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Denken Sie nicht an Elefanten

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IP September / Oktober 2016

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Britta Petersen | Wer dieser Tage die Zeitung in Indien aufschlägt, könn- te meinen, er habe sich im Jahrhun- dert geirrt. Da ist zu lesen, dass Ange- hörige der früher als „unberührbar“

geltenden untersten Kaste, der Dalits, ermordet wurden, weil sie einer be- reits toten Kuh das Fell abgezogen ha- ben. An anderer Stelle beklagen Kom- mentatoren, dass eine vom Parlament beschlossene Änderung des Gesetzes gegen Kinderarbeit in Wahrheit Kin- derarbeit erlaube.

Indien ist oft und gern als Elefant beschrieben worden, der sich lang- sam – sehr langsam sogar –, aber ste- tig voranbewegt. Als „Hindu-Wachs- tumsrate“ galt ein Wirtschaftswachs- tum, das zwischen 2 und 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor sich hindümpelt. Doch spätestens seit Na- rendra Modi 2014 mit einer überwäl- tigenden Mehrheit zum Premiermi- nister gewählt wurde, haben Inder ein anderes Bild von sich selbst.

Selten ist ein Politiker mit einem so deutlichen Mandat für den Wandel an die Macht gekommen wie Modi. Mitt- lerweile aber geht es vielen Beobach- tern so wie in dem berühmten Psycho- experiment: Woran denken Sie, wenn

man Sie auffordert, nicht an Elefanten zu denken? Genau.

Trotz eines Wirtschaftswachs- tums von mehr als 7 Prozent kämpft das Land mit sehr alten Problemen.

Und wenn man es recht bedenkt, ist das auch gar nicht weiter überra- schend. Die Regierung Modi hat eini- ges auf die Reihe gebracht und anderes nicht. Indien ist eine stabile Demokra- tie und ein prosperierendes Land. War da jemand, der von Modi eine Revolu- tion erwartet hat?

Ob die „guten Tage“, die er in sei- ner Wahlkampagne versprochen hat, tatsächlich gekommen sind, entschei- den die Wähler 2019. Viel wird davon abhängen, ob die oppositionelle Kon- gress-Partei bis dahin noch immer so ein desolates Bild abgibt wie heute.

Aber drei Jahre sind in einer Demo- kratie bekanntlich eine Ewigkeit. Und auch wenn es Modis Wahlkampfstrate- gen nicht gefallen sollte: die von seiner Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Regierung reiht sich relativ nahtlos in das wirtschaftliche Modernisierungs- projekt ein, das 1991 mit dem damali- gen Finanzminister Manmohan Singh begann. Indiens Reformprozess bleibt weitgehend auf den Staat fixiert.

Revolution? Wandel? Nach zwei Jahren Modi sieht Indien aus wie – Indien

Denken Sie nicht an Elefanten

Brief aus … Neu-Delhi

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IP September / Oktober 2016 127 Denken Sie nicht an Elefanten

Der blinde Fleck in Indiens Politik bleibt das Individuum

Das dürfte auch der Grund sein, warum der international geschätzte Zentralbankgouverneur Raghuram Rajan seinen Hut nehmen musste, ob- wohl er die Rupie zu einer der stabils- ten Währungen der Welt gemacht hat.

Ein Ökonom der Chicago School, der die Regierung kritisiert und gegen die faulen Kredite bei indischen Staats- banken vorgehen will, passt nicht ins Bild. Politischer und ökonomischer Liberalismus hat in Indien keine Hei- mat und kaum Anhänger.

Es ist daher kein Wunder, dass das Land gerade die Einführung ei- ner landesweiten Umsatzsteuer als

„mutigste Reform seit der Unabhän- gigkeit“ (Indian Express) feiert. Sie sollte der Wirtschaft in der Tat einen kräftigen Schub geben, da nun beim Handel innerhalb Indiens keine Steu- ern mehr anfallen. Andere wichtige Initiativen wie die Öffnung des Ver- teidigungs- und Luftfahrtsektors für ausländische Direktinvestoren als Teil der „Make in India“-Kampagne, die Elektrifizierung der Dörfer und der Ausbau der Solarenergie bleiben ebenfalls staatsfixiert.

Der blinde Fleck in Indiens Politik sind die private Wirtschaft und ver- bunden damit das Individuum. Eine Reform der restriktiven Arbeitsge- setzgebung kommt nicht recht vor- an. Die Vorstellung, dass der Privats- ektor die Millionen von Arbeitsplät- zen schaffen könnte, die Indien ange- sichts seines Bevölkerungswachstums braucht, teilt offenbar niemand.

Und so sind die wichtigsten Kri- tiker Modis Kasten wie die Patidars in Gujarat, die zum Teil gewalttätig dafür demonstrieren, dass sie in den Kreis der Benachteiligten aufgenom- men werden, für die einst Quoten für Verwaltungsjobs geschaffen wurden.

Ob die Ausbildungsinitiative „Skill India“ dazu beiträgt, eine grundsätz- liche Änderung herbeizuführen, ist fraglich. Tatsächlich hat die BJP-Re- gierung die Bildungsausgaben 2015/16 gekürzt; Indien gibt weiterhin nicht mehr als 3 Prozent seines Bruttoin- landsprodukts für Bildung aus.

Immerhin hat die Regierung das Ziel formuliert, 400 Millionen Men- schen bis 2022 auszubilden – auch wenn das ambitioniert erscheint. Die indische Klassengesellschaft glaubt nicht unbedingt daran, dass es not- wendig sei, auch diejenigen auszubil- den, die manuelle Arbeit leisten.

Modi, der selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammt, kennt das Pro- blem. Aber viele seiner Parteifreun- de beschäftigen sich lieber

damit, die unteren Gesell- schaftsschichten mit religi- ösen Themen gegeneinan- der auszuspielen. Wie eben der Frage, ob das Schlach-

ten von Kühen verboten werden soll.

Die Kuh gilt vor allem den oberen Hin- du-Kasten als heilig, nicht aber den Dalits, Muslimen und anderen Grup- pen, die zusammen mehr als 40 Pro- zent der Bevölkerung ausmachen.

Dies alles trägt dazu bei, dass wir beim Thema Indien immer wieder an Elefanten denken. Aber in den aller- meisten Fällen sind dies ja ganz sym- pathische Tiere. Und niemand hat je behauptet, dass sie sich nicht bewegen.

Britta Petersen ist Senior Fellow bei der Observer Research Foundation in Neu- Delhi. Zuvor war sie Korrespondentin der FT Deutschland und Büroleiterin der Böll- Stiftung in Pakistan.

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