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Archiv "Umgang mit sexuellem Missbrauch: Große Unsicherheit" (25.07.2003)

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nbestritten ist, dass sexueller Miss- brauch im Kindesalter Auswirkun- gen auf die spätere Gesundheit hat. 74 bis 98 Prozent der als Kind miss- brauchten Frauen leiden an körperli- chen oder psychischen Symptomen, fan- den Leeners et al. in einer Übersichts- arbeit im Deutschen Ärzteblatt (Heft 11/2003) zu den Auswirkungen sexuel- len Missbrauchs auf Schwangerschaft und Mutterschaft heraus. Viele der oh- nehin traumatisierten Frauen werden aber oftmals retraumatisiert, wenn sie versuchen, über ihre Missbrauchserfah- rungen zu sprechen. Teilen die betroffe- nen Frauen sich einer „Vertrauensper- son“ mit, so werden sie nur in 27 Prozent der Fälle ernst genommen, stellten die Autoren fest. Versuchen sie mit einem Arzt darüber zu sprechen, berichten 97 Prozent der Frauen über mindestens eine der folgenden Reaktionen: keine Äußerung/Stille, Schock ohne weitere Reaktion, Zweifel am Wahrheitsgehalt des Missbrauchs oder Betonung, dass der Missbrauch nichts mit der aktuellen me- dizinischen Betreuung zu tun habe. Die Unsicherheit mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ ist groß, auch wenn in den Medien scheinbar offen darüber berich- tet wird und die Opfer zu Wort kommen.

Immer noch ein Tabuthema

Die Psychologische Psychotherapeutin Heidrun Wendel, Kierspe, die sich auf Sexualtherapie spezialisiert hat, erklärt das Verhalten mancher Ärzte und The- rapeuten mit dem immer noch beste- henden Tabu gegenüber sexuellem Miss- brauch. „Viele wollen sich so etwas ein- fach nicht vorstellen und verdrängen es, weil es so schrecklich ist. Sie wollen es nicht wahrhaben.“ Die Sexualthera- peutin kann über Patienten berichten,

die jahrelang in ärztlicher oder auch in psychotherapeutischer Behandlung wa- ren, ohne dass ihre somatischen oder psychischen Symptome auf sexuellen Missbrauch zurückgeführt wurden be- ziehungsweise die Patienten den eige- nen Missbrauch angesprochen haben.

Letzteres ist erklärbar, denn eine Am- nesie als Coping-Strategie kann dazu führen, dass die Patienten sich – zum Teil zeitweilig – der Gewalterfahrungen nicht bewusst sind.

Ärzte, die mit dem Thema nicht ver- traut sind, erlebten bei einer Miss- brauchsoffenbarung ei-

ne Verletzung ihres Kom- petenzgefühls, meint Wendel: „Statt in einem solchen Augenblick zu sagen, hier sind meine Grenzen, hier fühle ich mich ohnmächtig und

sprachlos, kann eine solche Situation Är- ger oder abwehrende Aggressionen aus- lösen.“ Auf einer unbewussten Ebene werde dem Patienten übel genommen, mit einem solchen Thema konfrontiert zu werden. Dies könne sich in Reaktionen äußern wie: „Glauben Sie wirklich, oder bilden Sie sich das Ganze nicht nur ein?“

Aber auch schon das Ignorieren der ge- rade offenbarten Missbrauchserfahrun- gen löse bei den Patienten erneut eine Verletzung aus, die zu einer Retraumati- sierung führen kann.

Ein Weg, das Manko zu beheben, ist es, Sexualberatung oder -therapie ver- bindlich in die fachärztliche und psy- chotherapeutische Fortbildung zu inte- grieren. Besonders für Gynäkologen ist es wichtig, sich in Sexualberatung fort- zubilden, da diese Facharztgruppe häu- fig mit missbrauchten Frauen konfron- tiert wird. 60 Prozent der befragten Frauen einer Studie in Berliner Gynä- kologiepraxen gaben an, dass Ärzte

nach Gewalterfahrungen fragen soll- ten. Von sich aus würden viele nicht über ihre Gewalterfahrungen sprechen, auf Nachfragen wären aber 70 Prozent dazu bereit. Um Ärzten das Fragen zu erleichtern, hat die Deutsche Gesell- schaft für Psychosomatische Frauen- heilkunde und Geburtshilfe in einem interdisziplinären Ansatz die Leitlinie

„Häusliche Gewalt gegen Frauen“ ent- worfen. Der Entwurf kann im Internet eingesehen werden (www.dgpgg.de).

Es geht nicht darum, dann selbst trau- matherapeutisch tätig zu werden. Wich- tig sind die ersten Reaktionen und vor allem, sich eingestehen zu können, even- tuell überfordert zu sein. Ärzte können Betroffene dann an Beratungsstellen wie Pro Familia, Zartbitter oder Wild- wasser verweisen. Sie könnten auch auf spezialisierte Psychologische Psycho- therapeuten hinweisen, die in der Nähe praktizieren.

Da die Psychotherapeutin Wendel als Schwerpunkte unter anderem „Miss- brauch/Gewalterfahrungen“ in dem

„Psychotherapiefüh- rer“ ihrer Region auf- gelistet hat, ist die Hemmschwelle nied- riger. Sie erkennt Be- troffene meist an ih- rem „autoaggressiven Verhalten“, wie Selbst- verletzungen, Suizidgedanken, An- orexie und Bulimie. Auch Rauchen, Al- kohol-, Drogen- oder Medikamenten- konsum und Piercing bezeichnet Wen- del als solches. Sie sieht missbrauchte Frauen in einem „Teufelskreis“ aus Ver- letzung, Trauer, Ärger, Wut, Aggression und Autoaggression. Missbrauchte Männer hingegen richten ihre Aggres- sionen selten gegen sich selbst. Oft bestehe bei den Betroffenen auch ei- ne große Diskrepanz zwischen ihrem Selbstwertgefühl und dem, was sie tatsächlich leisten. Die Sexualtherapeu- tin thematisiert ihren Verdacht jedoch nicht sofort, sondern erwähnt „neben- bei“ zum Beispiel, dass sexueller Miss- brauch sehr häufig ist oder dass er auch in der Familie oder Nachbarschaft vor- kommt. So werden die Patienten ermu- tigt, von ihren Erfahrungen zu erzählen.

Dies schafft die Basis für eine vertrau- ensvolle therapeutische Beziehung, um das Erlebte aufzuarbeiten. Petra Bühring P O L I T I K

A

A1984 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3025. Juli 2003

Umgang mit sexuellem Missbrauch

Große Unsicherheit

Berichtet ein Patient unerwartet von Missbrauchserfahrungen, sind adäquate Reaktionen entscheidend.

Viele Ärzte sind jedoch mit der Situation überfordert.

„Von sich aus würden viele nicht über ihre Gewalt-

erfahrungen sprechen, auf

Nachfragen wären aber

70 Prozent dazu bereit.“

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