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Die äthiopischen Götter.
. Von Ditlef Miehen.
Der uralte Handelsverkehr zwischen Südarabien und der gegen¬
überliegenden afrikanischen Küste führte in sehr früher Zeit Süd¬
araber nach Afrika 1). Schon in der ersten Hälfte des ersten Jahr¬
tausends V. Chr. finden wir sabäische Niederlassungen in Nordost¬
afrika. Bei J e h a in der Nähe des heutigen A d u a hat man einen
ehrwürdigen alten Tempel gefunden, nach der Beschreibung offenbar
einen Schwestertempel des berühmten Mondtempels bei Märib, also
einen afrikanischen Haram Bilkis (ohne Fenster und ohne Dach).
Die spärlichen Überreste von Inschriften beweisen, daß hier wirk¬
lich ehemals Sabäer wohnten; die Bucljstabenformen und die Bustro-
phedon-Schreibweise führen uns in die Zeit zwischen dem 5. und
8. Jahrhundert v. Chr. hinauf. — Wir können vermuten, daß diese
afrikanischen Sabäer, deren Schrift, Sprache und Tempeleinrichtungen
genau mit dem Sirwah- und Märib-Typns übereinstimmen , auch
wie ihre Volksgenossen in Arabien Venusstern , Mond und Sonne
verehrten. Das Fragment .ooM«)hiovx?[n..
(Bent, Jeha 5) läßt, wie schon D. H. Müller gesehen hat, mit
großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, daß der erwähnte Tempel
ein Mond-Tempel war, denn '^^^ l^^i den Sabäern der ge¬
wöhnliche Name des M 0 nd-Tempels. Auch die sabäische Sonnen¬
göttin Dät-Ba'dan ist nnn durch eine kleine Inschrift aus Aksum,
1) H. Orimme, Mohammed (Weltgeschichte in Karakterhildern), München 1904, S. 6 ff. betrachtet Nordostafrika als Heimat der Semiten, Arabien als ihre Durchgangsstation nach Norden. E. Glaser: Die Abessinier in Arabien und Afrika, München 1895, S. 138 ff. läßt die Aksumiten im I.Jahrhundert v. Chr.
aus Mahra (östlich von Hadramaut) nach Afrika übersiedeln. Die Völker¬
bewegungen der prähistorischen Urzeit kennen wir nicht; aber diejenigen afri¬
kanischen Semiten, die wir aus den Denkmälern und der äthiopischen Literatur kennen, waren sicher von Haus aus Sabäer. Die Denkmäler haben eine feste Brücke zwischen Saba und Aksum geschlagen. Die äthiopische Sprache ist von Anfang an sabäisch und bleibt immer eine sabäische Ahart. — Die Denkmäler geigen deutlich, wie das Sabäische allmählich sich zu der Schrift und Sprache verändert, die wir äthiopisch nennen.
die wir der deutschen Aksumexpedition verdanken, helegt worden;
und 'Astar , der südarabische Venus gott , kommt wahrscheinlich
in der von Littmann rekonstruierten Kapitälinschrift (Bent,
Jeha 1—3) vor. Die vielen noch unerforschten Strecken in Nord-
6 ostafrika bergen sicher ähnliche semitische Altertümer aus der vor¬
christlichen Zeit in Menge; mit der Zeit werden wir hoffentlich
mehr von dortigen altsemitischen Niederlassungen erfahren.
Unter jenen afrikanischen Semiten bildet sich um die Zeit
Christi das Königreich Aksum, wo im 4. und 6. Jahrh. n. Chr.
10 das Christentum Eingang findet. Die wenigen aksumitischen Denk¬
mäler vor dieser Zeit geben über altsemitische Götterlehre nicht
' viel Auskunft, weil hier von Anfang an griechischer Einfluß sich
im starken Maßstabe geltend macht. So ist die Inschrift von Adule
(Monumentum Adulitanum), die wahrscheinlich von einem Aksum-
15 könig am Anfang der christlichen Ära herrührt, rein griechisch ; sie erwähnt Ares als Hauptgott [ihv fiiyiatov &e6v fiov "AQrjv) und
außerdem die Trias Zeus, Ares uud Poseidon (tö du xal tö
"Agei xal tä Iloßeiä&vt &vatdaai,). In den späteren aksumitischen
Königsurkunden zwischen 300 und 500 n. Chr. kommen semitische
to Götter zum Vorschein.
In der Trilinguis des Königs 'Alzan, ca. 350 n. Chr., ist
der König im äthiopischen Teile Sohn des Gottes Makrem (griechisch Ares) und bringt seine Weihung den drei Gottheiten Oftf"<; 'Astar,
00%,^ Medr und oo^^ob Mahrem dar. Im sabäischen Texte ist
«8 der König ebenfalls ,Sohn des Mahrem', die drei Gottheiten heißen
aber hier OXA® '^star, Jl>4'B ßeker und Jll|>1'Jl Makrem.
In der altäthiopischen Königsinschrift von Ela-'Amida (Bent II)
fehlt der griechische Text; der König nennt sich auch hier ,Sohn
des Mahrem« }]2]>'F]] I Hl®- Derselbe Königstitel ist belegt in
so den beiden vokalisierten Ge'ez-Inschriften vom Sohne dieses Königs;
in der kürzeren, Rüppell I, finden wir die Götter Oft+C 'Astar,
•flffbC Beher, 9'ß:C Medr und «"»ACf" Mahrem, in der längeren,
Rüppell II, wo man christlichen Einfiuß vermutet hat Ji^ttJi |
'Egel' a samäj, y"S:C Medr und | 'flth.C 'Egzl'a beker^).
S5 Wenn wir nun diese verschiedenen Götternamen betrachten, so
sehen wir bald, daß die aksumitischen Götter wohl nicht wie die
vorchristlichen äthiopischen Götter rein sabäisch, aber dennoch aus
den sabäischen Göttern hervorgewachsen und mit diesen zum Teil
identisch sind, genau wie die aksumitische Schrift und Sprache von
1) D. H. MOlIer, Epigraphiscbe Denkmäler aus Abessinien, in Denkschr.
der kais. Akad. der Wissensch, in Wien. Wien 1894. — E. Littmann und
D. Krencker: Vorbericht der deutschen Aksumexpedition, in den Abhandl. d.
kgl. preuß. Akad. der Wissensch., 1906, Anhang, I, Epigraphik von E. Litt- mann, S. 5—12. — Über die aksumitischen Götter haben gehandelt J. Haiävy:
Journal asiatique 1883, II, S. 454—467, und E. Littmann in Basting's Encyclopaedia of Religion and Ethics, Artikel Abyssinia, Vol. I, 1908, S. 57—59.
Nielsen, Die äthiopischen Götter. 591
Anfang an rein sabäisch war, aus der sabäischen Schriftsprache sich
entwickelt hat und noch in vielen Punkten mit dieser übereinstimmt.
Ich habe früher gezeigt, daß die alte südarabische Religion
ursprünglich eine sehr einfache Naturreligion war, indem alle süd¬
arabischen Völker außer Mond und Sonne nur den hellstrahlen- s
den Venusstern verehrteni).
Diese Himmelskörper wurden aber nicht als unpersönliche
Naturobjekte, sondern — wie gewöhnlich in der Mythologie — als
beseelte, den Menschen wohlwollende Wesen gedacht, rmd diese aus
den drei größten Gestirnen entstandenen persönlichen Götter lo
spielten in der weiteren Entwicklung dieser Religion eine weitaus
größere Rolle als das Naturobjekt selbst. So war der Venusstern,
der neben den beiden großen Himmelskörpern in der Mythologie
weniger hervortritt, stets eine männliche Gestalt und der Sohn von
Mond und Sonne; der lunare Hauptgott ist ebenfalls stets männ- 15
lieh, er wurde als Vater und als nationaler Schutzgott des Volkes
und des Königs gedacht; die Sonne ist in allen südarabischen
Texten weiblich und wurde als Muttergöttin und Schutzgöttin
der Familie verehrt.
Daß die mythologische Personifikation gerade diese Formen 20
annimmt, kommt natürlich daher, daß Mond und Sonne wie bei
den meisten anderen Völkern als Ehepaar und als Vater und Mutter
des Venussternes und der anderen Sterne aufgefaßt wurden; sie
sind aber zugleich (wie überall in der primitiven Mythologie) Vater
und Mutter der Menschen, besonders des Stammes oder des Volkes. 25
Dieselben drei Naturgötter haben wir schon bei den vorchrist¬
lichen Abessiniern getroffen und finden sie nun in modifizierter Form
bei den Aksumiten wieder.
In den beiden Götterreihen der Trilinguis
'Astar Beher Mahrem") so
'Astar Medr Mahrem
erkennt man sofort eine Abhängigkeit von der südarabischen Götter¬
trias. Hier wie in Südarabien werden nur drei Götter erwähnt, und
hier wie dort steht der Venusgott an der Spitze der Götteranrufung,
indem 'Astar lautlich genau dem südarabischen 'Attar entspricht 35
(s. J. Halevy 1. c. S. 465).
In den anderen Namen ist man dann von vornherein geneigt
lunare und solare Gottheiten zu suchen, um so mehr als die Athiopen
nach Heliodor (3. Jahrh. n. Chr.) außer einem Gott, den er
Dionysios nennt, als Hauptgötter Sonne und Mond verehrten und 40
Dillmann eine aksumitische Goldmünze aus heidnischer Zeit (etwa
1) Vgl. ,Die südarabische Göttertrias" in ,M<ilanges Hartwig Derenbourg', Paris, 1909, S. 187—195. ,Der sabäische Gott Ilmukah" in Mitteil, der Vorderas.
Gesellscb., Bd. 14. 1909 (besonders S. 354—374).
2) ]]}]^4'^ sabäischen Texte sicher Zeile 2 und 18 belegt und
von Litt mann richtig Zeile 21 nach H^ffl^ ergänzt.
* 3
3. oder 4. Jahrh. n. Chr.) erwähnt, auf der Sonne und Mond in
der gleichen Weise wie auf südarabischen Altaren abgebildet sind^).
Mahrem sieht allerdings fremdartiger aus als 'Astar, aber der
dem Namen zugrundeliegende Begriflf ist in den südarabischen In-
5 scbriften als Epithet oder Name des Mondgottes bekannt, und der
Gott selbst , so wie er in den aksumitischen Texten auftritt , ist
mit dem südarabischen Mondgott identisch.
Im 'Sa.men Makrem, H^l*?!! kann das Schluß-wi nicht Mimation
sein, da die Form HJl^l'Jl i™ sabäischen Teile der Trilinguis belegt
10 ist. Das Wort ist also, wie schon Halevy gesehen hat, eine m-
Bildung aus Yhrm- Derivate aus diesem Stamme kommen in den
verschiedenen semitischen Sprachen häufig vor, sie bedeuten stets
etwas Sakrales und gehen offenbar auf eine Grundbedeutung „heilig
sein' zurück.
15 In den südarabischen Inschriften ist 11^4*^ mkrm in der Be¬
deutung „Heiligtum* häufig belegt, 11^4' hrm kommt in der Be¬
deutung „Heiligkeit' vor'^); Jl^l*!! mkrm bezeichnet also hier den
Gott als den „heiligen", ob man nun diese Form als eine Partizipial¬
bildung oder als eine abstrakte Nominalbildung fassen mag*).
so Als Gottesname muß H^VJl niit dem Gottesnamen H^)*!*
krmn im katabanischen Text NTY. Nr. 2 ziemlich identisch sein.
An anderem Orte habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß hier
die Götternamen 'Amm „Vater* und Hukm „Weisheit* in Zeile 2
den Namen Warah „Mond* und Ilrmn „der heilige' in Zeile 4
25 und 5 entsprechen und daß Hukm ein Epithet des Mondgottes ist*).
Demzufolge ist Jlrmn auch ein Name des Mondgottes, und da das
n natürlich der Artikel ist, so ist die appellativische Bedeutung
„der heilige' wahrscheinlich noch gefühlt worden ; gewöhnlich werden
ja Götternamen als Nomina propria nicht determiniert gebraucht.
1) A. Dillmann: Über die Anfänge des aksumitischen Reiches in den Abhandl. d. königl. Akad. der Wissensch, zu Berlin, 1878, S. 227f. Heliodori, Aethiopicorum libri decern. Bekkers Ausgabe. Leipzig 1855, 10. Buch, 2, 4, 6, S. 274, 276, 278. Heliodor verwechselt aber das Geschlecht von Mond und Sonne, er läßt nach griechischer Art die Sonne (Helios) männlich und den Mond (Selene) weiblich sein, und auch seine drei äthiopischen Heroen Memnon, l'erseus
und Andromeda gehören dem griechischen Mythenkreis an. Der eine Zug,
daß er als äthiopische Götter oder Halbgötter nur drei erwähnt und daß von diesen zwei männlich und eine weiblich ist, wird aber von den Inschriften bestätigt.
2) ZDMG., Bd. 19, S. 20, 96, Bd. 24, S. 199. — Wiener Hofmuseum Nr. 6 Z. 1 und 6 (Glaser 1052) D. H. Müller: Südarabische Altertümer, Wien, 1889, S. 21fr.
3) E. Littmann vergleicht den Gottesnamen nW"inM der thamudischen Grafeti Eut. 122—125 MVAG. 1904, Bd. 9, S. 43.
4) H. Derenbourg: Nouveaux textes yem^nites inedits. Revue d'Assyrio- logie, V. Vol., Nr. 4. Paris 1902. S. 117fr. — D. Nielsen: MVAG. 1906, S. 259, 261. 1909, S. 361 f.
4 3
Niehen, Die äthiopuchen Gölter. 593
Wenn aber anch der Name uns völlig dunkel wäre, so müßten
wir schon ans anderen Gründen Mahrem als Mondgott auffassen;
er figuriert nämlich in allen heidnischen aksumitischen Inschriften als der Hauptgott, der nationale Kriegsgott und der spezielle Schntz-
gott des .Königshauses, in allen südarabischen, ja fast in allen 5
semitischen Denkmälern ein sicheres Kennzeichen des Mondgottes.
Als nationaler dfriegsgott wird er in den griechischen Texten
durch den Kriegsgott Ares (Mars) v^iedergegeben, nnd als Hanpt-
gott ist er in Adulitanum „der oberste Gott" 6 (UyuiTog &i6g.
Auch der ständige Königstitel „Sohn des Mahrem' beweist, daß 10
Mahrem der lunare Hauptgott sein muß. Dieser Ausdruck ist nicht
eine lediglich symbolische oder poetische Bezeichnung, sondem soll
in mythischem Sinne buchstäblich aufgefaßt werden. Der Mondgott
Mahrem ist sein wirklicher physischer Vater, er hat ihn „gezeugt"
.— Es- ist eine sehr wichtige Mythologie, die durch diese Ausdrücke i5
b&i den Aksumiten belegt wird.
Die Auffassung, daß der Stamm, das Volk oder das ganze
Menschengeschlecht göttlicher Herkunft sei und vom eben erwähnten
großen Götterpaar, dem göttlichen Urvater und der göttlichen ür-
mufcter abstamme, findet sich überall in der primitiven Mythologie 20
Wo der Mond der Vater ist (wie bei den Semiten), ist er der
Stammvater des Volkes und Urahn des Menschengeschlechts. Ara¬
bische Stämme heißen Banü Hilrd „Söhne des Neumonds", Banü
Bedr „Söhne des Vollmonds". Alle südarabischen Völker nennen
sich „Kinder" des Mondgottes*). 25
Die Moabiter sind die Söhne und Töchter des Kemöä (Num.
21,29), das hebräische Volk ist „der Sohn" Jahwes (Ex. 4,22;
Hos. 11, 1) und bei den Babyloniem ist der Mondgott der „Vater,
der alles erzeugt", der „Erzeuger der Götter und Menschen" (Mond-
hymue IV R 9 Z. 16, 21). so
Bei den Nordsemiten, wo der Mensch- und Königskultus sehr
früh belegt sind, wird nun diese Vorstellung dahin modifiziert, daß
der König der spezielle Sohn des Mondgottes ist. Bei den Baby¬
loniern und Assyrem ist der König von der ältesten Zeit an der
leibliche Sohn des Mondgottes, als solcher beansprucht und geniest 35
er göttliche Verehreng. Bei den Aramäern ist die gleiche Vor¬
stellung im häufigen Königsnamen Ben-Hadad „Sohn des Mond¬
gottes' sicher belegt, wahrscheinlich auch im Königsnamen Bar-
Rekub der altaramäischen Inschriften, und auch der hebräische
König ist der leibliche physische Sohn dieses Gottes, der ihn „ge- 40
zeugt" hat (Ps. 2)»).
1) Vgl. Adulitannm, Zeile 23: og ftt xal iyivvriei; Trilinguis. griechischer Text, Z. 28: VTihQ di ivxccQiGriag rov ijii yevvriaavtog icvixriTOv 'Ageag;
Äthiopischer Text, Z. 19, 21, Rappell I, Z. 29—30: Mahrem za-waladani,
„Mahrem, der mich gezeugt hat'.
2) Der sabäische Gott Ilmukah: MVAG., Bd. 14, 1909, S. 373—374.
3) Auch bei den ägyptischen Pharaonen findet W. Max Müller gött-
Unter den südsemitischen Völkern, deren ganze Mythologie
einen weit primitiveren Charakter aufweist, und bei denen Königs¬
kult wie überhaupt Heroenkult bisher nirgends sicher belegt war,
finden sich nur sehr schwache und unsichere Ansätze zu einer
5 solchen Vorstellung. Ob die nach der Götteranrufung genannten
Könige, wie Fr. Lenormant gemeint hat, auch als Götter be¬
trachtet werden, läßt sich vor der Hand nicht entscheiden^); ben
sahar im Titel des katabanischen Königs (Gl. 1405,1; 1600,1)
bedeutet kaum ,Sohn des Mondgottes', sondem eher „Sohn des
10 Königs Sahar", da Sahar auch als Personenname und Königsname
vorkommt; in einem anderen katabanischen Text (NTY., Nr. 3)
heißt es allerdings im Königstitel bkr Anbai, — wahrscheinlich,
wie H. Derenbourg vorgeschlagen: „Erstgeborener des Gottes
Anbai*, d. h. des Mondgottes, aber der Text ist unvollständig und
15 jede Übersetzung vor der Hand problematisch. Wichtig ist daher,
daß diese Vorstellung durch die aksumitischen Texte in Abessinien
sicher belegt sind. Mahrem ist der Mondgott und als solcher Vater
des Königs.
Die dritte Gottheit Beher oder Medr ist im Gegensatz zu den
20 beiden schon behandelten männlichen Gestalten eine weibliche Gott¬
heit. Da nun die drei göttlichen Personen in Südarabien immer
als zwei Götter und eine Göttin, seil, als Vater, Sohn und Mutter
erscheinen , und da von diesen Gottheiten die beiden männlichen
Götter stets Mond und Venusstern sind, die weibliche Gottheit
25 dagegen die Sonne darstellt, so wäre es sehr verlockend hier die
dritte weibliche Gottheit der großen arabischen Sonnengöttin gleich¬
zusetzen, da der männliche Mond und der männliche Venusstern
sicher in Mahrem und 'Astar stecken.
Medr ist jedoch nicht die Sonne, Sondem das gewöhnliche
so äthiopische Wort für „Erde* (sowohl als terra, wie als humus nnd
solum). Beher bedeutet ebenfalls „Land*, „Erde" und kann nicht,
wie Littmann will, bahr „Meer* bedeuten und den Meeresgott
Poseidon bezeichnen. Wie Littmann selbst richtig bemerkt,
bedeutet das Wort sonst „Erde, Land" und „is even used in this
S6 sense in our inscription". Es wird außerdem im altäthiopischen
Text derselben Inschrift direkt mit medr übersetzt und muß also
wie medr in der Göttei-reihe die mythologisch personifizierte Erde, die Erdegöttin „Mutter Erde* bezeichnen.
Das Erscheinen des Poseidon in der griechischen Inschrift von
40 Adule wird durch das folgende vnlq r&v nlco'i^ofiivcov erklärt, ein
Meergott kommt in keinem der semitischen Texte vor. Überhaupt
glaube ich nicht, daß griechische Götterlehre die Aksumiten in.
wesentlichem Grade beeinflußt habe ; es ist natürlich, daß der semi- liche Abkunft und Inkarnation, OLZ., 12. Jahrg., 1909, S. 1—5; 15. Jahrg., 1912, S. 308—309.
1) Fr. Praetorius: Unsterblichkeitsglaube und Heingenverehrung bei den Himjaren, ZDMG. 27, 645—648.
Nielsen, Die äthiopischen Götter. 595
tische Nationalgott und Kriegsgott in einem griechischen Text
mit Ares wiedergegeben wird, aber Mahrem ist kein griechischer
Gott und die Erdegöttin Medr oder Beher ist kaum Wiedergabe
der griechischen Erdegöttin Ge oder Gaia , der Gemahlin des
Uranos, sondern eher ein natürliches mythologisches Äquivalent der 5
südsemitischen Sonnengöttin.
In der primitiven Mythologie, wo Mond und Sonne als Vater
und Mutter aller lebendigen Wesen auftreten, wird diese Vor¬
stellung sekundär auf Himmel und Erde ijbertragen. Der Himmel
ist wie bekannt der Vater, die Erde die göttliche Mutter, die aus lO
ihrem großen Mutterschoß alles Lebendige hervorbringt. Von diesen
beiden Ureltern spielt in der Mythologie Mutter Erde die Haupt¬
rolle und ersetzt durch eine leicht verständliche Ideenassoziation häufig die primäre astrale ürmutter^).
Mond und Sonne werden bekanntlich in allen Weltteilen als 15
Ehepaar gedacht, aber das Geschlecht wechselt bei den verschiedenen
Völkern ; häufig ist der Mond der Vater und die Sonne die Mutter
(wie z. B. bei den Germanen), häufig ist aber auch die Sonne männ¬
lich und der Mond die Gattin der Sonne (wie bei den Griechen
und Römern). Demzufolge entspricht die Erdegöttin nicht allein so
(wie Ehrenreich 1. c. S. 125, 237, 258 betont) ,dem Monde in
ihrem beiderseitige Verhältnis zur Sonne", sondern auch der Sonne
in ihrem Verhältnis zum Monde, d. h. das große Götterpaar er¬
scheint nicht allein als Sonne (Vater) und Erde (Mutter), sondern
auch als Mond (Vater) und Erde (Mutter). Das Schema ist 25
1. Vater Mutter 2. Vater Mutter 3. Vater Mutter
Sonne Mond Himmel Erde Sonne Erde
Mond Sonne Mond Erde
indem 3. durch Kombination von 1. und 2. entsteht.
Da nun bei sämtlichen Südseraiten und ursprünglich bei allen so
Semiten der Mond als Hauptgott und Vater, die weibliche Sonne
als Mutter erscheint , so ist es eine natürliche Weiterentwickelung
dieser Mythologie, wenn bei den Aksumiten die Erdegöttin an die
Stelle der südsemitischen Sonnengöttin tritt. Es ist genau derselbe
Vorgang , wie wenn z. B. bei den Indianern die Sonne als Vater, ss
dabei aber anstatt einer lunaren Mutter die Erde als Muttergöttin
erscheint, oder noch genauer: wenn bei den Germanen, Letten und
Litauern (bei denen — wie bei den Semiten — der Mond männlich
und die Sonne weiblich ist) die Erdegöttin „Mutter Erde" = Semmes mäte = Zemina an die Stelle der solaren Muttergöttin tritt"-).
1) P. Ehrenreich: Allgemeine Mythologie, Leipzig 1910 (Mytholog.
Bibliothek 4, 1) S. 158—159. — E. B. Tylor: Primitive Culture, London 1871.
Vol. I, S. 291—296. — A. Dieterich: Mutter Erde. Leipzig, 1905.
2) Eine solche Erdemythologie ist auch bei den anderen Semiten vor¬
handen. In der Sprache ist die Erde gewöhnlich weiblichen Geschlechts, in der Mythologie häufig die Muttergöttin , die Mutter der Menschen und aller 4 3*
Rein sabäisch ist also dieser Götterkreis nicht, der Unterschied
ist ziemlich groß, wenn wir die Naturgrundlage der Götter be¬
trachten. Die weiblich aufgefaßte Erde tritt nicht allein an die
Stelle der weiblichen Sonne, sondern es gibt auch Anzeichen dafür,
5 daß die gemeinsemitische Venusgottheit bei den Aksumiten sich
allmählich zu einem Himmelsgott {'Attar Samain) entwickelt habe.
Schon der Gottesname Zeus am Anfange der Göttertrias in
Adulitanum würde für eine solche Auffassung von 'Astar sprechen,
falls, wie Littmann meint, Zeus hier wirklich griechische Wieder-
10 gäbe von 'Astar sein sollte. Deutlicher redet doch der Name
'Egzfa samäy , «Herr des Himmels", in Rüppell TL, denn dieser
Gottesname ist sicher wie D. H. Müller erkannt hat, und wie
wohl auch L i 11 m a n n annimmt, eine Variante des männlichen 'Astar.
Endlich findet sich das Wort 'Astar im Tigre, worauf schon
15 Grimme, Mohammed S. 8, aufmerksam gemacht, noch als Bezeichnung
für „Himmel".
Wenn wir aber nicht der Naturseite der Götter, sondern der
aus der Naturgrundlage entstandenen mythologischen Personi¬
fikation unsere Aufmerksamkeit zuwenden, dann sind die aksu-
«0 mitischen Götter mit den südarabischen Göttern noch ziemlich
identisch. In Aksum wie überall in Südarabien, ja überhaupt vielfach bei den Semiten und Ägyptern, finden wir drei Gottheiten, zwei männ¬
liche und eine weibliche, diese werden wahrscheinlich wie in Süd¬
arabien und auch sonst bei den Semiten und Ägyptern in der Form
S5 einer Götterfamilie als Vater, Sohn und Mutter gedacht. Die
Erdegöttin kommt ja überall in der Mythologie als Muttergöttin
vor, und ist als solche bei den heutigen Abessiniern mit der christ¬
lichen M a r i a verschmolzen ^). Mahrem, der lunare Hauptgott, wird
als Vater bezeichnet und der männliche 'Astar ist wohl bei den
so Aksumiten wie bei den Südarabern der Sohn der beiden großen Götter.
lebendigen Wesen. Vgl. Th. Nöldeke: Mutter Erde und Verwandtes bei den Semiten. — Paul Dhorme: La Terre-mfere chez les Assyriens. Archiv für Beligionswissensch., Bd. 8, 1905, S. 161—166; 550—552. — L. Köhler:
Biblische Spuren des Glaubens an die Mutter Erde? — W. Dittmar: Zum
Glauben an die „Mutter Erde", Zeitschr. f. d. neutestamentl. Wissensch., Bd. 9,
1908, S. 77—80; 841—344. — W. Graf Baudissin : Adonis und Esmun,
Leipzig 1911, S. 20 Anm.
Im Äthiopischen wie im Alten Testament (Sir. 40, 1; 16, 30; 17, 1; Hiob 1, 21; Gen. 3, 19) ist die Erde Ji"» ' thftP' 'emma hejäw „Mutter des Leben¬
den" und der Mensch, "MK > JiO" « A^f* egitäla 'emma hejäw ein „Kind"
oder „Sprößling" dieser Mutter (s. Nöldeke 1. c. S. 163).
1) Vgl. Littmann: , Abyssinia' in Hastings Encyclopädia, S. 58. "The excessive and unbounded cult of the Virgin Mary which even the Muhammedans share to some extent, must in a way reflect the cult of a deposed pagan goddess.
Mary lives on high mountains, at springs, and in the sycamore trees which in ancient Egypt were sacred to Hathor. Who the pagan prototyp of Mary was, we cannot determine: she may have been Allot of the Arabs or "Earth mother", scarcely Istar, the "Lady of Heaven", since 'Astar was a male deity in ancient Abyssinia,
4 3 *
Nielsen, Die äthiopischen Götter. 597
Bei den südarabischen Göttern, besonders beim Hauptgott, tritt
die Naturseite des Gottesbegriffes mehr und mehr zurück, indem
die aus dem Naturobjekt entstandene göttliche Person sich all¬
mählich von diesem loslöst. So ist der Hauptgott schon sehr früh
— wie seine Namen und Beinamen beweisen — ein ethischer, s
persönlicher Gott geworden, dessen lunarer Charakter sehr selten
hervortritt. Das spärliche archäologische Material bei den Aksumiten
gestattet vor der Hand nicht die religiöse Entwickelung hier im
Einzelnen zu verfolgen, aber es ist wohl kaum ein Zufall, daß der
Innare Hauptgott nie mit einem lunaren Namen bezeichnet wird, lo
sondern stets als ethischer Gott die personifizierte Heiligkeit, Makrem,
ist. Ein solcher Name entspricht nicht allein dem katabanischen
Mondnamen Hrmn (,der Heilige"), sondem auch minäischem Wadd
(„Liebe"), kataban. Hukm („Weisheit"), sab. Rakmanan („der Barm¬
herzige*), was alles Namen des Mondgottes sind. 15
Die kürzere Ge'ez-Inschrift des Königs [Tanzana (Rüppell I),
die sicher jünger ist als die Trilinguis des Königs 'Aizan und
wohl im 5. Jahrhundert n. Chr. anzusetzen ist, gibt keine Anhalts¬
punkte für eine Weiterentwickelung der Göttergestalten. Wir finden
hier dieselben drei Gottheiten und sie tragen genau dieselben Namen, se
die wir schon als die Götternamen der Trilinguis behandelt haben,
es sind: Makrem, der Innare Hauptgott; 'Astar, der Venusgott;
Beker oder Medr, die Erdegöttin. Daß 6ine (jottheit in einer
Götteranrufung zwei Namen trägt, ist in den sabäischen Inschriften
eine wohlbekannte Erscheinung i). 26
Dagegen ist die größere Ge'ez - Inschrift desselben Königs
(Rüppell II) von großem religionshistorischen Interesse. Dieser Text
erwähnt die drei Götter: 'Egzi'a beker, 'Egzt'a samäj nnd Medr.
'Egzl'a beher ist als »Herr der Welt* der gewöhnliche äthio¬
pische Name des christlichen Hauptgottes , und deshalb betrachtet so
man diese Urkunde gewöhnlich als christlich oder monotheistisch,
indem man 'Egzl'a samäj als Variante von 'Egzl'a beker faßt und
die Medr in ZeUe 49—50 nicht beachtet oder jedenfalls nicht als
Gottheit betrachtet.
Nun muß aber, wie schon Hal6vy (1. c. S. 461) richtig ge- ss
sehen hat, 'Egzl'a samäj ein anderer Gott als 'Egzl'a beker sein,
— und er ist, wie D. H. M ü 11 e r erkannt hat, sicher ein anderer
Name des 'Astar. Auch Medr wird hier direkt als Gottheit und
zwar als Erdegöttin bezeichnet. Die beiden Ge'ez-Urkunden stammen
ja von demselben König , — in der kürzeren weiht er den Thron 40
1) D. H. Haller hat in seiner Beprodulition von Bent's Abklatsch dieser Inschrift anstatt 'flih.C Beher Zeile 25—26 den Namen (I^XT Baräs (Epigr. Denkm., Taf. II, S. SBff.). Litt mann hat aber (Vorbericbt 8. 11) wie schon d'Abbadie Belker und diese Lesung ist nach freundlicher privater Hit- teilnng von Littmann „absolut sicher*. tti'K soll auch nicht in BOppell II, Z. 47—48 vorkommen.
Zeitschrift der D. M. G. Bd. LXVI. *0
dem 'Astar und der Erdegöttin Beher oder Medr (Rüppell I,
Zeile 24—26), in der längeren weiht er ihn dem 'Egei'a sarriäj
und der Medr (Rüppell II, Zeile 48—50)^). Ferner ist nach Dill-
m an n's und D. H. Müller's Textergänzung in Zeile 5—6 der
6 Königstitel „Sohn des Mahrem' (Rüppell I, Zeile 5) wahrscheinlich
auch in diesem Text belegt. Rein christlich kann also dieses Denk¬
mal in keinem Falle sein. Neben 'Egzi'a beher kommen sicher
zwei andere Gottheiten 'Egzi'a samäj und Medr vor.
Was 'Egzl'a beker anlangt, so ist es eine bedeutsame religions- 10 historische Tatsache, daß dieser Name, der in der äthiopischen Bibel¬
übersetzung für den christlichen Gott verwendet wird, hier neben
heidnischen Göttern figuriert. Wenn wirklich seine Existenz in
dieser Inschrift der Tätigkeit der christlichen Missionare zu ver¬
danken ist, dann hätten wir hier einen höchst merkwürdigen Synkre-
16 tismus von heidnischen und christlichen Vorstellungen, und 'Egzi'a
samäj muß in diesem Falle den christlichen Gottessohn bezeichnen.
Vielleicht ist aber die Sache anders zu erklären.
Als das Christentum in Südarabien Eingang fand, wurde der
christliche „Gott" mit dem einheimischen Namen Rahmanan „der
80 Barmherzige' benannt. Dieser Name bezeichnete früher den höchsten
arabischen Gott, den ehemaligen Mondgott, und wurde als solcher
später für den christlichen „Gott, der Vater' und für Muhammed's
Alläh verwendet*).
Da nun der Gottesname 'Egzi'a beher nicht aus der Bibel
S8 stammt, sondern ein äthiopischer Name ist, so wäre immerhin die
Annahme die wahrscheinlichste, daß er ursprünglich ein Name des
obersten heidnischen Gottes bei den Aksumiten war und in Rüppell II
den Mahrem, vielleicht als Nationalgott „Herr des Landes', be¬
zeichnet. Wir hätten dann hier dieselbe Trias wie in Rüppell I,
80 und diese beiden Denkmäler rühren ja auch von demselben König her.
Nimmt man aber in Rüppell II christlichen Einfluß an, dann
repräsentiert 'Egzi'a beher als christlicher „Gott' religionshistorisch
sicher die Vatergestalt, 'Egzi'a samäj und Medr wahrscheinlich
den Gottessohn und die Muttergöttin. In beiden Fällen sind die
35 drei Gottheiten sicher, wie gewöhnlich in der Religionsgeschichte, in der Form einer Götterfamilie als Vater, Sohn und Mutter gedacht.
Die äthiopischen Götter, soweit wir sie zur Zeit kennen, bilden also wahrscheinlich die gleiche Götterfamilie wie die südarabischen
und können unter folgendes Schema gebracht werden:
1) „Und ich weihte diesen Thron, den ich errichtet habe, dem Egzl'a samäj, der mich zum König berufen hat, und der Medr, welche ihn trägt".
Die scheinbare maskuline Verbalform zajesawrö ist wohl aus der bekannten äthiopischen ßegellosigkeit im Ausdruck des Geschlechtes zu erklären; vgl.
Fr. Praetorius: Äthiopische Grammatik, 1886, § 101, S. 88—89.
2) A'gl. den Anfang von Gl. 618 Tü"l[p] HIT IfinffiMl ISttni: „Der Barmherzige und sein Messias uud der heilige Geist", MVAG. 1897, 8, S. 31.
Nielsen, Die äthiopischen Götter. 599
Vater Sohn? Mutter
orchristliche Zeit:
;uis (4. Jahrh, n. Chr.) : 11 I (6. Jahrh. n. Chr.):
II II (6. Jahrh. n. Chr.) : Hondgott Mahrem Mahrem 'Egzi'a beher
Venusgott 'Astar 'Astar
'Astar
^Egzi'a samäj
Sonnengöttin Dät-Ba'dan Erdegöttin Beher Medr Erdegöttin Beher Medr Erdegöttin Medr
Dabei muß aber ausdrücklich betont werden, daß diese Auf¬
fassung nur als eine vorläufige Hypothese betrachtet werden muß.
Das wenige archäologische Material bei den ostafrikanischen Semiten
reicht zu einem präzisen und deutlichen Bild von ihrer vorchrist¬
lichen Religion nicht aus; über Andeutungen und Vermutungen 6
kommen wir nicht hinaus. Man muß vorläufig in hohem Grade
Analogieschlüsse von anderen Religionen verwenden , und solche
Schlüsse sind ja ein höchst unvollkommenes Sul-rogat für urkund¬
liche Belege. Das dürftige Material läßt uns häufig gerade dort
im Stich, wo man besonders gern einen urkundlichen Anhaltspunkt lo
haben möchte. Reichlicheres Material und weitere Forschungen
werden wahrscheinlich auf vielen Paukten dieses provisorische
Essay berichtigen und zum Abschlüsse bringen können.
Mit meinen heutigen Ausführungen möchte ich vor allem aber
wiederum die Aufmerksamkeit der Religionshistoriker auf die bisher i6
fast völlig unbeachtete alte südsemitische Religion lenken. In der
semitischen Religionsgeschichte steht seit Jahren das Studium der
alten babylonisch-assyrischen Religion im Vordergrunde. Gewiß sind
die Keilinscbriften weitaus die älteste und weitaus die ausführlichste
Quelle für unsere Kenntnis des alten semitischen Heidentums ; aber to
es ist ein Irrtum, wenn man die babylonisch-assyrische Religion
als Typus der altsemitischen Religion betrachtet und andere ver¬
wandte Religionsformen, wie z. B. eben die alte südarabische Religion, einfach als babylonische Entlehnung erklärt. Die alte babylonische Religion ist keine primitive Religionsform, sondern eine hochentwickelte 25 Kulturreligion ; sie ist nicht rein semitisch, sondern mit vielen nicht¬
semitischen Elementen durchsetzt, die den anderen semitischen Reli¬
gionen völlig fremd sind, und kann daher unmöglich als gemeinsemitisch
oder Urform der anderen semitischen Religionen angesehen werden.
In der alten arabischen Kultur findet man auf Sehritt und so
Tritt weit primitivere und ursprünglichere Zustände, und diese
Kultur ist echt semitisch ; auch die arabische Sprache hat bekannt¬
lich noch in ihrer nachchristlichen literarischen Form im Vergleich
mit anderen semitischen Sprachen , ja auch im Vergleich mit der
uralten babylonischen Sprache , ein sehr altertümliches Gepräge. S5
Aus diesen Gründen betrachtet man gewöhnlich Arabien als die
Wiege der semitischen Kultur und die Urheimat der Semiten ; da
drängt sich denn die Annahme auf, daß auch die alte arabische
Religionsform unter allen semitischen Religionen die ursprünglichste
sein müsse und uns das beste Bild von einer vermuteten ,ursemi- 40
tischen" oder ,gemeinsemitischen" Religion geben könne.
40*
Mit der alten arabischen Religion hat man aber früher nicht
arbeiten können, weil man sie einfach nicht gekannt hat. Das
nachchristliche sogenannte .vorislamische" arabische Heidentum ist,
wie H. Winckler richtig betont hat^), keine primitive oder ur-
6 sprüngliche Religionsform, und anßerdem gibt die schlechte islamische
Überlieferung ein sehr trübes und (Verworrenes Bild von dieser
Religion.
Dagegen finden wir in den alten vorchristlichen arabischen
Inschriften eine primitive und einfache Naturreligion, die fast bei
10 allen Völkern der Erde den Ausgangspunkt oder jedenfalls ein sehr
ursprüngliches Stadium der religiösen Entwickelung bildet. Ich
werde an anderem Orte dartun , daß dieselbe Religion als Mutter¬
religion nicht allein der sogenannten ,vorislamischen" arabischen Religion, sondern auch der uns bekannten nordsemitischen Religions-
15 formen angesehen werden muß.
In der südsemitischen Epigraphik haben bisher Schwierigkeiten mannigfacher Art, besonders das Unveröffentlichtsein so vieler Glaser-
Texte , auf das Studium dieser Inschriften sehr hemmend gewirkt.
Da nnn aber Glaser's reiche Inschriftensammlung augenscheinlich
20 bald veröffentlicht wird, und der Vorbericht der deutschen Aksum¬
expedition uns auch viel neues Material verspricht, so ist zu er¬
hoffen, daß künftighin sich zahlreiche Forscher mit dem religiösen
Inhalt dieser Urkunden beschäftigen und greifbare Resultate auf
diesem noch so dunkeln Gebiete liefern werden.
1) .ArabUch-Semitisch-Orientalisch' in MVAG., Bd. 6, 1901, S. 151—374.