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Kinderarbeit – Kinderrechte

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Academic year: 2022

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(1)

Beiträge zur Qualifizierung des Umgangs

mit Kinderarbeit in kinderrechtlicher Perspektive

Im Auftrag des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit

herausgegeben von Klaus Heidel

(2)

(zugleich Koordination des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit) Obere Seegasse 18, 69124 Heidelberg

Tel.: 06 221 – 433 36 13, Fax: 06 221 – 433 36 29 klaus.heidel@woek.de

www.woek.de

Dieses Heft wird herausgegeben im Auftrag des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit, das getragen wird von:

Aktion „Brot für die Welt“, ProNATs – Verein zur Unterstützung arbeitender Kinder und Jugendlicher, Kindernothilfe e.V., terre des hommes Deutschland e.V., Werkstatt Ökonomie e.V.

Bildnachweis:

Titelblatt: Projekt Foyer Maurice Sixto mit minderjährigen Hausbediensteten, Haiti, Foto: Kin-dernothilfe; Seite 5: Straßenhänd- ler in Kolumbien, Foto: Andreas Riester, terre des hommes; Seite 20: Projekt Foyer Maurice Sixto mit minderjährigen Hausbe- diensteten, Haiti, Foto: Kin-dernothilfe; Seite 37: Projekt Foyer Maurice Sixto mit minderjährigen Hausbediensteten, Hai-ti, Foto: Kindernothilfe; die Nachweise zu den weiteren Fotos finden sich bei den jeweiligen Fotos.

Kozeption und Gestaltung: Hantke und Partner, Heidelberg Heidelberg, Juni 2009

V.i.S.d.P.: Werkstatt Ökonomie e.V., Obere Seegasse 18, 69124 Heidelberg

(3)

Inhalt

Zu diesem Heft . . . 4 Teil I: Kinderarbeit: Kein Ende in Sicht. Statistische Annäherungen

Weltweit gibt es noch immer 217 Millionen Kinderarbeiterinnen und –arbeiter. . . . 6 Daten zu Ausmaß und Struktur von Kinderarbeit

Schulbesuch trotz Kinderarbeit, Kinderarbeit trotz Schulbesuch. . . . 13 Statistische Anmerkungen gegen ein verbreitetes Vorurteil

Teil II: Der soziale und wirtschaftliche Kontext von Kinderarbeit

Kinderarbeit als Teil kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Strukturen. . . . 21 Eine kurze Problemanzeige

Kinderarbeit wegen Armut? Statistische Hinweise . . . 22 zum sozioökonomischen Kontext von Kinderarbeit

Teil des globalen Fließbandes. . . . 26 Kinderarbeiter in der formellen Ökonomie

Die meisten Kinder arbeiten auf dem Land. . . . 27 Statistische Hinweise

Tatort Familie. Die „Arbeitgeber“ der Kinder . . . 29 Informelle Ökonomie – bevorzugter Ort von Kinderarbeit. . . . 33 Informalität als Normalität

Kinderarbeit auf dem Land. Das Beispiel Äthiopien . . . 34 Kinderarbeit und Bildung. Beispiele aus Lateinamerika . . . 36 Teil III: Kinderarbeit - Kinderrechte

Auch arbeitende Kinder haben Rechte. Zur Notwendigkeit . . . 38 einer differenzierenden kinderrechtlichen Perspektive

Nirgendwo arbeiten Kinder so lange wie in Bolivien. . . . 40 Große Unterschiede bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit

„Nicht über unsere Köpfe hinweg“ . . . 43 Auch arbeitende Kinder haben ein Recht auf Beteiligung

Neue kinderrechtliche Instrumente – ein Beitrag zur Stärkung . . . 44 auch der Rechte für arbeitende Kinder? (Zeit für ein Beschwerderecht

für Kinder auf UN-Ebene, II. Entschieden für die Rechte des Kindes?

Neue Initiativen der EU)

Der Kampf der Kinder für eigene Rechte . . . 48 Kinderfreundliche Schulen und Werkstätten für arbeitende Kinder . . . 52 Auch arbeitende Kinder haben ein Recht auf Bildung. . . . 54 Projektbeispiele aus Lateinamerika

Anhang: Materialhinweise und Anschriften

(4)

Zu diesem Heft

Bald nach der 1989 erfolgten Verabschiedung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes durch die Generalver- sammlung der Vereinten Nationen – das unter anderem das Recht des Kindes auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung ent- hält –, nahm die Intensität der weltweiten Auseinandersetzung mit Kinderarbeit deutlich zu. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen damals schlimmste Formen der Missachtung der Rechte des Kindes wie Schuldknechtschaft, kommerziel- ler sexueller Missbrauch von Kindern oder der Missbrauch von Kindern in bewaffneten Konflikten. Internationale Kampagnen mobilisierten beträchtliche Unterstützung.

Auch in Deutschland entstanden Kampagnen wie die gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie. Getragen wurde sie unter an- derem von drei Organisationen, die heute im Deutschen NRO-Forum Kinderarbeit zusammen arbeiten (Brot für die Welt, terre des hommes und Werkstatt Ökonomie e.V.). In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre bildete sich zur Unterstützung des welt- weiten Marsches gegen Kinderarbeit (1998) das Deutsche Bündnis für den Global March, in dem unter anderem Träger des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit mitwirkten (Brot für die Welt, Kindernothilfe e.V. und Werkstatt Ökonomie e.V.).

Das gewachsene öffentliche Interesse griff die Internationale Arbeitsorganisation auf und nahm 1999 und damit zehn Jahre nach der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention das Übereinkommen 182 über schlimmste Formen von Kinderarbeit an, das den damaligen Schwerpunkten der Auseinandersetzung mit Kinderarbeit Rechnung trug.

Doch so notwendig auch der Kampf gegen die von der Internationalen Arbeitsorganisation als schlimmste Formen von Kin- derarbeit bezeichneten Verletzungen der Rechte des Kindes ist – sind doch bis zu acht Millionen Kinder Opfer dieser Verbre- chen –, so wenig darf darüber vergessen werden, dass diese Verbrechen keinesfalls den Regelfall von Kinderarbeit darstellen:

Die allermeisten Kinder arbeiten weltweit unter ganz anderen Bedingungen. Daher hat es sich das 2000 gegründete Deutsche NRO-Forum Kinderarbeit zum Ziel gesetzt, für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Kinderarbeit in kinderrechtlicher Per- spektive zu werben. Nur so können nachhaltige Wege zur Durchsetzung der Rechte des Kindes in einem arbeitsweltlichen Um- feld gefunden werden.

Diesem Ziel dient auch die vorliegende Broschüre. Sie schildert nur an wenigen Stellen das Leid ausgebeuteter Kinder, die Trä- ger des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit erinnern an dieses Leid an anderen Stellen (vgl. das Materialverzeichnis im An- hang dieser Broschüre). Vielmehr geht es dieser Broschüre um eine Qualifizierung der Auseinandersetzung mit Kinderarbeit, die nicht selten von kurzschlüssigen Vereinfachungen geprägt ist. Deshalb entfaltet die Broschüre die Einsicht, dass es „die“ Kin- derarbeit nicht gibt. Sie beleuchtet soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Und sie skizziert neue Wege zur Verwirklichung der Rechte des Kindes.

Hierbei werden die Trägerorganisationen des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit geleitet von einem kinderrechtlichen Ansatz, der die Kinder als Träger von Rechten ernst nimmt. Einzelne Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Rechte bewerten sie gele- gentlich unterschiedlich. Dies wird auch in dieser Broschüre deutlich, die gerade durch die an einigen Stellen aufscheinende Unterschiedlichkeit von Sichtweisen zur Diskussion einlädt. Betont sei daher, dass die Artikel von ihren Autorinnen und Auto- ren verantwortet werden und keine Meinungsäußerung des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit darstellen.

Die Broschüre wendet sich an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der schulischen und außerschulischen entwicklungspoli- tischen Bildungsarbeit, an Journalistinnen und Journalisten und an Politikerinnen und Politiker. Auf deren Rückmeldungen freuen sich die Träger des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit.

Klaus Heidel, Werkstatt Ökonomie e.V.

(5)

Teil I

Kinderarbeit: Kein Ende in Sicht

Statistische Annäherungen

(6)

1 Die jährlich tagende Internationale Arbeitskonferenz, der Verwaltungsrat und das Internationale Arbeitsamt mit Sitz in Genf sind die wichtigsten Organe der 1919 gegründeten Inter- nationalen Arbeitsorganisation (IAO). Die IAO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen.

2 Frank Hagemann, Yacouba Diallo, Alex Etienne, Farhad Mehran (2006): Global Child Labour Trends 2000 to 2004, Geneva, herausgegeben von: International Programme on the Elimination of Child Labour (IPEC) und Statistical Information and Monitoring Programme on Child Labor (SIMPOC).

3 Aus Gründen der Lesbarkeit wird gelegentlich auf inklusive Sprache verzichtet, so meint „Kinderarbeiter“ Jungen und Mädchen.

4 Internationales Arbeitsamt Genf (2006): Bericht des Generaldirektors. Das Ende der Kinderarbeit – zum Greifen nah. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Internationale Arbeitskonferenz, 95. Tagung 2006, Bericht I (B), Genf, S. 6.

5 Vgl. hierzu: Klaus Heidel (2006): Das Ende der Kinderarbeit: Zum Greifen nah? Kritische Anmerkungen zum Gesamtbericht der Internationalen Arbeitsorganisation über Kinderarbeit vom Mai 2006. Im Auftrag des Deutschen NRO-Forums Kinderarbeit zusammengestellt, Heidelberg.

6 Auch wenn Zahlen bis zwölf ausgeschrieben werden, wird aus Gründen der Lesbarkeit in Angaben wie „10- bis 14-Jährige“ von dieser Regel abgewichen.

Weltweit gibt es noch immer 217 Millionen Kinderarbeiterinnen und -arbeiter

Daten zu Ausmaß und Struktur von Kinderarbeit

Zwanzig Jahre nach Verabschiedung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes und zehn Jahre nach der Annahme des Übereinkommens 182 über schlimmste Formen der Kinderarbeit durch die Internationale Arbeits- konferenz1wird der Alltag von weltweit 217 Millionen Kindern und Jugendlichen noch immer von Kinderarbeit geprägt. Zwar sind im letzten Jahrzehnt eine Fülle von Projekten zur Überwindung von Kinderarbeit durchgeführt worden – und in einigen Ländern wie zum Beispiel in Brasilien war die Anzahl der Kinderarbeiter deutlich rückläufig –, dennoch gibt es keine ausrei- chenden statistischen Belege für die Vermutung, das Ausmaß von Kinderarbeit habe in den letzten zehn Jahren weltweit ab- genommen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Kinderarbeit auch in Zukunft zu den sozioökonomischen Strukturen vieler Länder gehören wird. Nicht zuletzt die jüngsten globalen Krisen (von der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise bis hin zur Nahrungsmittelkrise) werden vermutlich dazu führen, dass mehr Kinder arbeiten und dass sie dies unter noch schlechteren Bedingungen tun müssen.

Zuverlässige Statistiken über die Gesamtzahl der weltweit arbeitenden Kinder gibt es nicht. Daher legt die statistische Abteilung des Internationalen Arbeitsamtes von Zeit zu Zeit Schätzungen vor, die auf nationalen Haushaltsstichproben beruhen. Die jüngste Schätzung stammt aus dem Jahr 2006, sie konnte sich auf Stichproben aus 31 Ländern stützen2. Danach arbeiteten im Jahre 2004 weltweit 317 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 18 Jahren – allerdings rund 31 Prozent von ihnen in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Übereinkommens 138 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), das die Zulassung von Kindern und Jugendlichen zu einer Beschäftigung regelt. Nicht im Einklang mit internationalen Ar- beitsnormen stehen die wirtschaftlichen Aktivitäten von 217 Millionen Kindern und Jugendlichen, sie sind daher Kinderarbei- ter3im Sinne der IAO-Definitionen. Ein großer Teil derselben – nämlich 126 Millionen – muss „gefährliche“ Arbeiten im Sinne der IAO-Übereinkommen 138 und 182 verrichten. Gänzlich unerträglich sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen von (nach älteren Schätzungen) rund 6,5 bis 8 Millionen Kindern und Jugendlichen, die versklavt sind, Zwangsarbeit leisten müssen, wie Ware gehandelt werden oder als Kinderprostituierte missbraucht werden. Sie sind Opfer von Verbrechen, und für ihre erzwun- genen Tätigkeiten ist der Begriff „Arbeit“ in der Regel nicht angemessen.

Angesichts der weiten Verbreitung von Kinderarbeit gibt es keinen Anlass für die Annahme, das Ende der Kinderarbeit sei „zum Greifen nah“, wie ein Bericht des Internationalen Arbeitsamtes über Kinderarbeit aus dem Jahre 2006 hieß4. Der damalige Be- richt unterstellte einen deutlichen Rückgang des Ausmaßes von Kinderarbeit im Zeitraum 2000 bis 2004, lieferte für diese These aber keine statistische Grundlage5.

Fast jeder siebte Jugendliche verrichtet eine gefährliche Arbeit

Die Altersgruppen-Perspektive

Erwartungsgemäß nimmt die Arbeitsquote mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen zu: Im Jahre 2004 arbeitete weltweit jedes zehnte Kind im Alter von fünf bis neun Jahren, das waren fast 65 Millionen. Von den 10- bis 14-Jährigen6gingen fast 21 Prozent (oder 126 Millionen) einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach, und bei den Jugendlichen lag dieser Anteil bei rund 35 Pro- zent (127 Millionen Jugendliche, vgl. Tabelle 1).

Während jede wirtschaftliche Tätigkeit der Jüngsten nach den IAO-Standards als Kinderarbeit zu werten ist, gilt dies für die Gruppe der 10- bis 14-Jährigen nicht. In dieser Altersgruppe gab es 2004 weltweit rund 101 Millionen Kinderarbeiter (und wei- tere 25 Millionen Kinder, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Kinderarbeit im Sinne des IAO-Übereinkommens 138 ist).

Eine gefährliche Arbeit verrichteten 6,2 Prozent aller 5- bis 14-Jährigen (das waren fast 75 Millionen Kinder) und 14,4 Prozent der 15- bis 17-Jährigen (fast 52 Millionen Jugendliche). Letztere Zahl ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich Bemühungen zur Verwirklichung der Rechte des Kindes auch auf eine qualitative Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Jugendlichen be- ziehen müssen.

(7)

Wirtschaftliche Aktivitäten – Kinderarbeit – gefährliche Arbeit – absolut schlimmste Formen von Kinderarbeit

Kurze Definitionen

Wirtschaftliche Aktivitätensind nach international geltenden Definitionen alle bezahlten und unbezahlten Arbeiten im oder außerhalb des Haushaltes der eigenen Familie, unabhängig davon, ob sie für den Markt oder für den häuslichen Verbrauch geleistet werden. Lediglich Haus- arbeiten wie Wäsche waschen oder Kochen sind davon ausgenommen. Wirtschaftlich aktiv sind Kinder, wenn sie mindestens eine Stunde in der Woche arbeiten. Rund 100 Millionen der (im Jahre 2004) wirtschaftlich aktiven Kinder und Jugendlichen gehen einer Tätigkeit in Überein- stimmung mit den Bestimmungen des IAO-Übereinkommens 138 nach, sie sind also keine Kinderarbeiter im Sinne dieses Übereinkommens.

Mit Kinderarbeitim Sinne der IAO-Standards werden wirtschaftliche Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen bezeichnet, die nach den Übereinkommen 138 und 182 der Internationalen Arbeitsorganisation nicht zulässig sind, weil Vorschriften über eine Beschäftigung von Kin- dern und Jugendlichen verletzt werden (Unterschreiten des Mindestalters für eine Beschäftigung, zu lange Arbeitszeiten, gefährliche Arbeits- bedingungen beziehungsweise gefährliche Arbeiten). Von den 217 Millionen Kinderarbeitern gehen 91,4 Millionen Tätigkeiten nach, deren Bedingungen gegen das IAO-Übereinkommen 138 verstoßen, ohne dass die Arbeit gefährlich oder gar illegal wäre.

Gefährliche Arbeitensind alle Tätigkeiten oder Beschäftigungen, „die sich ihrer Natur nach schädlich auf die Sicherheit, die körperliche oder seelische Gesundheit und die sittliche Entwicklung des Kindes“ auswirken oder auswirken könnena). Da für die 15- bis 17-Jährigen nur ge- fährliche Arbeit unzulässig ist, ist Kinderarbeit in dieser Altersgruppe immer gefährliche Arbeit. Von gefährlicher Arbeit sind 126,4 Millionen Jun- gen und Mädchen betroffen.

Zu den „absolut schlimmsten Formen von Kinderarbeit“(„unconditional worst forms of child labour“) zählt die Internationale Arbeitsor- ganisation Kindersklaverei und –zwangsarbeit und die Tätigkeit von Kindersoldaten. Neuere Schätzungen über das Ausmaß dieser extremen Aus- beutung von Kindern gibt es nicht. Im Jahre 2002 bezifferte das Internationale Arbeitsamtb) die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Sklaverei und Zwangsarbeit mit 5,7 Millionen (davon 5,5 Millionen in Asien). Zur Prostitution oder zur Herstellung von Pornographie wären 1,8 Millio- nen Minderjährige gezwungen worden, fast eine halbe Million allein in den Industrieländern. Nicht näher bestimmte illegale Tätigkeiten hät- ten weltweit fast 600.000 Kinder und Jugendliche verrichten müssen. Die Zahl der Kindersoldaten habe vermutlich bei unter 300.000 gelegen, und die der jährlichen Opfer von Kinderhandel bei 1,2 Millionen. Da diese „absolut schlimmsten Formen von Kinderarbeit“ nicht scharf vonei- nander zu trennen sind – so ist Kinderprostitution als Zwangsarbeit zu werten –, dürfen diese Zahlen nicht addiert werden. Auch sonst beruhen diese Schätzungen auf so unsicherer Grundlage, dass sie das Internationale Arbeitsamt bisher nicht aktualisierte. Kinder, die Opfer der „abso- lut schlimmsten Formen von Kinderarbeit“ werden, sind Opfer von Verbrechenc), daher sollten ihre Tätigkeiten aus Gründen der begrifflichen Klarheit nicht als „Arbeit“ bezeichnet werden.

a) Internationales Arbeitsamt Genf (2006), S. 6.

b) International Labour Office (2002): Report of the Director-General: A Future without Child Labour. Global Report under the Follow-up to the ILO-Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work. International Labour Conference, 90th Session 2002, Report I (B), Geneva, S. 18.

c) Einschränkend sei erwähnt, dass sich ein erheblicher Teil der Kindersoldaten freiwillig bewaffneten Einheiten anschließt, vgl. hierzu: Ah-Jung Lee (2009): Un- derstanding and Addressing the Phenomenon of Child Soldiers’: The Gap between the Global Humanitarian Discourse and the Local Understandings and Experi- ences of Young People’s Military Recruitment, Oxford (http://www.rsc.ox.ac.uk/PDFs/RSCworkingpaper52.pdf).

Tabelle 1:

Weltweit sind 317 Millionen Kinder und Jugendliche wirtschaftlich aktiv

Arbeitende Kinder nach Altersgruppe und Arbeitstyp, Anzahl in Millionen und Anteil der wirtschaftlich Aktiven an allen Kindern der Alters- gruppe in Prozent, 2004

wirtschaftlich Aktive insgesamt

darunter Kinderarbeit im Sinne der IAO-Standards

darunter gefährliche Arbeit absolut

(Millionen)

in Prozent aller Kinder der Altersgruppe

absolut (Millionen)

in Prozent aller Kinder der Altersgruppe

absolut (Millionen)

in Prozent aller Kinder der Altersgruppe

5- bis 14-Jährige 190,7 15,8% 165,8 13,7% 74,4 6,2%

darunter

5- bis 9-Jährige 64,6 10,7% 64,6 10,7%

10- bis 14-Jährige 126,1 20,8% 101,2 16,7%

15- bis 17-Jährige 126,7 35,2% 51,9 14,4% 51,9 14,4%

Quelle: Frank Hagemann, Yacouba Diallo, Alex Etienne, Farhad Mehran (2006); eigene Berechnungen

(8)

Mehr Jungen als Mädchen arbeiten – doch dies sagt nicht viel aus

Die Geschlechter-Perspektive

Folgen wir den Schätzungen des Internationalen Arbeitsamtes, waren 2004 rund 186 Millionen Jungen wirtschaftlich aktiv – deutlich mehr als Mädchen (149 Millionen, vgl. Tabelle 2 auf Seite 9). Allerdings fiel das Geschlechterverhältnis für die drei Al- tersgruppen unterschiedlich aus: Bei den Jüngsten (fünf bis elf Jahre) arbeiteten mit 54,5 Millionen etwas mehr Mädchen als Jungen (53,1 Millionen). Im Alterssegment der 12- bis 14-Jähren standen 38,4 Millionen wirtschaftlich aktiver Mädchen 44,7 Millionen arbeitende Jungen gegenüber. Am stärksten fiel der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bei den Jugendli- chen aus: Hier überstieg die Zahl der arbeitenden Jungen (70,6 Millionen) die der Mädchen (56,1 Millionen) beträchtlich.

Doch diese globalen Beobachtungen lassen keine sozial- und entwicklungspolitischen Schlussfolgerungen zu:

– Mädchen müssen häufiger und länger als Jungen Hausarbeiten verrichten, diese wird aber von den hier zitierten Statisti- ken nicht berücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Arbeit von Mädchen tendenziell verborgener als die von Jungen und daher statistisch nur unzureichend erfasst ist.

– Hinter den globalen Zahlen verbergen sich beträchtliche regionale Unterschiede: Im Zeitraum 2004 bis 2006 lag in vielen europäischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern der Anteil der wirtschaftlich aktiven Jungen im Alter von fünf bis 14 Jahren deutlich über dem entsprechenden Anteil der Mädchen – in Nicaragua zum Beispiel arbeiteten 13,2 Prozent aller Jungen, aber nur 3,2 Prozent der Mädchen dieser Altersgruppe. In Afrika aber gab es mehrere Länder, in denen die Kindarbeitsquote (der 5- bis 14-Jährigen) für Mädchen und Jungen fast gleich hoch oder gar für Mädchen höher als für Jun- gen war (vgl. Schaubild 1 auf Seite 10, das die Kinderarbeitsquoten aller Länder zusammenstellt, für die neuere Daten vor- liegen).

Kinderarbeitsquote – ein unscharfer Begriff

Statistiken über die Anzahl oder über die relative Häufigkeit von wirtschaftlich aktiven Kindern, die nach Regionen, Wirtschaftsbereichen, Ge- schlecht oder Alter gegliedert sind, unterscheiden in der Regel nicht zwischen Kinderarbeit im Sinne der IAO-Standards und zulässiger Arbeit.

Wenn das Internationale Arbeitsamt zum Beispiel den Anteil der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen für das südliche Afrika mit 26,4 Pro- zent angibt, so sind bei der Berechnung dieses Prozentsatzes auch jene Kinder mitgezählt worden, deren wirtschaftliche Aktivität keine Kin- derarbeit im Sinne der IAO-Standards darstellt. Deren Zahl ist aber in der Regel beträchtlich, wie Tabelle 1 zu entnehmen ist. Ein Beispiel: Von den weltweit 38,4 Millionen wirtschaftlich aktiven Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren gingen 12,1 Millionen einer Tätigkeit nach, die nicht als Kinderarbeit zu werten ist. Allerdings ist zu vermuten, dass solche zulässige Arbeit von Kindern vor allem in den Industrieländern anzutref- fen ist – aber eben auch (wenngleich seltener) in Afrika, Asien und Lateinamerika. Daher ist es im engen Wortsinne nicht zulässig, den Anteil wirtschaftlich aktiver Kinder als Kinderarbeitsquote zu bezeichnen. Dennoch soll dieser Begriff im Folgenden aus sprachlichen Gründen ver- wendet werden.

Hierbei wird gelegentlich (vor allem in den Schaubildern) zwischen drei Quoten unterschieden:

Kinderarbeitsquote I:Anteil aller wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen – sofern im Folgenden nicht ausdrücklich anders vermerkt, meint der Begriff Kinderarbeitsquote auch ohne den Zusatz „I“ diese Quote

Kinderarbeitsquote II: Anteil der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen, die ausschließlich arbeiten und daher nicht zur Schule gehen – diese Quote deckt sich weitgehend mit dem Anteil wirtschaftlich aktiver Kinder, deren Arbeit als Kinderarbeit zu werten ist, und

Kinderarbeitsquote III:Anteil der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen, die arbeiten und zugleich zur Schule gehen.

Internationale Arbeitsorganisation (IAO):

Erlaubte und verbotene Kinderarbeit

Das IAO-Übereinkommen 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung vom 26. Juni 1973 erlaubt unter bestimmten Bedin- gungen „leichte Arbeit“ für 12- bis 14-Jährige, wenn diese nicht einen geregelten Schulbesuch behindert. Das Mindestalter für die Zulassung zu einer Vollzeitbeschäftigung soll bei 15 Jahren liegen, wobei Entwicklungsländer auch 14 Jahre als Mindestalter gesetzlich festsetzen kön- nen. Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren dürfen keine Arbeit verrichten, die für die „Gesundheit, Sicherheit oder Moral“ der Jugendlichen

„gefährlich“ sein könnte.

Das IAO-Übereinkommen 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit vom 17. Juni 1999 definiert in Artikel 3 vier Gruppen „schlimmster Formen“ von Kinderarbeit, die unverzüglich zu beseitigen seien: (a) Sklaverei und Zwangsarbeit einschließlich der Zwangsrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten, (b) Kinderprostitution und Pro- duktion von Kinderpornographie, (c) Einsatz von Kindern im Bereich des organisierten Verbrechens (etwa des Drogenhandels) und (d) Arbeit, die „voraussichtlich schädlich“ ist für „die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit“.

(9)

– Noch bemerkenswerter sind regionale Unterschiede, wenn wir nur die Anteile jener arbeitenden Jungen und Mädchen miteinander ver- gleichen, die nicht zur Schule gehen konnten (Schaubild 2 auf Seite 10): In Lateinamerika und in der Karibik überstieg die Quote der ausschließlich arbeitenden 5- bis 14-jährigen Jungen die der Mäd- chen deutlich, in Afrika südlich der Sahara aber gab es mehrere Län- der, in denen ein deutlich größerer Prozentsatz der Mädchen als der Jungen ohne Gelegenheit zum Schulbesuch arbeiten musste: So gingen in Benin 30,7 Prozent der Mädchen arbeiten, ohne in eine Schule besuchen zu können, bei den Jungen waren dies 22,2 Pro- zent. Auch im Tschad war der Unterschied mit 34 Prozent für Mäd- chen und 24,6 Prozent für Jungen erheblich. Diese Befunde deuten darauf hin, dass Mädchen in Afrika südlich der Sahara weitaus stär- ker benachteiligt sind als in anderen Teilen der Welt.

– Wirtschaftliche Aktivitäten sind nach Art, Dauer und Folgen für Kinder und Jugendliche sehr unterschiedlich. In kinderrecht- licher Perspektive interessiert vor allem gefährliche Arbeit. Hier zeigen sich für ältere Kinder und Jugendliche starke ge- schlechtsspezifische Unterschiede (vgl. Tabelle 2): Weltweit verrichteten 20,7 Millionen der 12- bis 14-jährigen Jungen eine Arbeit, die als gefährlich gilt – bei den gleichaltrigen Mädchen waren es 13,5 Millionen. Noch größer war der Unterschied bei den Jugendlichen (15 bis 17 Jahre): hier standen 19,7 Millionen Mädchen, die einer gefährlichen Arbeit nachgehen mussten, 32,3 Millionen Jungen gegenüber.

Damit arbeiteten rund 46 Prozent aller wirtschaftlich aktiven Jungen im Alter von zwölf bis 17 Jahren unter Bedingungen, die ihre Gesundheit und Entwicklung bedrohten, bei den Mädchen betrug dieser Anteil 35 Prozent. Dieser Umstand ver- weist auf die Notwendigkeit, dass sich Bestrebungen zur Verwirklichung der Rechte des Kindes in jedem Falle auch um äl- tere Jungen kümmern müssen, die einer gefährlichen Arbeit nachgehen. Zugleich ist aber zu betonen, dass in keiner Altersgruppe so viele Mädchen eine gefährliche Arbeit verrichten mussten wie in der Gruppe der 5- bis 11-Jährigen.

Tabelle 2:

Gefährliche Arbeit: mehr Jungen als Mädchen betroffen Arbeitende Kinder nach Geschlecht, Altersgruppe und Arbeitstyp, 2004

Mädchen Jungen

absolut (Millionen)

in Prozent aller wirt- schaftlich Aktiven der

Altersgruppe

absolut (Millionen)

in Prozent aller wirt- schaftlich Aktiven der

Altersgruppe 5- bis 11-Jährige

wirtschaftliche Aktive insgesamt 54,5 100,0% 53,1 100,0%

darunter Kinderarbeit 54,5 100,0% 53,1 100,0%

darunter gefährliche Arbeit 19,9 36,5% 20,3 38,3%

12- bis 14-Jährige

wirtschaftliche Aktive insgesamt 38,4 100,0% 44,7 100,0%

darunter Kinderarbeit 26,3 68,4% 31,8 71,2%

darunter gefährliche Arbeit 13,5 35,1% 20,7 46,3%

15- bis 17-Jährige

wirtschaftliche Aktive insgesamt 56,1 100,0% 70,6 100,0%

darunter Kinderarbeit 19,7 35,1% 32,3 45,7%

darunter gefährliche Arbeit 19,7 35,1% 32,3 45,7%

alle Altersgruppen

wirtschaftliche Aktive insgesamt 149,0 100,0% 168,4 100,0%

darunter Kinderarbeit 100,5 67,4% 117,2 69,6%

darunter gefährliche Arbeit 53,1 35,6% 73,3 43,5%

Quelle: Frank Hagemann, Yacouba Diallo, Alex Etienne, Farhad Mehran (2006); eigene Berechnungen

Kinderarbeit in Indien, Foto: Klaus Müller-Reimann, terre des hommes

(10)

Schaubild 1:

In vielen Ländern arbeitet ein größerer Anteil der Jungen als der Mädchen im Alter von fünf bis 14 Jahren Anteil aller wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen in Prozent aller Kinder der Altersgruppe in Prozent, ungefähr 2005 Europäische und asiatische Länder

Lateinamerikanische und karibische Länder

Afrikanische Länder

Kinderarbeitsquote I: Anteil aller 5-14-Jährigen, die mindestens eine Wochenstunde wirtschaftlich aktiv sind, in Prozent aller 5-14-Jährigen, Daten für 2004 bis 2006

Länderauswahl: sämtliche Länder, für die vom Internationalen Arbeitsamt, von UNICEF und von der Weltbank neuere Haushaltsstichproben (ab 2004) mit detaillierten Angaben über Kinderarbeit der 5- bis 14-Jährigen veröffentlicht wurden

Quellen: International Labour Office, UNICEF, World Bank: Understanding Children’s Work. UCW country statistics (www.ucw-project.org), Zusammenstellung der Daten auf der Grundlage von Haushaltsstichproben

© Werkstatt Ökonomie e.V.

0 10 20 30 40 50 60 70

Serbien Mazedonien Bosnien Werussland Montenegro Georgien Kasachstan Kirgisistan Usbekistan Bangladesch Syrien Tadschikistan Irak Mongolei Indien Thailand Jemen Vietnam

Kinderarbeitsquote I in Prozent

Jungen Mädchen

0 10 20 30 40 50 60 70

Kolumbien Honduras Nicaragua Brasilien Costa Rica Jamaica Ecuador Argentinien Guatemala Bolivien Haiti

Kinderarbeitsquote I in Prozent

Jungen Mädchen

0 10 20 30 40 50 60 70

Ägypten Senegal Rep. Kongo Uganda Liberia Malawi Togo Elfenbeinste Somalia Mali Niger Äthiopien Sambia Ghana Gambia Guinea Bissau Tschad Sierra Leone Benin

Kinderarbeitsquote I in Prozent

Jungen Mädchen

(11)

Schaubild 2:

In mehreren afrikanischen Ländern arbeitet ein höherer Prozentsatz der Mädchen als der Jungen im Alter von fünf bis 14 Jahren, ohne in die Schule zu gehen

Anteil der ausschließlich wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen in Prozent aller Kinder der Altersgruppe in Prozent, unge- fähr 2005

Europäische und asiatische Länder

Lateinamerikanische und karibische Länder

Afrikanische Länder

Kinderarbeitsquote II: Anteil der 5-14-Jährigen, die mindestens eine Wochenstunde wirtschaftlich aktiv sind und nicht zur Schule gehen, in Prozent aller 5- 14-Jährigen, Daten für 2004 bis 2006

Länderauswahl: sämtliche Länder, für die vom Internationalen Arbeitsamt, von UNICEF und von der Weltbank neuere Haushaltsstichproben (ab 2004) mit detaillierten Angaben über Kinderarbeit der 5- bis 14-Jährigen veröffentlicht wurden

Quellen: International Labour Office, UNICEF, World Bank: Understanding Children’s Work. UCW country statistics (www.ucw-project.org), Zusammenstellung der Daten auf der Grundlage von Haushaltsstichproben

© Werkstatt Ökonomie e.V.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

Werussland Bosnien Serbien Mazedonien Georgien Montenegro Kasachstan Usbekistan Thailand Kirgisistan Tadschikistan Mongolei Bangladesch Syrien Vietnam Indien Irak Jemen

Kinderarbeitsquote II in Prozent

Jungen Mädchen

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

Jamaica Argentinien Brasilien Kolumbien Nicaragua Honduras Costa Rica Ecuador Bolivien Guatemala Haiti

Kinderarbeitsquote III in Prozent

Jungen Mädchen

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

Ägypten Uganda Malawi Re. Kongo Ghana Togo Sambia Senegal Gambia Liberia Guinea Bissau Sierra Leone Cote d'Ivoire Somalia Mali Benin Niger Äthiopien Tschad

Kinderarbeitsquote II in Prozent

Jungen Mädchen

(12)

Am höchsten ist der Anteil arbeitender Kinder in Afrika

Die geographische Perspektive

Die meistenwirtschaftlich aktiven Kinder gab es in Asien (unter Einschluss des Pazifiks), dort arbeiteten 122 Millionen 5- bis 14-Jährige. In Afrika südlich der Sahara waren es 49 Millionen, in Lateinamerika und der Karibik fast sechs Millionen und in an- deren Regionen etwa 13 Millionen (vgl. Schaubild 3).

Der Anteilarbeitender Kinder aber war in Afrika südlich der Sahara am höchsten, dort waren 2004 rund 26 Prozent aller 5-bis 14-Jährigen wirtschaftlich aktiv, in Asien (einschließlich des Pazifiks) waren es fast 19 Prozent, in Lateinamerika aber nur fünf Prozent (vgl. Schaubild 4). Allerdings sind die Kinderarbeitsquoten innerhalb der Regionen sehr unterschiedlich, wie Schaubild 1 zeigt: Für die erfassten asiatischen Länder reichen sie von fast vier Prozent (Jungen in Kasachstan) bis rund 18 Prozent (Vi- etnam), in Lateinamerika und in der Karibik lagen die Kinderarbeitsquoten für Jungen zwischen 5,4 (Kolumbien) und 32,5 Prozent (Haiti) und in Afrika zwischen 9,5 (Ägypten) und fast 64 Prozent (Benin).

Aufschlussreicher als die regionale Streuung der Quoten aller arbeitenden Kinder (Kinderarbeitsquote I) ist die Bandbreite der Kinderarbeitsquote II (für Kinder, die arbeiten und nicht zur Schule gehen): Während sie in den im Schaubild 2 erfassten eu- ropäischen Ländern stets unter zwei Prozent lag und auch in Asien und in Lateinamerika fast nie über fünf Prozent stieg (Aus- nahmen waren Bangladesch, Guatemala und Haiti), reichte sie in Afrika für Jungen von knapp zwei (Ägypten) bis zu über 41 Prozent (Äthiopien), wobei die Länderunterschiede besonders deutlich ausfielen.

Betrachten wir die absolute Zahl arbeitender Kinder, werden die weltweit vorherrschenden Formen von Kinderarbeit viel stär- ker von asiatischen und afrikanischen kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen geprägt als von lateinamerikanischen. Fragen wir aber danach, welche Länder in besonderer Weise durch Kinderarbeit geprägt sind, müssen die afrikanischen Länder in das Zentrum des Interesses rücken – und dies ist auch für jede entwicklungspolitische Auseinander- setzung mit Kinderarbeit in kinderrechtlicher Perspektive von Belang.

Schaubild 3:

Kinderarbeit – ein asiatisches Problem?

Anzahl der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen, absolute Zahlen in Millionen, 2004

Schaubild 4:

Kinderarbeit – ein afrikanisches Problem?

Anteil der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen an allen Kindern der Altersgruppe in Prozent, 2004

Quelle: Frank Hagemann, Yacouba Diallo, Alex Etienne, Farhad Mehran (2006); eigene Berechnungen © Werkstatt Ökonomie e.V.

122,3

5,7

49,3

13,4

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130

Asien und Pazifik Lateinamerika und Karibik Afrika dlich der Sahara andere Regionen

AAnnzzaahhll iinn MMiilllliioonneenn 18,8%

5,1%

26,4%

5,2%

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

Asien und Pazifik Lateinamerika und Karibik Afrika dlich der Sahara andere Regionen

AAnntteeiill iinn PPrroozzeenntt ddeerr 55-- bbiiss 1144--JJäähhrriiggeenn ddeerr jjeewweeiilliiggeenn RReeggiioonn

(13)

Die meisten Kinder arbeiten in der Landwirtschaft

Die sektorale Perspektive

In der Landwirtschaft arbeiten 69 Prozent der 5- bis 14- Jährigen, die wirtschaftlich aktiv sind, gefolgt von Dienst- leistungen (22 Prozent) und dem Verarbeitenden Gewerbe, in dem sich nur neun Prozent der arbeitenden Kinder bis 14 Jahre finden. Kinderarbeit ist also vor allem ein ländliches Problem. Hinzu kommen Kinder, die auf dem Lande Dienstleistungen erbringen oder handwerkli- che Tätigkeiten ausüben.

In der Exportproduktion sind weltweit weniger als fünf Prozent der ökonomisch aktiven 5- bis 14-Jährigen be- schäftigt. Der allergrößte Teil der Kinder im „Süden“ ar- beitet also nicht deshalb, weil billige Produkte für den

„Norden“ hergestellt werden. Daher auch sollten sich Ver- suche, die Rechte des Kindes in der Arbeitswelt durchzu- setzen, nicht auf die Exportproduktion konzentrieren.

Klaus Heidel, Werkstatt Ökonomie e.V.

Schaubild 5:

Kinder arbeiten vor allem in der Landwirtschaft.

Sektorale Verteilung der ökonomischen Aktivitäten der 5- bis 14-Jährigen in Prozent, 2004

Quelle: Frank Hagemann, Yacouba Diallo, Alex Etienne, Farhad Mehran (2006); eigene Berechnungen

© Werkstatt Ökonomie e.V.

Landwirtschaft 69%

Verarbeitendes Gewerbe

9%

Dienstleistungen 22%

Schulbesuch trotz Kinderarbeit, Kinderarbeit trotz Schulbesuch

Statistische Anmerkungen gegen ein verbreitetes Vorurteil

Häufig wird in der Öffentlichkeit, aber auch von Politikerinnen und Politikern und selbst von Nichtregierungsorganisationen die Auffassung vertreten, Kinderarbeit und Schulbesuch seien unvereinbar. In einer solchen Perspektive wird Kinderarbeit zur Ur- sache dafür, dass Kinder nicht zur Schule gehen können. Umgekehrt erscheint die Erwartung plausibel, dass Kinderarbeit zu- rückgedrängt werden könnte, wenn mehr Kinder zur Schule gingen. Zu bedenken ist aber, dass ein großer Teil der arbeitenden Kinder in die Schule geht (und ein beträchtlicher Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler arbeitet).

Der Zusammenhang von Schulbesuch und Kinderarbeit ist komplex. Denn es ist nicht so, dass Länder mit einer ähnlichen Schulbesuchsquote (Anteil aller Kinder im grundschulpflichtigen Alter, die eine Schule besuchen) auch ähnliche Kinderar- beitsquoten (Anteil aller wirtschaftlich aktiven Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren an allen Kindern der jeweiligen Alters- gruppe)1aufweisen. Schaubild 6 (Seite 15) zeigt dies für jene 45 Länder, für die neuere Angaben über das Ausmaß von Kinderarbeit vorliegen.

Hinsichtlich der Jungen im grundschulpflichtigen Alter ergibt sich folgendes Bild:

– Im Vergleich der Länder, in denen mehr als 90 Prozent der Jungen eine Schule besuchen, schwankt die Kinderarbeitsquote zwischen 3,5 Prozent (Syrien) und 14 Prozent (Montenegro).

– In Ländern mit einer Schulbesuchsquote von 75 bis 80 Prozent streut die Kinderarbeitsquote wesentlich weiter, nämlich von etwa 2,5 Prozent bis fast 45 Prozent.

– In der Gruppe der Länder mit einer Schulbesuchsquote für Jungen von unter 75 Prozent scheint der statistische Zusam- menhang von Kinderarbeits- und Schulbesuchsquote noch geringer ausgeprägt zu sein.

Afrika: Relativ schwacher statistischer Zusammenhang von Schulbesuch und Kinderarbeit

Diese letzte Gruppe der Länder mit niedrigen Schulbesuchsquoten wird – mit den Ausnahmen Haiti und Jemen – nur von afri- kanischen Ländern südlich der Sahara gebildet2. Dort reichen die Schulbesuchsquote von 25 bis 85 Prozent und die Kinder- arbeitsquote von rund 30 bis etwa 65 Prozent. Statistisch hängen beide Quote eher schwach zusammen: Im Schaubild 6

1 Zur Problematik des Begriffes Kinderarbeitsquote siehe oben, S. 8.

2 Lediglich ein afrikanisches Land (Ägypten) weist für Jungen bis 14 Jahre eine hohe Schulbesuchsquote (95 Prozent) und eine moderate Kinderarbeitsquote (9,5 Prozent) auf.

(14)

3 Der Korrelationskoeffizient darf nicht kausal interpretiert werden, er erlaubt also in unserem Beispiel keine Aussagen wie: „Die Kinderarbeitsquote ist hoch, weil die Schulbesuchs- quote niedrig ist“.

4 Nimmt der Korrelationskoeffizient den Wert 0 an, bedeutet dies, dass es keinen statistischen Zusammenhang gibt, ein Wert von 1 steht für eine vollständige positive und ein Wert von -1 für eine vollständige negative lineare Korrelation.

finden sich zum Beispiel fünf Länder mit einer Kinderarbeitsquote für Jungen von rund 40 bis 45 Prozent. Doch trotz des ähn- lich hohen Prozentsatzes arbeitender Jungen streut die Schulbesuchsquote zwischen 25 und 75 Prozent. So ist in Ghana der Anteil der zur Schule gehenden Jungen fast dreimal so hoch wie in Somalia, die Kinderarbeitsquote ist aber in beiden Ländern nahezu gleich.

Auch für Mädchen zeigt sich, dass in Afrika südlich der Sahara der statistische Zusammenhang zwischen Kinderarbeits- und Schulbesuchsquote nicht sehr hoch ist: Länder mit einer Kinderarbeitsquote (Mädchen) von 40 bis 45 Prozent können eine Schulbesuchsquote (Mädchen) von 20, aber auch von 75 Prozent aufweisen. Ein anderes Beispiel: Die Schulbesuchsquote (Mädchen) im Senegal liegt mit 59 Prozent nur etwas unter der von Benin (62 Prozent), die Kinderarbeitsquote für Mädchen liegt aber in beiden Ländern weit auseinander: im Senegal bei 26,7 und in Benin bei 67,8 Prozent.

Dieser Befund bestätigt sich, wenn wir zur Überprüfung des statistischen Zusammenhanges von Kinderarbeits- und Schulbe- suchsquote einen Korrelationskoeffizienten (nach Pearson) zu Hilfe nehmen. Dieser Koeffizient sagt nichts aus über einen ur- sächlichen Zusammenhang3, wohl aber zeigt er, ob mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass einer hohen Ausprägung der einen Quote eine hohe Ausprägung der anderen Quote (bei positiver Korrelation) oder eine niedere Ausprägung derselben (bei negativer Korrelation) entspricht4.

Dieser Korrelationskoeffizient beträgt für arbeitende Jungen bis 14 Jahre und im Vergleich aller untersuchten Länder -0,76, was auf eine mittlere Korrelation hinweist: In der Tat ist es so, dass in globaler Perspektive die Länder mit sehr hoher Schulbe- suchsquote eine vergleichsweise niedrige Kinderarbeitsquote aufweisen. Doch berechnen wir den Koeffizienten für die Gruppe der afrikanischen Länder, ergibt sich der deutlich niedrigere Wert von -0,52. Für Mädchen ist der Zusammenhang noch schwä- cher: Im weltweiten Vergleich aller Länder liegt der Koeffizient bei -0,69 und für afrikanische Länder bei -0,41 – was für einen allenfalls mäßigen Zusammenhang spricht.

Dieser Befund aber bedeutet, dass erstens die Kinderarbeitsquote in Ländern mit einer Schulbesuchsquote von unter 85 Pro- zent nur noch mäßig mit dem Anteil der Kinder, die zur Schule gehen, zusammen hängt. Offensichtlich sind weitere Faktoren für das jeweilige Ausmaß von Kinderarbeit verantwortlich. Noch deutlicher zeigt sich die Notwendigkeit einer Relativierung bis- heriger Deutungsmuster im Blick auf Mädchen in Ländern südlich der Sahara: Ob sie arbeiten oder nicht hängt nur sehr be- dingt davon ab, ob sie zur Schule gehen oder nicht.

In Afrika arbeiten viele Schulkinder

Wenn wir den Zusammenhang von Kinderarbeit und Schulbesuch besser verstehen wollen, ist es jedoch nicht ausreichend, nur die allgemeine Kinderarbeitsquote mit der Schulbesuchsquote in Beziehung zu setzen. Denn die allgemeine Kinderarbeits- quote setzt sich zusammen aus der Teilquote der ausschließlich wirtschaftlich aktiven Kinder und der Teilquote der Kinder, die arbeiten und zur Schule gehen. Die erstgenannte Teilquote weist aber einen hohen negativen linearen Zusammenhang mit der Schulbesuchsquote auf, da es ja um Schule statt Arbeit oder Arbeit statt Schule geht. Aus diesem Grunde ist es hilfreich, nach dem statistischen Zusammenhang zwischen der Kinderarbeitsquote III (für Kinder, die arbeiten und zugleich zur Schule gehen) und der Schulbesuchsquote zu fragen. Dies tut Schaubild 7.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind überraschend. Zunächst zeigt sich wieder, dass in Ländern, in denen ein großer Teil der Jungen und Mädchen (90 Prozent und mehr) zur Schule geht, nur ein kleiner Teil der Jungen (15 Prozent und weniger) und ein noch kleinerer Teil der Mädchen (Zehn Prozent und weniger) arbeitet. In Afrika südlich der Sahara scheint es aber so zu sein, dass mehrfach Länder mit einer höheren Schulbesuchsquote eine höhere Kinderarbeitsquote III als Länder mit einem niedrigeren Anteil arbeitender Kinder (die auch zur Schule gehen) aufweisen. Diese Tendenz gilt für Mädchen stärker als für Jungen. Wiederum bestätigt das statistische Modell der Korrelation diese Beobachtung: Der Korrelationskoeffizient für den sta- tistischen Zusammenhang von Schulbesuchs- und Kinderarbeitsquote III für Jungen bis 14 Jahre, die arbeiten und zur Schule gehen, liegt im weltweiten Vergleich der Länder bei -0,49 Prozent, im Blick auf die afrikanischen Länder aber bei +0,15 Pro- zent (was einer sehr schwachen, aber erstaunlicherweise positiven Korrelation entspricht). Für Mädchen ist dieser Befund sogar noch etwas stärker ausgeprägt: Der Korrelationskoeffizient liegt im Vergleich aller Länder bei -0,32, im Vergleich der afrikanischen Länder aber bei +0,36. Dieser Befund ist erstaunlich, deutet er doch die (allerdings schwache) Tendenz an, dass in afrikani- schen Ländern, in denen ein größerer Prozentsatz der Mädchen zur Schule geht als in anderen, auch ein größerer Teil der Mäd- chen arbeitet.

(15)

Schaubild 6:

Schulbesuch und Kinderarbeit I

Anteil aller wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen in Prozent der Altersgruppe und Schulbesuchsquote in Prozent aller grundschulpflichtigen Kinder, 2000-2006

Jungen, 5 bis 14 Jahre

Mädchen, 5 bis 14 Jahre

Kinderarbeitsquote I:Anteil aller 5-14-Jährigen, die mindestens eine Wochenstunde wirtschaftlich aktiv sind, in Prozent aller 5-14-Jährigen, Daten für 2004 bis 2006

Schulbesuchsquote:Anteil der Kinder im grundschulpflichtigen Alter, die eine Schule besuchen, in Prozent aller schulpflichtigen Kinder, Daten für 2000 bis 2007

Länderauswahl: sämtliche Länder, für die vom Internationalen Arbeitsamt, von UNICEF und von der Weltbank neuere Haushaltsstichproben (ab 2004) mit detaillierten Angaben über Kinderarbeit der 5- bis 14-Jährigen veröffentlicht wurden

Quellen: Kinderarbeitsquote: International Labour Office, UNICEF, World Bank: Understanding Children’s Work. UCW country statistics (www.ucw-project.org), Zusammenstellung der Daten auf der Grundlage von Haushaltsstichproben; Schulbesuchsquote: UNICEF (2009): The State of the World’s Children 2009, S.

134-137

© Werkstatt Ökonomie e.V.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

Kinderarbeitsquote I in Prozent

Schulbesuchsquote in Prozent

afrikanische Länder lateinamerikanische Länder asiatische Länder europäische Länder Somalia

Benin

Haiti

Gambia

Bolivien

Jemen

Georgien Sierra Leone

Niger

Ghana Tschad

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

Kinderarbeitsquote I in Prozent

Schulbesuchsquote in Prozent

afrikanische Länder lateinamerikanische Länder asiatische Länder europäische Länder Benin

Tschad

Somalia

Haiti Niger

Gambia

Senegal Jemen

Sierra Leone

Georgien

Bolivien

(16)

Schaubild 7:

Schulbesuch und Kinderarbeit II

Anteil der wirtschaftlich aktiven 5- bis 14-Jährigen, die eine Schule besuchen, in Prozent der Altersgruppe und Schulbe- suchsquote in Prozent aller grundschulpflichtigen Kinder, 2000-2006

Jungen, 5 bis 14 Jahre

Mädchen, 5 bis 14 Jahre

Kinderarbeitsquote III:Anteil der 5-14-Jährigen, die mindestens eine Wochenstunde wirtschaftlich aktiv sind und die zugleich eine Schule besuchen, in Prozent aller 5-14-Jährigen, Daten für 2004 bis 2006

Schulbesuchsquote:Anteil der Kinder im grundschulpflichtigen Alter, die eine Schule besuchen, in Prozent aller schulpflichtigen Kinder, Daten für 2000 bis 2007

Länderauswahl: sämtliche Länder, für die vom Internationalen Arbeitsamt, von UNICEF und von der Weltbank neuere Haushaltsstichproben (ab 2004) mit detaillierten Angaben über Kinderarbeit der 5- bis 14-Jährigen veröffentlicht wurden

Quellen: Kinderarbeitsquote: International Labour Office, UNICEF, World Bank: Understanding Children’s Work. UCW country statistics (www.ucw-project.org), Zusammenstellung der Daten auf der Grundlage von Haushaltsstichproben; Schulbesuchsquote: UNICEF (2009): The State of the World’s Children 2009, S.

134-137

© Werkstatt Ökonomie e.V.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

Kinderarbeitsquote III in Prozent

Schulbesuchsquote in Prozent

afrikanische Länder lateinamerikanische Länder asiatische Länder europäische Länder Benin

Sierra Leone

Haiti Somalia

Tschad

Niger

Jemen Senegal

Bolivien

Georgien

Indien

0 5 10 15 20 25 30 35 40

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

Kinderarbeitsquote III in Prozent

Schulbesuchsquote in Prozent

afrikanische Länder lateinamerikanische Länder asiatische Länder europäische Länder Sierra Leone

Benin

Haiti

Bolivien

Somalia

Tschad

Niger

Senegal Jemen

Georgien

Vietnam

Indien

(17)

Fassen wir die bisherigen Überlegungen zum Zusammenhang von Kinderarbeit und Schulbesuch zusammen, so können wir feststellen:

1. Länder mit einer Schulbesuchsquote von über 90 Prozent haben eine wesentlich niedrigere Kinderarbeitsquote als Länder mit einer Schulbesuchsquote von unter 90 Prozent.

2. Länder mit einer Schulbesuchsquote von unter 90 Prozent können sehr unterschiedliche Kinderarbeitsquoten aufweisen.

3. Der statistische Zusammenhang von Schulbesuchs- und Kinderarbeitsquote ist für Mädchen schwächer ausgeprägt als für Jungen – ob also Mädchen zur Schule gehen oder nicht, hängt offensichtlich von mehreren Faktoren ab und keinesfalls nur davon, ob sie arbeiten (auch wenn der Korrelationskoeffizient keine unmittelbaren Aussagen über ursächliche Zusam- menhänge erlaubt, gilt natürlich, dass bei einem schwachen statistischen Zusammenhang keine große kausale Beziehung zweier Variablen bestehen kann).

4. In Afrika südlich der Sahara arbeiten Kinder auch dann, wenn sie zur Schule gehen, und dies gilt in stärkerem Maße für Mäd- chen als für Jungen. Dies lässt vermuten, dass Kinderarbeit in vielen Fällen den Schulbesuch erst ermöglicht hat und dass eine Verbesserung der Schulbesuchsquote (mehr Jungen und Mädchen können zur Schule gehen) nicht von sich aus zu einem Rückgang des Ausmaßes von Kinderarbeit führen wird.

Allerdings ergeben die bisherigen Aussagen nur ein unvollständiges Bild, denn es müssten weitere Faktoren wie zum Beispiel die Wochenarbeitszeit (hierzu siehe unten, Seite 40ff.) untersucht werden, was jedoch an dieser Stelle nicht erfolgen kann.

Der Regelfall: Schulbesuch und Arbeit

Immerhin legt Schaubild 8 nahe, dass die Verbindung von Kinderarbeit und Schulbesuch das vorherrschende Muster zu sein scheint. Dieses Schaubild stellt die Anteile der Kinder, die ausschließlich arbeiten, die arbeiten und zur Schule gehen, die aus- schließlich zur Schule gehen und die weder arbeiten noch zur Schule gehen für die 5- bis 14-Jährigen nach Lebensalter zu- sammen. In allen zwölf erfassten Ländern sind fast für alle Altersstufen die Anteile der Kinder, die arbeiten und zugleich zur Schule gehen, deutlich größer als die Anteile der Kinder, die ausschließlich wirtschaftlich aktiv sind. In Georgien oder in Brasi- lien gibt es (nach den hier ausgewerteten Statistiken) fast keine 7- bis 14-Jährigen, die arbeiten, ohne in die Schule zu gehen.

Selbst im extrem armen Haiti stehen 4,8 Prozent der 14-Jährigen, die ausschließlich arbeiten, 36 Prozent gegenüber, die Schule und Arbeit verbinden: Kinderarbeit und Schulbesuch schließen sich also keinesfalls so kategorisch aus, wie dies immer wieder behauptet wird. Vielmehr legen auch diese Befunde die Vermutung nahe, dass Kinderarbeit in vielen Fällen Schulbesuch erst ermöglicht.

Nur in wenigen, aber bezeichnenden Ausnahmen ist der Anteil arbeitender Kinder, die nicht zur Schule gehen, größer als der Anteil derer, die Schule und Arbeit verbinden: Dies ist der Fall bei den 5- bis 7-Jährigen in Sambia, bei den 5- und 6-Jährigen in Benin, bei den 5- bis 7-Jährigen in Guinea-Bissau, bei den 5-Jährigen in Haiti, bei den 5-Jährigen in Georgien und bei den 14-Jährigen in Bangladesch. In den drei afrikanischen Ländern, in Haiti und in Georgien sind die Jüngsten also vor Schuleintritt wirtschaftlich aktiv, mit dem Anstieg des Lebensalters aber nimmt der Anteil derer ab, die ausschließlich arbeiten, die Schulbe- suchsquote steigt. In Bangladesch (und im abgeschwächten Maße auch Indien) verlassen die Kinder mit 13 und 14 Jahren die Schule und arbeiten.

Weiter zeigt Schaubild 8, wie unterschiedlich der Zusammenhang von Kinderarbeit und Schulbesuch von Land zu Land sein kann. Verallgemeinernde Aussagen sind kaum möglich. Hierfür nur ein Beispiel: In Uganda ist die Quote der ausschließlich ar- beitenden Kinder in allen Altersstufen deutlich kleiner als in Sambia oder in Benin, obgleich Uganda ärmer als die beiden an- deren Länder ist (wenn wir das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Indikator nehmen) und obgleich in Uganda der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung mit 56,2 Prozent den höchsten Wert aller zwölf untersuchten Länder auf- weist. Auch sonst fallen bei Uganda im Vergleich zu den drei anderen afrikanischen Ländern Besonderheiten auf: In Sambia, Benin und Guinea-Bissau steigt der Anteil aller wirtschaftlichen

Kinder mit dem Alter bis zum zehnten Lebensjahr und bleibt dann nahezu konstant bleibt, in Uganda aber wächst die Kin- derarbeitsquote I mit dem Lebensalter kontinuierlich (vier Pro- zent der 5-Jährigen, aber 58,2 Prozent der 14-Jährigen gingen einer wirtschaftlichen Tätigkeit – mit und ohne Schulbesuch – nach). Offensichtlich genießen jüngere Kinder in Uganda einen größeren Schutzraum. Und während in Sambia und in Guinea-Bissau die Quote der ausschließlich Arbeitenden mit dem Alter fällt, steigt sie in Uganda (wenngleich sie sich auf einem wesentlich niedrigeren Niveau bewegt). Damit scheint Uganda ein Beispiel dafür zu sein, dass trotz Armut und hohem Kinderanteil die Rechte des Kindes zumindest teil- weise verwirklicht werden können (oder wenigstens nicht so gravierend wie in anderen Ländern verletzt werden).

Klaus Heidel, Werkstatt Ökonomie e.V.

Projekt Reyes Irene Valenzuela, Bildungszentrum für arbeitende Mädchen Foto: Michaela Dacken, Kindernothilfe

Referenzen

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