PROBLEME DER SPRACHMISCHUNG IN OSTASIEN
Von Heinrich Herrfahrdt, Marburg
Aus der Fülle der Fragen möchte ich hier zwei herausgreifen, denen ich im
Zusammenhang der Staatsentwicklung Ostasiens begegnet bin: 1. die
Verhältnisse bei der frühgeschichtlichen Entstehung von Staaten, 2. das
Vietnamesische .
Die Entstehung von Flächenstaaten, über kleine bäuerliche Gemein¬
schaften des Neolithikums hinaus, zeigt in Ostasien ebenso wie im Abend¬
land zwei entgegengesetzte Triebkräfte : 1. das Bedürfnis nach Ordnung in
bestimmten abgegrenzten Gebieten, zuerst besonders bei der Bewirt¬
schaftung des Wassers großer Ströme, 2. den Eroberungswillen, ausgehend
von den Reitervölkern Zentralasiens (Mac ICcnder: pivot of history). Die
Spannung zwischen Ordnungs- und Erobererstaaten und der von ihnen
geprägten Formen (Bürokratie - Lehnswesen) durchzieht seitdem die ganze
Staatengeschichte. In den Stromtalstaaten entsteht die Schrift, in den Er¬
obererstaaten die schnelle Übermittlung von Nachrichten durch Reiter-
staffetten (Post).
Nimmt man mit der - nicht beweisbaren - Überlagerungstheorie (GuM-
PLOWicz, Fk. Oppenheimbb, Rüstow) an, daß jede Herrschaft auf Über¬
lagerung beruht, z. B. in den Stromtalstaaten auf der stärkeren organisa¬
torischen Kraft der eindringenden Viehzüchter, so kann schon für diese
Zeit eine Sprachmischung vermutet werden. Deutlich ist sie bei der Über¬
lagerung von Bauern durch erobernde Reiterstämme. Hier können wir
meist beobachten, daß der Wortschatz der zahlenmäßig überlegenen Bauern
erhalten bleibt, ergänzt durch besondere Ausdrücke aus dem Leben der
Überschichter, daß aber die Syntax der Reiter als die vornehmere Sprech¬
weise auch die Volkssprache ergreift. Die Einheit der Syntax im ,, altaischen"
Bereich von den Türkvölkern bis zu den Japanern, so die konsequente
Attribut Voransetzung, bei völlig verschiedenem Wortschatz, beruht we¬
sentlich auf dem Vorbild der Herrenschicht. Auch das Chinesische dürfte,
ebenso wie das Tibetische, ursprünglich das Verbum ans Ende des Satzes ge¬
stellt haben, bis es, vielleicht aus einem logischen Bedürfnis (Ablaufwieder¬
gabc) zur Nachsetzung des Objekts übergegangen ist. Die Frage liegt nahe,
ob das Chinesische und Japanische vor der Überlagerung durch Reiter¬
völker das Attribut nachgesetzt haben, wie es im Khmer und im Malaischen
der Fall ist. Eine neolithische Bauernkultur vom Gelben Fluß bis Indo-
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nesien (Mattenkeramik im weiten Sinn) würde der These von Pater W.
Schmidt entsprechen, daß die Attribut-Nachsetzung zum pflanzerisch-
mutterrecht] ichen Kulturkreis gehört.
Können wir für Nordasien und China die prägende Kraft der Reitervölker
vermuten, so finden wir in Südostasien die umgekehrte Erscheinung: die
nach Süden vordringenden Thai übernahmen dort die Attribut-Nachsetzung
der Mon-Khmer-Sprachen, wohl im Zusammenhang der dortigen, letztlich
aus Indien stammenden Religionen, entsprechend dem Einfluß der sume¬
rischen Syntax auf Babylonier und Assyrer und dem vorindogermanischen
Substrat in der keltischen Syntax. Soziale und religiöse Gründe dürften
also die wichtigsten Paktoren sein, die zur Übernahme einer fremden Wort¬
stellung führen (Oberschichtsprache und sakrale Sprechweise).
Nun einiges über das Vietnamesische. Für das Verständnis der
Vorgänge im heutigen Vietnam wäre es wichtig, wenn wir ein geschlossenes
Bild der kulturgeschichtlichen Entwicklung gewinnen könnten. Dabei ist
auch die Sprachgeschichte von Bedeutung. Das Vietnamesische ist eine
Mischsprache. Äußerhch erscheint es dem Chinesischen verwandt : einsilbige,
unveränderliche Wörter, durch Töne unterschieden. Äuch die meisten
Wörter sind dem Chinesischen verwandt; aber die Zahlwörter und viele
Ausdrücke des täglichen Lebens, vermutlich die älteste Schicht des Wort¬
schatzes, entsprechen dem Khmer. Auch syntaktisch hat das Vietname¬
sische die Attribut-Nachsetzung des Khmer bewahrt; nur fertig übernom¬
mene chinesische Wortverbindungen zeigen die chinesische Wortstellung.
Je nach dem Einteilungsgesichtspunkt wird daher das Vietnamesische als
indochinesische Sprache auf schwacher Mon-Khmer-Grundlage oder als
chinesisch überfremdete Mon-Khmer-Sprache charakterisiert. Im Verhält¬
nis zu China ist wichtig, daß die Vietnamesen in ihrer ganzen Geschichte
unter starkem Einfluß der chinesischen Kultur und unter dem Vorbild der
chinesischen Staatsordnung gestanden haben, aber sich immer wieder gegen
die pohtische Abhängigkeit von China gewehrt haben.
Das alte Viet-Reich (Chines, yüet), das 333 v. Chr. dem chinesischen Chou-
Reich einverleibt wurde, umfaßte Fokien, Kwangtung und Kwanghsi und
dehnte sich allmählich bis Tonking aus (Nam-Viet). Wir haben uns gewöhnt,
die Sprachen der chinesischen Südprovinzen als chinesische Mundarten
anzusehen. Das ist aber nur insofern begründet, als sie mit Einbeziehung in
das chinesische Reich die chinesischen Schriftsprache erhalten haben. Ihre
Aussprache dürfte der der alten Thai, ihrer westlichen Nachbarn, näher¬
gestanden haben, wie auch heute viele Wörter im Kantonesischen und Thai
übereinstimmen (so die Zahlen säm = 3 und kao = 9).
So dürfte die älteste vietnamesische Sprache in Tonking als Mischung von
Khmer und der dem Thai verwandten Viet-Sprachen entstanden sein. Sie
hat sich im Mittelalter mit der schrittweisen Eroberung des Champa-Reiches
Probleme der Sprachmiscbung in Ostasien 1059
und des zum Khmer-Reich gehörenden Mekong-Deltas über das ganze
heutige Vietnam ausgedehnt. Dabei sind aber die bisherigen Cham-Sprachen,
Mischungen von Khmer und Malaüsch, wie auch andere Sprachen von Berg¬
völkern nicht ganz verdrängt worden. Kulturell und religiös gehörten alle
Gebiete südlich von Tonking zum indischen Einflußgebiet, haben aber im
Vietnam-Reich an dessen chinesisch-konfuzianischer Prägung teilgenom¬
men.
So setzt sich die heutige Bevölkerung Vietnams aus sprachlich und kultu¬
rell sehr verschiedenartigen Gruppen zusammen. Die Richtungen des Bud¬
dhismus sind, bei starken Rivalitäten persönlicher und sozialer Art, teils
von Indien, teils von China her geformt worden und in ihren Eigenarten
schwer zu fassen. Staatssoziologisch gesehen ist Vietnam heute ein Beispiel für extremen Pluralismus; zur alten Vielgestaltigkeit der Sprachen, Stämme und Religionen kommt der moderne Pluralismus politischer und wirtschaft-
hch-sozialer Gruppenbildung. Die mangelnde Kenntnis und Berücksich¬
tigung dieser Vielfalt hat im Westen wie im Osten zu falschen Vorstellungen
von der Anwendbarkeit demokratischer Pormen in Wahlen und Abstim¬
mungen geführt. Ein einheitlicher Volkswille fehlt, und neue integrierende
Kräfte, die imstande wären, die verschiedenen Gruppen zu einer Einheit
zusammenzuführen, sind bisher nicht zu sehen. Das fällt besonders auf, da
Vietnam im 19. Jh. in den Jahrzehnten bis zur französischen Koloniali-
sierung, mehr als die meisten neuen Staaten Asiens und Afrikas Ansätze
zur Nationwerdung entwickelt hatte. Trotzdem sind heute noch keine Wege
zu sehen, wie das unglückliche Land ohne fremde Hilfe zu Ordnung und
Frieden gelangen könnte.
Die Manuskripte folgender Vorträge lagen bei Redaktionsschluß nicht vor bzw. erscheinen an anderer Stelle :
DIE BEGRÜNDUNG DES ERZIEHUNGSDIREKTORATS
UNTER DEN NÖRDLICHEN SUNG ALS
INSTITUTIONSGESCHICHTLICHES PROBLEM
Von T. Grimm, Bochum
EINIGE ANMERKUNGEN ZUR INSTITUTIONALISIERUNG
DES KAMPAKU-AMTES
Von U. Kemper, Bochum
EINIGE BEMERKUNGEN ZUR
PI-CHI ALS GESCHICHTS QUELLE
Von H. Friese, Erlangen
DIE IRONISCHEN KRITIKER
DAS 126. KAPITEL DES SHIH-CHI
Von T. Pokora, Prag
Der Vortrag erscheint in der Festschrift für Jaroslaw Prü.sek
HUI-YÜANS UND TAO-SHENG'S THESE ÜBER DIE
BUDDHANATUR ALS ERGEBNIS DER EXEGESE
CHINESISCHER REZEPTIONSBEGRIFFE
Von R. G. Wagner, München