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Therapie und Beratung von Migranten

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Academic year: 2022

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Viele Zugewanderte fühlen sich „hier“ heimisch. Was aber bedeutet es für Therapie und Beratung, mit sehr unterschiedlichem Denken und Handeln konfrontiert zu sein? Wie umgehen mit Konflikten? Wie eigene Stereotypisierungen aufdecken, Vorurteile abbauen?

Dieses Buch setzt einen neuen Qualitätsstandard für alle, die professionell Migranten unterstützen.

Im Zentrum steht eine – für die Praxis dringend not- wendige – Synthese von systemischem Denken und interkulturellem Handlungsansatz.

• Teil I widmet sich den Grundlagen, z. B.: Was ist Migration, Kultur, System? Wie gestaltet sich Netz- werkarbeit? Warum sind Sprache und eine interkultu- relle Fachlichkeit so wichtig für Therapie und

Beratung? Aus diesem Katalog entwickelt sich das Konzept des „systemisch-interkulturellen Denkens und Handelns“.

• Teil II gilt der Praxis: Hier kommen Autoren zu Wort, die nach obigem Konzept arbeiten und Einblick in ihre medizinische, therapeutische und sozialarbeiterische Praxis geben. Viele methodisch-didaktische Hinweise und Praxisbeispiele motivieren, sich verstärkt der Thematik zu öffnen und sie in die eigene Praxis zu integrieren.

Pra xis han dbu ch

Radice von Wogau • Eimmermacher • Lanfranchi (Hrsg.)

Therapie und Beratung

von Migranten

Systemisch-interkulturell denken und handeln

Radice v. Wogau •Eimmermacher •Lanfranchi (Hrsg .) Th era pie und Be ra tung vo nM igra nt en

www.beltz.de

ISBN 978-3-621-28338-0

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Janine Radice von WogauHanna EimmermacherAndrea Lanfranchi (Hrsg.)

Therapie und Beratung von Migranten

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Janine Radice von WogauHanna EimmermacherAndrea Lanfranchi (Hrsg.)

Therapie und Beratung von Migranten

Systemisch-interkulturell denken und handeln 2., neu ausgestattete Auflage

(5)

Anschrift der Herausgeber:

Janine Radice von Wogau Schloßbuck 2a

79112 Freiburg-Munzingen Telefon: +49 (0) 76 64 / 44 89 E-Mail: janineradice@t-online.de Hanna Eimmermacher

Am Kirchacker 28 79115 Freiburg

Telefon: +49 (0) 761 / 49 10 86 Fax: +49 (0) 761 / 470 16 95 E-Mail: eimmermacher@t-online.de Dr. Andrea Lanfranchi

Haltenweg 28 8706 Meilen Schweiz Telefon: +41 (0) 1/793 34 20

E-Mail: andrea.lanfranchi@swissonline.ch

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2004

2., neu ausgestattete Auflage

©Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2015 Werderstr. 10, 69469 Weinheim

Programm PVU Psychologie Verlags Union http://www.beltz.de

Lektorat: Susanne Ackermann Herstellung: Uta Euler

Umschlaggestaltung: Federico Luci, Köln Umschlagbild: Corbis Stock Market, Düsseldorf

Satz, Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer“, Bad Langensalza Printed in Germany

ISBN 978-3-621-28338-0

(6)

Inhalt V

Inhalt

Geleitwort XV

Teil I Grundlagen

1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

3

Hanna EimmermacherAndrea LanfranchiJanine Radice von Wogau

1.1 Warum dieses Handbuch? 3

1.1.1 Politische und gesellschaftliche Situation 3 1.1.2 Warum wir mit dem Persönlichen beginnen 4

1.1.3 Erfahrungen 4

1.2 Theoretische Orientierung 8

1.2.1 Interkulturelle oder transkulturelle Kompetenz? 8 1.2.2 Warum systemisch-interkulturelle Kompetenz? 9

1.3 Von Außenseitern lernen 9

1.3.1 Kultur und kulturelle Integration 10

1.3.2 Sprache prägt Bewusstsein 11

1.4 An wen sich das Handbuch richtet 11

1.4.1 In eigener Sache – das männlich-weibliche Dilemma 11

1.4.2 Migrationsarbeit weiterentwickeln 12

2 Migration und Integration – Gestaltung von Übergängen

13

Andrea Lanfranchi

2.1 Facetten der Migration 13

2.1.1 Chancen und Ressourcen 13

2.1.2 Migration hat viele Gesichter 14

2.2 Bewältigung von Übergängen 16

2.2.1 Der Verlauf von Migration und Integration 16

2.2.2 Erwartungen und Enttäuschungen 17

2.2.3 Tradition und Veränderung 19

2.2.4 Schwebezustand und Blockade 19

2.2.5 Dauerprovisorium und Konfliktverleugnung 20

(7)

Inhalt

VI

2.3 Psychosoziale Spannungsfelder 21

2.3.1 Zunahme sozialer Ungleichheit 21

2.3.2 Ungleiche Verteilung von Bildungschancen 23 2.4 Lebenszyklus-Perspektive von Migrationsfamilien 24

2.4.1 Aufbauphase 25

2.4.2 Expansions- und Vorschulphase 25

2.4.3 Schulzeit 26

2.4.4 Adoleszenz und Postadoleszenz 27

2.4.5 Mittlere Lebensphase und Alter 27

3 Über den Umgang mit „Kultur“ in der Beratung

31 Annita Kalpaka

3.1 Das Erklärungsmuster „Kultur“ 31

3.1.1 Andere Kulturen verstehen 31

3.1.2 Die britischen Cultural Studies 32

3.1.3 Kulturverständnisse 34

3.2 Auswirkungen eines statischen Kulturbegriffs 37

3.2.1 „Interkulturelles Frühstück“ 37

3.2.2 Das Kopftuch der Honorarkraft 38

3.2.3 Kulturelle Zuschreibungen und Simplifizierung 39

3.3 Die Kultur der „Anderen“ 40

3.3.1 „Wir“ und die „Anderen“ 40

3.3.2 Selbstethnisierung und Selbstkulturalisierung 41

3.4 Konsequenzen für die Beratung 42

4 Systemische Theorie in interkultureller Beratung

45

und Therapie

Janine Radice von Wogau

4.1 Eine Metatheorie 45

4.2 Verständnis von Migration, kulturellen Übergängen

und der Psychologie der Marginalisierung 46

4.2.1 Die Migrationsgeschichte 46

4.2.2 Kulturelle Übergänge 47

4.2.3 Psychologie der Marginalisierung und kulturelle Identität 48 4.3 Systemische Theorie, kulturelle Prägung und Gender 49 4.4 Skizzen der Entwicklung systemischer Ideen 51

4.4.1 Die Anfänge 51

(8)

Inhalt VII

4.4.2 Systemische Schulen 52

4.4.3 Physik, Neurobiologie und Konstruktivismus 53 4.4.4 Weitere Entwicklungen seit den 80er Jahren 54

4.5 Systemtheorie in der klinischen Praxis 56

4.5.1 Strukturelle Familientherapie 56

4.5.2 Lösungsorientierte Kurzzeittherapie 58

4.5.3 Narrative Therapie und Migrationserzählungen 59

4.5.4 Das Reflektierende Team 61

4.5.5 Therapie als emotionale Begegnung 62

4.6 Ausblick 63

5 Netzwerkarbeit

65

Hanna Eimmermacher

5.1 Möglichkeiten und Ziele der Netzwerkarbeit 65

5.1.1 Voraussetzungen 65

5.1.2 Soziale Netze von Migrantinnen und Migranten 67

5.1.3 Ziele der Netzwerkarbeit 68

5.2 Methoden 69

5.2.1 Fallbezogene Netzwerkarbeit 69

5.2.2 Programmatische Netzwerkarbeit 71

5.2.3 Instrumente 76

6 Interkulturelle Kompetenz in Beratung und Therapie

79

Thomas Hegemann

6.1 Kultur 79

6.1.1 Kultur und Dynamik 79

6.1.2 Interkulturelle Kompetenz 81

6.2 Schwerpunkte interkultureller Kompetenztrainings 84

6.2.1 Gesundheit und Krankheit 84

6.2.2 Soziale Rollen und Gender 85

6.2.3 Familiäre Lebenszyklen 85

6.2.4 Eigene kulturelle Traditionen 86

6.2.5 Lebenswirklichkeit 87

6.2.6 Haltung der Allparteilichkeit 88

6.3 Interkulturell kompetente Institutionen 89

6.3.1 Lernende Organisation 89

6.3.2 Gestaltung von Rahmenbedingungen 89

(9)

Inhalt

VIII

7 Bedeutung der Sprache in der systemischen Beratung

92

und Therapie

Angela Eberding

7.1 Muttersprache 92

7.1.1 Geteilte Bedeutungen 92

7.1.2 Kommunikationsprobleme 93

7.2 Bilder, Erwartungen, Mythen 94

7.2.1 Körperbilder 94

7.2.2 Die Zirkularität von Erwartungen 95

7.2.3 Erwartungszirkel durchbrechen 97

7.2 4 Eigene Vorurteile 98

7.2.5 Sprachbarrieren 99

7.3 Systemisches Arbeiten in Sozial- und Gesundheitswesen 101

7.3.1 Joining 101

7.3.2 Systemisches Inventar 102

8 Zugang von Migrantinnen und Migranten

104

zu den Sozial- und Gesundheitssystemen

Andrea LanfranchiPeter von WogauHanna Eimmermacher

8.1 Migration und Gesundheit 104

8.1.1 Stressbewältigung und Krankheitsrisiken 105 8.1.2 Psychosoziales Unbehagen und die Bedeutung tragfähiger

Paar- und Familienbeziehungen 106

8.2 Beispiel Deutschland 109

8.2.1 Migranten im deutschen Gesundheitssystem 109

8.2.2 Psychotherapeutische Versorgung 111

8.2.3 Abbau von Zugangsbarrieren 113

8.3 Qualitätsmerkmale einer interkulturell offenen Einrichtung 116

8.3.1 Qualitätsmerkmale 117

8.3.2 Den eigenen „Standort“ verändern –

ein erster Schritt zu interkultureller Kompetenz 118

(10)

Inhalt IX

Teil II Praxisfelder

9 Praxis für systemische Einzel-, Paar- und

123

Familientherapie

Katherine Rittenberg-Cogan

9.1 Der eigene Weg 124

9.1.1 Multikulturelle Klientel 125

9.1.2 Meine Ziele mit interkulturellen Klienten 126

9.2 Angemessene Interventionen 127

9.2.1 Haltungen und Techniken 127

9.2.2 Die Bedeutung der eigenen Lebensbiographie bei der

Anwendung des Joining 128

9.2.3 Krisen als Folge von Überforderung 129

9.2.4 Trauerarbeit in der Therapie als Chance 130

9.2.5 Umgang mit der Zeit – Fallbeispiel 131

9.2.6 Umgang mit Geschenken – Fallbeispiel 132 9.2.7 Externalisierung des Symptoms und Verwendung

von Mythen und Metaphern – Fallbeispiel 132 9.3 Barrieren einer effektiven interkulturellen Zusammenarbeit 134 9.3.1 Bürokratische und fachliche Barrieren 134

9.3.2 Politische Barrieren 135

9.3.3 Psychische Barrieren 135

9.3.4 Interkulturelle Supervision 135

10 Ein Patient ausländischer Herkunft bei einem Hausarzt

137 Peter Flubacher

10.1 Der eigene Weg 137

10.2 Der Klient und seine Geschichte 138

10.2.1 Ein Fallbeispiel 138

10.2.2 Anforderungen an die Medizin 139

10.3 Konsultationen und Diagnose 140

10.3.1 Ziele erarbeiten 140

10.3.2 Diagnose 143

10.4 Interventionen und Barrieren 143

10.4.1 Die Sprache der Krankheit 143

10.4.2 Arbeiten mit einer Übersetzerin 145

10.4.3 Erschwernisse für Migranten 145

(11)

Inhalt

X

11 Behandlungszentrum für Folteropfer

148 Angelika BirckRalf Weber

11.1 Der eigene Weg 148

11.1.1 Die Einrichtung 148

11.1.2 Die Patienten 149

11.2 Behandlung traumatisierter Flüchtlinge 150

11.2.1 Erwartungen der Patienten 150

11.2.2 Behandlungsziele 151

11.3 Kulturelle Hintergründe 152

11.3.1 Individuum und Gemeinschaft 153

11.3.2 Gesellschaftliche Hierarchien und Verhalten

gegenüber Autoritäten 153

11.3.3 Äußern von Gefühlen 154

11.3.4 Der Begriff der Ehre 154

11.3.5 Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit 155

11.4 Therapie mit Extremtraumatisierten 156

11.4.1 Anforderungen und Besonderheiten 156

11.4.2 Barrieren 158

12 Interkulturelles Denken in der Psychiatrie

161

Cornelia Oestereich

12.1 Interkulturelle Verständigung in der Psychiatrie 161

12.1.1 Der eigene Weg 161

12.1.2 Situation in der Psychiatrie 162

12.1.3 Sprachliche Kommunikation 165

12.2 Systemische Theorie in der Psychiatrie 166

12.2.1 Nutzen für die Migranten 167

12.2.2 Instrumente systemischer Kooperation 167

13 Interkulturelle Betreuung lebensbedrohlich

175

erkrankter Kinder

Angelika Horn

13.1 Der eigene Weg 175

13.1.1 Die Einrichtung 175

13.1.2 Das Team 176

13.1.3 Patienten 177

13.2 Probleme und Ressourcen 178

13.2.1 Belastungen 178

(12)

Inhalt XI

13.2.2 Ressourcen 180

13.3 Ziele, Inhalte und Interventionen 181

13.3.1 Begleitung 181

13.3.2 Haltung 183

13.3.3 Kommunikation 185

13.3.4 Arbeiten mit Sprachmittlern 186

13.3.5 Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Hintergrund 187

14 Interkulturelle Aufgaben in der Erziehungsberatung

190 Eleonore Demmer-GaitePaul Friese

14.1 Der eigene Weg 190

14.1.1 Erziehungsberatung 191

14.1.2 Klientinnen und Klienten 193

14.2 Problemlagen der Ratsuchenden 194

14.2.1 Fragestellungen 194

14.2.2 Ziele 195

14.3 Beratung und Intervention 197

14.3.1 Beratungssetting 197

14.3.2 Fallanalyse 198

14.3.3 Angemessene Intervention 199

14.3.4 Barrieren einer effektiven interkulturellen Zusammenarbeit 202

15 Migrationsspezifische Angebote

205

im Schulpsychologischen Dienst

Julia Papst

15.1 Der eigene Weg 205

15.1.1 Wie sieht meine Arbeit aus? 205

15.1.2 Wer kommt zu uns? 206

15.1.3 Mit welchen Problemen haben wir es zu tun? 207

15.2 Entwicklungsprobleme 208

15.2.1 Sprachliche Entwicklung 208

15.2.2 Schulische Integration 209

15.2.3 Heranwachsen der Kinder 210

15.2.4 Schulische Entwicklungsprozesse 211

15.3 Leistungen der Schulpsychologie 212

15.3.1 Entwicklungsmöglichkeiten schaffen 212

15.3.2 Informationen zum kulturellen Hintergrund der Familien

und Lehrpersonen 212

15.3.3 Ein Fallbeispiel 214

(13)

Inhalt

XII

15.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten 215

15.4.1 Verständigungsschwierigkeiten 215

15.4.2 „Heimat ist dort, wo man mich gern hat“ 216

16 Praxisgeschichten aus der interkulturellen

Schulsozialarbeit

218

Michel Boltz

16.1 „Alles, nur kein Lehrer“ 218

16.1.1 Sozialarbeit in einer Bielefelder Hauptschule 219

16.1.2 Stadtteilarbeit 220

16.2 Interkulturelles Arbeiten an einer Hauptschule 221 16.2.1 „Der Feind steht vorne an der Tafel“ 221

16.2.2 Konflikte und Chancen 222

16.2.3 Ziele sozialpädagogischer Arbeit 223

16.2.4 Kontakthof Schule – Zugang zur Vielfalt der Kulturen 224 16.3 Inhalte, Methoden und Grenzen schulischer Sozialarbeit 224 16.3.1 Soziale Kompetenz als schulischer Bildungsinhalt 224

16.3.2 Schule als betreuter Lebensraum 226

16.3.3 Beratung und ihre Grenzen 226

16.3.4 Stolpersteine 230

17 Beratung in Ehe-, Familien- und Lebensfragen –

232

Ein spezielles Angebot für Migrantinnen, Migranten und binationale Paare

Janine Radice von Wogau

17.1 Mein eigener Weg zu interkultureller Kompetenz 232

17.2 Die Einrichtung 232

17.3 Klientinnen und Klienten 234

17.3.1 Herkunft 234

17.3.2 Einzelne Klientengruppen 235

17.4 Problembereiche 237

17.4.1 Ähnlichkeiten mit deutschen Klienten 238

17.4.2 Unterschiede zu deutschen Klienten 238

17.5 Interkulturelle Therapie und Beratung 240

17.5.1 Ziele 240

17.5.2 Therapeutisches Setting 240

17.5.3 Fragen 241

17.5.4 Andere therapeutische Methoden 243

(14)

Inhalt XIII

Literatur

245

Autorenverzeichnis

261

Sachverzeichnis

267

(15)

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(16)

Geleitwort XV

Geleitwort

Migration, Fremdsein und die Aufnahme von Fremden sind elementare mensch- liche Erfahrungen. Auch wenn die Sesshaften meinen, ihre Lebensform sei die übliche, belehrt ein Blick in die Geschichtsbücher oder in eine größere Tageszei- tung der Gegenwart, dass die Welt voller Mobilität war und ist. Kriege und Na- turkatastrophen, Vertreibung und Intoleranz, Armut und Arbeitslosigkeit, aber auch Streben nach Erfolg und Reichtum bringen die Menschen in Bewegung.

Migration löst Probleme und verursacht welche, sie wird durch Push- und Pull- faktoren in Gang gehalten. Die Formen wandeln sich, die Struktur der Erfahrun- gen bleibt ambivalent: Befreiung und neue Unterdrückung sind möglich.

Die Janusköpfigkeit der Migration muss als erstes betont werden - denn die helfenden Berufe werden vor allem mit den Schattenseiten konfrontiert. Es ge- hört auch zur Basislegitimation dieser Berufe, dass es Orientierungslosigkeit und Unsicherheit, menschliche Bedrängnis und Hilfsbedürftigkeit gibt - und die tägliche Erfahrung bestätigt diese Begründungen. Es gibt viele Tatsachen, die das Belastende der Migration hervorheben: die Trennung aus einer vertrauten Welt, der Aufwand des Umzugs, die Gesundheitsschädlichkeit der Migranten- arbeitsplätze, die Dynamik des Wandels, in den man gestellt wird, die Verände- rungen, die man an den nahestehenden Personen beobachtet, die Kränkung durch Segregation, das Heimweh, die Kälte, die Last der enttäuschten Hoffnun- gen, das Verschwinden der Zukunft, die planbar schien, der Schmerz der Sprachlosigkeit und vieles mehr. Alles, was Menschen bedrücken kann, scheint sich in der Fremde zu verstärken.

Doch würde man nur diese eine Seite wahrnehmen, dann bliebe man dem die Kindheit verklärenden Blick verhaftet, die Erinnerung an die Wärme der frühen Bindungen würde die Fesseln und das Elend vergessen lassen, aus denen man sich herausgelöst hat. Spätestens beim Versuch der Remigration stellt sich die Ambivalenz wieder ein. Auch die anderen Erfahrungen müssen ins Bewusstsein gehoben werden: die wirtschaftliche Besserung, die Sicherheit durch die sozial- staatlichen Leistungssysteme, die Erweiterung des Blicks und die Ungebunden- heit des Lebens in modernen Gesellschaften, die neuen und selbstgewählten Beziehungen mit ihren Anregungen, der Zugang zu Potentialen der Selbstentfal- tung und vieles mehr. Oft wird der Gewinn der Migration erst in reflexiver Ein- stellung bewusst und sichtbar. Vor allem aber in Krisen und Schicksalsschlägen können die Migrationsgewinne nicht mehr wahrgenommen werden, die Melan-

(17)

Geleitwort

XVI

cholie scheint dann zum Paradigma der Selbsterfahrung in der Fremde zu wer- den; Grund genug, Therapie und Beratung in Anspruch zu nehmen.

Zu allem Überfluss wird der Elendsdiskurs noch verdoppelt durch die Zu- schreibungen der Einheimischen. Diese sind nämlich mit den Migranten unzu- frieden und definieren sie als Problem, wenn sie nicht zurückkehren, sobald sie der Arbeitsmarkt nicht mehr braucht, wenn sie sich nicht brav am Rand der Gesellschaft aufhalten, wenn ihre Kinder durch die Bildung aufsteigen wollen, wenn die Jugendlichen über die Stränge schlagen, wenn sie an ihren gemein- schaftlichen Traditionen festhalten oder wenn sie einfach kommen, weil sie ver- trieben werden und nicht, weil man sie gerufen hat. Doch auch hier gibt es Ge- genläufiges: Aufnahme und Annahme, Freundlichkeit und Unterstützung, Nachbarschaft und neue Heimat. Ob diese Bilanz allerdings die Balance hält, muss für unsere Gesellschaft bezweifelt werden. Die Selbstverständlichkeit des irgendwie Akzeptiertwerdens, die man braucht, um seinen Platz zu finden, wird von einem Land vorenthalten, das den hier Geborenen auch als Ausländer ster- ben lässt. Nur ernsthafte Einwanderungsgesellschaften sehen einen Platz für die neuen Identitäten der Gemischtkulturellen vor.

In der Praxis der pädagogischen und therapeutischen Berufe – in den perso- nenbezogenen sozialen Dienstleistungen können wir modernisierungstheore- tisch formulieren – wird das alles und vieles mehr bearbeitet. Aus dem Leben in den Widersprüchen bringt jede Ratsuchende und jeder Fragesteller seine eigene Bilanz mit, aus aktuellem Anlass und als Ergebnis einer langen Verlaufskarriere von Einschränkungen hat sich die Ambivalenz aufgelöst und es dominieren die Bedrängnisse. Sicherlich, so ist es bei jedem Beratungsfall – man braucht keine Migrationsgeschichte und keinen Migrationshintergrund, um hilfsbedürftig oder krank zu werden. Doch – und das ist für uns konstruktivistisch Belehrte nach- vollziehbar – schiebt sich die Wahrnehmung des Migrationszusammenhangs in den Vordergrund. Die Trennungsgeschichte, die Fremdheit, der Kulturkonflikt – wie schnell bestimmen die leichten, und doch scheinbaren Erklärungen die Di- agnose. Sie erleichtern uns die Erklärung, und dem Behandelten auch.

Die erfahrende Beraterin und der reflektierte Therapeut weiß aber auch um die Gefährdung durch die einfachen Erklärungen. Zu leicht stilisiert sich das Subjekt zum Objekt und Opfer der Verhältnisse. Der mühsame Weg der auch selbstkritischen Auseinandersetzung soll abgekürzt oder gemieden werden, ein Gleichgewicht stellt sich mit Hilfe der kleinen und großen Lebenslügen ein. So sehr wir diese auch immer brauchen mögen – sie ermöglichen immer nur fragile Lösungen. Die Wahrheit des Lebens lässt sich nicht hintergehen.

Und diese Wahrheit ist komplex und konkret. Als ganze wird sie nie erkenn- bar, nur Facetten scheinen auf und können bearbeitet werden. Dies gilt für jede einzelne Situation, weshalb „Individualisierung“ zum wichtigsten Programm

(18)

Geleitwort XVII geworden ist. Gleichzeitig benötigen wir allgemeine Kategorien, um über die Einzigartigkeit des Ratsuchenden in Beratung und Therapie sprechen zu können.

Die Autoren und Autorinnen dieses Praxishandbuchs sind sich genau dieser Notwendigkeit einer Doppelperspektivität bewusst. In systematisch-theore- tischer Perspektive wird das Handlungsfeld in seiner Besonderheit als „Arbeit mit Migranten“ wie auch in seiner Allgemeinheit als „systematisches Arbeiten“

vorgestellt. Diese Orientierung ermöglicht es, die spezifischen Lebensumstände und Erfahrungen von Migranten zu verstehen und sie in einem allgemeinen Modell zu interpretieren.

Gleichzeitig werden Praxiserfahrungen aus den verschiedenen Feldern von Beratung und Therapie systemisch reflektiert und so nachvollziehbar präsentiert, dass die Leserin beim Studieren sich weiterbildet, dass anschauliche Beobach- tungen sich zu einem geordneten Bild zusammenfügen – und zugleich zu einem Modell für das eigene Handeln werden. Insgesamt rechtfertigen diese Merkmale den Anspruch „Praxishandbuch“.

Die durch Migration vergrößerte Weite der Lebenswelt muss auch in der Beratung durchschritten werden können. Es sind die Arbeitsbedingungen zu fordern und die Anforderungen an Berater und Therapeutinnen zu stellen, die zum Gehen dieser Wege erforderlich sind. Reisen ist möglich.

Mainz, November 03 Professor Franz Hamburger

(19)
(20)

Teil I Grundlagen

(21)

1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

2

(22)

1.1 Warum dieses Handbuch? 3

1 Systemisch-interkulturell denken und handeln

Hanna EimmermacherAndrea Lanfranchi Janine Radice von Wogau

1.1 Warum dieses Handbuch?

Unsere persönlichen Lebenswege wie auch beruflichen Erfahrungen mit Migran- tinnen und Kollegen sowie Erfahrungen mit Politik und Gesellschaft haben uns veranlasst, dieses Buch herauszugeben.

Der 11. September 2001 macht uns in tragischer Weise bewusst, dass Indivi- duen und Kulturen schlecht in der Lage sind, mit Unterschieden umzugehen. Wir erleben täglich, wie schnell Konflikte zwischen Ethnien oder Nationen und verschie- denen Glaubenssystemen zu Gewalt und zerstörerischen Handlungen eskalieren.

Unterschiede nicht nur zu akzeptieren, sondern sie zu achten und mit ihnen umzugehen, ist eine der großen Herausforderungen auf allen Gebieten unseres Lebens. Daher ist es unumgänglich Toleranz, Empathie und interkulturelle Kompetenz zu entwickeln, in der Familie, in der Gemeinde, in Kindergärten und Schulen, in den sozialen und Gesundheitsinstitutionen, am Arbeitsplatz.

1.1.1 Politische und gesellschaftliche Situation

Zwischen Markt und Restriktion.Seit Jahren versuchen westeuropäische Länder wie Deutschland oder die Schweiz in ihrer Zuwanderungspolitik den Spagat zwischen „Markt“ und „Festung“ – das heißt, zwischen Restriktionen und ein- schränkenden Selektionskriterien und weitgehender Liberalisierung in Form marktorientierter Öffnung (Wicker, 2003). Die transnationale Mobilität infolge der Öffnung Osteuropas mit dem Fall der Berliner Mauer, der Ausweitung der Europäischen Union, einer globalen Wirtschaft sowie der weltweiten – virtuellen – Vernetzung verlangt heute eine breit abgestützte, in sich stimmige Migra- tionspolitik. Sie muss die Zuwanderung auf der Grundlage qualifikationsorien- tierter Zulassungskriterien steuern, die Einbürgerungsbestimmungen lockern und mit geeigneten Konzepten die zivilgesellschaftliche Integration von „Frem- den“ fördern. Unsere Position ist: Jeder Mensch hat unabhängig von seiner kul-

(23)

1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

4

turellen oder ethnischen Herkunft und unabhängig von seiner Weltanschauung das Recht auf eine ihm angemessene und gerechte Behandlung.

Interkulturelle Fähigkeiten fördern.In den aufnehmenden Gesellschaften muss die Entwicklung interkultureller Fähigkeiten und Kompetenzen auf breiter Basis vorangebracht werden. Solange dies nicht erfolgt, manifestiert sich der Missmut in breiten Bevölkerungsschichten in unübersehbaren Verhärtungen bis hin zu

„Überfremdungsängsten“. Migrationsfragen werden losgelöst von jenen ökono- mischen und sozialpolitischen, lokalen und globalen Kontexten diskutiert, in- nerhalb derer Mobilität überhaupt entsteht und eine Funktion erfüllt.

Zahlen. In Deutschland stammen mehr als 10 Prozent der Bevölkerung aus Migrationsfamilien (Statistisches Bundesamt, 2003), 30 Prozent der Schulkinder aus zugewanderten oder erst kürzlich eingebürgerten Familien (Rau, 2000), der Anteil von Ehen zwischen Deutschen und Migrantinnen bzw. Migranten liegt bei 18,5 Prozent (iaf, 2003). Auch Österreich erreicht beinahe die 10-Prozent-Quote (Statistik Austria, 2003), während in der Schweiz der Anteil von Migranten sogar bei 20 Prozent liegt (Bundesamt für Zuwanderung, Inte- gration und Auswanderung, 2003).

1.1.2 Warum wir mit dem Persönlichen beginnen

Die Diskussionen und die politischen und sozialen Bewegungen der 68er Gene- ration machten uns darauf aufmerksam, wie eng unsere persönlichen Biogra- phien, unsere beruflichen Tätigkeiten und unsere Lebensthemen mit unserer theoretischen Sicht und unseren politischen Einstellungen verbunden sind. Ein von der eigenen Erfahrung losgelöster wissenschaftlicher Prozess ist undenkbar, da wir gleichzeitig Subjekt und Objekt unserer Untersuchungen sind.

In der feministischen Bewegung der 70er Jahre kamen Frauen zusammen, um über ihre persönlichen Probleme zu sprechen. Sie kamen zum Ergebnis, dass persönliche Themen keine Privatsache sind, sondern in die politischen und so- zialen Strukturen einfließen. Um diese zu verändern, waren Selbstreflexion, Bewusstseinsbildung und politisches Engagement erforderlich.

1.1.3 Erfahrungen

Janine Radice von Wogau

Migration ist ein zentrales Thema in meinem Leben. Ich bin die Enkelin von süditalienischen und jüdisch-rumänischen Migranten in den USA, die dort ein

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1.1 Warum dieses Handbuch? 5 besseres Leben für sich und ihre Nachkommen gesucht haben. Geboren und aufgewachsen in Chicago, studierte ich in Seattle, Washington und machte dort meinen Master-Abschluss in Psychologie. Die Abenteuerlust trieb mich nach Südamerika, dort lernte ich Spanisch, arbeitete als Beraterin und Therapeutin in Ecuador und Chile, wo ich meinen deutschen Mann traf. Dort waren wir beide Außenseiter während des Pinochet-Regimes. Zusammen migrierten wir in den Nordosten Brasiliens, wo ich therapeutisch tätig wurde und sieben Jahre an zwei Universitäten lehrte, davon drei Jahre in einem Ausbildungsprogramm in syste- mischer Familientherapie.

Als ich mit meinem badischen Mann und unserer damals neun Jahre alten, in Brasilien geborenen Tochter nach Deutschland kam, sprach ich kaum Deutsch und sah mich vielen der Schwierigkeiten ausgesetzt, wie sie normalerweise Migrierte erleben. Die Entschlossenheit, weiter als systemische Therapeutin zu arbeiten, und auch glückliche Fügungen öffneten Türen. Ich begann als Thera- peutin in der Psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebens- fragen mit Migranten auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch und – in Co- Therapie mit Kollegen – auch auf Deutsch zu arbeiten. Die Nachfrage war so groß, dass ich 1996 eine private Praxis für Migrantinnen, binationale Paare und Familien eröffnete. Wie bei vielen Kollegen war auch meine Praxis durch das Psychotherapiegesetz von 1998 betroffen. Nach verschiedenen Anläufen verlor ich im August 2001 meine „vorläufige Zulassung“, mit der schmerzlichen Er- kenntnis, dass nicht ich es war, die zurückgewiesen wurde, sondern dass die Bedürfnisse meiner Klienten nicht gesehen wurden und dass der gesamte inter- kulturelle Bereich von Seiten des nationalen Gesundheitssystems nicht in seiner Bedeutung gewürdigt wird (s. Kap. 8). Auch dieser Erfahrung verdanke ich mei- ne Motivation, dieses Buch zu schreiben.

Meine interkulturelle Kompetenz ist das Ergebnis meiner eigenen Geschichte, und dieses Buch ist Teil dieses Prozesses. Ich danke meinen Kollegen und Kolle- ginnen, der Familie und vor allem meinen Klienten und Klientinnen, die mir selbst durch meine Arbeit mit ihnen ein wenig Heimat finden halfen. Voilà!

Hanna Eimmermacher

Meine persönliche Motivation, mich beruflich mit Migrations- und Integra- tionsfragen zu befassen, hat – rückblickend – vielfältige Ursachen, die bis in meine Kindheit zurückreichen. Dabei ist Migration nicht mein eigentliches

„Grundthema“, denn von außen betrachtet bin ich sehr deutsch. Die Erfahrun- gen sind andere, berühren aber unser Thema.

Als Zwilling geboren, habe ich bis weit in die Pubertät hinein erfahren, was es heißt, immer als „Einheit“ oder „Gleiches“ wahrgenommen und bewertet zu werden. Oft hätte ich mir gewünscht, durch die „individuelle Linse“ wahrge-

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1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

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nommen zu werden. Das war erst möglich, als ich mit 17 Jahren die Entschei- dung für meinen eigenen persönlichen und beruflichen Weg getroffen habe.

Aufgewachsen in einem Dorf im Rheinland, kam ich in den 50er und 60er Jahren mit Migranten, damals die sog. Gastarbeiter, kaum in Berührung. Für uns Kinder waren es die Rothaarigen, die „Brillenschlangen“, die unehelichen Kin- der, die Scheidungskinder und die Kinder aus zugezogenen evangelischen Fami- lien in unserer katholischen Volksschule, die die Gemüter aufs Heftigste beweg- ten. Sie waren diejenigen, die wir ausgrenzten und beschimpften, die keine Freunde fanden und gelegentlich auch von uns anderen Prügel bezogen. Wir waren überzeugt, „die“ hätten es einfach nicht besser verdient.

Meine innere Gesinnung wandelte sich allerdings bald. Zunehmend habe ich mich als Jugendliche mit jenen Mitschülerinnen solidarisiert, die eben aufgrund äußerer Merkmale nicht dazugehörten. Das hatte sicherlich nicht zuletzt auch mit mir selbst zu tun, denn ich fühlte mich oft als „outsiderin“ unter den „in- sidern“. Die Zeit des Feminismus, der eigene Weg der Emanzipation, die Be- schäftigung mit gesellschaftspolitischen Fragen sind einige weitere Puzzlesteine meines Motivations-Bildes.

Von meinen eigenen kleinen „Migrationserfahrungen“ möchte ich hier nur zwei Beispiele anführen, die ihre Spuren hinterlassen haben. 1976 verbrachte ich ein halbes Jahr in Lateinamerika. Von einer Ausnahme abgesehen habe ich Men- schen erlebt, die offen, neugierig und hilfsbereit waren, die mir spontan und herzlich ihre Gastfreundschaft anboten. Ich kam als ein anderer Mensch ins

„kalte Deutschland“ zurück und habe mir damals vorgenommen, diese Erfah- rung ein Stück weit in mein Leben und in die Begegnung mit Fremden hinein zu nehmen.

Ganz anders dagegen 1977 meine innerdeutsche Migration aus dem Rhein- land nach Freiburg im Breisgau. Keine Kontakte, der alemannischen Sprache nicht mächtig, das mir entgegengebrachte Misstrauen bei der Zimmersuche, das alles hat mich damals erschüttert. Mein erstes Jahr in der innerdeutschen Frem- de hat mir einen Hauch dessen vermittelt, was Migrantinnen und Migranten tagtäglich und über Jahre hinweg erleben und ertragen müssen. Mein beruflicher Einstieg in die Migrationsarbeit im Jahr 1990 ist dennoch einem Zufall zu ver- danken; die Stelle war ausgeschrieben und ich war einfach interessiert und neu- gierig. Letztlich verdanke ich viele Erkenntnisse den – zum Teil heftigen und kontroversen – Diskussionen mit meinen Kolleginnen aus Süd-Ost-Asien und Lateinamerika.

Andrea Lanfranchi

Ich stamme aus Poschiavo, einem Schweizer Bergdorf im Kanton Graubünden.

Meine Mutter kommt aus einer Bauernfamilie, die in einer Pension Touristen

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1.1 Warum dieses Handbuch? 7 und Schmuggler beherbergte und gleichzeitig den Dorfladen sowie die Post be- trieb; mein Vater war wie schon sein Vater Lehrer und Fischzüchter. Mit fünf- zehn ging ich, wie alle anderen, die eine Mittelschule besuchen wollten, in die nächstgelegene Stadt (Chur ist mit der Rhätischen Bahn nach 120 Kilometern, drei Pässen, vier Stunden Fahrzeit und zwei Mal umsteigen zu erreichen). Ich mietete ein Zimmer, lernte Deutsch und wurde ebenfalls Lehrer – im Bewusst- sein, dass dies eine Zwischenstation sei. So kam ich nach Zürich an die Uni und studierte – so gut es ging, in der Zeit der „Zürcher Jugendunruhen“ – Psycholo- gie, Psychopathologie und Sonderpädagogik.

Nach dem Studium wurde ich als „Ausländerpsychologe“ beim Schul- ärztlichen-Schulpsychologischen Dienst der Stadt Zürich angestellt. Es war Mitte der 80er Jahre, und in den Schulen des Stadtzentrums stammte rund die Hälfte der Kinder aus Italien, Spanien oder dem damaligen Jugoslawien. Eines Tages überwies mir die Kollegin aus der Schulpsychiatrischen Abteilung einen „Fall“

mit der von ihr eingetragenen Diagnose „Ethnodebilität“. Ich empfand dieses Konstrukt und die Umstände der Fallbearbeitung als derart skandalös, dass ich mich entschloss, darüber meinen ersten Fachartikel zu schreiben (Lanfranchi, 1988).

Nach der Promotion arbeitete ich als Dozent und Forscher an der Hochschule für Soziale Arbeit und neuerdings an der Hochschule für Heilpädagogik. Dazwi- schen leitete ich die Fachstelle für Interkulturelle Pädagogik in der Lehrerbildung des Kantons Zürich. In all diesen Jahren habe ich bei den Kolleginnen und Kol- legen sowie bei den Studierenden vielfach den guten Willen beobachtet, mit der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in unseren Schulen und bei unserer Klien- tel in Beratung und Therapie engagiert und professionell umzugehen. Ich habe aber auch immer wieder feststellen müssen, dass manchmal elementares Wissen über die reellen Bedingungen von Migrantinnen und Migranten in unserer Ge- sellschaft sowie geeignete Instrumente für das Gelingen einer interkulturellen Kommunikation fehlten.

Also habe ich begonnen, Grundlagen interkultureller Kompetenz zu erarbei- ten und in Kursen und Publikationen (z. B. Lanfranchi, 2002a) weiter zu vermit- teln, die sich auf das „Meilener Konzept“ des Fallverstehens in der Begegnung und der affektiven Kommunikation stützen (Welter-Enderlin & Hildenbrand, 1996).

Heute arbeite ich, neben meiner Tätigkeit als Hochschuldozent und Forscher, als Psychotherapeut in eigener Praxis sowie als Mitarbeiter des Ausbildungsinsti- tuts für systemische Therapie und Beratung in Meilen, wo ich mit meiner Fami- lie lebe. Von dort und aus der Stadt Zürich kommt meine psychotherapeutische Klientel: Es sind vor allem Einzelne und Familien aus Mittelmeerländern sowie Paare mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen.

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1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

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1.2 Theoretische Orientierung

Es ist uns, den Herausgeberinnen und dem Herausgeber, wichtig und es ist Ihr gutes Recht, dass Sie zu Beginn des Buches erfahren, wo wir theoretisch stehen.

Selbst in unserer kleinen – wenngleich „bunten“ – Gruppe waren während der Arbeit an diesem Praxishandbuch kontroverse Diskussionen und Verständi- gungsprozesse nötig, die wir immer auch als Gewinn erlebt haben. Wir hoffen, dass die nachfolgenden Erläuterungen und Definitionen Ihnen Anregung und Hilfe bieten, über Ihre eigenen Standpunkte zu reflektieren und sie gemeinsam mit anderen zu diskutieren.

1.2.1 Interkulturelle oder transkulturelle Kompetenz?

Seit Jahren gibt es – dies vor allem in der Psychotherapie – die Diskussion um den richtigen Begriff. Auch wir blieben davon nicht verschont. Schließlich haben wir uns für den Begriff „interkulturelle Kompetenz“ entschieden. Zwar hat der Begriff „transkulturelle Kompetenz“ in der Ethnopsychiatrie und auch in der Psychoanalyse seinen Platz, aber in der sozialen Arbeit und auch in der Politik hat sich der Begriff „interkulturelle Kompetenz“ etabliert (vgl. Kap. 6).

Fähigkeiten. Nach Hinz-Rommel (1996, S. 20) ist interkulturelle Kompetenz eine der wesentlichen Fähigkeiten, angemessen und erfolgreich in einer fremd- kulturellen Umgebung oder mit Angehörigen anderer ethnischer Gruppen zu kommunizieren. Bestandteile interkultureller Kompetenz sind neben notwendi- ger Fachlichkeit, einem angemessenen Methodenrepertoire und migrationsrele- vanten Sachkenntnissen u. a. eigenkulturelle Bewusstheit, Authentizität, Selbst- sicherheit, kommunikative Kompetenz, Flexibilität, Stresstoleranz, Empathie, Achtung und Respekt, Rollendistanz, Sprachkenntnisse sowie die Fähigkeit, die Perspektive der Kommunikationspartner einzunehmen, und die Fähigkeit, mit Widersprüchlichkeiten ohne Irritationen umzugehen.

Uns ist es wichtig, der weit verbreiteten Gewohnheit, Interaktionsschwierig- keiten mit Kulturunterschieden zu begründen (Schlagwort „Kulturkonflikt“), das Konzept der interkulturellen Kompetenz als Teil des professionellen Han- delns entgegenzusetzen.

Sie werden folglich in diesem Praxishandbuch nichts über den „Umgang mit fremden Kulturen“ finden, weil solche Ansätze die Lebenswelten von Migranten und Migrantinnen meist auf kulturelle Kategorien und Stereotype reduzieren und der individuellen Biographie, der persönlichen Migrationsgeschichte, den Strategien und Ressourcen sowie dem Alltag nicht Rechnung tragen.

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1.3 Von Außenseitern lernen 9 Keine Rezepte. Sie werden auch keine Guidelines im Sinne von „Kulturrezep- ten“ finden, sondern Anregungen bzw. Hinweise, wie Hintergrundwissen einer- seits und die Auseinandersetzung mit eigenen Wertvorstellungen und soziokul- turellen Hintergründen andererseits kombiniert werden können – damit interkulturelle Kompetenz entstehen und wirken kann.

1.2.2 Warum systemisch-interkulturelle Kompetenz?

Man könnte sagen, auf einem Bein steht man schlecht. Sowohl über Systemtheo- rien als auch über Migrations- bzw. interkulturelle Arbeit gibt es eine Menge an Fachliteratur. Nach unserer Auffassung bedarf es einer Synthese dieser beiden Ansätze für die Beratung und Therapie mit Migranten und Migrantinnen.

Migration ist mehr als seine Heimat, sein Geburtsland zu verlassen; es bedeu- tet vertraute – auch stützende – Systeme zu verlassen und sich in neue hineinzufinden. Die Beiträge zur Systemtheorie (Kap. 4), zur Netzwerkarbeit (Kap. 5) und zur Sprache (Kap. 7) versuchen aufzuzeigen, warum es gerade für die Arbeit mit Migranten und Migrantinnen so wichtig ist, beide Aspekte – den systemischen und den interkulturellen – zusammenzuführen. Für Therapie und Beratung hat die Systemtheorie wesentlich dazu beigetragen, dass Störungen und Konflikte nicht von vorne herein individualisiert und pathologisiert, sondern mit dem sozialen und kulturellen Kontext vernetzt werden.

Blick durch die „systemische Linse“. Interkulturelle Arbeit in Beratung und Therapie im oben beschriebenen Sinn muss sich den Blick durch die „systemi- sche Linse“ zu eigen machen, d. h. über das Kulturelle hinausgehend das Indi- viduum auch in seiner „Verortung“ in den unterschiedlichsten Systemen wahrnehmen, um gemeinsam geeignete Lösungen zu entwickeln und Selbsthilfe- potentiale zu (re-)aktivieren.

1.3 Von Außenseitern lernen

Wenn Sie am Rand oder an den Berührungspunkten von Kulturen leben, haben Sie sich eine sehr privilegierte Stellung erworben. Patricia Hill Collins, eine afro- amerikanische Akademikerin beschreibt in ihrem Artikel „Learning from the Outsider Within – Vom Außenseiter lernen“ (1991) die „Außenseiter“, die de facto „Innenseiter“ sind. Ihr Thema ist die besondere Perspektive von denen, die in unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen gleichzeitig leben – professi- onell, sozial und national – mit allen Schwierigkeiten und dem Reichtum, die diese Position mit sich bringt.

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1 Systemisch-interkulturelles Denken und Handeln

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Durch Engagement innerhalb einer „community“ und durch Ausschluss aus einer „community“ ergeben sich vielfältige Identitäten. Machtbeziehungen spie- len in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Diese Menschen, die im Grenzgebiet leben, erwerben das, was Collins „oppositional knowledge“, gegen- sätzliches Wissen nennt.

Migranten sind ein gutes Beispiel für Außenseiter, die Innenseiter sind. Sie bringen aus ihren eigenen Kulturen und ihren persönlichen Biographien Res- sourcen mit, die häufig nicht anerkannt werden. Dies bedeutet einen gesell- schaftlichen Verlust für die Aufnahmeländer. Diese „Außen-Innen-Seiter“ haben mit ihrer besonderen Perspektive viel anzubieten und es lohnt sich hinzuhören und zu lernen.

1.3.1 Kultur und kulturelle Integration

Über das, was „Kultur“ ist, lässt sich sicherlich trefflich streiten, und es gibt auch nicht die eine Definition. Bevor wir Ihnen verschiedene Definitionen von „Kul- tur“ zur Reflexion oder Diskussion anbieten, möchten wir zunächst deutlich sagen, was Kultur nicht ist: Kultur ist nicht statisch, sie ist nicht homogen, sie macht sich nicht an – nationalen – Grenzen oder anders definierten „Räumen“

fest, sie ist keine Konstante, die geeignet wäre, Gruppen von Menschen zu klassi- fizieren und zu bewerten. Wir wenden uns aus diesem Grund gegen die häufig gebrauchten Begriffe „Kulturkreis“ und „Kulturraum“, weil sie eben genau die- ses Bild vermitteln. Annita Kalpaka (Kap. 3) und Thomas Hegemann (Kap. 6) legen ihren Ausführungen Kulturdefinitionen zugrunde, die für unsere Beschäf- tigung mit der Thematik leitend sind.

Inseln. Aus dem Blickwinkel der Migrantinnen ist kulturelle Integration ein Prozess, bei dem man Inseln entdeckt, auf denen man sich zu Hause fühlen kann. Die Herausforderung besteht darin, diese Inseln zu einem Archipel zu- sammen zu fügen, der durch Brücken und Stege verbunden ist.

Der Integrationsprozess ist sicherlich nicht immer leicht: Oft gibt es konkur- rierende Prioritäten oder Werte, die Konflikte nach sich ziehen. Einerseits ist es wichtig, die eigene kulturelle Identität beizubehalten, andererseits gibt es den Wunsch nach Zugehörigkeit. Für die Aufnahmegesellschaft bedeutet kulturelle Integration die Verantwortung, den Migranten die hierfür erforderlichen Bedin- gungen anzubieten, und zwar im Rechts-, Sozial-, Bildungs- und Gesundheits- system.

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1.4 An wen sich das Handbuch richtet 11

1.3.2 Sprache prägt Bewusstsein

Manche Begriffe in diesem Handbuch werden Ihnen fremd erscheinen und be- dürfen einer Erläuterung. Grundsätzlich sprechen wir in diesem Handbuch von Migranten/Migrantinnen oder Migrierten. Entscheidend sind die mit Migration verbundenen Prozesse und die sich daraus ergebende Herausforderung zur Ge- staltung von Übergängen im weitesten Sinne (Kap. 2). Dabei sind wir uns der Tatsache bewusst, dass – wenn wir von Migrierten sprechen – eine sehr hetero- gene Gruppe dahinter steht, sei es hinsichtlich ihres rechtlichen, sozialen, wirt- schaftlichen oder Bildungsstatus. Wo Differenzierungen notwendig sind, spre- chen wir von Ausländern, Aussiedlern, Flüchtlingen oder Asylbewerbern; sie finden aber auch z. B. den Begriff Zugewanderte.

Wir bevorzugen die Bezeichnungen Migrationsfamilien und Migrationskin- der, um damit den vielfältigen Formen Ausdruck zu geben: es gibt Migrations- familien der ersten Generation (alle sind zugewandert), Migrationsfamilien der zweiten Generation (alle sind im Aufnahmeland geboren), in vielen Familien gibt es beides (Zugewanderte und im Aufnahmeland Geborene), es gibt Migra- tionsfamilien mit unterschiedlichem Rechtsstatus (z. B. Aussiedler und Auslän- der in einer Familie oder Familien, wo Mitglieder die Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes angenommen haben und andere nicht).

Migrationsarbeit berücksichtigt diese Vielfalt und sie hat immer eine politi- sche Dimension. Sie orientiert sich an einer gesellschaftlichen Landschaft, die von Wanderung charakterisiert ist, zeigt mögliche Wege der Integration auf und gewährt Migranten und Migrantinnen die notwendige Unterstützung. Sie enga- giert sich für die Selbstbestimmung, Teilhabe und Beteiligung der Migrierten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (vgl. Lutz, 1992). Ein weiteres Di- lemma ist die Verwendung der Termini Therapie und Beratung. Wir haben den pragmatischen Weg eingeschlagen, diese Begriffe austauschbar zu benutzen.

1.4 An wen sich das Handbuch richtet

1.4.1 In eigener Sache – das männlich-weibliche Dilemma

Den Herausgeberinnen und dem Herausgeber waren die Berücksichtigung von Genderaspekten und die Verwendung einer gendergerechten Sprache wichtig.

Hier haben uns – leider – die Vorschriften bzw. Sprachregelungen des Verlags enge Grenzen gesetzt. Wir wollten uns allerdings mit einer durchgängig männli- chen Schreibweise nicht abfinden. Um diesem Dilemma zu entgehen, haben wir

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