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Wille, Göttingen In der ersten Hälfte des 8

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Königreiches Nanchao

Von E. Rosner und K. Wille, Göttingen

In der ersten Hälfte des 8. Jhdts. n. Chr. trat auf dem Boden der

heutigen chinesischen Provinz Yünnan ein Staatswesen hervor,

welches von allen autoehthonen Gründungen im Süden Chinas den

längsten Bestand haben sollte. Damals gelang es der regierenden

Familie aus einer der zahlreichen kleinen Herrschaften, die in der

Gegend um den Ta-li-See existierten, alle sechs „Fürsten" (liu-chao)

(Chavannes, 1900, S. 397 Anm. 4) der Region unter Kontrolle zu

bringen und einen größeren Machtbereich zu konsolidieren, der nach

Lage des neuen politischen Zentrums Nanchao („Südlicher Staat") hieß

(Blackmore, 1960). Durch eine geschickte Schaukelpolitik zwischen

den mächtigen Nachbarn China und Tibet vermochte sich Nanchao

während der gesamten T'ang-Zeit (7.—10. Jhdt. n.Chr.) seine Unabhän¬

gigkeit zu sichern. Die Fürsten von Ta-li (Yüiman) behaupteten sich

sogar noch in der Sung-Zeit (960—1279) als eigener Staat. Erst der

Mongoleneinfall und die Eroberungen der Yüan-Dynastie in Südwest¬

china setzten der staatlichen Selbständigkeit von Nanchao im 13. Jhdt.

ein jähes Ende. Yünnan wurde von da an endgültig Bestandteil des

chinesischen Reiches und fest in das Netz der kaiserlichen Administra¬

tion eingebunden (Fitzgerald, 1972, S. 60ff.).

Die Gewinnung der Oberhand über die rivalisierenden lokalen

Fürstentümer durch die Familie Meng, die spätere „Königsfamilie" von

Nanchao, im 8. Jhdt. n.Chr., ein Prozeß, der höchst wahrscheinlich

längere Zeit in Anspruch genommen hat, wird in der Legende mit einem

einmaligen Gewaltakt in Zusammenhang gebracht (Backus, 1978,

S. 93). Die Überlieferung weiß zu berichten, daß P'i-lo-ko (728-48), der

erste König von Nanchao, um das Jahr 731 die übrigen Fürsten unter

dem Vorwand eines Festes in seine Residenz gebeten haben soll. Dort

ließ er seine Gäste in einem eigens für dieses Ereignis errichteten

Pavillon unterbringen. Als die Runde durch den fortgesetzten Wein¬

genuß betrunken war, machte sich der Gastgeber davon und ließ das

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Indische Elemente in der Gründungslegende des Königreiches Nanchao 375

leicht entzündbare Gebäude in Brand stecken. Alle Rivalen fanden in

den Flammen den Tod. P'i-lo-ko hatte in der Folge leichtes Spiel bei der

Errichtung seiner Herrschaft in der Region.

Es ist gerade in jüngster Zeit betont worden, daß die Erzählung von

dieser ruchlosen Tat, nämlich von der gewaltsamen Beseitigung der

anderen Fürsten durch fi-lo-ko, die im übrigen in der Folkore Yünnans

bis in die Gegenwart hinein lebendig geblieben ist (Fitzgerald, 1941,

S. 120f), von legendären Zügen geprägt ist (Backus, 1978, S. 93;

ferner Ma, 1962, S. 55f und Fujisawa, 1969, S. 222). Dies kann nicht

überraschen, denn einmal ist schon lange bekannt, daß die Genealogien

der Nan-chao-Könige, die ihre Abstammung auf Asoka von Magadha

zurückführen, insgesamt von Einflüssen indischen Erzählgutes überla¬

gert sind (0. Franke, 1937, S. 393f; Deveria, 1886, S. 116ff.).Zum

anderen ist in einer ganzen Reihe von Fällen gezeigt worden, daß

solchen anekdotenhaften Zügen in der Königschronik ganz bestimmte

Elemente der indischen Tradition als Vorbild dienten (Pelliot, 1904,

S. 166ff.; Backus 1978, S. 89; femer Chapin und Soper, 1970,

S. lOfT.). Es lag daher nahe, auch für die Geschichte von der Verbren¬

nung der Rivalen ein Vorbild vor allem im Bereich des indischen

Erzählgutes zu suchen. Tatsächlich fanden sich solche Anklänge, sie

reichen, wie im folgenden zu zeigen sein wird, nicht nur in die epische

Literatur Indiens, sondern darüber hinaus in bestimmte Sphären der

indischen politischen Kultur. Da diese vielfältigen Wurzeln der an sich

bekannten Episode unseres Wissens nach noch nicht behandelt worden

sind, sollen sie im folgenden kurz analysiert werden.

Die Geschichte vom Feuertod der Rivalen des P'i-lo-ko ist in China

aus verhältnismäßig späten Kompilationen zur Geschichte von Nan¬

chao bekannt. Sie findet sich in der „Inoffiziellen Geschichte von Nan¬

chao" {Nan-chao yeh-shih), einem Werk, welches dem Ming-Literaten

Yang Shen (1488—1559) zugeschrieben wird; doch ist auch diese Zuord¬

nung unsicher (Goodrich-Fang, 1976, S. 1533). Obwohl es sich somit

um ein sekundäres, spätes Werk handelt, dessen Quellenwert insge¬

samt nicht sehr hoch eingeschätzt wird, hat bereits Pelliot anerkannt,

daß viele Bmchstücke älterer Nachrichten über Nanchao nur darin

erhalten sind (1904, S. 1099). Backus (1978, S. 93) bezieht sich eben¬

falls auf eine späte Kompilation, das Tien-käo (S. 792—93), nimmt aber

an, daß die Legende vom Feuertod mindestens seit der Ming-Zeit in

Yünnan bekannt war. Allerdings wird in den entsprechenden

Abschnitten der offiziellen Geschichtswerke der T'ang die Episode noch

nicht erwähnt, ebensowenig im zeitgenössischen Man-shu (Luge, 1961;

femer Stott, 1963).

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C. Sainson (1904, S. 37 f.) gibt den Ablauf der dramatischen Ereig¬

nisse, die den Feuertod der rivalisierenden Fürsten bewirkten, folgen¬

dermaßen wieder:

Lo-ko constmisit alors un grand pavilion des manes, en sapin, qu'il disposa pour y sacrifier ä ses ancetres. Puis il envoya des gens porter l'ordre suivant aux cinq tchao: «Le 24° jour de la 6° lune est la fete dite «singhouei»; il eonvient de sacri¬

fier aux ancetres; ce serait un crime de ne pas venir.» Quatre des tchao obeirent ä cet ordre; seul le tchao de Yue-si, Yu-tseng, fils du frere aine de Po-tch'ong, 6tant trop eloigne, ne se rendit pas ä la reunion. Ts'eu-chan, femme du tchao de Teng-tan. Pi-lo-teng, petit fils de Fong-mi, voulut empecher son mari d'y aller.

Comme il ne l'ecoutait pas, Ts'eu-chan, n'y pouvant rien, lui mit avant son

döpart un bracelet de fer au bras.

Le 24e jour, Lo-teng, ainsi que le tchao de Che-lang, Che Wang-ts'ien, frere

cadet de Che Wang-k'ien, le tchao de Lang-k'iong. To-lo-wang, petit-fils de

Fong-che, et le tchao de Mong-hi, Lo-yuan, fils de Hi-fou, s'ötaient tous rendus ä la residence de Lo-ko. Lo-ko monta avec eux au pavilion pour y sacrifier aux ancetres; puis, apres le sacrifice, on leur offrit ä manger de la viande du sacrifice, on les excita ä boire du vin et cela jusqu'au soir. Les quatre tchao etant alors entierement ivres, Lo-ko descendit seul du pavilion, aprfes y avoir enfiamme de

la monnaie de papier et Iaiss6 ce feu se developper ä son aise. Le feu se

propagea, des soldats entouraient le pavilion, les quatre tchao perirent brülös.

Der gesamte Ablauf dieser Freveltat, die Arüage des Komplotts und

die Mittel, die zur Vemichtung der Gegner ergriffen werden, dies alles

erinnert in augenfälliger Weise an eine Episode aus der indischen

Tradition, und zwar aus dem indischen Epos Mahäbhärata. Dieses

enthält im Zusammenhang mit der Verschwömng gegen die Pändavas

(Jatugrhadähaparvan, Poona — Ausgabe 1.124—138) eine Geschichte

ganz analoger Richtung. Winternitz (1908, S. 277) gibt unter der

Überschrift „Yudhisthira wird Thronfolger. Verschwömng gegen ihn

und seine Brüder. (Das Lackhaus.)" davon folgende Zusammenfassung:

„Ein Jahr darauf setzte Dhrtarästra den durch Tapferkeit wie durch alle

andern Tugenden gleich ausgezeichneten Yudhi^thira (als den Erstgeborenen der Kurufamilie) zum Thronfolger ein. Die übrigen Pändavas bildeten sich noch weiter in den Waffen aus und unternahmen auch auf eigene Faust siegreiche Eroberungszüge. Als Dhrtarästra von diesen Wafientaten der immer mächtiger werdenden Pändavas hörte, wurde er um die Zukunft seiner eigenen Linie eini¬

germaßen besorgt. Als daher Duryodhana, sein jüngerer Bmder DuSSäsana,

sein Freund Karna und sein mütterlicher Oheim Sakuni eine Verschwörung

gegen die Pändavas anzettelten, fanden sie bei dem alten König bereitwillige Unterstützung. Sie überredeten Dhrtarästra, die Pändavas unter irgend einem

Vorwand nach Väranävata zu entfernen. Dort ließ Duryodhana durch einen

geschickten Baumeister ein Haus aus Lack und andern leicht entzündlichen Stoffen bauen, in welchem die Pändavas wohnen sollten. In nachtschlafender Zeit soUte dann das Haus angezündet werden, damit die Pändavas ihren Unter-

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Indische Elemente in der Griindungslegende des Königreiches Nanchao 377

gang fanden. Vidura aber teilt dem Yudhisthira insgeheim — er bedient sich

dabei einer Mlecchasprache, d.h. einer den übrigen nicht verständlichen

Sprache eines nichtindischen Volksstammes — den heimtückischen Plan mit.

Um aber keinen Verdacht zu erregen, da sie fürchteten, Duryodhana würde sie

sonst auf andere Weise durch Meuchelmörder töten lassen, gehen sie scheinbar auf den Plan ein, begeben sich nach Väranävata und beziehen das Lackhaus.

Durch einen unterirdischen Gang aber, den sie heimlich anlegen ließen,

entfliehen sie in den Wald, nachdem sie das Haus, in welchem nebst dem

Baumeister nur noch ein betrunkenes Weib niedriger Kaste mit fünf Söhnen

schläft, selbst angezündet haben."

Es ist ganz offenkundig, daß zwischen dieser Episode aus dem

Mahäbhärata und der Erzählung von der Verbrennung der Rivalen

durch P'i-lo-ko in der Gründungslegende von Nanchao eine Uberein¬

stimmung besteht, die über eine mögliche Gemeinsamkeit der

Vorbilder in ubiquitären Motiven hinausgeht und die eine direkte

Einwirkung des indischen Stoffes in Yünnan vermuten läßt. Wohl stellt

der Überfall auf Feinde während eines Festes oder einer Feier eine sehr

verbreitete Kriegslist dar, die, ebenso simpel wie wirksam, in dieser

oder jener Form weltweit im Erzählgut wiederkehrt (Thompson, 1957,

S. 340: K 811.1) und wohl auch praktiziert worden ist; man denke nur

an die Bartholomäusnacht oder die sizilianische Vesper. In allen diesen

Fällen diente das Fest als willkommene Gelegenheit, um den Überra¬

schungseffekt zu erzielen.

Zugleich ist jedoch zu erkeimen, daß in den beiden hier aufeinander zu

beziehenden Erzählungen spezifische Elemente wiederkehren, die

schwerlieh unabhängig voneinander in Indien und China entstanden

sind. Ohnehin ist die „Feuerfalle" im indischen Erzählgut belegt

(Thompson, 1957, S. 305, S. 113.2.3; ferner Thomspon-Balys, 1958,

S. 318 : K 925.1). Einmal fällt die Anlage eines eigenen Gebäudes auf,

welches für das Komplott errichtet wird und aus feuergefährlichem,

leicht brennbarem Material besteht. In der Geschichte von P'i-lo-ko ist

es ein Pavillon aus Holz, im Mahäbhärata ein Lackhaus, dessen Bau im

Epos mit großer Ausführlichkeit geschildert wird und das ganz aus

leicht entzündlichen Stoffen besteht (J. A. B. van Buitenen, 1973,

S. 286ff.).

Ein weiteres übereinstimmendes Element zwischen den beiden

Erzählungen ist die Verwendung des Feuers. Sie ist auch sonst im

indischen Erzählgut im Zusammenhang mit politischen Gewaltakten

geläufig (Waldschmidt, 1973). Die Zuhilfenahme einer im einzelnen

geplanten und sorgfältig vorbereiteten Feuersbrunst, die „Feuerfalle"

zur Beseitigung von Gegnem kehrt darüber hinaus allerdings auch in

dem indischen Handbuch der Staatskunst wieder, nämlich im Artha-

(5)

sästra). Dieses klassisohe Werk kennt die „Feuerfalle" als einen der

Pläne, die dazu dienen, den politischen Gegner auf bequeme Weise

auszuschalten. Der Text preist die Anwendung des Feuers als einen

Plan in dem Abschnitt „Der Sieg des einzelnen Königs" ; es heißt dort

(Kautiliya Arthasästra, S. 548):

"Or, as the enemy is sleeping in a house smeared with a poisonous fire-mixture or in a lac-house, he should set it on fire."

Auffällig ist weiterhin die Zahl der Opfer, sie ist im wesentlichen iden¬

tisch. Im Mahäbhärata richtet sich das Komplott gegen die fünf

Pändavas. Sie entkommen im letzten Moment, stattdessen finden fiinf

Unbeteiligte den Tod in den Flammen. Das Nan-chao yeh-shih spricht

von vier Opfern, diese Zahl nennt auch Rocher (1899, S. 30f.) auf

Grund einer nicht genau bezeichneten Quelle. Andererseits wiederum

spricht Fitzgerald (1941, S. 120) von fünf Opfern, und zwar ausge¬

hend von der mündlichen Tradition in der Gegend von Tali. Auch

Backus (1978, S. 93) kommt nach einer anderen, späten chinesischen

Quelle aus der Ming-Zeit auf fünf Opfer. Diese Abweichungen in der

Zahl der Getöteten, ebenso wie der inkonstante Ausgang — im Mahäbhä¬

rata ist es nur der Versuch, im Nan-chao yeh-shih hingegen bereits die

durchgeführte Handlung — treten jedoch hinter einem beherrschenden

Moment zurück: In beiden Fällen liegt ein wohl vorbereitetes Komplott

vor, welches sich nicht nur ins indische Epos hinein verfolgen läßt,

sondem darüber hinaus im politischen Handlungswissen der altin¬

dischen Tradition verankert ist.

Dieser letztere Umstand ist sehr bemerkenswert, denn er läßt — trotz

aller Skepsis und trotz der Unsicherheit in der zeitlichen Zuordnung der

Erzählung — die Historizität der Ereignisse doch in anderem Lichte

erscheinen, als man bisher vermutete. Zwar muß man wegen der späten

Datiemng der Belege für die Geschichte in Yünnan zunächst

annehmen, daß die Beseitigung der Rivalen in der „Feuerfalle" durch

P'i-lo-ko dem Bedürfnis des Chronisten entspmngen ist, die drama¬

tischen Ereignisse bei der Erkämpfung der Vorherrschaft durch P'i-lo-

ko auszuschmücken und eine vielleicht in der mündlichen Überliefemng

tradierte Freveltat durch das berühmte indische Vorbild zu illustrieren.

Von diesem kann Nanchao auch erst durch die späteren, kriegerischen

Kontakte zwischen der Region und Burma (Stott, 1963) Kenntms

' Diesen Hinweis verdanken die Autoren Herrn Prof. Heinz Bechebt

(Göttingen). Bechert äußerte bereits früher (1970, S. 766) die Vermutung, daß die Kenntnis von Kautalya's Werk in Burma fiir das 15. Jhdt. zu belegen ist.

(6)

Indische Elemente in der Giündungslegende des Königreiches Nanchao 379

erhalten haben. Ebenso möglich wäre es jedoch, daß bereits P'i-lo-ko

selbst die Kenntnis des Arthasästra besessen hat, und daß er seinen

Überfall auf die übrigen Fürsten tatsächlich nach den dort angeratenen

Handlungsanweisungen geplant und durchgeführt hat. Das klassische

indische Werk des Arthasästra liegt zeitlich so früh, daß eine solche

Vertrautheit der Fürsten von Ta-li mit diesem Manual der Staatsklug¬

heit plausibel erscheinen mag. Die Historizität der dramatischen,

meist als Legende eingestuften Ereignisse wäre danach zwar nicht zu

beweisen, wohl aber emsthafter in Betracht zu ziehen.

Es bleibt dabei noch die Frage, auf welchen Wegen in dieser frühen

Periode, d.h. an der Wende zum 8. Jhdt. n.Chr., die Kermtnis des

Arthasästra nach Yünnan und damit auch nach Nanchao gekommen sein

mochte. Trotz der räumlichen Nähe dieses Königreiches zum indischen

Kulturkreis ist gerade diese Frage nicht einfach zu beantworten. In

letzter Zeit wurde von chinesischen Historikem betont, daß die

Bindungen zwischen Yünnan und der chinesischen Zentralgewalt stets

dominierend waren, und daß die Kultur von Nanchao die nachhaltigsten

Einflüsse aus China erhalten hat. Nicht zuletzt ist auch der Buddhismus

in seiner Hauptströmung über China nach Yünnan gekommen (Hsiao

und Huang, 1978, S. 42 f).

Diese Dominanz der chinesischen Kultur in der Entwicklung

Yünnans steht außer Zweifel, doch muß berücksichtigt werden, daß in

dem kulturell vielschichtigen Gebiet im Südwesten des chinesischen

Imperiums der direkte Einfluß indischer Elemente bedeutsam war.

Selbst für den Buddhismus hat Liebenthal (1947, insbes. S. 38 und

S. 9, Anm. 20) darauf hingewiesen, daß der Mähayäna-Buddhismus,

der aus China nach Nanchao kam, dort auf eine bereits vorhandene,

langsam aus Assam importierte Form traf. Bereits Pelliot (s.o.) und

O. Franke (s.o.) haben mit Nachdmck auf diese frühe Präsenz

indischer Einflüsse in der Region hingewiesen. Pelliot hat überdies

eine Reihe von Kulturelementen in Nanchao dargestellt, die den

direkten Einfluß aus dem indischen Kulturkreis, vor allem auch die

Zusammenhänge mit der birmanischen Region, plausibel machen

(1904, S. 154ff.). Indische Einflüsse wurden auch in der Ikonographie

des Buddhismus dieser Region aufgezeigt (Chapin, 1944/45; femer de

Mallmann, 1951, insbes. S. 595f ). Coedes (1953, 1962) hat auf den

Umstand hingewiesen, daß die Ausbreitung hinduisierender Einflüsse

nach Ober-Burma als letzter Ausläufer einer gewaltigen Welle anzu¬

sehen ist, die Hinterindien überrollte. Der indische Historiker

R. C. Majumdar (1944, S. 225 ff.) schließlich sieht diese Ausbreitung

indischer Kultur vielleicht als etwas zu bestimmend an, doch weist er

(7)

mit Recht daraufhin, daß auch auf dem Gebiete der pohtischen Organi¬

sation der Einfluß Indiens in Nanchao gewichtig war. Zugleich zeigte

Majumdar (1979, S. 174ff.), daß das Echo des indischen Epos, des

Rämäyana wie des Mahäbhärata, in Hinterindien bedeutend war.

Innerhalb dieser Vielfalt von Ausläufern indischer Kultur nach

Nanchao sind die Spuren des Arthasästra freilich ein Element beson¬

derer Art. Es ist nämlich fast ausgeschlossen, daß die Kenntnisse von

diesem Werk anders als auf dem unmittelbaren Weg über Burma nach

Yünnan gekommen sind. Dieser Weg der Übermittlung muß ja gerade

für Elemente der indischen Kultur angenommen werden, die keinerlei

Verbindung zum Buddhismus aufweisen und die auch anderwärts wohl

kaum im Gefolge der buddhistischen Literatur verbreitet wurden. Die

Anklänge an das Arthasästra lassen daher direkte Einflüsse Indiens in

der politischen Praxis von Nanchao vermuten, so unsicher die zeitliche

Zuordnung auch sein mag. Man geht vielleicht nicht fehl, aus den

Spuren dieses klassischen Werkes eine noch weitergehende Orientie¬

rung des Regierungssystems von Nanchao nach Indien hin zu erwarten.

Freilich ist bisher der Wirkungsmechanismus indischer Politik in den

Randstaaten der Region sehr verschwommen geblieben. Hier gilt, was

CoedJis verallgemeinernd fiir die hinduisierten Staaten der Region

hervorgehoben hat (1962, S. 53f):

"Very little is known about how these kingdoms came into being, but one may assume either that Indians imposed their form of political organization on an indigenous society, or that an indigenous society which had been affected by Indian cultural influence created a political organization on the Indian pattern."

Diese Bedeutung des Kulturelements des „Lackhauses" als ein Indiz

für frühe und enge, direkte Beziehungen der Region von Nanchao zum

indischen Kulturkreis und dessen Ausläufen in Ober-Burma wird aber

nicht zuletzt auch noch im Zusammenhang mit weiteren Daten

bedeutsam, die von der neueren Erzählgutforschung in Yünnan

gewonnen wurden. Es ist auffallig, daß sich im Erzählgut dieser Region

bis in die jüngste Gegenwart einige Motive erhalten haben, die aus

Indien stammen, die jedoch außerhalb der Provinz, im Inneren Chinas,

bisher rücht oder in der neueren Zeit nicht mehr beobachtet wurden

(Eberhard, 1965, S. 217, 238). Sie stehen dort teilweise auch in

Verbindung mit lokalen Festen, deren Ursprünge selbst auf Indien

hinweisen, wde etwa das Wasserfest (Eberhard, 1965, S. 217). Eine

1962 in Peking erschienene Sammlung von lokalem Erzählgut aus

Yünnan {Yün-nan ko-tsu min-chien ku-shih hsüan, 1962) ordnet zudem

indische Einflüsse den Erzählungen auch der lücht-ehinesischen

(8)

Indische Elemente in der Gründungsiegende des Königreiches Nanchao 381

Völkerschaften dieser Provinz zu (ebd. S. 200). Eberhard (1965,

S. 232 und 238) hat allerdings gegen diese Sammlung schwere

Bedenken vorgebracht und die Verläßlichkeit der Herkunftsangaben

angegriffen. Die darin gegebenen Hinweise sind deimoch der weiteren

Untersuchung wert, denn gerade diese Randvölker bilden, trotz aller

Kontroversen, die über die genauen Affiliationen geführt worden sind

(Blackmore, 1967), in ihrer Gesamtheit die Nachfahren der Popula¬

tionen, die auf dem Gebiet des Staates Nanchao ansässig waren, so daß

hier eine Persistenz älterer indischer Einflüsse aus den Anfängen dieses

Königreiches nicht auszuschließen ist.

Zusammenfassend sei festgehalten: Im vorigen wurde eine signifi¬

kante Übereinstimmung eines Elementes aus der Gründungslegende

von Nanchao rrüt Teilen eines indischen Epos, des Mahäbhärata, festge¬

stellt. Die Verbrennung der Rivalen ließ sich als ausgearbeitetes

Komplott aber nicht nur im Epos wiederfinden, sondem auch in der

politischen Handlungslehre des Arthasästra. Durch die unmittelbare

Verbindungslinie eines markanten, freilich meist als legendär gedeu¬

teten Ereignisses in der Gründungsgeschichte von Nanchao zu dieser

praktischen indischen Staatsweisheit gewinnen die Beziehungen des

Staates Nanchao zum Kulturkreis Indiens mehr Glaubwürdigkeit, werm

auch nicht zu ermessen ist, wie weit solche Handlungsanweisungen an

den klugen Fürsten tatsächlich und im einzelnen das historische

Geschehen bestimmt haben. Die Erzählung vom „Lackhaus" kann

daher, zwar lücht wegen nachgwiesener Historizität, wohl aber wegen

des erkennbaren Bezugs zur Welt des faktischen Handelns, neben den

von Pelliot (1904, S. 154ff.) aufgestellten Kriterien als weiteres

Anzeichen einer unmittelbaren Bindung der Region des westlich

Yünnan an den indischen Kulturkreis gelten.

Literaturverzeichnis

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Monograpiiien über einzelne oder mehrere ägyptische Schriftzeichen und

Wörter aus der Feder kompetenter Ägyptologen, und besonders solche mit

Bezugnahme auf semitische und semitohamitischo Problematik, fmden stets ein

entsprechend weites wissenschaftliches Interesse. Bieten doch solche Untersu¬

chungen u. a. auch die Chance, die Erforschung der Beziehungen zwischen

Ägyptisch und Semitisch, die ein wenig auf dem Stand der Dreißigerjahre einge¬

froren war (und z.T. heute noch ist), wieder in Fluß zu bringen.

Die letzten Jahre haben uns einige in diesem Sinne bedeutsame Monogra¬

phien gebracht, so eine von H. Brunner über äg. k s p 'räuchern' /ksp 'beda¬

chen' und den Ortsnamen kp wByblos, sowie kp 'abgeschnittene Hand'', oder

von G. Conti über äg. / s h 'mit der Sichel mähen'^ oder von demselben über ägyptisch-semitische Beziehungen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Terminologie^.

In diesem Zusammenhang ist auch eine umfassende Untersuchung von

P. Kaplony über die Stmktur des ägjrptisehen Schriftsystems von grandle¬

gender Wichtigkeit, führt doch der Weg zum Verständnis der Strakturen der

Wörter vergangener Sprachen über das Verständnis der Strakturen ihres

Schri ft systems'".

' H. Brunner: Die Hieroglyphen für „räuchem", „bedecken", „Handfläche" und die ihnen entsprechenden Wörter. In: Nachr. d. Akad. d. Wissch. in Göttingen, I.

Philol.-hist Kl. 1965, S. 79-96.

^ G. Conti: Egiziano ish 'tagliare col falcetto' — etiopico '3zh 'pielra focaia' In:

RSO 48 (1974), S. 29-35. - C. wiU diese Gleichung eher auf ein älteres Substrat zurückfuhren, als auf ägyptisch-semitische Gemeinsamkeit.

^ G. Conti: Rapporti tra Egiziano e Semitico nel lessico Egiziano deU'agricol- tura. Firenze 1978. (Quaderni di Semitistica. 6.)

■* P. Kaplony: Strukturprobleme der Hieroglyphenschrift. In: CE 41 (1966), S. 60—99. — Wir finden bei K. so kostbare und geradezu klassisch formulierte Einsichten, wie: „Die Gesamtheit der (ägyptischen) Schriftzeichen ist nichts anderes als ein frühes Onomastikon" und: „. . . die Hierogljfphen (sind), nicht weniger als die Keilschrift, auch für den Ahtag, nämlich für Wirtschaftstexte, erfunden worden" (S. 67), aber auch — berahend auf der Grandlage der Analyse der Straktur des Schriftaystems — Kritik und Absage gegenüber gewissen alten etymologisierenden Spekulationen, wie: daß es, nach den Schriftzeichen, einmal ein ägyptisches Wort „i d n" für „Ohr" (S. 82) und „j d" für „Hand" (S. 93)

gegeben hätte! Dazu ist zu vergleichen, was G. Steindorff schon in ZDMG 46

(1892), S. 720f (zur Einfuhrang von d als offizielles Transkriptionszeichen fiir

die Hand-Hieroglj^he) gesagt hat: „Einen dem Daleth conformen Dentallaut

besitzt das Ägyptische überhaupt nicht" usf

Zeitschrift der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft Band 131, Heft 2 (1981)

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