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Der württembergische Hof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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Der württembergische Hof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

VON PAUL SAUER

I. DER HOF IM ABSOLUTISTISCHEN STAAT KÖNIG FRIEDRICHS

1. STELLUNG UND BEDEUTUNG DES HOFS

In der napoleonischen Zeit konnte Württemberg sein Staatsgebiet und seine Einwohnerzahl verdoppeln. Aus dem Herzogtum wurde 1803 ein Kurfürstentum und 1806 ein Königreich. Der tatkräftige, willensstarke Re- gent des Landes, Friedrich, nutzte die Gunst der Stunde, um dem altwürt- tembergischen Ständestaat ein gewaltsames Ende zu bereiten und sein ab- solutistisches Herrschaftskonzept durchzusetzen. Auf diese Weise ver- mochte er das aus einer Vielzahl heterogener Bestandteile zusammenge- stückelte kleine Königreich straff zu organisieren, Verwaltung und Ge- richtswesen in einem zeitgemäßen Sinn umzugestalten, das Schul- und Bildungswesen zu modernisieren, Hemmnisse im Bereich der Wirtschafts- entwicklung und des Verkehrs aus dem Weg zu räumen.

Obgleich außenpolitisch bis zum Herbst 1813 gänzlich von Napoleon ab- hängig und bei dessen fortwährenden Kriegen zur Stellung von Truppen verpflichtet, gelang es ihm, jeden Eingriff des Kaisers der Franzosen in die inneren Angelegenheiten seines Landes abzuwehren. Hier war er der un- umschränkt gebietende Herrscher. Hier galt allein sein Wille. Über die ge- ringen Machtmittel seines Staats machte er sich keine Illusionen. Trotz- dem war er alles andere denn ein willfähriger Vasall. Selbst gegenüber dem übermächtigen Protektor des Rheinbunds beharrte er auf Gleichran- gigkeit. Mit Würde und Selbstachtung vertrat er die Belange Württem- bergs. Ein Mittel, den Anspruch auf Gleichrangigkeit nachdrücklich zu de- monstrieren, bildete für ihn die höfische Repräsentation. Sie sollte wahr- haft königlich sein. Daß ein kleines, armes Land wie Württemberg an ver- schwenderischem höfischem Prunk schwer trug, kümmerte Friedrich we- nig. Ihm schien er staatspolitisch gerechtfertigt. Das Land hatte für den

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Aufstieg in den erlauchten Kreis der Königreiche Opfer zu bringen. Nur so konnte es sich in seinem neuen Rang behaupten. Freilich kam die höfi- sche Repräsentation auch der Prachtliebe Friedrichs und seiner Vorstel- lung vom Gottesgnadentum des Herrschers entgegen. Schon als Herzog und Kurfürst hatte er glanzvoll Hof gehalten. Seitdem er aber König war, wetteiferte er an höfischer Prachtentfaltung mit den ersten Höfen Euro- pas. Er umgab sich mit einem Heer von adligen Kammerherren, Kammer- junkern und Pagen. Offizianten und Diener der verschiedensten Art, so ein Trabantenkorps, harrten seiner Befehle und der Anordnungen der obersten Hofchargen1. Der Hof bildete den beherrschenden Mittelpunkt des Staats. Verwaltung und Militär waren auf ihn zugeordnet, in vielfälti- ger Weise mit ihm verbunden. Leitende Staatsbeamte und Offiziere hat- ten Ehrenchargen am Hof inne oder waren hier mit wichtigen Repräsen- tationsaufgaben betraut. Klangvolle, zum Teil superlativische Hoftitulatu- ren verschafften ihren Trägern hohes Ansehen; sie trugen aber auch dazu bei, den Glanz des Stuttgarter Hofs zu vermehren, der so manchem me- diatisierten Fürsten und Grafen parvenühaft übersteigert vorkam. Viel Zeit und einen erstaunlichen Ideenreichtum widmete König Friedrich Fra- gen der Etikette und des Zeremoniells. Da es ein festes Zeremoniell in Württemberg nicht gab, konnte er den zeitüblichen Rahmen nach eige- nem Gutdünken ausfüllen. Für größere Feierlichkeiten, Empfänge und Be- suche fremder gekrönter Häupter erließ er bis ins einzelne gehende Vor- schriften. Hierbei legte er Wert darauf, daß die Würde seines Königtums außen- wie innenpolitisch voll zur Geltung kam2.

Im Zeremoniell-Reglement von 1806 bestimmte er, welcher Rang fremden Botschaftern, Gesandten oder Geschäftsträgern zukam, auf welche Anre- de sie Anspruch hatten, wann und wie sie zu empfangen waren, welche von ihnen zu Privataudienzen zugelassen wurden, für welche die Doppel- türen des Empfangssaals geöffnet wurden und welche sich mit einer Flü- geltüre begnügen mußten, wer von ihnen mit dem König speisen durfte3. Am 7. September 1809 ersetzte Friedrich dieses Reglement durch ein neu- es Zeremoniell, das strenger höfischer Etikette noch mehr Raum gab. Al- les war bis ins Detail ausgeklügelt, vorgeschrieben. Jede Audienz eines fremden Botschafters oder Gesandten wurde zu einem ungewöhnlich ge-

1 Wiirtt. Staatshandbuch von 1809 und 1810 S. 38 ff.

2 Gisela Herdt, Der württembergische Hof im 19. Jahrhundert. Studien über das Verhältnis zwischen Königtum und Adel in der absoluten und konstitutionellen Monarchie (Dissertation Göttingen 1970). S. 103 ff.

3 Hauptstaatsarchiv Stuttgart ( = HStAS): A 21 Bü 938, E 46 Bü 2 Nr. 10.

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wichtigen, feierlichen Ereignis hochstilisiert. Der König nahm für sich At- tribute eines Großherrschers in Anspruch4.

Der Erhöhung des Königtums dienten auch die vier Kronerbämter, die Friedrich 1808 anläßlich der Hochzeit des Kronprinzen schuf: das Reichs- erbmarschallamt, das Reichserboberhofmeisteramt, das Reichserbober- kammerherrenamt sowie das Reichserbbanneramt. Diese Ämter traten an die Stelle der noch bestehenden alten Erbämter des Herzogtums, des Erb- marschallamts und des Erbkämmereramts, mit denen die Freiherren Thumb von Neuburg und von Giiltlingen belehnt gewesen waren, sowie der Erbämter der von Württemberg säkularisierten Fürstpropstei Ellwan- gen. Allein, sie wurden nicht ritterschaftlichen Familien, sondern den drei mediatisierten Fürstenhäusern Hohenlohe, Waldburg und Löwenstein so- wie der neugräflichen Familie von Zeppelin übertragen, öffentlich in Er- scheinung traten die Inhaber der Erbkronämter lediglich zweimal: bei der Belehnung am 1. Januar 1809 sowie bei der Huldigung der Fürsten und Grafen drei Jahre danach. Bei dem Huldigungsakt von 1812 nahmen sie mit ihren Insignien Schwert, Krone, Szepter und Fahne Aufstellung um den Thron, beim feierlichen Zug schritten sie dem König unmittelbar vor- an5.

2. ORGANISATION DER HOFVERWALTUNG, HOFINSTITUTIONEN, HOFÄMTER

Der Hofdienst, gleichgültig in welcher Funktion, war in den Augen König Friedrichs eine besondere Auszeichnung. Untadeliges Verhalten der An- gehörigen seines Hofstaats, einen „gesitteten und christlichen Wandel", sah er als selbstverständlich an. Wer gegen den hier geltenden Ehren- kodex verstieß, hatte seine Stelle verwirkt6. Oberforstmeister von Stedingk in Tuttlingen, der während der Unruhen im Sommer 1809 nicht den „ge- hörigen Mut und Standhaftigkeit" bewiesen hatte, verlor nicht nur seinen Posten, sondern er wurde vor allem auch aus der Liste der königlichen Kammerherren gestrichen7. Dasselbe geschah 1812 einem Hauptmann von Speth wegen „unwürdigen Verhaltens". Leib- und Kammerpagen wurden wiederholt wegen schlechter Aufführung vom Hof entfernt, als

4 HStAS: A 21 Bii 992, E 14 Bü 146, E 46 Bü 6 Nr. 3.

5 Württ. Regierungsblatt 1808 S. 293 f. und 1809 S. 17 f., Gisela Herdt S. 94 f.

6 Württ. Regierungsblatt 1807 S. 81-83 und 85-87.

7 HStAS: A 21 Bü 972 und 992.

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Fähnriche oder Leutnants zum Militär versetzt8. Lakaien und sonstige Hofdiener, die sich liederlich aufführten, wurden mit Arrest bestraft, kör- perlich gezüchtigt, manchmal auch „weggejagt"9. „Gefährliche Diebstähle"

am Hof, bei denen Unbeteiligte verletzt wurden, waren gar mit dem Tod bedroht10. Friedrich bestand auf der Exklusivität der Hofgesellschaft. Die Bewohner der königlichen Residenzen sollten keine engeren Kontakte zu ihr unterhalten. Abgesehen vom Hoftheater, zu dem gegen Entrichtung von Eintrittsgeldern auch Bürger Zugang hatten, waren sie von Hofveran- staltungen, so auch von Gottesdiensten in der Schloßkirche, ausgeschlos- sen11. Hofhandwerker sollten möglichst nur für den Hof arbeiten. 1808 beispielsweise untersagte der König dem Kabinettsebenisten Klinkerfuß Aufträge für „Leute in der Stadt" zu übernehmen12. Mitunter scheint von bürgerlichen Privatpersonen mit der königlichen Livree Mißbrauch ge- trieben worden zu sein. 1807 verbot der König deshalb nicht im Hof- dienst stehenden Fuhrleuten, Kutschern und Vorreitern, diese Tracht zu tragen13.

Die Aufsicht über den königlichen Hofstaat und die Leitung der Hofver- waltung oblag wie schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den obersten Hof Chargen: dem Oberhof marschall, dem Oberstkammerherm, dem Obersthofmeister des Königs, dem Oberststallmeister, dem Oberin- tendanten der königlichen Schlösser bzw. dem Oberhofintendanten und dem Oberstzeremonienmeister. Mit Ausnahme des Oberstzeremonienmei- sters, der dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten unterstand, hat- ten diese Chargen eine selbständige, gleichrangige Stellung. Den umfas- sendsten Aufgabenbereich besaß zunächst der Oberhofmarschall. Er leite- te die Zentrale der Haus- und Hofverwaltung. Bei ihm ressortierten u. a.

der Hof- und Reisemarschall, der Obersilberkämmerling, der Oberstkü- chenmeister sowie die Oberhofräte. Er war zuständig für die sogenannte Hofpflege mit Hofpflegemedicus, Hofpflegechirurgus und Hofapotheke, die „Officen" (Küche, Keller, Silberkammer, Leinwandverwaltung usw.), die Dienerschaft in den königlichen Schlössern, die Hofkünstler und Hof- handwerker (Professionisten) sowie für eine Reihe königlicher Institute wie das Münz- und Medaillenkabinett oder die Gemäldegalerie. Außer-

8 HStAS: E 6 Bü 120.

9 Ebd. Bü 90.

10 Wiirtt. Regierungsblatt 1807 S. 92 f.

11 HStAS: E 6 Bü 90.

12 Ebd. Bü 91.

13 Reyscher, Sammlung der württ. Gesetze 15,1 S. 129.

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dem führte er die Aufsicht über die Kammerpagen. Dem Oberstkammer- herrenstab waren die Kammerherren und die Kammerjunker zugeordnet.

Mit dem persönlichen Dienst des Königs beauftragt, gehörten zum Ge- schäftsbereich des Oberstkammerherrn auch die königlichen Leibpagen, die Leibmedici, die königliche Garderobe, die Kammerdiener, die Leibla- kaien, die Kammerleibjäger, die Leibfiusaren und die Mohren sowie das Trabantenkorps

14

. Mit der Schaffung der Oberintendanz der königlichen Schlösser (zunächst Ober-Schloß-Departement) 1802 verlor das Oberhof- marschallamt eine Reihe von Funktionen. Es wurde auch später in seinen Funktionen immer mehr beschnitten. Da die Zuständigkeiten der obersten Hofämter nicht eindeutig voneinander abgegrenzt waren und der König mehrfach Organisationsänderungen vornahm, neue Ämter und Kommis- sionen kreierte, gab es am Hof manche administrative und finanzielle Panne, manche den „allerhöchsten Unwillen" erregende Fehlleistung na- mentlich beim Oberhofmarschallamt

15

. Der König suchte dadurch Abhilfe zu schaffen, daß er dem Oberhofintendanten von Dillen, der sein beson- deres Vertrauen genoß, immer mehr Funktionen übertrug, ihn allmählich zum eigentlichen Kopf der Hofverwaltung machte. Dillen hatte Sitz und Stimme in der 1810 ins Leben gerufenen Oberhof Ökonomiekommission.

Ohne seine Zustimmung durfte das Oberhofmarschallamt in den letzten sechs Regierungsjahren König Friedrichs keine Entscheidung treffen

16

. Selbst bei verhältnismäßig unbedeutenden Angelegenheiten mußte seine Entscheidung eingeholt werden. Im August 1815 zum Beispiel wurde das Oberhofmarschallamt scharf gerügt, weil es ohne Wissen des Oberhofin- tendanten eine silberne Terrine angeschafft hatte

17

.

Daß der Hof König Friedrichs, der 1807/08 1 130,1812 gar 1 510 Personen zählte

18

, einen unverhältnismäßig hohen Aufwand verursachte, liegt auf der Hand. Glanzvolle Repräsentation sowie Höchstansprüche an Küche und Keller forderten ihren Preis. Hierzu kam freilich, daß die Hofverwal- tung den Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit bei ihren Ausgaben häufig außer acht ließ und daß manche Bedienstete der Versuchung nicht zu wi- derstehen vermochten, sich wenigstens in bescheidenem Maß am Über- fluß des Hofs zu bereichern, zumal es an einer wirksamen Kontrolle des Verbrauchs an Lebensmitteln und an Gütern des täglichen Bedarfs fehlte.

14 Gisela Herdt S. 62 ff.

15 HStAS: E 6 Bü 92.

16 Gisela Herdt S. 67 ff.

17 HStAS: E 6 Bü 85.

16 Gisela Herdt S. 72.

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Im Haushaltsjahr 1810/11 überstiegen die tatsächlichen Ausgaben den auf 200 000 Gulden veranschlagten Plansatz des Hofetats um 56 000 Gulden.

In den anderen Jahren sah es ähnlich aus19. Eine vom König eingesetzte Untersuchungskommission unterbreitete im April 1810 Vorschläge für ei- ne wirksame Überwachung der Hofökonomie. Doch im folgenden Jahr hatte der Monarch erneut Grund, den „ungeheuren und beispiellosen Auf- wand" anzuprangern. Seine Maßnahmen machten indessen deutlich, daß die königliche Tafel und die Marschalltafel, an denen täglich viele Perso- nen gespeist wurden -1811/12 waren es durchschnittlich 328 Personen - , sowie die kostspieligen Liebhabereien des Monarchen einen erkleckli- chen Anteil an diesem Aufwand hatten. Es wurde deshalb verfügt, daß die königliche Tafel künftig nicht mehr als zwölf Gänge (Schüsseln), an Sonntagen höchstens 16 und abends allenfalls 10 Gänge haben solle. Die Marschalltafel wurde rigoros mittags und abends auf sechs Gänge be- schränkt. Lediglich an Tagen, an denen diplomatischer „Cercle" und Sou- per anberaumt waren, durfte die königliche Tafel mehr Gänge aufweisen, zumal dann die Marschalltafel wegfiel. An die königliche Menagerie und an die Vögel in den königlichen Zimmern in den Schlössern in Ludwigs- burg und Stuttgart durfte die Hofökonomie Brot, Milch, Obst und andere Lebensmittel nicht mehr abgeben, ebensowenig Brot an die königlichen Hunde. Die „Assietten" (Teller) für den König wurden gestrichen. Es sollte ihm bloß noch eine Extrasuppe gereicht werden. Die „allerhöchste" Spar- verfügung hatte nur begrenzten Erfolg. Am Ende des Etatjahrs 1811/12 drang der Monarch erneut auf eine sorgsamere Haushaltsführung. Die von der Hofverwaltung geltend gemachten Gründe für die hohen Ausga- ben, gestiegene Preise, erhöhte Zahl von Personen, die am Hof gespeist wurden, erkannte er nur bedingt an. Die zusätzlichen schweren finanziel- len Lasten, die nach der Katastrophe des Rußlandfeldzugs und den erfor- derlichen neuen Kriegsanstrengungen auf die Untertanen zukamen, ver- anlaßten ihn Ende 1812, sämtlichen Hofbehörden strengste Sparsamkeit zu befehlen, um so augenfällig zu machen, daß er die Entbehrungen mit seinem Volk teilte. Er pensionierte einige höhere Hofbeamte und redu- zierte die Zahl des niederen Dienstpersonals. Im Frühjahr 1815 ordnete er weitere Ausgabenverminderungen an. Von jetzt an hatte sich die königli- che Tafel mit acht „Schüsseln" (Gängen) zu begnügen. Die Marschalltafel wurde aufgehoben. Die seither dort verpflegten Personen erhielten ihr

19 HStAS: E 6 Bü 98 und 99.

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Essen in Speisewirtschaften. Dafür wurden je Person 48 Kreuzer bezahlt sowie ein halbes Maß Wein aus der Kellerstube abgegeben20.

3. HOFGESELLSCHAFT: ADEL UND HOFFÄHIGKEIT, GEBURTSADEL, PERSONALADEL, DAS VERHÄLTNIS DES KÖNIGS ZUM ADEL

Zur glanzvollen höfischen Repräsentation trug entscheidend die große Zahl adliger Namen bei, die am Hof vertreten waren. Bereits in der Her- zogszeit gab es am württembergischen Hof die Hofchargen der Pagen oder Edelknaben, der Kammerjunker und der Kammerherren; sie waren Angehörigen adliger Familien vorbehalten. Seit Übernahme der Regie- rungsgewalt im Herzogtum Ende 1797 war Friedrich bestrebt, diese Char- gen zu vermehren. Im März 1803 standen ihm etwa zwei Kammer-, zwei Jagd-, ein Reit- sowie zwei „ordinäre" Pagen zur Verfügung; sie waren 11 bis 17 Jahre alt. Außerdem hatte er zwei jungen Adligen die feste Zusage gegeben, sie auf die nächsten freiwerdenden Edelknaben-Stellen zu über- nehmen21. Im Staatshandbuch von 1809 und 1810 sind vier Leibpagen des Königs, zwei Kammerpagen sowie 14 „ordinäre" Pagen aufgeführt22. Die Zahl der Kammerjunker stieg zwischen 1806 und 1812 von 57 auf 107, die der Kammerherren von 106 auf 206 an23. Die einem Gouverneur unterste- henden Pagen bekamen eine höfische und eine militärische Ausbildung.

Je nach Bedarf wurden sie zu Hofdiensten herangezogen. Die Ernennung zum Kammer- oder gar zum königlichen Leibpagen war eine besondere Auszeichnung. Mit Vorliebe wählte Friedrich zu Edelknaben Söhne von adligen Offizieren und Beamten, die sich in seinem Dienst befanden. Söh- nen aus bürgerlichen Offiziers- und Beamtenfamilien war der Pagen- dienst verschlossen. Im Fall des Sohns eines vor dem Feind gebliebenen Offiziers (Hauptmann Friedrich Philipp Wilhelm von Baur, gefallen am 17. Mai 1809 bei Linz) machte Friedrich 1809 eine Ausnahme. Doch erhob er ihn zuvor in den erblichen Adelsstand (der Vater hatte auf Grund sei- ner Dienststellung lediglich den Personaladel besessen)24. Bedenken, die gegen die bürgerliche Herkunft des jungen Mannes geltend gemacht wor- den waren, wies er mit der Bemerkung ab, er kenne keinen anderen Adel

20 Ebd., Gisela Herdt S. 74 f.

21 HStAS: A 21 Bü 928.

22 Württ. Staatshandbuch von 1809 und 1810 S. 51 und 53.

23 Gisela Herdt S. 89.

24 Vgl. S. 107.

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als den durch eigene oder durch die der Voreltern erworbenen Verdien- ste25.

Um den Pagen eine gründlichere und vielseitigere Ausbildung zu geben, die sie neben der Verwendung am Hof vor allem für die Offizierslaufbahn qualifizierte, vereinigte König Friedrich im Oktober 1805 das Pageninstitut mit der neu ins Leben gerufenen Offiziersbildungsanstalt. In dieser An- stalt sollten künftig 40 Militärkadetten und 16 Edelknaben Aufnahme fin- den. 1809 erhöhte der König die Zahl der Militärzöglinge auf 76, die der Edelknaben blieb bei 16. Doch kamen zu ihnen noch acht Forst- und Berg- kadetten hinzu. Außer in den Militärwissenschaften erhielten die Zöglin- ge der Offiziersbildungsanstalt Unterricht in Französisch, Latein, evangeli- scher bzw. katholischer Religion sowie im Tanzen. Ihre Ausbilder hatten sie zu Ordnung, unbedingtem Gehorsam und strikter Disziplin anzuhal- ten26. Ein Sonderstatus wurde den Leibpagen zugestanden, weil sie dem König auf seinen Reisen und während seiner Sommeraufenthalte in Lud- wigsburg stets zu Diensten stehen mußten. Sie wurden deshalb 1806 der Leibjägergarde zugewiesen und der Befehlsgewalt des Reiseoberstallmei- sters und Kommandeurs der Leibjägergarde von Dillen unterstellt. Dieser hatte im Benehmen mit den Lehrern des Pagen- und Militärinstituts dafür zu sorgen, daß sie ausbildungsmäßig nicht vernachlässigt wurden27. Nach mehrjährigem Pagendienst und Beendigung ihrer Ausbildung avancierten die Edelknaben der verschiedenen Kategorien gewöhnlich zu Offizieren, nicht selten zu Leutnants bei Gardeeinheiten28. Als Offiziere hatten sie häufig die Chance, als Kammerjunker und Kammerherren weiterhin in enger Verbindung mit dem Hof zu bleiben.

König Friedrich machte von der Verleihung der Kammerjunker- und der Kammerherrenwürde großzügig Gebrauch. So erkannte er fast allen Offi- zieren der Gardeeinheiten diese Titel zu, wobei der „Kammerjunker" im allgemeinen die Vorstufe für den „Kammerherrn" bildete. Nur ein kleiner Teil dieser Hofchargen wurde zu ständigen oder zeitlich befristeten Dienstleistungen am Hofe herangezogen. Der Großteil war davon dispen- siert; er hatte lediglich bei besonderen Gelegenheiten, beispielsweise bei Staatsempfängen oder großen Feierlichkeiten, zu erscheinen. Gewöhnlich

25 HStAS: A 21 Bü 928.

2 6 Paul Sauer, Die Neuorganisation des württembergischen Heerwesens unter Herzog, Kurfürst und König Friedrich (1797-1816). In: Zeitschrift für württ. Lan- desgeschichte 1967 S. 407 f.

27 HStAS: A 21 Bü 929, E 6 Bü 90.

28 Ebd.

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erlangten die Kammerjunker und Kammerherren ihre „Charge" auf Grund ihrer vornehmen Herkunft oder als Anerkennung für ihre beim Militär, in der Staats- oder Hofverwaltung erworbenen Verdienste, sie empfanden sie zu Recht als Auszeichnung, als reinen Ehrentitel. Welch hohe Bedeu- tung König Friedrich der Kammerherm- und Kammerjunkerwürde bei- maß, zeigt sich daran, daß 1811 von 400 hoffähigen Männern rund 200 Kammerherren und etwa 100 Kammerjunker waren

29

. Da nach 1806 nur ein Teil der Kammerjunker dem Reservoir ehemaliger Pagen entnommen werden konnte, mußte vor allem im Offizierskorps nach anderen geeigne- ten Persönlichkeiten Ausschau gehalten werden. Entscheidendes Kriteri- um für die Zuerkennung dieser Charge bildete die Zugehörigkeit zu ei- nem alten Adelsgeschlecht. So wurde dem Leutnant von Kamptz, der sich um die Ernennung seines gleichfalls im württembergischen Militärdienst stehenden Bruders zum Kammerjunker bemühte, 1808 auferlegt, gegen- über dem Oberstkammerherrn Graf von Jenison den Nachweis der „alt- adligen Geburt" zu erbringen

30

. Major von Imhof fügte 1810 einem Antrag auf Übertragung einer Kammerjunker- und Kammerherrenstelle, offenbar unaufgefordert, Dokumente bei, aus denen sich der Adel seiner Familie bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen ließ

31

.

Durch den Frieden von Preßburg Ende 1805 hatte Württemberg die Sou- veränität über die reichsritterschaftlichen Territorien erlangt, die von sei- nem Gebiet umschlossen wurden oder an dieses grenzten. Die Rhein- bundakte des folgenden Jahrs hatte die Mediatisierung einer größeren Zahl kleinerer Reichsfürsten und -grafen ermöglicht. In dem bis dahin beinahe adelsfreien Land waren nunmehr 152 Adelsfamilien begütert:

21 fürstliche, 34 gräfliche sowie 97 ritterschaftliche. Kein anderer deut- scher Staat wies übrigens mehr mediatisierte Standesherren auf als Würt- temberg

32

. Die Eingliederung des seither reichsständischen Adels stellte König und Regierung vor schwierige Probleme. Die Rheinbundakte hatte den mediatisierten Fürsten und Grafen Privilegien (eine Art Unterlandes- herrschaft) eingeräumt, die sich mit der straffen Organisation eines mo- dernen Staatswesens nicht vereinbaren ließen. König Friedrich war des- halb keineswegs gesonnen, diese uneingeschränkt zu respektieren. Der Adel, auch der standesherrliche, hatte sich in seine neue Untertanenrolle zu fügen. Zeigte er sich hierin willig, wollte es Friedrich an Großmut nicht

29 Gisela Herdt S. 93.

30 HStAS: E 6 Bü 119.

31 Ebd. Bü 120.

32 Gisela Herdt S. 47 und 59.

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fehlen lassen. Als Erste und Vornehmste seines „Reiches" konnten die ehemaligen Reichsfürsten und -grafen das Ansehen seines Staats erhö- hen, wenn sie am Hof, in der Verwaltung oder im Heer herausragende Stellungen einnahmen. Doch zu solchen Diensten waren die wenigsten bereit. War schon die Mediatisierung für sie ein schwer erträglicher sozia- ler Abstieg gewesen, so bedeutete der Dienst unter einem Kleinkönig, der bislang einer der ihren gewesen war, eine noch größere Herabwürdigung.

König Friedrich reagierte auf dieses ihm unbotmäßig erscheinende Ver- halten mit leidenschaftlicher Härte. Er ersparte seinen obersten Vasallen, wie er sie nannte, kaum eine Demütigung. Schritt für Schritt beseitigte er ihre Privilegien. Sie verloren in ihren Territorien die gesamte Jurisdiktion sowie alle polizeilichen Kompetenzen und büßten schließlich ihre Steuer- freiheit ein. Auswärtige Dienste, auch solche bei Rheinbundfürsten, hat- ten sie zu verlassen, außerdem wurde ihnen im Jahr eine viermonatige Re- sidenzpflicht in Stuttgart zugemutet. Der König annullierte sämtliche stan- desherrlichen Familienverträge und Erbfolgeordnungen und ersetzte sie durch die württembergische Intestaterbfolge. Das von ihm am 1. Januar 1808 erlassene Königliche Hausgesetz erkannte ihnen sogar die Gleichbe- rechtigung mit den regierenden Fürsten ab. Selbst über ihre Eheschließun- gen und die Erziehung ihrer Söhne behielt sich Friedrich ein gewichtiges Mitspracherecht vor. Bei den von ihm veranstalteten Huldigungsakten am 6. Januar 1807 und am 6. Januar 1812 demütigte er sie durch ein raffiniert ausgedachtes Zeremoniell, das ihn als eine Art Triumphator über Unter- worfene erscheinen ließ. Proteste einzelner Standesherren nutzten nichts.

Württemberg war, wie Heinz Gollwitzer zutreffend feststellt, in der Zeit König Friedrichs das Purgatorium der mediatisierten Fürsten und Grafen.

In keinem anderen deutschen Land der napoleonischen Ära hatten sie eine ähnlich schlimme Behandlung zu erdulden33.

Es war sicher nicht allein die Schuld König Friedrichs, wenn der fremde Adel an seinem Hof, aber auch in der Staatsverwaltung und beim Militär eine Spitzenstellung innehatte. Wie wir schon gehört haben, hatte er dem einheimischen Adel eine bedeutsame Rolle an seinem Hoflager zuge- dacht. Freilich, die Mittel, die er anwandte, um diesen seinem Dienst ge- fügig zu machen, erwiesen sich als untauglich. Lediglich einige wenige

33 Ebd. S. 114, 117, 124 f., 129,132, 377 und 388; Heinz Gollwitzer, Die Standesher- ren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918.

Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte (21964) S. 54 ff.; Erwin Hölzle, Würt- temberg im Zeitalter Napoleons und der deutschen Erhebung (1937) S. 88 f.;

HStAS: A 21 Bü 973, 994 und 1002.

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Reichsfürsten und -grafen ließen sich dadurch nicht abschrecken. Ihre Entscheidung, in den Dienst des neuen Landesherrn zu treten, zahlte sich für sie, aber auch für ihre Familien durchaus aus. Sie avancierten häufig zu hohen und höchsten Positionen. Ähnlich günstige Erfahrungen mach- ten die Angehörigen reichsritterschaftlicher Familien, die sich dem König zur Verfügung stellten. Freilich war bei den ritterschaftlichen Geschlech- tern die Bereitschaft größer, sich dem Willen Friedrichs zu beugen, zumal ihnen im Gegensatz zu den Standesherren die Rheinbundakte keine Privi- legien zugesichert hatte

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. Doch auch die Reichsritterschaft stand an Will- fährigkeit weit hinter dem fremden Adel zurück, der in Württemberg eine standesgemäße Betätigung suchte und fand. In der Regel ohne Besitz im Land und allenfalls mit bescheidenen Mitteln ausgestattet, waren die auswärtigen Adligen gänzlich von ihrem obersten Dienstherrn, dem Kö- nig, abhängig. Friedrich übernahm eine Reihe von Edelleuten, die bereits unter Herzog Carl Eugen nach Württemberg gekommen waren, hier nicht selten die berühmte Schöpfung des Herzogs, die Hohe Carlsschule, durch- liefen, ehe sie sich um eine Anstellung im Herzogtum bemühten. Weitere fremde Adlige, vornehmlich aus Pommern, Mecklenburg, Niedersachsen, Westfalen und Frankreich, zog Friedrich selbst in seinen Dienst. Die Kon- junktur hierfür war besonders günstig, als Preußen 1807 nach der Nieder- lage gegen Napoleon große Teile seines Staatsgebiets verlor und sein Heer stark vermindern mußte

35

. Zahlreiche junge Edelleute waren damals froh, daß ihnen Rheinbundstaaten wie Württemberg einen beruflichen Unterschlupf am Hof, beim Militär oder in der Staatsverwaltung boten.

Von den 36 männlichen und weiblichen Adligen, die zwischen 1806 und 1816 eine rangmäßig höhere Hofcharge als die der Kammerherren inne- hatten, waren drei Mitglieder standesherrlicher Familien, zehn zählten sich zum Kreis der Reichsritterschaft, einer, durch königliche Gunst bis zum Grafen aufsteigend, entstammte einer bürgerlichen württembergi- schen Familie, und 22 waren fremde Adlige. Beinahe alle diese fremden Edelleute waren schon von den Vorgängern Friedrichs in württembergi- sche Dienste genommen worden

36

. Auch bei den Kammerherren und Kammerjunkern überwog zahlenmäßig der fremde Adel. 1812 kamen hier auf jeweils drei zugewanderte zwei einheimische Adlige

37

. Obgleich man dem fremden Adel nicht wie in der Zeit Herzog Carl Eugens vorwerfen

31 Gisela Herdt S. 58.

35 Paul Sauer, Die Neuorganisation des württembergischen Heerwesens S. 408 ff.

36 Gisela Herdt S. 107 ff.

37 Ebd. S. 338.

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konnte, er mißbrauche seine Hof- oder Staatsämter für eigensüchtige, das Land schädigende Interessen, so ließ sich doch nicht bestreiten, daß er der Erfüllungsgehilfe des selbstherrlichen politischen Regiments König Friedrichs war, das in der Bevölkerung, namentlich aber auch bei den württembergischen Standesherren, überaus verhaßt war. Die Überfrem- dung des Hofs, dessen Prunk und verschwenderisches Gehabe einen kras- sen Gegensatz zu der Armut des Landes bildete, trug zusätzlich zur Abnei- gung gegen den König und seinen absolutistischen Herrschaftsstil bei. So sahen dies übrigens auch auswärtige Beobachter38.

Größten Wert legte König Friedrich auf eine rangmäßige Abstufung der Angehörigen des Hof- und Staatsdienstes. Ein den veränderten Verhält- nissen nach der Annahme der Königswürde Rechnung tragendes Rangre- glement setzte er am 4. April 1806 in Kraft. Dieses teilte sämtliche „Hof- und Staatsdiener" in 16 Klassen ein. In der I. Klasse stand an erster Stelle der Feldmarschall. Ihm folgte der noch zu ernennende katholische Bi- schof, die verschiedenen Minister, der Feldzeugmeister sowie der Ober- hofmarschall. Die II. Klasse führten der Capitaine des Gardes oder Tra- bantenhauptmann sowie die Generalleutnants an. Die III. Klasse umfaßte wirkliche sowie charakterisierte wirkliche gelehrte Geheim-Räte. Den An- gehörigen der ersten drei Klassen kam das Prädikat „Exzellenz" zu. Ober- zeremonienmeister, Kammerherren und Adlige Geheime Legationsräte zählten zur VI. Klasse, die Obersten [des Heeres] zur VII. Klasse und die Kammerjunker wie auch die Oberstleutnants zur VIII. Klasse. In der XVI.

Klasse hatten einfache Hofbedienstete wie Kammerhusaren, Kammerleib- jäger, Läufer, Garçons des Meubles, Heiduken und Hoflakaien ihren Platz. An allerletzter Stelle rangierten hier Menagerieaufseher, Alleen- knechte, Hofwächter und Hof-Portechaise-Träger39. Bereits am 18. De- zember 1808 wurde ein neues Rangreglement verkündet. Es verminderte die Zahl der Rangklassen auf 13. Neu aufgenommen waren die Mitglieder der fürstlichen sowie die Chefs der gräflichen Familien in die I. bzw. IV.

Klasse40, nachdem im Vorjahr unter Zugrundelegung des Reglements von 1806 den Chefs der fürstlichen Häuser der Rang in der I., den Prinzen die- ser Häuser sowie den Chefs der gräflichen Häuser aber nur der Rang in der VI. Klasse zuerkannt worden war41. Daß die nachgeborenen Söhne fürstlicher und gräflicher Häuser sowie die Mitglieder der ritterschaftli-

38 Ebd. S. 112 f.

39 Königlich Wiirtt. General-Reskripte und Verordnungen vom Jahr 1806 S. 21 ff.

4 0 Württ. Regierungsblatt 1809 S. 5 ff.

41 Paul Sauer, Der schwäbische Zar (1984) S. 378.

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chen Familien im Rangreglement von 1808 nicht erwähnt wurden, hatte seinen Grund: Sie erhielten einen Rang nur, wenn sie ein Hof- oder Staatsamt übernahmen42. Indessen war König Friedrich auch mit der Rangordnung von 1808 noch nicht zufrieden. In dem von ihm am 1. Au- gust 1811 erlassenen neuen Reglement - es wurde als die achte württem- bergische Rangordnung bezeichnet - gab es lediglich zehn Klassen. Deut- lich erkennbar war die adelsfeindliche Politik des Königs. Lediglich die Chefs der fürstlichen Häuser, die bei der Mediatisierung „als regierende Herren angesehen worden waren" sowie Sitz und Stimme auf Reichs- und Kreistagen besessen hatten, blieben in der I. Klasse; sie hatten hier den dritten Platz nach dem Feldmarschall und dem Capitaine des Gardes inne.

Nach ihrem Tod konnten jedoch ihre Söhne einen Rang in der I. Klasse nicht beanspruchen; sie blieben in der III. Klasse, der sie schon jetzt zuge- wiesen waren. Entsprechende Bestimmungen galten für die Chefs der gräflichen Familien. Die ehemals regierenden Grafen behielten den Rang in der IV. Klasse; ihre Söhne aber hatten sich, wenn sie kein Hof- oder Staatsamt bekleideten, mit dem Rang in der VII. Klasse, soweit sie die Adelsdekoration besaßen, sonst aber wie die erstmals im Rangreglement berücksichtigten Angehörigen der Ritterschaft und alle sonstigen das Prä- dikat „von" in ihrem Namen führenden Personen, die in keinem öffentli- chen Dienstverhältnis standen, mit dem Rang in der VIII. Klasse nach den Kornetts und Fähnrichs, den Stalljunkern, den Jagd- und „ordinären" Pa- gen sowie dem Unterstallmeister zu begnügen43.

Das Prädikat „Exzellenz" war in den Rangreglements von 1808 und 1811 auf die beiden ersten Klassen beschränkt; es kam nur den Inhabern der wichtigsten Hof- und Staatsämter sowie den Chefs der fürstlichen Fami- lien zu. In einzelnen Fällen behielt sich König Friedrich vor, Persönlichkei- ten, die sich besonders ausgezeichnet hatten, einen höheren Rang als den, der ihnen auf Grund des Rangreglements zustand, zu verleihen. Im No- vember 1812 beispielsweise erteilte er dem Staatsrat und Landvogt von Berlichingen, dem Hausmarschall von Biesenroth, dem Oberhofmeister der Kronprinzessin von Phull-Rieppur den Rang in der II. Klasse mit dem Prädikat „Exzellenz"44.

Die Rangreglements und die im Zusammenhang mit ihnen stehenden Ver- fügungen lassen keinen Zweifel, daß die Inhaber hoher und höchster Hof- ämter unter König Friedrich in der Beamtenhierarchie eine Schlüsselstel-

42 Ebd.

43 Württ. Regierungsblatt 1811 S. 401.

44 HStAS: E 6 Bü 94.

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lung einnahmen. Im Rangreglement von 1806 hatten die vornehmsten Hofchargen ihren Platz als „Exzellenzen" in den beiden ersten Klassen.

Lediglich die minder wichtigen wie der Oberstküchenmeister, der Ober- silberkämmerling, der Oberkammerjunker, der Reise- und Hausmarschall, der Grand Maître de la Garderobe und der Trabantenleutnant gehörten der IV. Klasse an. Das Reglement von 1808 versetzte dann die Hof Chargen der IV. Klasse in die III. Doch damit nicht genug. Am 6. November 1810 teilte der König sämtliche Oberhofchargen (Oberstkammerherr, Oberst- hofmeister des Königs und der Königin, Oberststallmeister, Oberstinten- dant oder Oberstschloßhauptmann, Oberstjägermeister und Oberstzere- monienmeister) der I. Klasse zu. Nur einige wenige Hofämter verblieben in der II. Klasse, so der Obersilberkämmerling und der Oberküchenmei- ster. Auch weniger profilierte Hofchargen, so die Kammerherren und die Kammerjunker, rückten zwischen 1806 und 1811 in ihrem Rang weiter nach vorne. Bei der Ranganhebung von leitenden Staatsbeamten und Of- fizieren hingegen zeigte sich König Friedrich sehr viel zurückhaltender45. Generalleutnants, Gouverneure der Residenzen oder Festungen mußten sich zum Beispiel mit der II. Klasse, Generalmajors mit der III. Klasse zu- friedengeben. Daß eine solche eindeutige Bevorzugung der Hofchargen mit ihrem im Vergleich zu Staatsministern bescheidenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich böses Blut erregte, liegt auf der Hand.

Auf der Grundlage des Rangreglements wurde die Hofrangliste erstellt und fortgeschrieben. Sie legte fest, welche Rangfolge am Hof für die In- haber von Hof- und Staatsämtern sowie für Fürsten und Grafen galt, die in keinem öffentlichen Dienstverhältnis standen. Verzeichnet waren in ihr also die hoffähigen Hof- und Staatsbediensteten sowie Adligen. König Friedrich kümmerte sich persönlich darum, daß die Hofrangliste stets auf dem laufenden war. Er sah sie wiederholt durch und korrigierte höchstei- genhändig Fehler, falls er solche entdeckte. Im Februar 1813, „mißliebigst"

die vielen Unrichtigkeiten wahrnehmend, wies er, nachdem er die weni- ger bedeutenden Fehler bereits verbessert hatte, das Oberhofmarschall- amt an, künftig die Liste mit äußerster Sorgfalt zu führen46. Im Sommer 1816 verlangte er, daß jede Woche das Verzeichnis der in Stuttgart anwe- senden und „den Hof frequentierenden Fremden" revidiert wurde, damit den Einladungen an den Hof eine zuverlässige Namensliste zugrunde lag47·

4 5 HStAS: A 21 Bü 937 und 992; Gisela Herdt S. 85 ff.

4 6 HStAS: A 21 Bü 935, E 6 Bü 94.

47 HStAS: A 21 Bü 535.

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Eine eindeutige Aussage darüber, wer zur Zeit König Friedrichs die Hoffä- higkeit besaß, ist nicht möglich. Man kann jedoch nach den Eintragungen in den erhaltenen Hofranglisten davon ausgehen, daß die Angehörigen der ersten Rangklassen, denen das Prädikat „Exzellenz" zukam, sodann die weiteren Klassen bis einschließlich der IV., in den folgenden Klassen aber, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur die Kammerherren und Kammerjunker, also bis zur VII. Klasse (1806) bzw. VI. Klasse (1808) bzw.

V. Klasse (1811) sowie die Obersten bis herunter zu den Oberstwachtmei- stern (nach dem Rangreglement von 1808 VII. Klasse) hoffähig waren.

Daß die Hoffähigkeit ein Privileg des Adels war, erkannte König Friedrich im Grundsatz an. Allein, ihm widerstrebte, Hoffähigkeit mit Geburtsadel gleichzusetzen. Die Ehre, sich in der unmittelbaren Nähe des Monarchen aufhalten zu dürfen, wollte er in erster Linie Persönlichkeiten zugestehen, die sich dieses Vorzugs durch ihre dem Staat und dem Königshaus gelei- steten hervorragenden Dienste würdig erwiesen hatten. Neben Adligen, von denen er ein solches Engagement im königlichen Dienst erwartete, waren dies aber auch Bürgerliche. Mit der Stiftung des Militär- sowie des Zivilverdienstordens am 6. November 1806, bei der er sich den Orden der Französischen Ehrenlegion zum Vorbild nahm, hatte er diesem ihm be- deutsam erscheinenden Tatbestand Rechnung getragen: Verdienste ohne Rücksicht auf Stand und Rang zu belohnen und hierbei vornehmlich „kö- nigliche Diener" zu bedenken, die vermöge ihrer Geburt und Stellung von dem Adligen vorbehaltenen Königlichen Großen Orden ausgeschlossen waren

48

. Allerdings war der Militärverdienstorden im Unterschied zum Orden der Französischen Ehrenlegion auf Offiziere beschränkt. Wenige Wochen später ging Friedrich noch einen Schritt weiter. Seit 1. Januar 1806 souveräner König, konnte er nunmehr auch Standeserhebungen vornehmen und Adelstitel verleihen. Am 1. und 6. Dezember 1806 verfüg- te er, daß künftig sämtliche Generale und Offiziere bis herunter zu den Stabshauptleuten und -rittmeistern, bei Gardeeinheiten alle Offiziere, ih- rem Namen das Prädikat „von" vorsetzen durften und „alle Rechte und Vorzüge des wirklichen Adels für ihre Person genossen". Dieselbe Ver- günstigung räumte er den Geheimen Räten, den Direktoren und Vizedi- rektoren der Kollegien und Departements sowie den Trägern des Militär- und Zivilverdienstordens ein. Offiziere vom Rang eines Obersts an auf- wärts, Gardeoffiziere ab Hauptmann oder Rittmeister sowie Träger des Militärverdienstordens, ferner Zivilbedienstete vom Geheimen Rat oder Direktor an aufwärts, diese allerdings bei Nachweis eines schuldenfreien

48 Wiirtt. Regierungsblatt 1807 S. 281 ff. und 285 ff.

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Vermögens von 40 000 Gulden, konnten um die Erteilung des erblichen Adels nachsuchen49.

Für seine Entscheidung, dem Geburtsadel einen Personaladel zur Seite zu stellen und Generalen sowie Stabsoffzieren und leitenden Staatsbeamten großzügig den Aufstieg in den erblichen Adel zu ermöglichen, hat König Friedrich kein eigentliches Vorbild vor Augen gehabt. Doch erhielt er den Anstoß dazu möglicherweise aus Frankreich. Dort trug sich Napoleon seit 1805 mit dem Gedanken, für hochverdiente Würdenträger im Militär- und Zivildienst einen erblichen Amtsadel zu schaffen. Friedrich hatte offen- sichtlich schon früh von diesen dann 1808 realisierten Plänen Kenntnis50. Einen Orden behielt König Friedrich dem Adel vor: den von ihm am 6. März 1807 an die Stelle des bisherigen St. Hubertus-Jagdordens, eines 1702 von Herzog Eberhard Ludwig gestifteten Ritterordens, gesetzten Großen Orden des goldenen Adlers. Mit diesem Orden sollten „Tugend, Verdienste und Freundschaft" ausgezeichnet werden. Ihn konnten nur Männer bekommen, die „fürstlicher, gräflicher oder edler Herkunft" wa- ren oder die wenigstens den Rang eines Generalfeldmarschall-Leutnants bekleideten. Die Zahl der Ritter beschränkten die Statuten auf 50. Nicht eingerechnet in diese Zahl waren die Mitglieder des Königshauses und anderer regierender Fürsten51. Doch im November 1812 strich Friedrich, zunehmend auf Konfrontationskurs zum standesherrlichen Adel gehend, in den Ordensstatuten das Adelsprivileg, die „Einschränkung in Absicht der Geburt", wie er es formulierte. Von jetzt an konnten ausgezeichnete Verdienste von Männern bürgerlicher Herkunft in gleicher Weise wie die von Angehörigen adliger Geschlechter durch die Verleihung dieses höch- sten Ordens gewürdigt werden52.

Verdienste wogen bei König Friedrich schwerer als hohe Geburt. Bürgerli- che, die sich im Hof-, Zivil- oder Militärdienst hervorgetan hatten, sollten nicht hinter Adligen zurückstehen. Im Gegenteil, gegenüber Vertretern des Adels, die sich beharrlich dem königlichen Dienst verweigerten, war ihnen am Hof und in der Öffentlichkeit ein Vorrang einzuräumen. Darum

49 Reyscher, Sammlung der württ. Gesetze Bd. 15,1 S. 64 und 19,2 S. 905 f.

50 Maximilian Gritzner, Handbuch der Ritter- und Verdienstorden (1883) S. 15 ff.;

Eugen Schneider, Der württembergische Personaladel. In: Schwäbischer Mer- kur (Kronik) 1913 Nr. 417 (8. September 1913) S. 5; Bernd Wunder, Der würt- tembergische Personaladel (1806-1913). In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 40/1981 S. 494-518.

51 Württ. Regierungsblatt 1807 S. 269 ff.

52 Ebd. 1812 S. 549.

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rückten vereinzelt Männer bürgerlicher Herkunft, nachdem sie in den Adelsstand erhoben worden waren, bis in die erste Rangklasse vor, so der bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Oberhofintendant von Dil- len, der einer altwürttembergischen Pfarrers- und Beamtenfamilie ent- stammte53. Hingegen fielen Adlige, die nicht im königlichen Dienst stan- den, wie wir gesehen haben, in der Ranghierarchie immer weiter zurück.

Sie behielten, soweit sie keiner fürstlichen oder gräflichen Familie ange- hörten, nicht einmal die Hoffähigkeit. Die Gleichsetzung von Geburtsadel und Personaladel im Rangreglement bedeutete indessen nicht, daß der König seine Offiziere und leitenden Beamten aus allen sozialen Schichten gewinnen wollte. Vornean bei seinen Personalvorstellungen stand trotz allem der Adel, sodann kam das gehobene Bürgertum, etwa die Angehöri- gen der altwürttembergischen Ehrbarkeit und die oberen Bevölkerungs- klassen der ehemaligen Reichsstädte. Die unteren sozialen Schichten schloß er vom Aufstieg in den Offiziers- und Verwaltungsdienst weitge- hend aus. Ihr berufliches Betätigungsfeld blieben vorwiegend Landwirt- schaft und Handwerk. Im Dezember 1806 verfügte er die Beschränkung des Zugangs zum Kadetteninstitut auf die Söhne von Offizieren und hö- heren Beamten. Drei Jahre später engte er die Genehmigung zum Hoch- schulstudium auf die Söhne „höherer Staatsdiener" ein54. Ausnahmen ließ er zwar zu, doch änderten diese an seinem Grundsatz nichts, Adel und diesem gleichgestellte hochbefähigte und sorgsam ausgebildete Vertreter des gehobenen Bürgertums die führenden Positionen am Hof, in der Staatsverwaltung und beim Militär zu übertragen. Die großzügige Zuer- kennung des Personaladels an leitende Hof- und Staatsbedienstete aus dem Bürgertum ergänzte das beschränkte Reservoir des Adels an qualifi- zierten und willigen Führungskräften, es gewährleistete aber auch eine gewisse soziale Flexibilität. Das Bürgertum übernahm in wachsendem Maß Verantwortung für den Staat und begann damit in eine für das Land und seine Bevölkerung vorteilhafte Konkurrenz zum Adel zu treten.

4. GESELLSCHAFTLICHES LEBEN AM HOF

Das gesellschaftliche Leben am Hof vollzog sich nach strengen Regeln.

Der einzelne besaß nur einen minimalen Freiraum für eine individuelle Lebensgestaltung. Empfänge, andere Akte aufwendiger Repräsentation,

53 Paul Sauer, Der schwäbische Zar S. 390.

54 Bernd Wunder, Privilegierung und Disziplinierung. Die Entstehung des Berufs- beamtentums in Bayern und Württemberg 1780-1825 (1978) S. 343.

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Mahlzeiten, Jagden, Feste, regelmäßige Schauspiel- und Opernabende füllten seine Zeit aus. Junge Leute, so die Adjutanten des Königs, litten unter dem reglementierten, vielfach unnützen Zeitvertreib, dem aufge- blähten Repräsentationsstil. Ein unerfreuliches Bild zeichnete der spätere preußische General Ludwig Freiherr von Wolzogen, 1806 königlicher Flü- geladjutant: „Mein Dienst beschränkte sich eigentlich darauf, alle Tage gut zu essen und zu trinken und mittags von 1 bis 3 sowie abends ein halb 7 bis 10 Uhr bei Hof den Angenehmen zu spielen. Außerdem mußte ich immer den fünften Tag, wo mich der Dienst traf, ganz auf dem Schlosse zubringen und auf die Winke meines Herrn lauern. — Während des Win- ters brachte der Hof die meiste Zeit auf der Jagd zu . . . [Während des Sommeraufenthalts in Ludwigsburg] mußten die Adjutanten des Königs . . . im Schlosse wohnen. Das Leben daselbst war fast noch widerwärtiger als das in Stuttgart, weil man durch den beständigen Verkehr mit dem Ho- fe eigentlich lediglich auf die Günstlinge des Königs beschränkt war und diese ihre Rohheiten und Gemeinheiten offen zur Schau tragen durf- ten . . ,"55.

Viel Zeit am Hof beanspruchten in der Tat die Mahlzeiten, zu denen die anwesenden oder eigens dazu eingeladenen Hoffähigen beigezogen wur- den. König Friedrich, der Diners und Soupers im großen Kreis liebte, un- terschied bei den Hoffähigen zwischen Personen, die mit ihm speisen durften, und solchen, die an der zweiten Tafel, seit 1806 Marschallstafel genannt, die Mahlzeiten einzunehmen hatten. Voraussetzung für das Speisen an der Tafel des Königs war mindestens Kammerherren- oder Oberstenrang, seit etwa 1810 in jedem Fall Kammerherrenrang56. Leitende Hofbeamte mußten an den Hoftafeln speisen. Dispens konnte nur aus Ge- sundheitsgründen erteilt werden57.

Der Hof bildete eine hierarchisch gegliederte, geschlossene Gesellschaft.

Das Bürgertum der beiden Residenzen Stuttgart und Ludwigsburg hatte an ihr keinen Anteil. Es profitierte vom Hof lediglich wirtschaftlich und zum Teil auch kulturell durch Oper und Schauspielhaus, deren Besuch ihm in der Regel, wie schon früher erwähnt, gegen eine Eintrittsgebühr gestattet war. Über das Hofleben selbst war es recht gut unterrichtet. Kö- nig Friedrich legte nämlich größten Wert darauf, daß das Oberhofmar-

55 Memoiren des kgl. preußischen Generals der Infanterie Ludwig Freiherrn von Wolzogen. Aus dem Nachlaß . . . mitgeteilt von Alfred Freiherr von Wolzogen (1851) S. 51.

56 HStAS: E 6 Bü 90; Gisela Herdt S. 83.

57 HStAS: E 6 Bü 98.

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schallamt den Zeitungen ausführliche Berichte über alle wichtigen Hofbe- gebenheiten lieferte. Solche offiziösen Berichte unterlagen nicht der sonst praktizierten rigorosen Pressezensur58. Sehr ungehalten zeigte sich der König 1807, daß bürgerliche Personen in der Ludwigsburger Schloßkapel- le die Hofdienerschaft und die königlichen Garden von ihren Plätzen ver- drängt hatten. Er erklärte, die Kapelle sei ausschließlich dem Königlichen Haus, dem Hofstaat und den Garden vorbehalten59. Bei besonderen kirch- lichen Feiern traf er eine strenge Auswahl der Teilnehmer. So legte er fest, wer jeweils zusammen mit ihm am Karfreitag das Abendmahl ein- nehmen durfte60. Er entschied auch, welche hoffähigen Untertanen, frem- den Diplomaten oder sonstigen Fremden bei bestimmten Anlässen, Feier- lichkeiten usw. an den Hof geladen wurden. Ferner benannte er die Räu- me, in denen jeweils gespeist wurde. Selbst um die Verteilung der Gäste an die einzelnen Tafeln kümmerte er sich. Für das Souper am 31. Januar 1812 ordnete er an: Heute abend wird das Souper im großen Weißen Saal nicht an kleinen Tischen, sondern an einer großen Tafel abgehalten, und zu dieser werden außer dem Königlichen Haus alle verheirateten Damen und Stiftsfräulein von Oberstenfeld, die Herren der zwei ersten Rangklas- sen sowie die fremden Gesandten eingeladen. Die Fräuleins, die Herren der III. und IV. Klasse, die fremden Geschäftsträger und Legationssekretä- re speisen in der Galerie an der ersten Tafel, alle übrigen zu Hof Eingela- denen an der dritten Tafel im sogenannten Grünen Teppichsaal61. Beim Sommeraufenthalt des Hofs 1815 in Ludwigsburg strich der König aus Er- sparnisgründen die Marschallstafel. Die ihr Zugewiesenen speisten „auf Kosten seiner Majestät" in der „Kanne". An der königlichen Tafel hatten u. a. die obersten Hofbeamten, die Generale und Flügeladjutanten, die Kommandeure der Garde zu Fuß und zu Pferd, der diensthabende Or- donnanzoffizier sowie der diensthabende Reisemarschall ihre Mahlzeiten einzunehmen62.

Feiern und Feste brachten Abwechslung in den Hofalltag. Vornean stan- den Familienfeiern; Feierlichkeiten bei Geburtstagen, Taufen, Verlobun- gen, Vermählungen usw., aber auch bei besonderen Ereignissen im Kö- nigshaus, so beim Empfang des neuvermählten Kronprinzenpaars 1808 oder beim ersten Kirchgang der Prinzessin „Paul" nach der Geburt ihres

50 Ebd. Bü 90.

59 Ebd.

60 Ebd. Bü 94 und 95.

61 Ebd. Bü 94.

62 Ebd. Bü 95.

(20)

Kindes 1807. Für jede dieser Feiern bestimmte der König den zeremoniel- len Rahmen und benannte die Einzuladenden. Bei der Geburtstagsfeier seiner Gattin am 29. September 1808 gab er die folgenden Anweisungen:

Mittagstafel in der Galerie, Eingeladen wurden nur die in Ludwigsburg anwesenden [hoffähigen] Personen. Es erscheint aber alles in „großer Gala". Nachmittags 5 Uhr Gratulation im Vorzimmer der Königin. Um

% 6 Uhr Oper, danach Hofball, um Ά 10 Uhr Abendtafel: erste Tafel im Ordenssaal, zweite Tafel in der Familiengalerie, dritte Tafel im Marmor- saal63. 1813 ordnete Friedrich bei der Geburtstagsfeier der Königin wie- derum „große Gala" an, bei der der Kronprinzessin jedoch „kleine Gala"64. Am 21. Januar 1816 heiratete Kronprinz Friedrich Wilhelm Karl, der nach- malige König Wilhelm I., in St. Petersburg Großfürstin Katharina von Ruß- land. Dieses Ereignis wurde auch in Stuttgart festlich begangen „Große Gala bei Hof". Morgens Gottesdienst, wobei der Hof wie am Neujahrstag zu erscheinen hat. Nach diesem wird das Te Deum durch die Hofkapelle

„abgesungen". Mittags Lever [Friihaudienz] und große Tafel im Weißen Saal, während der, wenn Seine Königliche Majestät „die Gesundheiten des Kronprinzen und der Kronprinzessin ausbringen", 50 Kanonenschüsse abgegeben werden. Abend Frei-Theater mit Aufführung der Oper „Ferdi- nand Cortez", „welche mit dem größten Pomp zu geben ist", und freie Re- doute [Maskenball], zu der die Billets von der Generaloberhofintendanz ausgegeben werden65.

Einen gesellschaftlichen Höhepunkt für die Hofgesellschaft bildete all- jährlich der Karneval. 1807 verkündete der König folgenden Wochenplan für diese Zeit: Montag Schauspiel, Dienstag Ball bei Hofe, Mittwoch Schauspiel, Donnerstag „Cercle" am Abend und Konzert, Freitag Schau- spiel, Samstag Redoute und Sonntag Oper66. Außer den vielen Jagdpartien während des Winterhalbjahrs wurden gelegentlich auch Schlittenfahrten organisiert. Doch selbst bei diesen Vergnügungsfahrten war alles bis ins einzelne festgelegt: Zahl und Reihenfolge der Schlitten, Zuweisung der Teilnehmer zu den verschiedenen Schlitten. Am 28. Januar 1812 nahmen an einer solchen Lustfahrt über 80 Personen teil. An der Spitze und am Schluß des aus insgesamt 32 Schlitten bestehenden Konvois fuhr jeweils ein Musikschlitten. Außerdem gab dem Schlitten des Königs ein stattliches Gefolge zu Pferd das Geleit: vier Flügeladjutanten, sechs Reise- und Stall-

6 3 Ebd. Bü 91.

6 4 Ebd. Bü 94.

6 5 Ebd. Bü 95.

6 6 Ebd. Bü 90.

(21)

meister, sechs Ordonnanzoffiziere, vier Leibpagen, acht Jäger, je vier Hu- saren und Jokeys, je zwei Stallmeister und Bereiter, ein Zug Garde du Corps mit Superwesten sowie ein Zug Leibjägergarde gleichfalls mit Su- perwesten

67

. Die zeitliche Dauer des alljährlichen Sommeraufenthalts des Hofs in Ludwigsburg lag im Ermessen des Königs, ebenso die Bestim- mung der Hofchargen, der Offiziere und Gardeeinheiten, Hofoffizianten und -diener, die während dieser Zeit in Ludwigsburg anwesend sein muß- ten. Gewöhnlich folgte die Königin mit ihrem Hofstaat der feierlichen Übersiedlung ihres Gemahls in die Sommerresidenz und seiner Rückkehr nach Stuttgart im Herbst jeweils einige Tage später. Wohin immer der Kö- nig reiste oder wo er sich auch nur kurzfristig aufhielt, stets war er von ei- nem ansehnlichen Gefolge umgeben. Die Regeln der Etikette wurden, wenn auch nicht immer gleich streng gehandhabt, doch nie außer acht ge- lassen

68

.

Mit das größte Schaugepränge entfaltete der Hof bei den Feierlichkeiten am Neujahrstag, dem Jahrestag der Annahme der Königswürde. Am l. Ja- nuar 1807 speiste König Friedrich „unter dem Thron au grand couvert".

Den Garden war eine verstärkte Präsenz befohlen. Beim Hofempfang mußte das „Große Zeremoniell" beobachtet werden

69

. Am Neujahrstag 1811 erfolgten morgens 50 Kanonenschüsse, alle Glocken läuteten. Um 10 Uhr feierlicher Zug zur Schloßkirche. Gottesdienst. Anschließend im Thronzimmer Gratulationscour der obersten Hofchargen, der Generalität und der Minister nach strengem Zeremoniell. Danach Lever [Frühaudienz]

und im Weißen Saal Cortege [Ehrengeleit] durch die obersten Hofchar- gen. Abends um halb 7 Uhr Konzert im Weißen Saal, zuvor Gratulation durch die Damen im Zimmer linkerhand vom Thronzimmer

70

. Am Neu- jahrstag 1816 empfing der König nach dem Kirchgang, der diesmal aller- dings nicht in großem Aufzug erfolgte, im Thronzimmer neben den ober- sten Repräsentanten des Hofs, der Staatsverwaltung und der Generalität sowie der Garden auch eine Deputation der Ständeversammlung. Das Di- plomatische Korps sowie „die übrigen den Hof frequentierenden Perso- nen" durften hingegen ihre Glückwünsche „in den gewöhnlichen Gemä- chern" abstatten. Alsdann war Familientafel „auf dem goldenen Service in Seiner Königlichen Majestät gelbem Zimmer". Abends um halb 7 Uhr kam das Oratorium „Die Schöpfung" zur Aufführung. Am 2. Januar schloß sich

67 Ebd. Bü 94.

M Ebd. Bü 90 und 94.

69 Ebd. Bü 90.

70 HStAS: A 21 Bü 972.

(22)

ein Hofball an71. Staatspolitisch bedeutsame Ereignisse gaben gleichfalls Anlaß zu Hoffeierlichkeiten, so der Friedensschluß mit Österreich 1809 oder die Einnahme Moskaus durch die Große Armee Napoleons 181 272. Zu den großen Hofereignissen zählten auch die bereits erwähnten Huldi- gungen der Fürsten und Grafen am 6. Januar 1807 und 1812. Der König von Napoleons Gnaden bot alles auf, um seine Herrscherwürde voll ins Licht zu rücken. 1807 hatten die Fürsten und Grafen in ihren eigenen Ka- rossen vor dem königlichen Residenzschloß vorzufahren, wurden dort von einem Herold empfangen und von diesem sowie von zwei oben an ei- ner Treppe postierten Kammerjunkern in das grüne Vorzimmer geleitet.

Dort hatten sie zu warten, bis sie auf Befehl des Königs, der, umgeben von seinem Hofstaat, auf dem Thron Platz genommen hatte, von zwei Zeremo- nienmeistern nach dem Rang, den sie im ehemaligen Deutschen Reich be- kleidet hatten, in den Thronsaal geführt wurden. Bereits an der Tür hatten sie sich erstmals zu verbeugen, einige Schritte darauf ein zweites Mal, und schließlich mußten sie vor dem Thron, um den sie sich im Halbkreis aufstellten, eine dritte und diesmal sehr tiefe Verbeugung machen. Bei dieser letzten Verbeugung „rückten des Königs Majestät etwas den Hut".

Den anschließenden Huldigungsakt leitete Staats- und Kabinettsminister Graf von Normann-Ehrenfels. Er sprach die Eidesformel vor, die die Für- sten und Grafen Wort für Wort „unter Aufhebung von drei Fingern" nach- sprachen. Die Ablegung des Huldigungseids nahm der König mit entblöß- tem Haupt entgegen. Sodann berührte jeder der Huldigenden die auf ei- nem Tisch neben dem Thron liegende Königskrone, wobei der König den Hut „bewegte". Mit einer nochmaligen tiefen Verbeugung vor dem Thron endigte die feierliche Zeremonie. Die Fürsten und Grafen wurden von den Kammerjunkern wiederum in den grünen Saal zurückgeleitet. Am Mittag war große Tafel in der Galerie, am Abend Ball und Souper73. Seit Ende 1806 gab König Friedrich ein- oder zweimal in der Woche Emp- fänge, zu denen der ganze Hof Zutritt hatte und bei denen ihm in der Re- gel Fremde vorgestellt wurden. Mit den „Cercles" und „Levers" waren Konzerte, Schauspielaufführungen und Mahlzeiten verbunden. Die Kammerherren hatten an solchen „Courtagen" die ihnen verliehenen Kammerherrenschlüssel zu tragen74.

71 HStAS: E 6 Bü 95.

72 HStAS: A 21 Bü 992.

73 HStAS: E 6 Bü 90, G 243 Bü 125.

74 HStAS: A 21 Bü 936, E 6 Bü 90, 91, 94, 120; Gisela Herdt S. 101.

(23)

Einen hohen Stellenwert maß der erste württembergische König dem Hoftheater bei. Er nahm entscheidenden Einfluß auf das Engagement der Künstler, die Rollenverteilung und das Repertoire. Außerdem betätigte er sich als Theaterbauherr. Im April 1808 ließ er das Stück „Die Mitschuldi- gen" „wegen Unsittlichkeit" aus dem Repertoire streichen. Von jetzt an durften nur noch Schauspiele aufgeführt werden, die der Bücherfiskal Hofrat Lehr angesehen und „für unschuldig" erklärt hatte75. Gewöhnlich besuchte der König wenigstens eine der vier Vorstellungen in der Woche.

Auch die Hofgesellschaft, der ein Teil der Plätze vorbehalten war, hielt er zum regelmäßigen Besuch an. Sein Eintritt in die Königsloge wurde je- weils mit einem Trompetentusch angezeigt76. Kunstverständnis und Ge- schmack besaß König Friedrich in hohem Maß. Oper und Schauspiel er- lebten unter ihm eine Blütezeit. Bekannte Künstler hielten sich zeitweise an seinem Hof auf. Während des Sommeraufenthalts des Hofs in Lud- wigsburg lud er die fremden Gesandten, ihre Frauen sowie hoffähige Fremde regelmäßig zur Teilnahme am „Spectacle" ein. Anschließend zog er sie zur „Nachttafel". Ein Teil der hoffähigen Untertanen und leitenden Hofbediensteten durfte dazu „ungebeten" erscheinen77. Zu den Hofbällen wurden neben Angehörigen der obersten Rangklassen, dem Diplomati- schen Korps und hoffähigen Fremden vor allem Kammerherren, Kammer- junker und jüngere Offiziere eingeladen, damit es nicht an Tänzern fehlte78.

Das gesellschaftliche Leben am Hof wurde in nicht unerheblichem Maß beeinträchtigt durch die vor allem für nahe aber auch entferntere Ver- wandte des Königshauses, doch auch für sonstige Standesgenossen ange- ordnete Hoftrauer. Da das württembergische Königshaus mit den Fürsten- häusern halb Europas verwandt oder verschwägert war, geschah dies recht häufig. Die Trauerzeiten konnten sich auf wenige Tage beschrän- ken, sie konnten aber auch mehrere Wochen oder Monate dauern. Beim Tod seines Schwiegervaters, Herzog Karl von Braunschweig, im Novem- ber 1806 verfügte König Friedrich eine Hoftrauer von vier Monaten, beim Ableben der Kaiserin von Österreich im Mai 1807 eine solche von vier Wochen, beim Tod des Prinzen Carl Wilhelm Friedrich von Nassau-Weil- burg gleichfalls im Mai 1807 aber nur eine solche von vier Tagen. Bei wichtigen Feierlichkeiten wurde die Hoftrauer gelegentlich unterbrochen,

75 HStAS: E 6 Bü 9.

76 Gisela Herdt S. 72 und 101 f.

77 HStAS: E 6 Bü 90 und 91.

78 Ebd.

(24)

bei langen Trauerzeiten lockerte der König für die letzte Phase die stren- gen Trauerkleidervorschriften: Hoftrauer mit Abstufungen. Nach dem Tod der Prinzessin Amalie von England, der Schwester der Königin, im No- vember 1810 ordnete er für die achtwöchige Trauerzeit an: in den ersten drei Wochen die Herren mit blau angelaufenen Schnallen und Degen, die Damen mit kleinen Schnippen, schwarzen Handschuhen und Krepp, in den zweiten drei Wochen die Herren mit weißen Schnallen, die Damen ohne Schnippen und Milchflor, in den letzten vierzehn Tagen die kleine Hoftrauer79.

II. HOF UND KONSTITUTIONELLE MONARCHIE ZUR ΖΕΓΓ KÖNIG WILHELMS I.

1. STELLUNG UND BEDEUTUNG DES HOFS

Im Herbst 1813 konnte sich König Friedrich aus dem französischen Joch befreien und sein Land in das Lager der Gegner Napoleons hinüberfüh- ren. Ungeschmälert bewahrte er die Souveränität seines Landes. Der von ihm im März 1815 unternommene Versuch, Württemberg eine Verfassung zu oktroyieren, scheiterte. Die Folge waren jahrelange Verfassungskämp- fe. Ihr Ende erlebte Friedrich nicht mehr. Er starb am 30. Oktober 1816.

Seinem Sohn Wilhelm I. gelang es, den inneren Auseinandersetzungen ein Ende zu bereiten und im September 1819 mit den Landständen eine Verfassung zu vereinbaren. Württemberg war nunmehr eine konstitutio- nelle Monarchie. Die Standesherren und auch die ritterschaftlichen Fami- lien übernahmen politische Verantwortung, die ersteren in der nach ih- nen benannten Kammer der Standesherren, die letzteren in der Kammer der Abgeordneten; sie waren damit ungleich stärker als bisher im würt- tembergischen Staat integriert. Der Ersten Kammer oder Kammer der Standesherren gehörten außer den Häuptern der fürstlichen und gräflichen Familien sowie den Vertretern der standesherrlichen Gemeinschaften, auf denen früher eine Reichs- oder Kreistagsstimme geruht hatte, die Prinzen des Königlichen Hauses sowie die vom König erblich oder auf Lebenszeit ernannten Mitglieder an. Zu erblichen Mitgliedern berief Wilhelm I. die Grafen Neipperg, Rechberg und Stadion-Warthausen, zu lebenslängli- chen Mitgliedern 1819 und in der Folgezeit in der Regel verdiente hohe Beamte und Offziere. Da die vom König ernannten Mitglieder ein Drittel

79 Ebd. Bü 32, 90, A 21 Bü 993.

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der übrigen Mitglieder der Kammer nicht überschreiten durften, kam den Häuptern der ehemals reichsständischen fürstlichen und gräflichen Fami- lien — Ende 1820 waren es 33 — das Hauptgewicht in der Ersten Kammer zu. Allerdings zeigten die Standesherren anfänglich nur geringes Engage- ment für die parlamentarische Arbeit, ein guter Teil von ihnen blieb ge- wöhnlich den Sitzungen der Kammer fern, so daß die königlichen Prinzen im Verein mit den vom König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern, hauptsächlich Vertretern der Regierungsinteressen, die politischen Inten- tionen der Fürsten und Grafen oft genug unterlaufen konnten. Es dauerte Jahrzehnte, ehe die Standesherren ihre Gegnerschaft gegen den württem- bergischen Staat überwanden und allmählich zu Befürwortern der Regie- rungspolitik wurden80.

2. ORGANISATION DER HOFVERWALTUNG, HOFINSTITUTIONEN, HOFÄMTER

König Wilhelm I. sah darauf, daß der Hof ein von der Einwirkung der Landstände, aber auch der Minister freier Verfügungsbereich des Monar- chen blieb. Deshalb stellte er ihn auf eine eigene finanzielle Grundlage.

Bereits König Friedrich hatte 1815 den Landständen die Einrichtung einer Zivilliste zugesagt. Verwirklicht wurde diese aber erst unter seinem Sohn.

Von Mitte 1817 bis Mitte 1820 wirtschaftete Wilhelm I. mit einer proviso- rischen Zivilliste, die auf 1 Million Gulden im Jahr fixiert wurde. Im Sep- tember 1817 untersagte er Hof stellen „Requisitionen" bei Staatsbehörden.

„Alle weiteren Prästationen" (Leistungen) der Staatskassen für die Hofbe- hörden sollten „zessieren" (aufhören). Der Bedarf der Hof Verwaltung an Geld und Naturalien war ausschließlich durch das Hofkammerpräsidium aufzubringen, das über die Mittel der Zivilliste verfügte. Gleichzeitig ver- minderte der König den Aufwand für den Hof drastisch und paßte ihn den finanziellen Hilfsquellen des kleinen Landes an. Am 20. Juni 1820 wurde die Zivilliste einschließlich Naturalleistungen an Getreide, Heu, Stroh und Holz auf jährlich 850 000 Gulden festgesetzt. Mit ihr waren die Dispositionsfonds des Königs und der Königin, die Kosten für die Erzie- hung der königlichen Kinder sowie die Personal- und Sachkosten des Hofs zu bestreiten81. Neben der Zivilliste standen dem Monarchen freilich noch weitere Mittel zur Verfügung, mit denen die finanziellen Bedürfnis- se des Hofs befriedigt werden konnten: zunächst die Einkünfte aus dem

8 0 Gisela Herdt S. 173 ff.

81 Ebd. S. 221 ff.; Württ. Regierungsblatt 1817 S. 449.

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nicht unbeträchtlichen, nach der Verfassung von 1819 als Privateigentum der königlichen Familie geltenden Hofdomänenkammergut, dem früheren Kammerschreibereigut, sodann das Privatvermögen Wilhelms I.82. Para- graph 104 der Verfassung legte fest, daß das finanzielle Volumen der Zi- villiste während der Regierungszeit eines Monarchen nicht verändert werden durfte. Dies hatte den großen Vorteil, daß die Zivilliste der Kon- trolle der Landstände entzogen blieb, ein Tatbestand, der für die Reputa- tion und Würde der Krone von unschätzbarem Wert war. Übrigens erfolg- te während der 48jährigen Regierungszeit Wilhelms I. (1816—1864) nur ein einziger Eingriff in die Zivilliste, nämlich 1848, als sie vermindert wur- de83.

Wilhelm I. war kein Freund verschwenderischer höfischer Pracht. Auch widerstrebte es ihm, ständig, wie dies sein Vater gewesen war, von einem großen Gefolge umgeben und dadurch gewissermaßen von seinen Unter- tanen, ihren Nöten und Problemen abgeschirmt zu sein. Er war um einen volksnahen Regierungsstil bemüht. Königs- und Marschallstafel schaffte er ab. Der König speiste von jetzt an im allgemeinen zurückgezogen und im kleinen Kreis. Die glanzvolle höfische Repräsentation, auf die er sich durchaus verstand, wollte er auf besonders bedeutsame Anlässe be- schränkt wissen. Im Hofalltag sollte es vergleichsweise bescheiden zuge- hen84. Wenig Sinn hatte König Wilhelm I. für das ausgeklügelte, gestelzte Zeremoniell, wie es Friedrich bei Audienzen fremder Gesandter ange- wandt hatte. Bereits wenige Wochen nach seinem Regierungsantritt er- setzte er es durch ein einfacheres, schlichteres85. Auch der seitherige pom- pöse Rahmen der Neujahrsfeierlichkeiten mißfiel ihm. Er beschränkte ihn auf das zeremoniell Unerläßliche86. Dasselbe geschah bei Besuchen frem- der Fürstlichkeiten. Für die Eröffnung des Landtags wählte er ein Zeremo- niell, das weit einfacher als das in Karlsruhe oder München eingeführte war. Wilhelm I. legte sich in Fragen der Etikette überhaupt nicht gerne fest, sondern behielt sich eine gewisse Freiheit vor, um im Bedarfsfall nach Gutdünken entscheiden zu können. So blieb manches ungeregelt.

Allgemeine Vorschriften über das am württembergischen Hof „stattfin- dende Zeremoniell" gebe es nicht, dieses werde vielmehr in jedem einzel- nen Fall bestimmt, wurde 1822 auf Anfrage der Regierung in Hannover

82 Gisela Herdt S. 227 ff.

83 Ebd. S. 225 f.

84 Ebd. S. 287 ff.

85 HStAS: E 46 Bü 6 Nr. 6 und 8.

86 HStAS: A 21 Bü 1005.

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mitgeteilt87. Die für das Zeremoniell verantwortlichen Hofbeamten und der Außenminister hatten es namentlich beim Umgang mit dem Diploma- tischen Korps nicht leicht, sie befanden sich bei Empfängen, Audienzen usw. häufig in einer gewissen Verlegenheit. Es ist daher wenig verwun- derlich, wenn der bayerische Gesandte 1845 die Laxheit des Stuttgarter Hofs in Etikettefragen kritisierte. Die Kronerbämter hob Wilhelm I. zwar nicht auf, sie bedeuteten ihm aber kaum noch etwas, ihre Träger brauch- ten am Hof bei staatspolitisch wichtigen Anlässen nicht mehr in Erschei- nung zu treten. Als sich 1837 Fürst Georg Ludwig von Löwenstein-Wert- heim weigerte, das Reichserboberkammerherrenamt anzutreten, ließ er dieses Amt einfach unbesetzt. Ebenso verzichtete er auf die Huldigung der Fürsten und Grafen, die seinem Vater so viel bedeutet hatte88. Die Zahl und Funktion der Hofchargen verminderte Wilhelm I. drastisch.

Pagen und Kammerjunker gab es hinfort nicht mehr. Geeignete Kammer- junker rückten in den Rang von Kammerherren auf. Seit 1824 wurden auch keine Zeremonienmeister mehr ernannt. Von den Kammerherren be- hielten nur die tatsächlich dienstleistenden ihre Ämter. Dies waren etwa 75. Alle übrigen, die seitherigen Titularkammerherren, hatten ihre Schlüs- sel abzugeben und ihr Ehrenamt zur Verfügung zu stellen. Offizieren wur- de die Kammerherrenwürde grundsätzlich nicht mehr verliehen, weil der König die Auffassung vertrat, Militär- und Hofdienst ließen sich nicht mit- einander vereinbaren. Die in ihrem Amt bestätigten oder neuernannten Kammerherren hatten mindestens während drei Monaten im Jahr Hof- dienste zu leisten89. Sie mußten in württembergischen „Untertanen- und Staatspflichten" stehen und durften keine Funktion am Hof eines anderen regierenden deutschen Fürsten wahrnehmen. Die Dienstverpflichtung der Kammerherren brachte es mit sich, daß diese Hofcharge nur noch Adlige erlangten, die in Stuttgart oder dessen näherer Umgebung ihren Wohnsitz hatten90. 1812 hatte die Zahl der adligen Hofchargen 361 betragen, 1824 waren es nur noch 8691.

Beim Tod König Friedrichs befand sich die Hofverwaltung in einem deso- laten Zustand. Die Kompetenzen der Inhaber der einzelnen Hofämter und die des Grafen von Dillen, in dessen Hand die praktische Leitung der Hof- verwaltung lag, überschnitten sich mannigfach. Rivalitäten kamen hinzu.

87 HStAS: E 46 Bü 2 Nr. 9.

88 Gisela Herdt S. 257 ff., 279 ff.

89 Ebd. S. 249 f.

90 HStAS: E 6 Bü 88, 95 und 122.

91 Gisela Herdt S. 249 f.

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