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DGB-Bundesvorstand, Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Verantwortlich: Claus Matecki, Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin, Kontakt: carina.ortmann@dgb.de Abonnement für „klartext“ und „standpunkt“ unter: http://www.dgb.de/service/newsletter Nr. 38/2010 02. Dezember 2010
DGB-Bundesvorstand, Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Pleitegeier über Privathaushalten
Deutschland feiert seinen „XL-Aufschwung“. Die große Pleitewelle in der deutschen Wirtschaft ebbt ab. Denn Wachstum verbessert bekanntlich die finanzielle Basis der Unternehmen. Mehr Liquidität bedeutet gesamt- wirtschaftlich weniger Pleiten. Nach dem Negativrekord im Krisenjahr 2009 geht die Zahl der Unternehmensin- solvenzen 2010 um 2,5 Prozent auf 32.100 zurück.
So weit, so gut. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass bislang nichts von der „heilenden Kraft“ des Wirt- schaftsaufschwungs bei einer Vielzahl der Arbeitneh- merhaushalte angekommen ist. In den letzten Jahren haben sich die Privatinsolvenzen vom Konjunkturzyklus abgekoppelt. Nun kreisen die Pleitegeier über den deut- schen Privathaushalten.
So viele Verbraucher/-innen wie nie zuvor sind bis über die Halskrause verschuldet oder müssen gar um ihre finanzielle Existenz fürchten. Inzwischen sind 6,5 Millio- nen Verbraucher/-innen in Deutschland überschuldet.
Da bleibt oftmals nur der schmerzhafte Gang zum Insol- venzverwalter. Die Zahl der Privatpleiten steuert in diesem Jahr einen traurigen neuen Rekord an. Bisher lag er bei 105.300 Verfahren im Jahr 2007. Nun rech- nen Experten mit 111.800 Menschen, die vom Verfah- ren der Privatinsolvenz Gebrauch machen, um sich ihrer Schulden zu entledigen – 10,9 Prozent mehr als im Krisenjahr 2009.
Damit nicht genug: Dem deutschen Jobwunder zum Trotz fällt es zudem 9,5 Prozent der Erwachsenen schwer, ihre Rechnungen zu bezahlen. Auch ihnen droht die Zahlungsunfähigkeit. 2011 muss also ein weiterer Anstieg der privaten Insolvenzen befürchtet werden.
Dabei ist auffällig, dass insbesondere Jüngere und Älte- re stärker als zuvor von Insolvenzen betroffen sind. Dies
kommt nicht von ungefähr. Denn sie sind es, die über- proportional von prekären Beschäftigungsformen, Nied- riglöhnen und Armut betroffen sind. Offensichtlich gera- ten nicht nur Arbeitslose, sondern auch immer mehr Leiharbeiter/-innen und Teilzeitbeschäftigte in die Schuldenfalle. Zudem müssen die Privathaushalte die gestiegenen Belastungen für Gesundheit, Altersvorsorge sowie für Wohnkosten verkraften.
Dabei haben Privatinsolvenzen nicht nur Folgen für die Betroffenen, sondern auch für die gesamte Gesellschaft.
Zahlungsausfälle belasten Gläubiger und verursachen volkswirtschaftliche Schäden.
Deshalb braucht es in Deutschland einen Kurswechsel.
Flächendeckende Mindestlöhne, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und der Abbau von prekären Beschäfti- gungsverhältnissen sind das Gebot der Stunde, um der Schuldenfalle der Privathaushalte und den damit ver- bundenen gesellschaftlichen Folgen zu begegnen.
Verbraucherinsolvenzen auf dem Vormarsch
21.520 33.510
49.100 68.900
96.500 105.300
98.450 100.790 111.800
13.490 10.360
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010¹
+10,9%
+2,4%
-6,5%
+9,1%
+40,1%
+40,3%
+46,5%
+55,7%
+59,5%
+30,2%
1 Schätzung Quelle: Creditreform