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Episode 2.2: Blockade der Seenotrettung

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Episode 2.2: Blockade der Seenotrettung

Herzlich willkommen zum zweiten Teil unserer zweiten Folge. Wir sprechen weiterhin mit Nassim Madjidian, jetzt konkreter über die Blockade der zivilen Seenotrettung.

Insbesondere im letzten Jahr wurden zahlreiche Schiffe von verschiedenen Seenotrettungsorganisationen unter fadenscheinigen Begründungen festgesetzt. So wurde z. B. die Ocean Viking, das Schiff mit dem SOS Méditerranée im Einsatz ist, für fünf Monate festgesetzt, da es angeblich zu viele Rettungswesten an Bord hatte. Durch diese Schikane soll aktiv die Rettung von Menschenleben unterbunden werden. Welche Folgen das für Menschen in Seenot hat und wie es aus einer juristischen Perspektive aussieht, erfahrt ihr jetzt.

Interview mit Nassim Madjidian

Rafael: Die Frage die zuletzt gestellt wurde, war ja auch vor allem: Wie kann es eigentlich sein, dass gegen Menschen oder Organisationen vorgegangen wird, auch wenn oder gerade weil sie sich an geltendes Seerecht halten? Was vermutest du steckt eigentlich tatsächlich dahinter, neben diesem Souveränitätsaspekt? Es scheint oft auch zu sein, dass das vorrangige Mantra immer wieder lautet bloß die Migration zu stoppen. Würdest du sagen, dass das diese beiden großen Aspekte sind, die wir da kenntlich machen könnten? Einerseits Souveränität der Staaten, andererseits Migrationsdruck stoppen? Ist das die Politik der EU, wenn es um die Situation dort geht? 

Nassim: Es ist ja nicht nur das Mittelmeer, der Balkan, die Ägäis,  auch Teil des Mittelmeers - die Blockade der Seenotrettung ist natürlich was ganz spezifisches, aber dieses Menschen nicht einreisen lassen wollen, an den Außengrenzen aufhalten, das ist sozusagen die grundsätzliche Politik der EU. So würde ich das jedenfalls bezeichnen und beschreiben und das ist dann nicht das Mittelmeer, wo die Grenze dann verläuft, sondern das fängt schon viel früher an. Kooperation mit Staaten wie Libyen, die dann die Ausreise stoppen sollen, es fängt ja früher schon an, südlich der Sahara, im Niger, dass Fluchtwege geschlossen werden. Das gipfelt dann im Mittelmeer, das ist sozusagen dann die unmittelbare geographische Grenze zwischen Europa und dem Rest, aber das ist nicht nur das Mittelmeer. Deine Frage war ja, was die Beweggründe sind. Die EU, da

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braucht man sich nur die Vorschläge der Kommission zu den neuen Regelungen im EU- Recht, diesen sogenannten Asyl- und Migrationspakt, den braucht sich nur anzugucken um zu sehen, was es sozusagen für Ideen gibt damit irgendwie klarzukommen. Wir haben ganz klar die EU als Akteurin, die da eine wesentliche Rolle spielt, aber natürlich auch die Mittelmeeranrainer, aber auch die Flaggenstaaten wie Deutschland. Ich will jetzt gar nicht mit dem Finger nur irgendwie auf Italien und Malta zeigen, das wäre das wäre einfach verkürzte Kritik und reicht natürlich nicht aus.

Rafael: Danke für diesen sehr sehr wichtigen Hinweis. Als ich zu SOS gekommen bin und mich immer wieder mit diesem Thema beschäftigt habe,  habe ich auch mich dabei manchmal erwischt, dass ich eher auf ein bestimmtes Land schimpfen wollte, bis ich dann auch erkannte: Nein, das Ganze ist Teil eines Systems der EU! Ich denke es bleibt einfach bei dieser Empörung, es gibt diese Gesetze, es gibt diese Lösungen, es gibt diese Pflichten.

Du hast von einer Schuld gesprochen, was ich begrifflich gesehen interessant finde, denn so habe ich das bisher noch nicht gesehen. Aber im Grunde ist es eine Schuld Menschen zu retten, sich an diese Verpflichtungen zu halten und es bleibt einfach bei dieser Empörung, dass die EU diese Gesetze, an die sie sich als Staatenbund gebunden hat, nicht umsetzt und stattdessen immer wieder in diese kleineren, aber auch wichtigen, Details versinkt. Das ist ja eigentlich egal, es geht hier um Menschen die im Mittelmeer ertrinken, das ist wie wenn ein Mensch in Flammen steht. Das ist so eine Metapher, die ich auch ganz gerne mal an den Infostand bringe. Es ist egal, warum dieser Mensch in Flammen steht, woher er kommt. Nicht, dass es unerheblich ist, aber für den Moment…

Nassim: Für den Moment…

Rafael: Genau, er muss gerettet werden. Ich würde vielleicht gerne dann an dieser Stelle fragen, um noch ein bisschen mehr den Fokus auf die Menschen zu bringen, die es auch tatsächlich konkret betrifft, nicht nur wir Menschen die Seenotrettung betreiben oder befürworten oder unterstützen, sondern eben Menschen, die über das Mittelmeer fliehen.

Welche konkreten Folgen hat denn die Missachtung dieser rechtlichen Verpflichtung für Geflüchtete und hat es denn nicht trotzdem auch Folgen für die Staaten?

Nassim: Also für die Geflüchteten kann ich jetzt natürlich nicht sprechen, aber aus meiner Perspektive, wenn NGO Schiffe gehindert werden auszulaufen, wenn die Blockade im Hafen schon stattfindet, heißt das einfach, dass keine Schiffe im Mittelmeer unterwegs sind, die diese Menschen retten. Und Menschen verlassen Libyen unabhängig davon, ob NGO-Schiffe unterwegs sind oder nicht. Das Thema will ich gar nicht aufmachen, das hat man oft genug auch wissenschaftlich untersucht. Also das heißt einfach konkret, wenn keine NGO Schiffe, keine Küstenwachen, keine anderen Schiffe unterwegs sind -  man muss ja nur in die Vergangenheit schauen, es gab ja auch staatliche europäische Seenotrettung, das ist ja gar nicht so lange her - dann ertrinken einfach Menschen vor den Toren Europas und zwar sehr viele Menschen.

Ein Menschenleben zu verlieren ist sozusagen die massivste Menschenrechtsverletzung, die man sich einfach vorstellen kann und das passiert einfach vor den Toren Europas unter Beteiligung europäischer Maßnahmen. Das kann man gar nicht genug betonen meiner Meinung nach, das sind ganz erhebliche Menschenrechtsverletzungen, nämlich der Tod durch Ertrinken oder Rückführung in Folterlager. Aber auch dieses nicht einreisen lassen, also wenn man dann den Fall hat, dass Menschen an Bord von Schiffen sind, das sind ja dann auch ganz erhebliche psychische Belastungen. Da sind Kinder an Bord, wie kann man denen eigentlich erklären, dass man jetzt noch eine Woche auf dem Schiff

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warten muss, bevor irgendwas passiert. Diese Missachtung von Regeln hat hier einfach ganz massive Konsequenzen existentieller Art.

Rafael: Und stattdessen wird nur darauf geachtet, dass der Migrationsdruck sinkt, was aber unerheblich ist, weil er sowieso nicht durch diese Art des Handelns sinken kann.

Danke, dass du das gerade so schön runtergebrochen hast, auf den Punkt gebracht hast und ich denke auch das gehört auch zu dem Teil der Arbeit von SOS. Wir berichten darüber, also wir versuchen denjenigen Menschen die wir retten natürlich auch eine Art Stimme zu geben und zuzuhören. Was haben sie zu erzählen? Wo kommen sie her, was haben sie erlebt, was macht die Situation mit ihnen? Ich denke wir alle, die wir keine Fluchterfahrung haben, wir können nur mutmaßen.

Es empört und erschreckt mich zugleich, dass es nicht reicht diese Geschichten zu hören, dass es nicht reicht um zu handeln und etwas zu ändern. Ich würde gerne einen weiteren Punkt aufmachen. NGOs sprechen ganz oft von einer Art von Kriminalisierung der Seenotrettung und ich würde dich gerne fragen, ob du denn auch davon sprechen würdest. Warum, warum nicht? Also wie sieht es eigentlich rechtlich aus?

Zum Beispiel gibt es ja Festsetzungen von Schiffen und Blockaden anderer Art und Weise. Wir haben uns intern übrigens auch relativ ausgiebig über den Begriff der Blockade und der Kriminalisierung unterhalten und ich denke es wäre ganz schön, wenn du uns da einfach mal sagst, wie du die beiden Begriffe siehst. Was würdest du sagen?

Warum, warum nicht? 

Nassim: Spannend, da würde mich auf jeden Fall auch interessieren was ihr diskutiert habt. Aus meiner Perspektive als Juristin, nach dem juristischen Sprachgebrauch würde ich Kriminalisierung eben so verstehen, dass es eine Verhaltensweise ist, die Kriminalität immer in Zusammenhang mit Strafbarkeit und Strafrecht entstehen lässt und zwar von einem Verhalten was eigentlich nicht strafbar wäre, aber dann dazu gemacht wird, aber immer auf dem Gebiet des Strafrechts.  Das ist ja sozusagen mit Kriminalisierung, Kriminalität einfach gemeint.

Der erweiterte juristische Sprachgebrauch oder der politische Sprachgebrauch von Kriminalisierung geht natürlich viel weiter. Der würde dann wahrscheinlich auch solches Verhalten erfassen, das nicht irgendwie mit Straftatbeständen geahndet wird, sondern mit anderen Normen, die aber nicht aus dem Strafrecht kommen. Also wenn jetzt zum Beispiel Schiffe festgehalten werden, dann ist es teilweise, weil zum Beispiel der Kapitänin ein Strafverfahren droht. Iuventa, Sea Watch 3 und so weiter, das hatten wir alles, dass die Schiffe deshalb festgehalten werden, dann ist es auch Teil der Kriminalisierung, aber wenn der Vorwurf ist: Euer Schiff hat eine Toilette zu wenig! Dann kommt dieser Vorwurf nicht aus dem Strafrecht, sondern aus dem Schiffsicherheitsrecht.

Also das ist sozusagen der juristische Unterschied, dass es nicht irgendwie um strafbares Verhalten geht, sondern einfach um Verhalten von Staaten, um mit anderen Mitteln diese Schiffe dann festzuhalten. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt klar ausgedrückt habe, jedenfalls...

Rafael: Doch doch, ich finde schon, danke dir!

Nassim: Also wenn jetzt zum Beispiel NGO-Personal in Griechenland festgenommen wird, dann ist es für mich Kriminalisierung. Wenn der Schiffscrew ein Strafverfahren droht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise oder den Migrant*innen selber, dann ist es für mich auch Kriminalisierung, Ich finde aber dieses Wort Blockade, Erschwerung, Unmöglichmachung, finde ich so ein bisschen präziser wenn ich nicht nur Strafverfahren

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habe, sondern auch andere Verfahren. Also, dass Schiffe festgehalten werden passiert ja im Wege des Verwaltungsrechts in der Regel und nicht im Wege des Strafrechts.

Das Wort Blockade ist dann einfach umfassender, gleichzeitig bringt es das nicht so auf den Punkt, diesen Vorwurf dass Staaten hier etwas behindern wollen, zu Unrecht. Da ist Kriminalisierung natürlich irgendwie das stärkere Wort, aber juristisch betrachtet - um mal zu einem Ende zu kommen - erfasst Kriminalisierung vielleicht nicht alle Fälle von Behinderung von Seenotrettung. Ich weiß nicht, ob das euer Stand auch ist oder wie wie ihr das handhabt.

Rafael: Ich denke wir stimmen einfach mal zu. Das hast du sehr schön auf den Punkt gebracht finde ich und auch schön differenziert und ich wünschte mir, dass du dabei gewesen wärst, als wir damals darüber diskutiert hatten. Ich denke auch, dass es sehr schwierig ist, denn die Menschen die diese Begriffe verwenden, wollen damit auch etwas erreichen und unabhängig davon welcher Begriff was umfasst oder auch nicht, ist glaube ich die Sprengkraft des Wortes Kriminalisierung einfach viel größer als Blockade. Das klingt etwas nüchterner und sachlicher und würde zu diesem verwaltungsrechtlichen Aspekt passen, aber dennoch nicht dazu, dass Menschen sterben und das ist einfach nicht hinnehmbar.

Wir selbst sprechen ja auch oft von Schikane und in unserem Fall, der Ocean Viking, ist es auch passiert. Ein Teil der Argumentation war, neben dem technisch-infrastrukturellen, was wir nachzurüsten hätten und übrigens auch taten. Wir hätten angeblich zu viele Passagiere befördert, als es dem Schiff vom Sicherheitszeugnis her zugestanden hätte.

Das ist ja im doppelten Sinne nicht nur falsch, sondern auch lächerlich, denn es sind keine Passagiere mehr, auch im rechtlichen Sinne, es sind ja gerettete Menschen und ihnen stehen dadurch dann auch eben besondere Schutz- und Rettungsbestimmungen zu.

Also das passt einfach, dieses unsichtbar machen der Gründe, warum sind wir da, warum ist das alles wichtig und richtig, einerseits das, durch diese Verwaltungsaktionen und andererseits kann das Gefühl auftauchen, dass man ja schon irgendwo nicht bestraft, aber gehindert wird und das ist gerade im Bereich des Lebenrettens einfach schwer auszuhalten und ich mich möchte auch nicht in die Situation der Geretteten oder der Rettenden kommen, das jedesmal in der Situation aushalten zu müssen.

Nassim: Mir fiel jetzt gerade noch ein anderes Wort ein, vielleicht muss man auch von Repression sprechen, vielleicht ist das nochmal passender, um die ganze Bandbreite von Blockadeverhalten abzudecken. Was du ansprachst mit diesen Gründen, zu viele Gerettete an Bord ist mittlerweile einfach auch Strategie geworden.

Ich bekomme das bei Sea Eye mit, wo ich im Legal Team aktiv bin, aber auch im Austausch mit Sea Watch. Das ist sozusagen der Vorwurf den die italienischen Behörden einfach allen Seenotrettungsschiffen machen, dass zu viele Gerettete an Bord waren. Und da fragt man sich: Was mache ich dann? Dann lasse ich sie ertrinken, das ist natürlich nicht die die Alternative dazu. Das kann doch nicht dazu führen, dass das Schiff dann hinterher festgehalten wird. Als ob man das dann wieder rückgängig machen könnte.

Juristisch ist das der absolute Quatsch aber es scheint einfach zu funktionieren und das scheint letztlich auch besser zu funktionieren als die Strafverfahren gegen die NGO Besatzung, die es ja auch gegeben hat. Es ist viel effektiver ein Schiff einfach monatelang aus dem Verkehr zu ziehen mit Vorwürfen auf dem Gebiet des Schiffssicherheitsrechts, das funktioniert gerade wahnsinnig gut, aus Perspektive der Küstenwache jedenfalls.

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Rafael: Wie furchtbar! Da kann man ja wirklich nur fragen: Warum klagt denn da keiner?

Warum geht keine NGO, warum gehen wir beide morgen nicht zum Internationalen Seegerichtshof nach Hamburg und klagen da jemanden an?

Einen Staat oder auch die Behörden, es sind ja oftmals auch staatliche Behörden, einzelne Abteilungen. Das ist das eine und das andere ist zum Beispiel, im letzten Jahr g a b e s d u r c h d i e s e S e e s p o r t b o o t s v e r ä n d e r u n g , i m K o n t e x t d e s Bundesverkehrsministeriums unter Andi Scheuer, gab es wieder diese Bemühungen von Repression um es mal so runter zu brechen. Es sollte gezielt die Seenotrettung erschweren, blockieren. Es kamen dann noch einige interne Papiere heraus in den letzten Wochen dazu in diesem gesamten Kontext zwischen Seehofer und Scheuer. Das lässt einen irgendwie nicht viel Hoffnung haben, wenn es so ist wie du sagst, dass unter diesen administrativen, diesen verwaltungsrechtlichen Ebenen so krasse Repressionen entstehen.

Da frage ich mich wirklich, warum geht da keiner dagegen vor. Das ist auch eine Frage die uns oft gestellt wird am Infostand. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung mit Sea Eye und deren Operation Moonbird, da wurden wir auch gefragt. Warum? Ihr habt doch die Bilder, ihr dokumentiert, es ist alles da! Warum klagt da keiner?

Das ist die eine Frage aber dann wäre die andere Frage: Was braucht es überhaupt, damit man erfolgreich klagen kann und was würde danach folgen? Nur weil wann man ein Vergehen “anzeigt” heißt das ja nicht, dass das gesamte fehlerhafte System, wie ich das gerne nennen würde, dass es sich dann ändern würde. Was denkst du darüber? Ich stelle immer so viele Fragen auf einmal, es tut mir leid. Ich würde nämlich wirklich gerne nochmal an die Frage von vorhin anknüpfen: Was bräuchte es eigentlich damit wir was auf juristischer Ebene ändern können, klagen können?

Nassim: Also klagen können wir, das ist nicht so das Problem. Das wir damit auch was ändern können, sozusagen der zweite Teil, dass es auch Erfolg hat und nicht nur im Einzelfall sondern grundsätzlich auf viele Fälle, auf viele Schiffe, auf viele Menschen bezogen, das ist so ein bisschen der Knackpunkt. Da würde ich dir gar nicht so zustimmen: Warum klagt denn dann niemand? Das sehe ich anders, sowohl Migrant*innen als auch NGOs versuchen jetzt zu klagen und sind auch schon vor Gericht.

Also vielleicht fangen wir mit den NGO Schiffen an. In Italien sind z. B., je nachdem wann der Podcast veröffentlicht wird, Verfahren anhängig sowohl in Sizilien als auch auf Sardinien vor den Verwaltungsgerichten. Diesmal haben Sea Watch und Sea Eye beide versucht gegen das Festhalten der Schiffe zu klagen. Ob das dann Erfolg haben wird, ist natürlich eine andere Frage, das steht auf einem anderen Blatt.

Es sieht so aus, dass die italienischen Gerichte diese Klage, die sich dann auf dem Gebiet des Schiffssicherheitsrechts befindet, also gegen die angeblichen Mängel, dass zu viele Menschen an Bord waren und die Schiffssicherheit in Gefahr gebracht wurde, als würden das die Gerichte dem Europäischen Gerichtshof, dem EuGH, der über Europarecht urteilt, vorlegen. Also die italienischen Gerichte wollen wissen, wie sie bestimmte Normen auslegen sollen und das kann sozusagen der Europäische Gerichtshof entscheiden. Da passiert was und das ist natürlich eine Riesenchance. Es kann aber auch nach hinten losgehen, also wenn dann auf einmal dieser Europäische Gerichtshof etwas entscheidet, was komplett konträr zu dem ist, was die NGOs sich erhoffen, dann kann das natürlich zementieren.

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Also deshalb ist das mit den Klagen wirklich so eine Sache. Alles was im Bereich strategische Prozessführung stattfindet, man kann da auch gegen eine Wand rennen und am Ende einen Zustand herbeiführen, indem nämlich ein Gericht eine sehr konservative oder sehr nachteilige Rechtsauffassung durch ein Urteil zementiert und dann kriegt man das auch nicht mehr weg.

Es gibt auch Verfahren von Migrant*innen bzw. den Angehörigen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, es gibt anhängige Verfahren vor den UN-Komitees für Menschenrechtsschutz, also da ist gerade einiges in Bewegung.

Man muss im juristischen auch immer gucken, was mache ich eigentlich geltend? Ja, also was ist sozusagen das was ich vor Gericht überprüfen lassen möchte? Ist es, dass die Staaten selber keine Seenotrettung betreiben, obwohl sie wissen, zum Beispiel durch Aufklärungsflüge, da ist gerade ein Boot in Seenot. Ist es ein Unterlassen, was ich angreifen möchte? Ist es die Kooperation mit der libyschen Küstenwache, die ich zum Gegenstand mache? Es gibt verschiedene Anknüpfungspunkte. Oder geht es darum, dass Staaten gegen andere Staaten klagen?

Da befindet man sich dann immer vor anderen Gerichten mit anderen Verfahren und jedes Verfahren ist anders. Es ist gar nicht so leicht, der Rechtsschutz ist auch nicht so ausgestaltet, dass es einfach geht. Es gibt viele Hürden auch verfahrensrechtlicher Art. Es ist zum Beispiel auch unwahrscheinlich, dass Deutschland sagt: Ich verklage jetzt Italien vor dem UN-Seegerichtshof, weil sie unser Schiff im italienischen Hafen festhalten! Das hat ja auch diplomatische Konsequenzen, die könnten das natürlich machen, aber dann müsste sich dann natürlich auch eine Bundesregierung dazu bereit erklären und das sehe ich zum Beispiel auch nicht.

Und die Verfahren hier in Deutschland waren natürlich etwas anderes, also die beiden Verfahren die Mare Liberum geführt hat vor den Verwaltungsgerichten in Hamburg, da hatte man einen Verwaltungsakt als Verein bekommen. Das Schiff durfte nicht auslaufen und dagegen konnte man dann vorgehen, das ist dann sozusagen ein bisschen überschaubarer. Da weiß man gegen was man vorgehen muss und hatte dann damit auch Erfolg und das ist natürlich für uns, also ich als deutsche Juristin kann auch wirklich schwer einschätzen, wie italienische Gerichte dann entscheiden. Da muss man dann mit den Leuten vor Ort zusammenarbeiten, das ist sozusagen ein ganzer Komplex. Es erfordert auch viele Ressourcen, es kostet Geld.

Ich würde es mal positiv beenden, es passiert was. Vielleicht werden wir 2021 auch einiges an Gerichtsentscheidungen erhalten, sowohl in Italien als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo ein Verfahren anhängig ist, wo eines der NGO Schiffe, die Sea Watch 3 und die libysche Küstenwache aufeinandergetroffen sind. Einige Menschen sind ertrunken, andere wurden zurück nach Libyen gebracht und andere mit dem Schiff nach Italien und da geht es um die Kooperation von Italien und Libyen.

Vielleicht kriegen wir dieses Jahr tatsächlich auch was dazu vor Gericht. Vielleicht wird es positiv sein, ich wage da jetzt aber keine Prognose, es ist schwierig. 

Rafael: Danke jedoch für diese am Ende dann vorsichtige Einschätzung oder optimistische Grundhaltung, die wir dann hoffentlich alle hier auch aufsaugen. Ich finde das hast du auch wieder sehr schön dargelegt, wie komplex und schwierig es ist da auch juristisch vorzugehen. Da muss so viel beachtet und bedacht werden, das ist zwar ersichtlich irgendwo, lässt einen dann aber doch ein wenig resignieren.

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Es bleibt ja dabei, dass beispielsweise die EU immer noch mit der libyschen Küstenwache kooperiert. Es bleibt dabei, dass die EU durch eigene Schiffe Menschen wieder zurückgedrängt, zum Beispiel auch durch Frontex, wie vor einiger Zeit geschehen, in Kriegsgebiete und das ist etwas was mir immer noch nicht nachvollziehbar erscheint.

Wir können ja immer noch sagen, genau das steht in dem SAR, in dem Seerechtsübereinkommen drin, dass man genau das nicht tut und dazu haben wir uns ja eigentlich alle verpflichtet. Das heißt es gäbe ja theoretisch auf jeden Fall Ansatzpunkte und es ist eben einfach sehr schwierig, dass es an so vielen Dingen scheitert, wie beispielsweise auch an den Kosten. Es ist alles mit so vielen Mühen und Kosten verbunden und nur weil ein Staat angeklagt wurde, heißt es ja nicht, dass morgen dann plötzlich ein System zur Ausschiffung von in Seenot geratenen Menschen im Mittelmeer realisiert würde, aber es ist schön zu erfahren, dass es da Bewegung gibt. Danke dir für diese Einschätzung.

Ich würde dir vielleicht gerne noch zum Schluss zwei Fragen stellen. Die eine ist, die mich persönlich interessiert: Was findest du als angehende Juristin, die im Bereich des Seevölkerrechts promoviert, was ist für dich das spannendste auf juristischer Ebene in diesem Kontext?  Das würde mich persönlich interessieren, danke dir.

Nassim: Also was mich ganz persönlich interessiert ist, wie Verpflichtungen und Pflichten, Staatenpflichten, die sich aus dem Menschenrechtsschutz, aus den menschenrechtlichen Verträgen, ergeben - Staaten sind ja verpflichtet Menschenrechte einzuhalten, erstmal territorial innerhalb ihres Staatsgebietes, aber teilweise auch extraterritorial unter bestimmten Voraussetzungen - und wie diese Pflichten dann zusammen spielen mit anderen Pflichten, die eigentlich erstmal mit den Menschenrechtsschutz wenig zu tun haben, nämlich die der Schifffahrt. Also was ist sozusagen das Schanier und da kann man ja sagen: das Recht auf Leben.

Das ist ja auch dem Seevölkerrecht oder den seevölkerrechtlichen Bestimmungen zu Seenotrettung irgendwie eigen, es ist ja schon auch Regelungszweck Menschenleben zu retten. Nicht nur die Schifffahrt als solche, die Funktionsfähigkeit sicherzustellen, sondern auch dem Schutz menschlichen Lebens gerecht zu werden und da haben wir eben so ein Zusammenspiel aus völkerrechtlichen Regelungen, die erstmal grundsätzlich unabhängig voneinander konzipiert wurden. Die stehen in verschiedenen Verträgen, alle Verträge haben unterschiedliche Vertragsparteien, die diese Verträge ratifiziert haben und gleichzeitig haben wir so einen Sachverhalt - nämlich Migration - der auch nochmal ganz bestimmte Regelungen hat, der aber politisch hochstrittig ist. Also Migration wird ja gerade leider als was Schlechtes politisch aufgefasst.

Wir haben hier ein sehr politisches Feld und haben aber gleichzeitig Regelungen, die mehr sozusagen auf Seite der Migrant*innen stehen. Das ist sozusagen ein Zusammenspiel aus Politik und Recht und verschiedenen Regelungsinstrumenten und das ist ein Gemengelage. Es ist teilweise komplex und kompliziert da irgendwie klar durchzublicken und ich finde es ganz spannend mir anzuschauen, wie diese Teilbereiche des Rechts miteinander interagieren. 

Rafael: Ja wow, danke dir. Es war auch sehr spannend dem zuzuhören und da kann man dir auf jeden Fall weiterhin wünschen, dass du weiterhin auch viel spannenden Input hast und dir einfach eine schöne weitere Entwicklung in dem Bereich widerfährt.

Vielleicht zum Abschluss wäre die Frage noch sinnvoll: Was würdest du den Menschen mitgeben? Gibt es Handlungsmöglichkeiten, Initiativen für Bürger*innen gegen

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Seevölkerrechtsbrüche vorzugehen einerseits oder andererseits diese noch besser sichtbar zu machen? Was würdest du uns da gerne auf den Weg mitgeben?

Nassim: Also letztlich ihr oder die Ortsgruppe, ihr seid ja das beste Beispiel dafür, dass man sich persönlich engagieren kann, wenn man es wichtig findet. Ich mache das ja nicht nur im Rahmen meiner Promotion, sondern auch durch Rechtsberatung. Wer sich engagieren möchte, der kann sich bestimmt engagieren, es gibt genügend Vereine, Ortsgruppen. Man kann natürlich auch seine*n Abgeordnete*n aus dem Wahlkreis anschreiben, wir können darüber reden, damit das was gerade tagtäglich passiert dann auch nicht in Vergessenheit gerät oder von anderen Nachrichten verdrängt wird. Das ist ein wichtiger Punkt, da hoffe ich, dass es auch weitergeht.

Rafael: Das hast du sehr schön gesagt, vielen Dank dir und ich denke, dass wir dazu ja auch festhalten können, letzten Endes berufen wir uns immer wieder auf dieselben vier Rechte,  drei Rechte, das vierte war die Resolution, denen, wie du gerade sagtest, das Recht auf Leben eigen ist und ich denke, damit fahren wir alle immer ganz gut.

Liebe Nassim, danke, dass du heute dabei warst und uns diese, wie ich finde, sehr schwierigen Fragen beantwortet hast. Da bleibt eigentlich nur zum Schluss zu sagen, dass wir dir für deine weitere Zukunft alles Gute wünschen. Und hoffentlich sitzen wir vielleicht in einem halben Jahr wieder hier und lachen darüber, weil sich alles grundlegend gebessert hat und juristisch viel aufgearbeitet wurde. 

Nassim: Das würde ich mir wünschen. Um positiv zu enden, es ist Bewegung im Spiel.

Also es  kann was passieren und vielleicht in die richtige Richtung, das hoffe ich sehr. 

Rafael: Danke dir.

Das war's von uns mit der heutigen Folge zur Blockade bzw. Repression der Seenotrettung. Wie wir gesehen und gehört haben, ist die rechtliche Situation rund um die Seenotrettung äußerst komplex und weist viele Aspekte, Ebenen sowie Ansatzpunkte auf.

Ungeachtet dessen bleibt unsere oberste Botschaft: Leben retten ist Pflicht, zu jeder Zeit und überall! Da dieses Thema wie sich zeigen konnte ebenfalls auf der rechtlichen bzw.

juristischen Ebene äußerst komplex, unabgeschlossen und in Bezug auf die reale Situation der betroffenen Menschen, also in Seenot geratene Geflüchtete, mindestens empörenswert bleibt, möchten wir in den nächsten beiden Folgen mit Aktivist*innen sprechen, die uns andere Perspektiven auf die Blockade der Seenotrettung berichten können.

Schaltet gerne wieder ein, wir sind Nauar, Antonia, Tobi, Raffi, Lisa und Micha aus Berlin!

Wir freuen uns über eure Fragen, Anregungen und Kommentare. Auch dieses Mal möchten wir euch ans Herz legen: Werdet oder bleibt aktiv, sprecht mit Menschen über Seenotrettung und über die Situation Geflüchteter im Mittelmeer. Geht auf die Straße, fragt nach, denn jede Stimme und jedes Engagement zählt. Unser Schiff, die Ocean Viking, ist nach monatelanger Schikane und Festsetzung wieder im Einsatzgebiet vor der libyschen Küste, so dass wir nun wieder Menschen bei der gefährlichen Überquerung des Mittelmeers vor dem Ertrinken bewahren können. Diese lebensrettende Arbeit von SOS Méditerranée ist nur mit euren Spenden möglich. Weitere Informationen zum Spenden und was damit genau geschieht, findet ihr auf unserer Website, www.sosmediterranee.de, denn jeder Euro hilft Leben zu retten. Für aktuelle Updates abonniert den SOS Méditerranée Newsletter und folgt SOS Méditerranée auf Twitter, Facebook und Instagram. Nähere Infos dazu und zu den Spendenmöglichkeiten findet ihr unter diesem Podcast. #togetherforrescue.

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