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Schon in der ersten Hälfte des ersten Jahr¬ tausends V

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589

Die äthiopischen Götter.

. Von Ditlef Miehen.

Der uralte Handelsverkehr zwischen Südarabien und der gegen¬

überliegenden afrikanischen Küste führte in sehr früher Zeit Süd¬

araber nach Afrika 1). Schon in der ersten Hälfte des ersten Jahr¬

tausends V. Chr. finden wir sabäische Niederlassungen in Nordost¬

afrika. Bei J e h a in der Nähe des heutigen A d u a hat man einen

ehrwürdigen alten Tempel gefunden, nach der Beschreibung offenbar

einen Schwestertempel des berühmten Mondtempels bei Märib, also

einen afrikanischen Haram Bilkis (ohne Fenster und ohne Dach).

Die spärlichen Überreste von Inschriften beweisen, daß hier wirk¬

lich ehemals Sabäer wohnten; die Bucljstabenformen und die Bustro-

phedon-Schreibweise führen uns in die Zeit zwischen dem 5. und

8. Jahrhundert v. Chr. hinauf. — Wir können vermuten, daß diese

afrikanischen Sabäer, deren Schrift, Sprache und Tempeleinrichtungen

genau mit dem Sirwah- und Märib-Typns übereinstimmen , auch

wie ihre Volksgenossen in Arabien Venusstern , Mond und Sonne

verehrten. Das Fragment .ooM«)hiovx?[n..

(Bent, Jeha 5) läßt, wie schon D. H. Müller gesehen hat, mit

großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, daß der erwähnte Tempel

ein Mond-Tempel war, denn '^^^ l^^i den Sabäern der ge¬

wöhnliche Name des M 0 nd-Tempels. Auch die sabäische Sonnen¬

göttin Dät-Ba'dan ist nnn durch eine kleine Inschrift aus Aksum,

1) H. Orimme, Mohammed (Weltgeschichte in Karakterhildern), München 1904, S. 6 ff. betrachtet Nordostafrika als Heimat der Semiten, Arabien als ihre Durchgangsstation nach Norden. E. Glaser: Die Abessinier in Arabien und Afrika, München 1895, S. 138 ff. läßt die Aksumiten im I.Jahrhundert v. Chr.

aus Mahra (östlich von Hadramaut) nach Afrika übersiedeln. Die Völker¬

bewegungen der prähistorischen Urzeit kennen wir nicht; aber diejenigen afri¬

kanischen Semiten, die wir aus den Denkmälern und der äthiopischen Literatur kennen, waren sicher von Haus aus Sabäer. Die Denkmäler haben eine feste Brücke zwischen Saba und Aksum geschlagen. Die äthiopische Sprache ist von Anfang an sabäisch und bleibt immer eine sabäische Ahart. — Die Denkmäler geigen deutlich, wie das Sabäische allmählich sich zu der Schrift und Sprache verändert, die wir äthiopisch nennen.

(2)

die wir der deutschen Aksumexpedition verdanken, helegt worden;

und 'Astar , der südarabische Venus gott , kommt wahrscheinlich

in der von Littmann rekonstruierten Kapitälinschrift (Bent,

Jeha 1—3) vor. Die vielen noch unerforschten Strecken in Nord-

6 ostafrika bergen sicher ähnliche semitische Altertümer aus der vor¬

christlichen Zeit in Menge; mit der Zeit werden wir hoffentlich

mehr von dortigen altsemitischen Niederlassungen erfahren.

Unter jenen afrikanischen Semiten bildet sich um die Zeit

Christi das Königreich Aksum, wo im 4. und 6. Jahrh. n. Chr.

10 das Christentum Eingang findet. Die wenigen aksumitischen Denk¬

mäler vor dieser Zeit geben über altsemitische Götterlehre nicht

' viel Auskunft, weil hier von Anfang an griechischer Einfluß sich

im starken Maßstabe geltend macht. So ist die Inschrift von Adule

(Monumentum Adulitanum), die wahrscheinlich von einem Aksum-

15 könig am Anfang der christlichen Ära herrührt, rein griechisch ; sie erwähnt Ares als Hauptgott [ihv fiiyiatov &e6v fiov "AQrjv) und

außerdem die Trias Zeus, Ares uud Poseidon (tö du xal tö

"Agei xal tä Iloßeiä&vt &vatdaai,). In den späteren aksumitischen

Königsurkunden zwischen 300 und 500 n. Chr. kommen semitische

to Götter zum Vorschein.

In der Trilinguis des Königs 'Alzan, ca. 350 n. Chr., ist

der König im äthiopischen Teile Sohn des Gottes Makrem (griechisch Ares) und bringt seine Weihung den drei Gottheiten Oftf"<; 'Astar,

00%,^ Medr und oo^^ob Mahrem dar. Im sabäischen Texte ist

«8 der König ebenfalls ,Sohn des Mahrem', die drei Gottheiten heißen

aber hier OXA® '^star, Jl>4'B ßeker und Jll|>1'Jl Makrem.

In der altäthiopischen Königsinschrift von Ela-'Amida (Bent II)

fehlt der griechische Text; der König nennt sich auch hier ,Sohn

des Mahrem« }]2]>'F]] I Hl®- Derselbe Königstitel ist belegt in

so den beiden vokalisierten Ge'ez-Inschriften vom Sohne dieses Königs;

in der kürzeren, Rüppell I, finden wir die Götter Oft+C 'Astar,

•flffbC Beher, 9'ß:C Medr und «"»ACf" Mahrem, in der längeren,

Rüppell II, wo man christlichen Einfiuß vermutet hat Ji^ttJi |

'Egel' a samäj, y"S:C Medr und | 'flth.C 'Egzl'a beker^).

S5 Wenn wir nun diese verschiedenen Götternamen betrachten, so

sehen wir bald, daß die aksumitischen Götter wohl nicht wie die

vorchristlichen äthiopischen Götter rein sabäisch, aber dennoch aus

den sabäischen Göttern hervorgewachsen und mit diesen zum Teil

identisch sind, genau wie die aksumitische Schrift und Sprache von

1) D. H. MOlIer, Epigraphiscbe Denkmäler aus Abessinien, in Denkschr.

der kais. Akad. der Wissensch, in Wien. Wien 1894. — E. Littmann und

D. Krencker: Vorbericht der deutschen Aksumexpedition, in den Abhandl. d.

kgl. preuß. Akad. der Wissensch., 1906, Anhang, I, Epigraphik von E. Litt- mann, S. 5—12. — Über die aksumitischen Götter haben gehandelt J. Haiävy:

Journal asiatique 1883, II, S. 454—467, und E. Littmann in Basting's Encyclopaedia of Religion and Ethics, Artikel Abyssinia, Vol. I, 1908, S. 57—59.

(3)

Nielsen, Die äthiopischen Götter. 591

Anfang an rein sabäisch war, aus der sabäischen Schriftsprache sich

entwickelt hat und noch in vielen Punkten mit dieser übereinstimmt.

Ich habe früher gezeigt, daß die alte südarabische Religion

ursprünglich eine sehr einfache Naturreligion war, indem alle süd¬

arabischen Völker außer Mond und Sonne nur den hellstrahlen- s

den Venusstern verehrteni).

Diese Himmelskörper wurden aber nicht als unpersönliche

Naturobjekte, sondern — wie gewöhnlich in der Mythologie — als

beseelte, den Menschen wohlwollende Wesen gedacht, rmd diese aus

den drei größten Gestirnen entstandenen persönlichen Götter lo

spielten in der weiteren Entwicklung dieser Religion eine weitaus

größere Rolle als das Naturobjekt selbst. So war der Venusstern,

der neben den beiden großen Himmelskörpern in der Mythologie

weniger hervortritt, stets eine männliche Gestalt und der Sohn von

Mond und Sonne; der lunare Hauptgott ist ebenfalls stets männ- 15

lieh, er wurde als Vater und als nationaler Schutzgott des Volkes

und des Königs gedacht; die Sonne ist in allen südarabischen

Texten weiblich und wurde als Muttergöttin und Schutzgöttin

der Familie verehrt.

Daß die mythologische Personifikation gerade diese Formen 20

annimmt, kommt natürlich daher, daß Mond und Sonne wie bei

den meisten anderen Völkern als Ehepaar und als Vater und Mutter

des Venussternes und der anderen Sterne aufgefaßt wurden; sie

sind aber zugleich (wie überall in der primitiven Mythologie) Vater

und Mutter der Menschen, besonders des Stammes oder des Volkes. 25

Dieselben drei Naturgötter haben wir schon bei den vorchrist¬

lichen Abessiniern getroffen und finden sie nun in modifizierter Form

bei den Aksumiten wieder.

In den beiden Götterreihen der Trilinguis

'Astar Beher Mahrem") so

'Astar Medr Mahrem

erkennt man sofort eine Abhängigkeit von der südarabischen Götter¬

trias. Hier wie in Südarabien werden nur drei Götter erwähnt, und

hier wie dort steht der Venusgott an der Spitze der Götteranrufung,

indem 'Astar lautlich genau dem südarabischen 'Attar entspricht 35

(s. J. Halevy 1. c. S. 465).

In den anderen Namen ist man dann von vornherein geneigt

lunare und solare Gottheiten zu suchen, um so mehr als die Athiopen

nach Heliodor (3. Jahrh. n. Chr.) außer einem Gott, den er

Dionysios nennt, als Hauptgötter Sonne und Mond verehrten und 40

Dillmann eine aksumitische Goldmünze aus heidnischer Zeit (etwa

1) Vgl. ,Die südarabische Göttertrias" in ,M<ilanges Hartwig Derenbourg', Paris, 1909, S. 187—195. ,Der sabäische Gott Ilmukah" in Mitteil, der Vorderas.

Gesellscb., Bd. 14. 1909 (besonders S. 354—374).

2) ]]}]^4'^ sabäischen Texte sicher Zeile 2 und 18 belegt und

von Litt mann richtig Zeile 21 nach H^ffl^ ergänzt.

* 3

(4)

3. oder 4. Jahrh. n. Chr.) erwähnt, auf der Sonne und Mond in

der gleichen Weise wie auf südarabischen Altaren abgebildet sind^).

Mahrem sieht allerdings fremdartiger aus als 'Astar, aber der

dem Namen zugrundeliegende Begriflf ist in den südarabischen In-

5 scbriften als Epithet oder Name des Mondgottes bekannt, und der

Gott selbst , so wie er in den aksumitischen Texten auftritt , ist

mit dem südarabischen Mondgott identisch.

Im 'Sa.men Makrem, H^l*?!! kann das Schluß-wi nicht Mimation

sein, da die Form HJl^l'Jl i™ sabäischen Teile der Trilinguis belegt

10 ist. Das Wort ist also, wie schon Halevy gesehen hat, eine m-

Bildung aus Yhrm- Derivate aus diesem Stamme kommen in den

verschiedenen semitischen Sprachen häufig vor, sie bedeuten stets

etwas Sakrales und gehen offenbar auf eine Grundbedeutung „heilig

sein' zurück.

15 In den südarabischen Inschriften ist 11^4*^ mkrm in der Be¬

deutung „Heiligtum* häufig belegt, 11^4' hrm kommt in der Be¬

deutung „Heiligkeit' vor'^); Jl^l*!! mkrm bezeichnet also hier den

Gott als den „heiligen", ob man nun diese Form als eine Partizipial¬

bildung oder als eine abstrakte Nominalbildung fassen mag*).

so Als Gottesname muß H^VJl niit dem Gottesnamen H^)*!*

krmn im katabanischen Text NTY. Nr. 2 ziemlich identisch sein.

An anderem Orte habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß hier

die Götternamen 'Amm „Vater* und Hukm „Weisheit* in Zeile 2

den Namen Warah „Mond* und Ilrmn „der heilige' in Zeile 4

25 und 5 entsprechen und daß Hukm ein Epithet des Mondgottes ist*).

Demzufolge ist Jlrmn auch ein Name des Mondgottes, und da das

n natürlich der Artikel ist, so ist die appellativische Bedeutung

„der heilige' wahrscheinlich noch gefühlt worden ; gewöhnlich werden

ja Götternamen als Nomina propria nicht determiniert gebraucht.

1) A. Dillmann: Über die Anfänge des aksumitischen Reiches in den Abhandl. d. königl. Akad. der Wissensch, zu Berlin, 1878, S. 227f. Heliodori, Aethiopicorum libri decern. Bekkers Ausgabe. Leipzig 1855, 10. Buch, 2, 4, 6, S. 274, 276, 278. Heliodor verwechselt aber das Geschlecht von Mond und Sonne, er läßt nach griechischer Art die Sonne (Helios) männlich und den Mond (Selene) weiblich sein, und auch seine drei äthiopischen Heroen Memnon, l'erseus

und Andromeda gehören dem griechischen Mythenkreis an. Der eine Zug,

daß er als äthiopische Götter oder Halbgötter nur drei erwähnt und daß von diesen zwei männlich und eine weiblich ist, wird aber von den Inschriften bestätigt.

2) ZDMG., Bd. 19, S. 20, 96, Bd. 24, S. 199. — Wiener Hofmuseum Nr. 6 Z. 1 und 6 (Glaser 1052) D. H. Müller: Südarabische Altertümer, Wien, 1889, S. 21fr.

3) E. Littmann vergleicht den Gottesnamen nW"inM der thamudischen Grafeti Eut. 122—125 MVAG. 1904, Bd. 9, S. 43.

4) H. Derenbourg: Nouveaux textes yem^nites inedits. Revue d'Assyrio- logie, V. Vol., Nr. 4. Paris 1902. S. 117fr. — D. Nielsen: MVAG. 1906, S. 259, 261. 1909, S. 361 f.

4 3

(5)

Niehen, Die äthiopuchen Gölter. 593

Wenn aber anch der Name uns völlig dunkel wäre, so müßten

wir schon ans anderen Gründen Mahrem als Mondgott auffassen;

er figuriert nämlich in allen heidnischen aksumitischen Inschriften als der Hauptgott, der nationale Kriegsgott und der spezielle Schntz-

gott des .Königshauses, in allen südarabischen, ja fast in allen 5

semitischen Denkmälern ein sicheres Kennzeichen des Mondgottes.

Als nationaler dfriegsgott wird er in den griechischen Texten

durch den Kriegsgott Ares (Mars) v^iedergegeben, nnd als Hanpt-

gott ist er in Adulitanum „der oberste Gott" 6 (UyuiTog &i6g.

Auch der ständige Königstitel „Sohn des Mahrem' beweist, daß 10

Mahrem der lunare Hauptgott sein muß. Dieser Ausdruck ist nicht

eine lediglich symbolische oder poetische Bezeichnung, sondem soll

in mythischem Sinne buchstäblich aufgefaßt werden. Der Mondgott

Mahrem ist sein wirklicher physischer Vater, er hat ihn „gezeugt"

.— Es- ist eine sehr wichtige Mythologie, die durch diese Ausdrücke i5

b&i den Aksumiten belegt wird.

Die Auffassung, daß der Stamm, das Volk oder das ganze

Menschengeschlecht göttlicher Herkunft sei und vom eben erwähnten

großen Götterpaar, dem göttlichen Urvater und der göttlichen ür-

mufcter abstamme, findet sich überall in der primitiven Mythologie 20

Wo der Mond der Vater ist (wie bei den Semiten), ist er der

Stammvater des Volkes und Urahn des Menschengeschlechts. Ara¬

bische Stämme heißen Banü Hilrd „Söhne des Neumonds", Banü

Bedr „Söhne des Vollmonds". Alle südarabischen Völker nennen

sich „Kinder" des Mondgottes*). 25

Die Moabiter sind die Söhne und Töchter des Kemöä (Num.

21,29), das hebräische Volk ist „der Sohn" Jahwes (Ex. 4,22;

Hos. 11, 1) und bei den Babyloniem ist der Mondgott der „Vater,

der alles erzeugt", der „Erzeuger der Götter und Menschen" (Mond-

hymue IV R 9 Z. 16, 21). so

Bei den Nordsemiten, wo der Mensch- und Königskultus sehr

früh belegt sind, wird nun diese Vorstellung dahin modifiziert, daß

der König der spezielle Sohn des Mondgottes ist. Bei den Baby¬

loniern und Assyrem ist der König von der ältesten Zeit an der

leibliche Sohn des Mondgottes, als solcher beansprucht und geniest 35

er göttliche Verehreng. Bei den Aramäern ist die gleiche Vor¬

stellung im häufigen Königsnamen Ben-Hadad „Sohn des Mond¬

gottes' sicher belegt, wahrscheinlich auch im Königsnamen Bar-

Rekub der altaramäischen Inschriften, und auch der hebräische

König ist der leibliche physische Sohn dieses Gottes, der ihn „ge- 40

zeugt" hat (Ps. 2)»).

1) Vgl. Adulitannm, Zeile 23: og ftt xal iyivvriei; Trilinguis. griechischer Text, Z. 28: VTihQ di ivxccQiGriag rov ijii yevvriaavtog icvixriTOv 'Ageag;

Äthiopischer Text, Z. 19, 21, Rappell I, Z. 29—30: Mahrem za-waladani,

„Mahrem, der mich gezeugt hat'.

2) Der sabäische Gott Ilmukah: MVAG., Bd. 14, 1909, S. 373—374.

3) Auch bei den ägyptischen Pharaonen findet W. Max Müller gött-

(6)

Unter den südsemitischen Völkern, deren ganze Mythologie

einen weit primitiveren Charakter aufweist, und bei denen Königs¬

kult wie überhaupt Heroenkult bisher nirgends sicher belegt war,

finden sich nur sehr schwache und unsichere Ansätze zu einer

5 solchen Vorstellung. Ob die nach der Götteranrufung genannten

Könige, wie Fr. Lenormant gemeint hat, auch als Götter be¬

trachtet werden, läßt sich vor der Hand nicht entscheiden^); ben

sahar im Titel des katabanischen Königs (Gl. 1405,1; 1600,1)

bedeutet kaum ,Sohn des Mondgottes', sondem eher „Sohn des

10 Königs Sahar", da Sahar auch als Personenname und Königsname

vorkommt; in einem anderen katabanischen Text (NTY., Nr. 3)

heißt es allerdings im Königstitel bkr Anbai, — wahrscheinlich,

wie H. Derenbourg vorgeschlagen: „Erstgeborener des Gottes

Anbai*, d. h. des Mondgottes, aber der Text ist unvollständig und

15 jede Übersetzung vor der Hand problematisch. Wichtig ist daher,

daß diese Vorstellung durch die aksumitischen Texte in Abessinien

sicher belegt sind. Mahrem ist der Mondgott und als solcher Vater

des Königs.

Die dritte Gottheit Beher oder Medr ist im Gegensatz zu den

20 beiden schon behandelten männlichen Gestalten eine weibliche Gott¬

heit. Da nun die drei göttlichen Personen in Südarabien immer

als zwei Götter und eine Göttin, seil, als Vater, Sohn und Mutter

erscheinen , und da von diesen Gottheiten die beiden männlichen

Götter stets Mond und Venusstern sind, die weibliche Gottheit

25 dagegen die Sonne darstellt, so wäre es sehr verlockend hier die

dritte weibliche Gottheit der großen arabischen Sonnengöttin gleich¬

zusetzen, da der männliche Mond und der männliche Venusstern

sicher in Mahrem und 'Astar stecken.

Medr ist jedoch nicht die Sonne, Sondem das gewöhnliche

so äthiopische Wort für „Erde* (sowohl als terra, wie als humus nnd

solum). Beher bedeutet ebenfalls „Land*, „Erde" und kann nicht,

wie Littmann will, bahr „Meer* bedeuten und den Meeresgott

Poseidon bezeichnen. Wie Littmann selbst richtig bemerkt,

bedeutet das Wort sonst „Erde, Land" und „is even used in this

S6 sense in our inscription". Es wird außerdem im altäthiopischen

Text derselben Inschrift direkt mit medr übersetzt und muß also

wie medr in der Göttei-reihe die mythologisch personifizierte Erde, die Erdegöttin „Mutter Erde* bezeichnen.

Das Erscheinen des Poseidon in der griechischen Inschrift von

40 Adule wird durch das folgende vnlq r&v nlco'i^ofiivcov erklärt, ein

Meergott kommt in keinem der semitischen Texte vor. Überhaupt

glaube ich nicht, daß griechische Götterlehre die Aksumiten in.

wesentlichem Grade beeinflußt habe ; es ist natürlich, daß der semi- liche Abkunft und Inkarnation, OLZ., 12. Jahrg., 1909, S. 1—5; 15. Jahrg., 1912, S. 308—309.

1) Fr. Praetorius: Unsterblichkeitsglaube und Heingenverehrung bei den Himjaren, ZDMG. 27, 645—648.

(7)

Nielsen, Die äthiopischen Götter. 595

tische Nationalgott und Kriegsgott in einem griechischen Text

mit Ares wiedergegeben wird, aber Mahrem ist kein griechischer

Gott und die Erdegöttin Medr oder Beher ist kaum Wiedergabe

der griechischen Erdegöttin Ge oder Gaia , der Gemahlin des

Uranos, sondern eher ein natürliches mythologisches Äquivalent der 5

südsemitischen Sonnengöttin.

In der primitiven Mythologie, wo Mond und Sonne als Vater

und Mutter aller lebendigen Wesen auftreten, wird diese Vor¬

stellung sekundär auf Himmel und Erde ijbertragen. Der Himmel

ist wie bekannt der Vater, die Erde die göttliche Mutter, die aus lO

ihrem großen Mutterschoß alles Lebendige hervorbringt. Von diesen

beiden Ureltern spielt in der Mythologie Mutter Erde die Haupt¬

rolle und ersetzt durch eine leicht verständliche Ideenassoziation häufig die primäre astrale ürmutter^).

Mond und Sonne werden bekanntlich in allen Weltteilen als 15

Ehepaar gedacht, aber das Geschlecht wechselt bei den verschiedenen

Völkern ; häufig ist der Mond der Vater und die Sonne die Mutter

(wie z. B. bei den Germanen), häufig ist aber auch die Sonne männ¬

lich und der Mond die Gattin der Sonne (wie bei den Griechen

und Römern). Demzufolge entspricht die Erdegöttin nicht allein so

(wie Ehrenreich 1. c. S. 125, 237, 258 betont) ,dem Monde in

ihrem beiderseitige Verhältnis zur Sonne", sondern auch der Sonne

in ihrem Verhältnis zum Monde, d. h. das große Götterpaar er¬

scheint nicht allein als Sonne (Vater) und Erde (Mutter), sondern

auch als Mond (Vater) und Erde (Mutter). Das Schema ist 25

1. Vater Mutter 2. Vater Mutter 3. Vater Mutter

Sonne Mond Himmel Erde Sonne Erde

Mond Sonne Mond Erde

indem 3. durch Kombination von 1. und 2. entsteht.

Da nun bei sämtlichen Südseraiten und ursprünglich bei allen so

Semiten der Mond als Hauptgott und Vater, die weibliche Sonne

als Mutter erscheint , so ist es eine natürliche Weiterentwickelung

dieser Mythologie, wenn bei den Aksumiten die Erdegöttin an die

Stelle der südsemitischen Sonnengöttin tritt. Es ist genau derselbe

Vorgang , wie wenn z. B. bei den Indianern die Sonne als Vater, ss

dabei aber anstatt einer lunaren Mutter die Erde als Muttergöttin

erscheint, oder noch genauer: wenn bei den Germanen, Letten und

Litauern (bei denen — wie bei den Semiten — der Mond männlich

und die Sonne weiblich ist) die Erdegöttin „Mutter Erde" = Semmes mäte = Zemina an die Stelle der solaren Muttergöttin tritt"-).

1) P. Ehrenreich: Allgemeine Mythologie, Leipzig 1910 (Mytholog.

Bibliothek 4, 1) S. 158—159. — E. B. Tylor: Primitive Culture, London 1871.

Vol. I, S. 291—296. — A. Dieterich: Mutter Erde. Leipzig, 1905.

2) Eine solche Erdemythologie ist auch bei den anderen Semiten vor¬

handen. In der Sprache ist die Erde gewöhnlich weiblichen Geschlechts, in der Mythologie häufig die Muttergöttin , die Mutter der Menschen und aller 4 3*

(8)

Rein sabäisch ist also dieser Götterkreis nicht, der Unterschied

ist ziemlich groß, wenn wir die Naturgrundlage der Götter be¬

trachten. Die weiblich aufgefaßte Erde tritt nicht allein an die

Stelle der weiblichen Sonne, sondern es gibt auch Anzeichen dafür,

5 daß die gemeinsemitische Venusgottheit bei den Aksumiten sich

allmählich zu einem Himmelsgott {'Attar Samain) entwickelt habe.

Schon der Gottesname Zeus am Anfange der Göttertrias in

Adulitanum würde für eine solche Auffassung von 'Astar sprechen,

falls, wie Littmann meint, Zeus hier wirklich griechische Wieder-

10 gäbe von 'Astar sein sollte. Deutlicher redet doch der Name

'Egzfa samäy , «Herr des Himmels", in Rüppell TL, denn dieser

Gottesname ist sicher wie D. H. Müller erkannt hat, und wie

wohl auch L i 11 m a n n annimmt, eine Variante des männlichen 'Astar.

Endlich findet sich das Wort 'Astar im Tigre, worauf schon

15 Grimme, Mohammed S. 8, aufmerksam gemacht, noch als Bezeichnung

für „Himmel".

Wenn wir aber nicht der Naturseite der Götter, sondern der

aus der Naturgrundlage entstandenen mythologischen Personi¬

fikation unsere Aufmerksamkeit zuwenden, dann sind die aksu-

«0 mitischen Götter mit den südarabischen Göttern noch ziemlich

identisch. In Aksum wie überall in Südarabien, ja überhaupt vielfach bei den Semiten und Ägyptern, finden wir drei Gottheiten, zwei männ¬

liche und eine weibliche, diese werden wahrscheinlich wie in Süd¬

arabien und auch sonst bei den Semiten und Ägyptern in der Form

S5 einer Götterfamilie als Vater, Sohn und Mutter gedacht. Die

Erdegöttin kommt ja überall in der Mythologie als Muttergöttin

vor, und ist als solche bei den heutigen Abessiniern mit der christ¬

lichen M a r i a verschmolzen ^). Mahrem, der lunare Hauptgott, wird

als Vater bezeichnet und der männliche 'Astar ist wohl bei den

so Aksumiten wie bei den Südarabern der Sohn der beiden großen Götter.

lebendigen Wesen. Vgl. Th. Nöldeke: Mutter Erde und Verwandtes bei den Semiten. — Paul Dhorme: La Terre-mfere chez les Assyriens. Archiv für Beligionswissensch., Bd. 8, 1905, S. 161—166; 550—552. — L. Köhler:

Biblische Spuren des Glaubens an die Mutter Erde? — W. Dittmar: Zum

Glauben an die „Mutter Erde", Zeitschr. f. d. neutestamentl. Wissensch., Bd. 9,

1908, S. 77—80; 841—344. — W. Graf Baudissin : Adonis und Esmun,

Leipzig 1911, S. 20 Anm.

Im Äthiopischen wie im Alten Testament (Sir. 40, 1; 16, 30; 17, 1; Hiob 1, 21; Gen. 3, 19) ist die Erde Ji"» ' thftP' 'emma hejäw „Mutter des Leben¬

den" und der Mensch, "MK > JiO" « A^f* egitäla 'emma hejäw ein „Kind"

oder „Sprößling" dieser Mutter (s. Nöldeke 1. c. S. 163).

1) Vgl. Littmann: , Abyssinia' in Hastings Encyclopädia, S. 58. "The excessive and unbounded cult of the Virgin Mary which even the Muhammedans share to some extent, must in a way reflect the cult of a deposed pagan goddess.

Mary lives on high mountains, at springs, and in the sycamore trees which in ancient Egypt were sacred to Hathor. Who the pagan prototyp of Mary was, we cannot determine: she may have been Allot of the Arabs or "Earth mother", scarcely Istar, the "Lady of Heaven", since 'Astar was a male deity in ancient Abyssinia,

4 3 *

(9)

Nielsen, Die äthiopischen Götter. 597

Bei den südarabischen Göttern, besonders beim Hauptgott, tritt

die Naturseite des Gottesbegriffes mehr und mehr zurück, indem

die aus dem Naturobjekt entstandene göttliche Person sich all¬

mählich von diesem loslöst. So ist der Hauptgott schon sehr früh

— wie seine Namen und Beinamen beweisen — ein ethischer, s

persönlicher Gott geworden, dessen lunarer Charakter sehr selten

hervortritt. Das spärliche archäologische Material bei den Aksumiten

gestattet vor der Hand nicht die religiöse Entwickelung hier im

Einzelnen zu verfolgen, aber es ist wohl kaum ein Zufall, daß der

Innare Hauptgott nie mit einem lunaren Namen bezeichnet wird, lo

sondern stets als ethischer Gott die personifizierte Heiligkeit, Makrem,

ist. Ein solcher Name entspricht nicht allein dem katabanischen

Mondnamen Hrmn (,der Heilige"), sondem auch minäischem Wadd

(„Liebe"), kataban. Hukm („Weisheit"), sab. Rakmanan („der Barm¬

herzige*), was alles Namen des Mondgottes sind. 15

Die kürzere Ge'ez-Inschrift des Königs [Tanzana (Rüppell I),

die sicher jünger ist als die Trilinguis des Königs 'Aizan und

wohl im 5. Jahrhundert n. Chr. anzusetzen ist, gibt keine Anhalts¬

punkte für eine Weiterentwickelung der Göttergestalten. Wir finden

hier dieselben drei Gottheiten und sie tragen genau dieselben Namen, se

die wir schon als die Götternamen der Trilinguis behandelt haben,

es sind: Makrem, der Innare Hauptgott; 'Astar, der Venusgott;

Beker oder Medr, die Erdegöttin. Daß 6ine (jottheit in einer

Götteranrufung zwei Namen trägt, ist in den sabäischen Inschriften

eine wohlbekannte Erscheinung i). 26

Dagegen ist die größere Ge'ez - Inschrift desselben Königs

(Rüppell II) von großem religionshistorischen Interesse. Dieser Text

erwähnt die drei Götter: 'Egzi'a beker, 'Egzt'a samäj nnd Medr.

'Egzl'a beher ist als »Herr der Welt* der gewöhnliche äthio¬

pische Name des christlichen Hauptgottes , und deshalb betrachtet so

man diese Urkunde gewöhnlich als christlich oder monotheistisch,

indem man 'Egzl'a samäj als Variante von 'Egzl'a beker faßt und

die Medr in ZeUe 49—50 nicht beachtet oder jedenfalls nicht als

Gottheit betrachtet.

Nun muß aber, wie schon Hal6vy (1. c. S. 461) richtig ge- ss

sehen hat, 'Egzl'a samäj ein anderer Gott als 'Egzl'a beker sein,

— und er ist, wie D. H. M ü 11 e r erkannt hat, sicher ein anderer

Name des 'Astar. Auch Medr wird hier direkt als Gottheit und

zwar als Erdegöttin bezeichnet. Die beiden Ge'ez-Urkunden stammen

ja von demselben König , — in der kürzeren weiht er den Thron 40

1) D. H. Haller hat in seiner Beprodulition von Bent's Abklatsch dieser Inschrift anstatt 'flih.C Beher Zeile 25—26 den Namen (I^XT Baräs (Epigr. Denkm., Taf. II, S. SBff.). Litt mann hat aber (Vorbericbt 8. 11) wie schon d'Abbadie Belker und diese Lesung ist nach freundlicher privater Hit- teilnng von Littmann „absolut sicher*. tti'K soll auch nicht in BOppell II, Z. 47—48 vorkommen.

Zeitschrift der D. M. G. Bd. LXVI. *0

(10)

dem 'Astar und der Erdegöttin Beher oder Medr (Rüppell I,

Zeile 24—26), in der längeren weiht er ihn dem 'Egei'a sarriäj

und der Medr (Rüppell II, Zeile 48—50)^). Ferner ist nach Dill-

m an n's und D. H. Müller's Textergänzung in Zeile 5—6 der

6 Königstitel „Sohn des Mahrem' (Rüppell I, Zeile 5) wahrscheinlich

auch in diesem Text belegt. Rein christlich kann also dieses Denk¬

mal in keinem Falle sein. Neben 'Egzi'a beher kommen sicher

zwei andere Gottheiten 'Egzi'a samäj und Medr vor.

Was 'Egzl'a beker anlangt, so ist es eine bedeutsame religions- 10 historische Tatsache, daß dieser Name, der in der äthiopischen Bibel¬

übersetzung für den christlichen Gott verwendet wird, hier neben

heidnischen Göttern figuriert. Wenn wirklich seine Existenz in

dieser Inschrift der Tätigkeit der christlichen Missionare zu ver¬

danken ist, dann hätten wir hier einen höchst merkwürdigen Synkre-

16 tismus von heidnischen und christlichen Vorstellungen, und 'Egzi'a

samäj muß in diesem Falle den christlichen Gottessohn bezeichnen.

Vielleicht ist aber die Sache anders zu erklären.

Als das Christentum in Südarabien Eingang fand, wurde der

christliche „Gott" mit dem einheimischen Namen Rahmanan „der

80 Barmherzige' benannt. Dieser Name bezeichnete früher den höchsten

arabischen Gott, den ehemaligen Mondgott, und wurde als solcher

später für den christlichen „Gott, der Vater' und für Muhammed's

Alläh verwendet*).

Da nun der Gottesname 'Egzi'a beher nicht aus der Bibel

S8 stammt, sondern ein äthiopischer Name ist, so wäre immerhin die

Annahme die wahrscheinlichste, daß er ursprünglich ein Name des

obersten heidnischen Gottes bei den Aksumiten war und in Rüppell II

den Mahrem, vielleicht als Nationalgott „Herr des Landes', be¬

zeichnet. Wir hätten dann hier dieselbe Trias wie in Rüppell I,

80 und diese beiden Denkmäler rühren ja auch von demselben König her.

Nimmt man aber in Rüppell II christlichen Einfluß an, dann

repräsentiert 'Egzi'a beher als christlicher „Gott' religionshistorisch

sicher die Vatergestalt, 'Egzi'a samäj und Medr wahrscheinlich

den Gottessohn und die Muttergöttin. In beiden Fällen sind die

35 drei Gottheiten sicher, wie gewöhnlich in der Religionsgeschichte, in der Form einer Götterfamilie als Vater, Sohn und Mutter gedacht.

Die äthiopischen Götter, soweit wir sie zur Zeit kennen, bilden also wahrscheinlich die gleiche Götterfamilie wie die südarabischen

und können unter folgendes Schema gebracht werden:

1) „Und ich weihte diesen Thron, den ich errichtet habe, dem Egzl'a samäj, der mich zum König berufen hat, und der Medr, welche ihn trägt".

Die scheinbare maskuline Verbalform zajesawrö ist wohl aus der bekannten äthiopischen ßegellosigkeit im Ausdruck des Geschlechtes zu erklären; vgl.

Fr. Praetorius: Äthiopische Grammatik, 1886, § 101, S. 88—89.

2) A'gl. den Anfang von Gl. 618 Tü"l[p] HIT IfinffiMl ISttni: „Der Barmherzige und sein Messias uud der heilige Geist", MVAG. 1897, 8, S. 31.

(11)

Nielsen, Die äthiopischen Götter. 599

Vater Sohn? Mutter

orchristliche Zeit:

;uis (4. Jahrh, n. Chr.) : 11 I (6. Jahrh. n. Chr.):

II II (6. Jahrh. n. Chr.) : Hondgott Mahrem Mahrem 'Egzi'a beher

Venusgott 'Astar 'Astar

'Astar

^Egzi'a samäj

Sonnengöttin Dät-Ba'dan Erdegöttin Beher Medr Erdegöttin Beher Medr Erdegöttin Medr

Dabei muß aber ausdrücklich betont werden, daß diese Auf¬

fassung nur als eine vorläufige Hypothese betrachtet werden muß.

Das wenige archäologische Material bei den ostafrikanischen Semiten

reicht zu einem präzisen und deutlichen Bild von ihrer vorchrist¬

lichen Religion nicht aus; über Andeutungen und Vermutungen 6

kommen wir nicht hinaus. Man muß vorläufig in hohem Grade

Analogieschlüsse von anderen Religionen verwenden , und solche

Schlüsse sind ja ein höchst unvollkommenes Sul-rogat für urkund¬

liche Belege. Das dürftige Material läßt uns häufig gerade dort

im Stich, wo man besonders gern einen urkundlichen Anhaltspunkt lo

haben möchte. Reichlicheres Material und weitere Forschungen

werden wahrscheinlich auf vielen Paukten dieses provisorische

Essay berichtigen und zum Abschlüsse bringen können.

Mit meinen heutigen Ausführungen möchte ich vor allem aber

wiederum die Aufmerksamkeit der Religionshistoriker auf die bisher i6

fast völlig unbeachtete alte südsemitische Religion lenken. In der

semitischen Religionsgeschichte steht seit Jahren das Studium der

alten babylonisch-assyrischen Religion im Vordergrunde. Gewiß sind

die Keilinscbriften weitaus die älteste und weitaus die ausführlichste

Quelle für unsere Kenntnis des alten semitischen Heidentums ; aber to

es ist ein Irrtum, wenn man die babylonisch-assyrische Religion

als Typus der altsemitischen Religion betrachtet und andere ver¬

wandte Religionsformen, wie z. B. eben die alte südarabische Religion, einfach als babylonische Entlehnung erklärt. Die alte babylonische Religion ist keine primitive Religionsform, sondern eine hochentwickelte 25 Kulturreligion ; sie ist nicht rein semitisch, sondern mit vielen nicht¬

semitischen Elementen durchsetzt, die den anderen semitischen Reli¬

gionen völlig fremd sind, und kann daher unmöglich als gemeinsemitisch

oder Urform der anderen semitischen Religionen angesehen werden.

In der alten arabischen Kultur findet man auf Sehritt und so

Tritt weit primitivere und ursprünglichere Zustände, und diese

Kultur ist echt semitisch ; auch die arabische Sprache hat bekannt¬

lich noch in ihrer nachchristlichen literarischen Form im Vergleich

mit anderen semitischen Sprachen , ja auch im Vergleich mit der

uralten babylonischen Sprache , ein sehr altertümliches Gepräge. S5

Aus diesen Gründen betrachtet man gewöhnlich Arabien als die

Wiege der semitischen Kultur und die Urheimat der Semiten ; da

drängt sich denn die Annahme auf, daß auch die alte arabische

Religionsform unter allen semitischen Religionen die ursprünglichste

sein müsse und uns das beste Bild von einer vermuteten ,ursemi- 40

tischen" oder ,gemeinsemitischen" Religion geben könne.

40*

(12)

Mit der alten arabischen Religion hat man aber früher nicht

arbeiten können, weil man sie einfach nicht gekannt hat. Das

nachchristliche sogenannte .vorislamische" arabische Heidentum ist,

wie H. Winckler richtig betont hat^), keine primitive oder ur-

6 sprüngliche Religionsform, und anßerdem gibt die schlechte islamische

Überlieferung ein sehr trübes und (Verworrenes Bild von dieser

Religion.

Dagegen finden wir in den alten vorchristlichen arabischen

Inschriften eine primitive und einfache Naturreligion, die fast bei

10 allen Völkern der Erde den Ausgangspunkt oder jedenfalls ein sehr

ursprüngliches Stadium der religiösen Entwickelung bildet. Ich

werde an anderem Orte dartun , daß dieselbe Religion als Mutter¬

religion nicht allein der sogenannten ,vorislamischen" arabischen Religion, sondern auch der uns bekannten nordsemitischen Religions-

15 formen angesehen werden muß.

In der südsemitischen Epigraphik haben bisher Schwierigkeiten mannigfacher Art, besonders das Unveröffentlichtsein so vieler Glaser-

Texte , auf das Studium dieser Inschriften sehr hemmend gewirkt.

Da nnn aber Glaser's reiche Inschriftensammlung augenscheinlich

20 bald veröffentlicht wird, und der Vorbericht der deutschen Aksum¬

expedition uns auch viel neues Material verspricht, so ist zu er¬

hoffen, daß künftighin sich zahlreiche Forscher mit dem religiösen

Inhalt dieser Urkunden beschäftigen und greifbare Resultate auf

diesem noch so dunkeln Gebiete liefern werden.

1) .ArabUch-Semitisch-Orientalisch' in MVAG., Bd. 6, 1901, S. 151—374.

(13)

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