundspektrum reicht von unspezifischen Ery- themen und Abrasionen bis zu schwerwiegenden Pe- netrationsverletzungen. Die Mehrzahl missbrauchs-

bedingter Befunde finden sich im posterioren Be- reich des Hymens/Introitus. Eine Unterbrechung des hymenalen Randsaums zwischen der 3 und 9 Uhr Po- sition in Rückenlage wird durch eine (penile oder an- derweitige) Penetration verursacht, die sich oft in der Kniebrust-Lage am deutlichsten darstellt. Als Folge davon bilden sich V-förmige Kerben (Abbildung 3) oder Spalten, die im Verlauf einen glatteren, U-för- migeren Aspekt entwickeln können und Konkavitä- ten genannt werden. Selbst Einrisse des präpubertä- ren Hymens können ad integrum heilen (23, 24).

Genitale Verletzungsbefunde bei sexuell missbrauchten Jungen

Noch deutlich seltener als mit 5–10 % bei Mädchen (1, 22) finden sich Verletzungen bei missbrauchten Jungen (ca. 1–3 %) in Form von Fissuren, Abrasionen (Oberhaut-/Hautablösungen) des Penisschaftes, der Glans penis, Einrisse des Frenulums der Glans penis, Petechien sowie Biss- und Saugmarken (25, e27, e28).

Genitale Verletzungsbefunde bei sexuell missbrauchten Mädchen

Die Mehrzahl missbrauchsbedingter Befunde finden sich im posterioren Bereich des Hymens/

Introitus.

Genitale Verletzungsbefunde bei sexuell missbrauchten Jungen

Es finden sich Verletzungen in Form von Fissuren, Abrasionen des Penisschaftes, der Glans penis, Einrisse des Frenulums der Glans penis, Petechien sowie Biss- und Saugmarken.

Abbildung 1:

Untersuchung:

a) Rückenlage b) Kniebrustlage

c) Seitlage d) labiale Traktion e) labiale Separation (Mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlages aus Herrmann et al.

2010) (5)

(6)

Verletzungen der Analregion bei sexuellem Missbrauch

Akute und massive Verletzungen der Analregion, wie tiefe perianale Einrisse und Hämatome, sind au- genscheinliche Folgen akuter analer Penetrationen.

Innere Verletzungen sind mittels Anoskopie diagnos- tizierbar und gegebenenfalls mit einer Spurensiche- rung zu verbinden. Chronische Veränderungen der Analregion werden kontrovers diskutiert. Dazu zählt vor allem die so genannte „anale Reflexdilatation“, die nur bei mehr als 2 cm Weite der Analöffnung und ohne Stuhl in der Ampulle als missbrauchsverdächti- ger, jedoch nicht beweisender Befund interpretiert werden kann. Anale Fissuren können als Folge ana- ler Penetration entstehen, sind jedoch ein unsicherer Hinweis. Sie werden oft einer Obstipation zuge- schrieben, werden dabei jedoch nicht häufig gefun- den (11, 26, 27).

Beweisende Befunde

Eine Schwangerschaft, Befunde der Klasse Adam 3 und der Nachweis von Täter- DNA (siehe Spurensi- cherung) gelten als beweisende Befunde für einen stattgehabten Sexualverkehr (11).

Wissenschaftlich-methodische Probleme der Evidenz

Ein grundsätzliches Problem der Evidenz im medizi- nischen Kinderschutz ist der fehlende Goldstandard.

Die gegebenen Informationen sind psychologisch im Sinne ihrer Plausibilität und Glaubwürdigkeit einzu- ordnen, aber faktisch nicht überprüfbar.

Das führt dazu, dass in vielen Fällen eine Miss- handlungsdiagnose erfolgt aufgrund:

der Angaben von Betroffenen

vorgegebener Kriterien

der Einschätzung eines multiprofessionellen Kinderschutzteams.

Hierbei ergibt sich unter anderem die Gefahr von Zirkelschlüssen: Diagnose aufgrund aktuell akzep- tierter Kriterien führt zu einer gerichtlichen Verurtei- lung, die wiederum als Kriterium für die Gültigkeit der Diagnose und der angewandten diagnostischen Kriterien gewertet wird (20). Eine weitere methodi- sche Schwierigkeit besteht darin, das subjektive Empfinden der Opfer mit dem tatsächlichen Ablauf („Er hat ein Messer unten rein gesteckt“) und somit die Befunde mit der Anamnese zu korrelieren. Es gibt keine Untersuchungen, ab welchem Alter Kin-

der entwicklungsbedingt in der Lage sind, zum Bei- spiel „dran“ von „drinnen“ zu unterscheiden.

Aufgrund der ethischen Unmöglichkeit randomi- sierte Studien durchzuführen, liegt zur Bewertung medizinischer Befunde bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch vordergründig nur minderwertige Evi- denz in Form von Fallkontrollstudien, Kohortenstu- dien und Kasuistiken vor. Es können somit kaum klassische, hochwertige Evidenzkriterien angelegt werden. Es ist jedoch ein Missverständnis, evidenz- basierte Medizin (EBM) auf randomisierte, kontrol- lierte Studien zu reduzieren. Bei differenzierter Be- trachtung bedeutet EBM den bewussten, ausdrückli- chen und wohlüberlegten Gebrauch der jeweils besten verfügbaren Informationen für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen ist sie somit auch für die Diagnose eines sexuellen Missbrauchs möglich (28, 29). Hierzu liegen eine Reihe auch aktu- eller Publikationen vor, die neben grundsätzlichen Überlegungen die derzeitige Datenlage kritisch betrachten (15, 30, 31, e12).

Datenlage zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen

In Pillais Analyse der Literatur (2008) zum Ausmaß evi- denzbasierter Forschung fanden sich 10 Studien zur nor- malen anogenitalen Anatomie (mit knapp 1 000 einge- schlossenen Kindern), 6 Fallkontrollstudien (Vergleich missbrauchter und nicht missbrauchter Kinder) und 6 Studien zu Heilungsverläufen (30). Die Evidenz wird als begrenzt beurteilt, die Daten stammten fast aus- schließlich aus den USA. Die Kernaussagen waren, dass

die überwiegende Zahl der minderjährigen Op- fer keine auffälligen Befunde aufweisen

ein posteriorer Randsaum von 1 mm außer bei einzelnen missbrauchten Mädchen immer vorhan- den war, jedoch methodisch problematisch sei,

dass Messungen des Genitale generell ungeeignet seien, die Frage eines etwaigen Missbrauchs zu beantworten

dass genitale Verletzungen meist schnell und vollständig heilen; dies gelte für oberflächliche und mittelgradige Hymenaleinrisse während voll- ständige in der Regel persistierten

eine Narbenbildung nach Hymenalverletzung nie nachgewiesen wurde.

Berkoff et al. fanden im Jahr 2008 in einem systema- tischen Review der Literatur zu präpubertären Mäd-

Wissenschaftlich-methodische Probleme der Evidenz

Die gegebenen Informationen sind

psychologisch im Sinne ihrer Plausibilität und Glaubwürdigkeit einzuordnen, aber faktisch nicht überprüfbar.

Evidenzlage

Zur Bewertung medizinischer Befunde bei

Verdacht auf sexuellen Missbrauch gibt

es begrenzte Evidenz in Form von Fallkontroll -

studien, Kohortenstudien und Kasuistiken.

(7)

chen lediglich 11 geeignete Arbeiten (31). Sie schluss- folgerte dass

die Treffsicherheit und Genauigkeit anogenitaler Befunde isoliert zu gering sei, um sicher auf einen sexuellen Missbrauch zu schließen

tiefe oder vollständige Unterbrechungen des Hy- menalsaums zwischen 4 und 8 Uhr einen sexuel- len Missbrauch nahe legen.

Heppenstall-Heger et al. (2003) wiesen prospektiv über 10 Jahre bei 94 sexuell-penetrierend miss- brauchten Patientinnen in 37 Fällen Hymenalverlet- zungen nach (32). 15 komplette Einrisse des Hymens waren auch bei späteren Kontrolluntersuchungen

nachweisbar. Partielle Einrisse, Hämatome, Abrasio- nen heilten ausnahmslos ad integrum. Anale Verlet- zungen heilten in 29 von 31 Fällen vollständig, nur in zwei Fällen kam es zur Narbenbildung. In einer Fallkontrollstudie von Berenson et al. (2000) an 192 sexuell missbrauchten 3- bis 8-jährigen Mädchen und einer sorgfältig ausgesuchten Kontrollgruppe fanden sich nur geringe Unterschiede bei den ano - genitalen Befunden, hinweisende Befunde in 5 % und beweisende Befunde in 2,5 % (33). Letztere im- ponierten als tiefe oder vollständige posteriore Ker- ben des Hymens, Perforationen, akute Einrisse der Vulva und Ekchymosen. Oberflächliche Kerben des Hymens fanden sich in beiden Gruppen (34).

Die bislang größte Multicenterstudie von McCann et al. (2007) mit 239 Verläufen differenzierte in zwei Veröffentlichungen hymenale und extrahymenale Befunde akuter anogenitaler Verletzungen (23, 24).

Die Studiengruppe bestand aus 113 präpubertären und 126 adoleszenten Mädchen. Außer bei tiefen, vollständigen Hymenaleinrissen heilten alle Verlet- zungen ad integrum:

Abrasionen und kleinere Hämatome in 3–4 Tagen

Petechien in 48 h präpubertär und 72 h pubertär

deutliche Hämatome in 11–15 Tagen

blasige Abhebungen der Haut mit blutig tingier- tem Blaseninhalt waren bis 34 Tage nachweisbar

viele Hymenaleinrisse (oberflächliche und tiefe) heilten folgenlos (präpubertär 15/18, pubertär 30/34), in keinem Fall wurde eine Narbenbildung beobachtet.

Sexuell übertragbare Erkrankungen

Sexuell übertragene Erkrankungen sind selten (1–4 %), können in Einzelfällen jedoch die einzigen medizinischen Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch sein. Ein gene- relles Screening ist in Abwesenheit vaginalen Fluors, spe- zifischer Läsionen oder einer Anamnese von Schleimhaut- kontakt nicht indiziert (34). Der Nachweis von HIV, Sy- philis und Gonorrhö ist nach Ausschluss einer perinatalen Infektion beziehungsweise Transfusion bei HIV ein be- weisender Befund (8, 11, 14, e29–e32). Anogenitale War- zen (Condylomata acuminata) sprechen per se nicht für ei- nen sexuellen Missbrauch, es sollte jedoch nach etwaigen koexistierenden Befunden und sexuell übertragenen In- fektionen gesucht werden. Läsionen nach dem 6. bis 8.

Lebensjahr sind möglicherweise verdächtiger (e33, e34), auch der Nachweis von Trichomaden muss an einen sexu- ellen Missbrauch denken lassen.

Kernaussagen der Datenlage

• Messungen des Genitale alleine sind ungeeignet, die Frage eines etwaigen Missbrauchs zu beantworten.

• Viele Hymenaleinrisse heilen folgenlos und ohne Narbenbildung.

Sexuell übertragbare Krankheiten

Der Nachweis von HIV, Syphilis und Gonorrhö ist nach Ausschluss einer perinatalen Infektion beziehungsweise Transfusion bei HIV ein beweisender Befund.

Abbildung 2:

Normalbefund – semilunäres Hymen mit intravaginal sichtbaren Längsgraten und leichter periurethraler Dilatation.

Abbildung 3:

Komplette Kerbe bei 6 Uhr (Pfeile) –

Befund der Klasse Adams III (Mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlages aus Herrmann et al.

2010)

(8)

Differenzialdiagnosen

Zu den am häufigsten zu berücksichtigenden Diffe- renzialdiagnosen zählen akzidentelle anogenitale Verletzungen (35, e35). Typische Kennzeichen fin- den sich in Kasten 4.

Als weitere Differenzialdiagnosen sind verschie- dene dermatologische Erkrankungen und Infektio- nen (zum Beispiel mit β-hämolytischen Streptokok- ken der Gruppe A) in Betracht zu ziehen. Zu Irrita- tionen und Fehl diagnosen kann unter anderem ein anogenitaler Lichen sclerosus et atrophicus führen (e36). Dabei kommt es im Rahmen der Hautatrophie zu teils ausgeprägten Hautunterblutungen im Geni- talbereich (Abbildung 4). Vaginale Blutungen sind am häufigsten entzündlich bedingt (etwa 70 %), sel- tener durch Fremdkörper, Hämangiome oder Puber- tas praecox. Ein Sarcoma botryoides muss durch ei- ne Vaginoskopie ausgeschlossen werden. Differenzi- aldiagnostisch bedeutsam bei Verdacht auf analen Missbrauch sind gelegentlich Fissuren bei chroni- scher Obstipation oder bei Morbus Crohn, ein Rek- talprolaps oder eine Proktitis bei einer CMV-Infekti- on (35).

Spurensicherung

Forensische Befunde durch den Nachweis von Täter- DNA sind aufgrund der typischerweise Tage bis Wo- chen zurückliegenden Missbrauchsereignisse die Ausnahme. Wird das Opfer allerdings unmittelbar nach der Tat vorstellig, so gelingt der Nachweis von Täter-DNA mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit (trockener Wattestiel-Tupfer, Abstrich-Entnahme, an der Luft trocknen lassen oder direkt auf einen Ob- jektträger ausstreichen und trocknen lassen). Präpu-

bertär werden Spuren insgesamt selten und nur in Einzelfällen später als nach 24 h nachgewiesen, mehr Augenmerk sollte auf (Bett-)Wäsche gelegt werden (35–37, e34–36).

Sollte eine Spurensicherung nach einem akuten Ereignis indiziert sein, ist zu beachten, dass in ver- schiedenen Studien kein Zusammenhang zwischen dem Nachweis biologischer Spuren und dem Vorhan- densein von Verletzungen bei der körperlichen Un- tersuchung oder hinsichtlich der Aussage des Kindes gefunden wurde (e37–e39). Die Entnahme ist im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch einen

Spurensicherung

Forensische Befunde durch den Nachweis von Täter-DNA sind aufgrund der typischerweise Tage bis Wochen zurückliegenden Missbrauchs - ereignisse die Ausnahme.

Rechtslage

Der § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) und das neue Bundeskinderschutzgesetz (Meldebefugnis) ermöglichen nach sorgfältiger Abwägung den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 StGB) zum Schutz der Opfer.

Abbildung 4:

Lichen sclerosus et atrophicus mit perivaginaler und perianaler Aufhellung („Uhrglasfigur“) und Hauteinblutungen

KASTEN 4

Akzidentelle anogenitale Verletzungen

eher anteriore, äußerliche und einseitig lokalisierte, meist geringfügige und eher oberflächliche Verletzungen des äußeren Genitale, v.a. der Labia majora et minora und der Klitoris (meist Prellungen mit Hämatomen, seltener Hauteinrisse, sehr sel- ten tiefe, penetrierende Verletzungen)

selten invasive oder penetrierende Verletzungen

die Anamnese zum akzidentellen Geschehen ist üblicherweise spontan, akut, dramatisch und konsistent

es wird meist rasch medizinische Hilfe gesucht

(9)

erfahrenen Arzt vorzunehmen. Die Abstrichtupfer müssen in Absprache mit der Rechtsmedizin ein - deutig beschriftet und verschlossen trocken aufbe- wahrt werden. Von der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin sind Empfehlungen zum Umgang mit dem Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch pu- bliziert (38).

Rechtslage und ärztliche Intervention

Grundsätzlich gilt auch bei der Behandlung sexuell missbrauchter Kinder die ärztliche Schweigepflicht (§ 203 StGB). Soll diese durchbrochen werden, be- darf es dafür eines anerkannten Rechtfertigungs- grundes. Kommt die Einwilligung der Sorgeberech- tigten (Eltern) als Rechtfertigungsgrund nicht in Be- tracht, so ist an eine gesetzliche Offenbarungsbefug- nis zu denken, unter Umständen an den sogenannten rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB. Das am 1. 1. 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzge- setz (BKiSchG) erlaubt in § 4 BKiSchG grundsätz- lich die Weitergabe von Informationen an das Ju- gendamt, wenn ein schrittweises Procedere eingehal- ten wird (Kasten 5).

Das neue BKiSchG hat somit auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern eine Meldebefugnis, kei- neswegs jedoch eine Meldepflicht etabliert. Ebenso- wenig ist die ärztliche Schweigepflicht aufgehoben.

Hilfreich sind darüber hinaus die Leitlinien des Bun- desministeriums der Justiz zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden bei Sexualstraftaten (39).

Schlussfolgerungen

Verdachtsfälle von sexuellem Kindesmissbrauch er- fordern eine fachgerechte, zeitaufwendige und ver- antwortungsbewusste medizinische Diagnostik.

Diese muss durch einen sowohl kinder- und jugend- gynäkologisch als auch forensisch erfahrenen Arzt erfolgen. Zu einer etwaigen Spurensicherung sollte rechtsmedizinisch-konsiliarischer Rat herangezogen werden. Die Kenntnis der Datenlage und Evidenz medizinischer Befunde und aktuelle Klassifikationen müssen dem Untersuchenden vertraut sein. Bei der Untersuchung werden in 90–95 % Normalbefunde erhoben. Sie hat daher nur in Ausnahmefällen eine diagnostische oder gar forensische Funktion. Die Diagnose basiert in erster Linie auf einer fachlich korrekt, einfühlsam und nicht suggestiv erhobenen Aussage.

Diese soll unter Vermeidung von Suggestivfragen wörtlich dokumentiert werden, nach Möglichkeit von aussagepsychologisch geschulten Fachkräften.

Die medizinische Untersuchung kann durch Bestäti- gung körperlicher Integrität und Normalität einen therapeutischen Effekt erlangen, sofern jeglicher Zwang oder Druck vermieden wird. Im Einzelfall können im Hinblick auf sexuell übertragbare Erkran- kungen oder Schwangerschaft prophylaktische Maß- nahmen erforderlich sein. Die ärztliche Schweige- pflicht darf gegenüber dem Jugendamt unter den Voraussetzungen des Bundeskinderschutzgesetzes gebrochen werden.

Bundeskinderschutzgesetz

Das am 1. 1. 2012 in Kraft getretene Bundes - kinderschutzgesetz (BKiSchG) erlaubt in § 4 grund sätzlich die Weitergabe von Informationen an das Jugendamt, wenn ein schrittweises Proce- dere eingehalten wird.

Schlussfolgerung

In Verdachtsfällen muss durch einen sowohl kin- der- und jugendgynäkologisch als auch foren- sisch erfahrenen Arzt die Diagnose erfolgen.

KASTEN 5

Zusammengefasstes, schrittweises Prozedere bei Verdacht auf Kindesmisshandlung gemäß Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)

Erster Schritt (§ 4 Abs. 1 BKiSchG): Erörterung der Situation mit dem Kind beziehungsweise Jugendlichen und den Sorgeberechtigten und Hinwirken auf die Inanspruchnahme von Hilfen, wenn dies den Schutz des Kindes gewährleistet.

Zweiter Schritt (§ 4 Abs. 2 BKiSchG): Mit Kinderschutzfällen befasste Personen haben zur Einschätzung der Gefährdung Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Zu diesem Zweck ist die pseudonymisierte Übermittlung der dafür erforderlichen Daten an das Jugendamt zulässig.

Dritter Schritt (§ 4 Abs. 3 BKiSchG): Die namentliche Information des Jugendamtes ist zulässig, wenn eine

Abwendung der Gefährdung durch oben genannten Schritte ausscheidet und das Tätigwerden des Jugendamtes dafür erforderlich ist. Hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz in Frage gestellt wird.

(10)

Interessenkonflikt

Dr. Herrmann, Dr. Banaschak und Prof. Dettmeyer erhalten vom Springer Ver- lag Tantiemen für das Fachbuch „Kindesmisshandlung“.

PD Dr. Csorba und Dr. Navratil erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 21. 1. 2014, revidierte Fassung angenommen: 23. 7. 2014

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Anschrift für die Verfasser Dr. med. Bernd Herrmann

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikum Kassel Ärztliche Kinderschutz- und Kindergynäkologieambulanz Mönchebergstraße 43, 34125 Kassel

herrmann@klinikum-kassel.de

Zitierweise

Herrmann B, Banaschak S, Csorba R, Navratil F, Dettmeyer R:

Physical examination in child sexual abuse—approaches and current evidence.

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@

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Weitere Informationen zu cme

Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung zertifiziert.

Die erworbenen Fortbildungspunkte können mit Hilfe der Einheitlichen Fortbildungsnummer (EFN) verwaltet werden.

Unter cme.aerzteblatt.de muss hierfür in der Rubrik „Persönliche Daten“ oder nach der Registrierung die EFN in das entsprechende Feld eingegeben werden und durch Bestätigen der Einverständniserklärung aktiviert werden.

Die 15-stellige EFN steht auf dem Fortbildungsausweis.

Wichtiger Hinweis

Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist ausschließlich über das Internet möglich: cme.aerzteblatt.de Einsendeschluss ist der 4. 1. 2015.

Die Auflösung erfolgt am 5. 1. 2015.

Anschließend ist die Teilnahmebestätigung abrufbar. Bei hinterlegter EFN werden die Punkte an die Landesärztekammer auto- matisch übertragen.

Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen, können nicht berücksichtigt werden.

Die Bearbeitungszeiten der folgenden cme-Einheiten sind:

„Urinanalyse im Kindes- und Jugendalter“ (Heft 37/2014) bis zum 7. 12. 2014

„Schwangerschaftsbedingte Veränderungen am Auge“ (Heft 33–34/2014) bis zum 9. 11. 2014

„Diagnostik und Stufentherapie der Neurodermitis“ (Heft 29–30/2014) bis zum 12. 10. 2014

(12)

Bitte beantworten Sie folgende Fragen für die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung. Pro Frage ist nur eine Antwort möglich. Bitte entscheiden Sie sich für die am ehesten zutreffende Antwort.

Frage Nr. 1

Welche weltweite Prävalenz des sexuellen Missbrauchs wird für Jungen und Mädchen gemäß einer Meta analyse ausgewiesen?

a) 6–7 %; b) 8–9 %; c) 10–11 %; d) 12–13 %; e) 14–15 %

Frage Nr. 2

Was ist ein anogenitaler Verletzungsbefund bei sexuell missbrauchten Mädchen?

a) polypartige Hymenalanhängsel

b) vollständige V-förmige Kerbe des hymenalen Randsaumes c) Vorsprünge des Hymenalsaumes

d) kongenitale Pigmentierung e) externe Hymenalgrate

Frage Nr. 3

Was ist bei der Untersuchung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch obligatorisch?

a) instrumentelle vaginale Untersuchung beim präpubertären Kind b) anale Palpation

c) Erhebung des Ganzkörperstatus d) vaginale Palpation

e) vorausgehende Sedierung

Frage Nr. 4

Welcher Faktor korreliert signifikant mit der Diagnose missbrauchsassoziierter Befunde?

a) Angabe von Schmerzen b) die Weite der hymenalen Öffnung c) Miktionsstörungen

d) akute Candida-Infektion des Genitalbereiches e) Schilderung des Kleinkindes

Frage Nr. 5

Welche Vorgehensweise bei der Untersuchung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch wird in der neuesten Klassifikation nach Adams für die Einordnung der Befunde als beweisend gefordert?

a) die Kombination der drei Standardtechniken Separation, labiale Traktion und Knie-Brust-Lage.

b) wiederholte Untersuchungen mit dem Speculum zur Beweissicherung c) fotografische Dokumentation der Größe der Hymenöffnung d) Screening und Nachweis von bakteriellen Infektionen e) der Nachweis von Spermien nach 104 Stunden

Frage Nr. 6

Wie sollte sich der Umgang und die Kommunikation mit einem dreijährigen Kind im Rahmen der Untersuchung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch gestalten?

a) Das Kind sollte möglichst weitgehend den Untersuchungsgang bestimmen.

b) Bei der Untersuchung vom Kind getätigte Aussagen zu einem Tat - geschehen sollten kommentierend als Gedankenprotokoll auf - genommen werden.

c) Suggestivfragen sind notwendig, um den Sachverhalt aufklären zu können.

d) Das Kind ist vor Beginn der Untersuchung eindringlich darauf hinzu- weisen, dass es auf jeden Fall die Wahrheit zu sagen hat.

e) Die Anamnese sollte nach Möglichkeit mit dem Kind alleine stattfinden.

Frage Nr. 7

Welche übertragbare Erkrankung ist nach Ausschluss einer perinatalen Infektion beziehungsweise Transfusion ein Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch?

a) Hepatitis A b) Gonorrhö c) Herpes zoster d) Varizella-Zoster e) Rubella

Frage Nr. 8

Im Rahmen des sexuellen Missbrauchs von Jungen können in seltenen Fällen am Genitale Verletzungsbefunde erhoben werden. Welcher Befund kann am ehesten ein möglicher Hinweis sein?

a) partielle Schwellkörperthrombose b) skrotales Hämatom

c) Lichen sclerosus d) Hautabrasionen e) Phimose

Frage Nr. 9

Welche der folgenden Befunde lässt am ehesten an einen analen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendli- chen denken beziehungsweise ist am ehesten mit dieser Verdachtsdia gnose zu vereinbaren?

a) zirkulär-perianales Hämatom

b) radiär Richtung innerem Analring verlaufende Fissur(en) c) eine anale Dilatation von mehr als 2 cm ohne sichtbaren

Stuhl in der Ampulle d) eine CMV-Proktitis

e) Klagen über unspezifische Beschwerden beim Stuhlgang

Frage Nr. 10

Nach dem geltenden Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) kann der Verdacht auf eine Kindesmisshandlung beziehungs- weise einen sexuellen Missbrauch von Kindern dem Jugendamt mitgeteilt werden. Welchen Aspekt muss der behandelnde Arzt dabei beachten?

a) Fälle von Kindesmisshandlung dürfen, Fälle von sexuellem Missbrauch müssen dem Jugendamt mitgeteilt werden.

b) Eine Meldepflicht an das Jugendamt sieht das

Bundes kinderschutzgesetz ausschließlich für den sexuellen Missbrauch von Kindern vor, das heißt bis zum

14. Lebensjahr.

c) Das Bundeskinderschutzgesetz erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine Meldung namentlicher Informationen an das Jugendamt, es gibt jedoch keine Meldepflicht.

d) Der Meldepflicht bei Verdacht auf Kindesmissbrauch wird genüge getan, wenn die Daten des Opfers pseudonymisiert dem Jugendamt mitgeteilt werden.

e) Erfolgt die Mitteilung des Verdachts auf einen sexuellen Kindesmissbrauch mit den persönlichen Daten des Opfers an das Jugendamt, dann darf eine Weitergabe der Informa- tionen an die Polizei nur mit Zustimmung der behandelnden Ärzte erfolgen.

(13)

bei sexuellem Kindesmissbrauch

Konzepte, aktuelle Datenlage und Evidenz

Bernd Herrmann, Sibylle Banaschak, Roland Csorba, Francesca Navratil, Reinhard Dettmeyer

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Punkte 3

cme

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aerzteblatt.de/cme

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