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Erfolge, Möghchkeiten, Grenzen Von ILSE ITSCHERENSKA, Berlin Reza Schah und seine Reformpohtik sind bis heute heftig umstritten

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(1925-1941): Erfolge, Möghchkeiten, Grenzen

Von ILSE ITSCHERENSKA, Berlin

Reza Schah und seine Reformpohtik sind bis heute heftig umstritten.

Auch was hier geäußert wird, soll keine umfassende Einschätzung, son¬

dern ledighch ein Diskussionsangebot sein.

Walther Hinz schrieb 1938, daß es "allein das Werk Rezä Schahs"

gewesen sei, daß "Iran vor dem endgühigen Verlust seiner nationalen Ei¬

genständigkeit bewahrt blieb"', und an anderer Stelle: "Der anfeuernde

Wille Rezä Schah Pahlawis steht hinter jeder einzelnen Maßnahme und

durchpulst das ganze öffentliche Leben ... Eine ungeheuerliche Umwand¬

lung vollzog und vollzieht sich ... in Iran. Doch hat sich Rezä Schah Pah¬

lawi bei keiner Neuerung übemommen, sondem hat stets die Dinge reifen

lassen. Sein Werk ist daher festgegründet und von Dauer. Schon heute ist

ihm ein ehrenvoller Platz unter den Größten seiner Nation gewiß."^

Derartigen Aussagen stehen völlig entgegengesetzte Einschätzungen

gegenüber, die Reza Schah jede positive nadonale Bedeutung absprechen.

Im Gefolge der "Islamischen Revolution" verdüsterte sich das Bild oft

noch mehr. Man warf Reza Schah vor, er sei mit britischer Hilfe an die

Macht gekommen und habe zum Schaden Irans seinen imperialistischen

Herren gedient - anfangs den Briten und später den Deutschen.^ Glei-

1 W. HINZ: Politik und Kultur von Kyros bis Rezä Schah. Leipzig 1938, S. 113.

2 Ibid., S. 136.

3 Vgl. B. ALAVI: Kämpfendes Iran. Berlin 1955, S. 127 ff; M.S. IVANOV: Noveßaä istoria Irana. Moskau 1965, S. 41 f.; ders.: Antinarodnyj Charakter pravleniä dinastü Pechlevi v Irane. In: Voprosy istorii. Moskva 1980, H. 11, S. 58 f; ähnlich auch A.

MAHRAD: Iran auf dem Weg zur Diktatur. Militarisierung und Widerstand 1919-1925.

Ein Beitrag zur Konfliktforschung nach Archivmaterialien aus deutsch-britischen Quel¬

len. 2. Aufl. Hannover 1976, S. 157, 167. (Herr MAHRAD hat - nach einer Bemerkung auf dem Deutschen Orientalistentag zu urteilen - seine Ansichten über Reza Schah in¬

zwischen revidiert.) D. GHOLAMASAD bezeichnet Iran unter der Herrschaft von Reza Schah als einen "vom Imperialismus abhängigen Staat"; vgl. dens.: Iran. Die Entstehung der "Islamischen Revolution" . Hamburg 1985, S. 165,169 ff H. KATOUZIAN wendet sich trotz seiner kritischen Haltung zu Reza Schah gegen die Darstellung, daß dieser ein Agent oder Spion Großbritanniens gewesen oder auch nur von Anfang an in Iran als solcher betrachtet worden sei und verweist darauf, daß Nationalisten verschiedener Couleur ihn anfangs unterstützten; vgl. dens.: Nationalist trends in Iran, 1921-1926. In:

Intemational Joumal of Middle East Studies 10/4 (1979), S. 540 f ; dens.; The political

economy of modern Iran. Despotism and pseudo-modernism, 1926-1979. London —

Cornelia Wunsch (Hrsg.); XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991

(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart

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264 ILSE ITSCHERENSKA

chermaßen negativ sei die Innenpolitik zu bewerten: Reza Schah habe die

in Iran bestehende konstitutionelle Monarchie faktisch in eine Miltärdik-

tatur verwandelt. Dabei seien demokratische Bewegungen unterdrückt und

seit der Konstitutionellen Revolution grundsätzlich bestehende Freiheiten

wieder außer Kraft gesetzt worden; eine "despotische Konterrevolution"

habe stattgefunden.'* Die Ergebnisse der Modernisierung werden als

"dürftig" bezeichnet. Im politischen Bereich habe die Modernisierung in nichts anderem bestanden "als in der Herstellung zenti^alstaatlicher despo¬

tischer Herrschaft - ein Fortschritt lediglich gemessen an der Desintegra¬

tion des Landes unter den späten Qajaren"^. Reza Schah habe - so wird

ihm vorgeworfen - einen viel zu großen Teil des Staatshaushalts für die

Armee und einen korrupten Beamtenapparat verwendet.^ Seine Reform¬

politik sei nicht durchdacht' und überdies nur auf eine oberflächliche

Modernisierung nach - zudem falsch verstandenem - europäischen Vor¬

bild und auf einige wenige Prestigeobjekte^ ausgerichtet gewesen. Ökono¬

mische Fortschritte und soziale Veränderungen werden kaum erwähnt.

Selbst der ökonomische Nutzen der seinerzeit als Symbol des Fortschritts

gefeierten Transiranischen Eisenbahn^ oder die positive Bedeutung der

Nationalbank'O werden bezweifelt.

Basingstoke I98I, S. 134. E. ABRAHAMIAN bericlitet distanziert von der Einschäuung Reza Schahs als "Werkzeug des briüschen Impierialismus" durch oppositionelle iranische Studenten in Europa; vgl. dens.; Iran between two revolutions. Princetown — New Jersey 1982, S. 154.

4 Vgl. MAHRAD: op. cit. (Anm. 3), S. 167; dens.: Iran unter der Herrschaft Reza Schahs. Frankfurt/Main—New York 1977, S. 16; KATOUZIAN; Nationalist trends ...

(vgl. Anm. 3), S. 551.

5 K. GREUSSING: Vom "guten König" zum Imam. Staatsmacht und Gesellschaft im Iran. Bregenz 1987, S. 132. GHOLAMASAD schreibt demgegenüber (pp. cit., Anm. 3, S. 164), daß Reza Schah sich die "Beseitigung der Hindernisse für die kapitalistische Transformation der iranischen Gesellschafl" zur Aufgabe gemacht habe.

6 Vgl. MAHRAD: Iran unter der Herrschaft Reza Schahs (vgl. Anm.4), S. 107; N.R.

KEDDIE: Roots of revolution. An interpretive history of modern Iran. With a section by

Y. RICHARD. New Haven—London 1981, S. 98,103. GREUSSING meint, daß die ho¬

hen Militärausgaben sowie die Talsache, daß diese zum großen Teil aus den Erdölein¬

nahmen finanziert wurden, geradezu symptomatisch für den Versuch seien, "die Konti¬

nuität despotischer Herrschaft zu sichem, indem neue HerrschaftstecA/ujten unter sich wandelnden Bedingungen eingesetzt wurden" (op. cit. Anm. 5, S. 134).

Vgl. KATOUZIAN: The political economy ... (vgl. Anm. 3), S. 1 1 1 f ; GHOLAM¬

ASAD: op. cit. (Anm. 3), S. 171.174.

^ Vgl. KATOUZIAN; The political economy ... (vgl. Anm. 3), S. 105 ff

9 Vgl. J. BHARIER: The economic development in Iran 1900-1970. London—New

York—Toronto 1971, S. 203, 206 f; KATOUZIAN: The political economy ... (vgl.

(3)

Derartige Aussagen haben z.T. durchaus einen gewissen Wahrheits¬

gehalt. Vor allem aber spiegelt sich in ihnen wohl eine Geisteshaltung

wider, die AHMAD KASRAWI so beschrieb: "Unsere jüngeren Intellektu¬

ellen können vielleicht die Herrschaft Reza Schahs nicht verstehen und

deshalb nicht beurteilen. Sie können es nicht, weil sie zu jung waren, um

sich an die chaotischen und verzweifelten Bedingungen zu erinnern, aus

denen der Autokrat namens Reza Schah hervorging."''

Die Ausgangssituation, mit der sich Reza Chan zur Zeit seines Staats¬

streichs 1921 konfrondert sah, war tatsächhch verheerend. Nicht nur war

die Konsdtutionelle Revolution (1905-1911) unvollendet geblieben, so

daß nur allererste kleine Schritte zur Schaffung von Voraussetzungen einer

bürgerlichen Entwicklung getan worden waren und das Land weiterhin

von schweren Widersprüchen gezeichnet blieb; der Erste Welücrieg, in den

Iran trotz seiner Neutralitätserklärung verwickelt worden war, hatte dar¬

über hinaus schwere Verwüstungen und allgemeines Chaos zur Folge

gehabt. Unter diesen Umständen waren die in der Konstitutionellen Revo¬

lution begonnenen Reformen im gesamtnationalen Maßstab praktisch nicht

durchführbar, und selbst die staadiche Einheit und die territoriale Integrität

Irans standen auf dem Spiel. Lokale Potentaten lehnten sich gegen die

Zentrahegierung auf. Stämme bekriegten sich gegenseitig und machten die

Straßen unsicher. In den Sn-eiticräften, die zudem keine einheitiiche Armee

bildeten, gärte es. Der Plan Großbritanniens, nach dem Ausscheiden Ru߬

lands als Kolonialmacht ganz Iran durch einen 1919 geschlossenen Ver¬

trag in ein britisches Protektorat zu verwandeln, war zwar gescheitert,

doch gab es nun Absichten, den südlichen Teil des Landes abzutrennen

und unter britische Herrschaft zu stellen. Die Gangalbewegung in der

Provinz Gilan, deren Niederschlagung manche Autoren Reza Chan vor¬

werfen, bot, wie auch andere Volksbewegungen jener Zeit, keine reale

Altemative für ganz Iran. Zwar hatten diese Bewegungen wirksam dazu

beigetragen, die Reahsierung des Vertrages von 1919 zu verhindern, und

sie hatten in den oberen Schichten der Gesellschaft die Einsicht befördert,

daß Reformen notwendig seien. Sie waren aber regional begrenzt und in

sich zersplittert. (Insbesondere innerhalb der Gangalbewegung kam es zu

mörderischen Kämpfen.) Darüber hinaus drohten diese Volksbewegungen

wegen ihrer gegen die Zentralregierung gerichteten Tendenz ein zusätzli¬

cher Faktor der Desintegration zu werden.

Anm. 3), S. 115 f; GHOLAMASAD stellt op. cit. (Anm. 3), S. 169 f neben negativen auch positive Aspekte heraus.

'0 Vgl. KATOUZIAN: The political economy ... (vgl. Anm. 3), S. 112 f.

" ZiL nach ABRAHAML^N: op. cit. (Anm. 3), S. 1.54.

(4)

266 ILSE ITSCHERENSKA

Angesichts dieser Verhältnisse scheint es nicht übertrieben, wenn

NIKKI Keddie in einem 1978 veröffendichten Artikel einschätzt, daß Reza

Schah "gleichzeidg eine Art Muhammad Ali, Mahmud II., Tanzimat-

Staatsmann und Atatürk sein mußte". Seine Erfolge seien, so KEDDIE wei¬

ter, - gemessen an der Ausgangssituaüon - beträchtlich gewesen, wenn

auch oft auf Kosten autonomer Gruppen und wirtschaftlich zu Lasten des

einfachen Volkes (popular classes).In ihrem 1981 erschienenen Buch

setzt sie unter dem Eindruck der "Islamischen Revoludon" andere, haupt¬

sächlich negative Akzente. Gleichzeitig verweist sie allerdings auf Arbei¬

ten, die die auch in diesem Buch insgesamt als "eindmcksvoll" apostro¬

phierten Veränderungen unter der Herrschaft Reza Schahs im Detail be-

handeln.i3 Demgegenüber versucht der sowjetische Iranhistoriker AGAEV

in einem ebenfalls 1981 publizierten Buch, das Herrschaftssystem unter

Reza Schah im wesentlichen aus seinen Entstehungs- und Whkungsbedin-

gungen zu erklären und charakterisiert es als "halbfeudal-absoludsdsch".

(Natürlich macht er dabei große Unterschiede zwischen dem klassischen

Absolutismus in Frankreich, späteren Formen in Mittel- und Osteuropa

und der Staatsform unter Reza Schah, die seiner Meinung nach am ehesten

mit der Japans nach der Meiji-Revoludon zu vergleichen ist.) Die Refor¬

men unter der Herrschaft Reza Schahs schätzt AGAEV insgesamt dahin¬

gehend ein, daß mit ihnen auf dem Weg einer "Revoludon von oben"

Umwandlungen vollzogen wurden, die in der Konsdtutionellen Revolu¬

don gefordert, aber nicht verwirklicht worden waren.''* Ob die Übemah¬

me des Begriffs "Absoludsmus" glücklich ist, sei dahingestellt. Sicher

weckt sie neben richtigen auch unzutreffende Assoziationen. Dennoch

kann ein Rückblick auf das Zeitalter des Absoludsmus vielleicht helfen,

Kriterien für die Beurteilung der Reformpolitik Reza Schahs zu fmden.

Im folgenden sollen einige Thesen zu den tatsächlichen Erfolgen, den

Möghchkeiten und den Grenzen der Reformpolitik Reza Schahs aufgestellt

werden.

Meines Erachtens kann es bei unvoreingenommener Betrachtung keinen

Zweifel daran geben, daß unter Reza Schah bedeutende und z.T. auch

erfolgreiche Anstrengungen untemommen wurden, um erstens feudal¬

ly Vgl. N.R. KEDDIE: Class structure and political power in iran since 1796. In: Ira¬

nian Studies II (1978), S.313.

'3 Vgl. KEDDIE: op. cit. (Anm. 6), S. 94.

1"* Vgl. S.L. AGAEV: Iran v proilom i nastoäsem (puti i formy revolücionnogo proces- sa). Moskva 198 1, S. 65 ff Eigenartigerweise geht AGAEV in seiner skizzenhaft ange¬

legten Darstellung, die auch die "Islamische Revolution" einschließt, mit keinem Wort auf die Maßnahmen zur Säkularisiemng unter Reza Schah ein.

(5)

staatliche Verhältnisse abzubauen und bürgerliche bzw. kapitalistische

Verhältnisse zu schaffen und zweitens die polidsche und whtschafdiche

Unabhängigkeit Irans herzustellen und die Ausbeutung durch industriell

entwickelte Länder einzuschränken. Staatliche Maßnahmen, die diesen

Zielen dienten, waren vor allem:

- der Aufbau einer schlagkräftigen Armee und einer modernen Verwal-

mng;

- Maßnahmen zur Säkularisierung des Rechts- und Bildungswesens;

- die Abschaffung des Kapituladonsregimes und der Übergang zu einer

Zoll-, Handels- und Währungspolitik, die den nationalen Interessen des

Landes weitgehend Rechnung trug;

- die Gründung einer Nationalbank, die von der britischen Imperial Bank

of Persia die Funktion einer Staatsbank übernahm;

- die, wenn auch nicht sehr erfolgreiche, Auseinandersetzung mit der

Anglo-Persian OU Company;

- der Aufbau staatiicher und die Förderung privater Unternehmen, vor

allem in der Leichtindustrie. (Der Aufbau eines schwerindustriellen

Komplexes mit deutscher Hilfe war geplant, konnte aber während des

Zweiten Weltkrieges nicht mehr realisiert werden.)

Alle diese Maßnahmen bewirkten einen großen Sprung nach vorn in der

wirtschafdichen Entwicklung, z.T. auch Veränderungen in der Klassen¬

struktur sowie im Denken der Menschen. Dennoch hielt sich die Reform¬

pohtik unter Reza Schah in Grenzen, die man kurz so beschreiben kann:

- Die Kosten des Fortschritis hatten vor allem die unteren Schichten der

Bevölkerung zu tragen. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbes¬

serten sich kaum, ja verschlechterten sich zum Teil.

- An den Produktionsverhältnissen in der Landwirtschaft und an den

Verhältnissen im Dorf generell, d.h. am Leben der überwältigenden

Mehrheit der Bevölkerung, änderte sich wenig. Im Rahmen der

Reformpolitik gefördert wurden nur manche Großgrundbesitzer. (Reza

Schah selbst war am Ende seiner Regierungszeit der größte Gro߬

grundbesitzer Irans.) Das hatte unmittelbar wirtschaftliche Folgen:

Einerseits fehlten den Bauern, großenteils Teilpächtern, sowohl Mittel

als auch Anreize für Investitionen und damit für eine Steigerung ihrer

Produktion. Andererseits boten sie in ihrer Armut der Industrie nur

einen sehr begrenzten Markt.

- Staadiche Förderung erhielten vor allem größere Indusüieunternehmen,

so daß eine kapitahstische Entwicklung auf breiter Front nicht stattfand

(6)

268 ILSE ITSCHERENSKA

und auch das Handwerk staadicherseits nicht zur Bekämpfung von

Arbeitslosigkeit und Armut genutzt wurde.

- Der Abbau bürgerlicher Freiheiten unter Reza Schah und der despoti¬

sche Herrschaftsstil des Monarchen grenzten Menschen aus, die unter

anderen Umständen ihrem Land gute Dienste geleistet hätten. Das gilt

sowohl für hnke Kräfte, bei denen sich unter diesen Bedingungen sek-

dererische Neigungen verhärteten, als auch für Politiker liberal-demo¬

kratischer Provenienz wie Mossadegh, ganz zu schweigen davon, daß

selbst Minister, die zuvor bei der Konzipierung und Durchsetzung der

Reformpolitik eine führende Rolle gespielt hatten, auf Veranlassung

Reza Schahs eines unnatürhchen Todes starben.

- Die diktatorischen Methoden, mit denen z.B. Stämme seßhaft gemacht

oder Maßnahmen zur Säkularisierung durchgesetzt wurden, waren völ¬

hg ungeeignet, die betroffenen Menschen von traditionalistischen zu

modemen Denk- und Verhaltensweisen hinzuführen. Die in Umbmch-

zeiten unvermeidliche Spaltung im Bewußtsein eines Volkes wurde

dadurch zemendert. Die schon erwähnte Tatsache, daß nur eine Min¬

derheit der Bevölkemng von der Reformpolidk profiderte, während die

große Mehrheit zu bezahlen hatte, wirkte in die gleiche Richtung. Unter

der Herrschaft Reza Schahs wurden zwar Ausbrüche von Unzufrie¬

denheit stets schnell unterdrückt, doch die Widersprüche blieben und

äußerten sich in einem weiter fortgeschrittenen Stadium ihrer Ent¬

wicklung in erschreckender Weise in der "Islamischen Revolution".

Versucht man, die Ursachen für die genannten negadven Tendenzen und

Erscheinungen zu ergründen, so mag der persönliche Charakter des Schah

manches erklären. Von womöglich noch größerer Bedeutung aber waren

objektive Bedingungen. Auch dazu einige kurze Bemerkungen:

- War Reza Schah ein Diener des Imperialismus oder hätte er zumindest

die nationalen Interessen Irans gegenüber den industriell entwickelten

Ländem besser verteidigen sollen? Reza Schah war Nationalist.Wer

ihm das unter Hinweis auf Zugeständnisse an entwickelte Indusöielän-

der abspricht, geht von absü:akten Forderungen an eine antiimperiali¬

stische Politik aus und berücksichdgt nicht die realen internationalen

Kräfteverhältnisse der damahgen Zeit. Gewiß war die strikt antisowje¬

tische Haltung Reza Schahs ein Hindemis dafür, die sowjetische Karte

noch besser in den Auseinandersetzungen mit den wesdichen Industrie¬

staaten auszuspielen. Doch waren - auch dies ist zu berücksichtigen -

13 Das schätzt auch KATOUZIAN so ein; vgl. dens.: Nationalist trends ... (vgl. Anm.

3), S. 541 ff.

(7)

sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Möglichkeiten da¬

für keineswegs unbegrenzt.

- Zur Armee und ihren Kosten: Selbst ein Autor wie WILBER äußert von

seinem Reza Schah gegenüber recht wohlwollenden Standpunkt aus

leichte Kritik an der zahlenmäßigen Stärke der Armee, und zwar im

Hinblick darauf, daß ihre erste Aufgabe in der Gewährleistung der in¬

neren Sicherheit und ihre zweite Aufgabe im Schutz vor Aggressionen

der Nachbarstaaten bestand, während eine Verwicklung in große inter¬

nationale Konflikte ohnehin nicht in Frage kam.'^ Auch BANANI, der

sich um eine ausgewogene Darstellung der Ergebnisse der Modernisie¬

rung unter Reza Schah bemüht, meint, daß die Größe, die Stärke und

die Ausrüstung der Armee bei weitem das übersdeg, was für die innere

Ordnung notwendig war.'' Das mag sein. Dennoch erscheint es ange¬

sichts der undifferenzierten Kritik mancher Autoren an der Reform¬

polidk Reza Schahs angebracht, an die Schlüsseholle der Armee bei der

Einigung und Zentralisierung Irans, eines von Chaos und Zerfall be¬

drohten großen und unwegsamen Landes, zu erinnern und vor diesem

Hintergrund auf einige Zahlen und Fakten zu verweisen: Vor dem

Einmarsch der Alliierten 1941 betrug die Stärke der Armee 124000

Mann'^, mobhsiert werden konnten an die 400000 Mann'^. Dabei

hatte die Armee nur wenige schwere Waffen und kaum motorisierte

Einheiten. Zieht man nun einerseits den desolaten Zustand der Streit¬

kräfte 1921 und andererseits die anfangs sehr niedrigen staatlichen

Einnahmen in Betracht, so wird verständlich, warum die iranische

Regierung einen großen Teil der Einkünfte für militärische Zwecke

ausgab. Es waren in den Jahren von 1921 bis 1941 nach offiziellen

Angaben durchschnitdich 33,5% (bei steigenden staadichen Einnahmen

mit sinkender Tendenz des Anteils für militärische Ausgaben^O). Diese

1^ Vgl. D.N. WILBER: Reza Shah Pahlavi: ihe rcsurreclion and reconstrucüon of

Iran. Hicksville—New York 1975, S. 257.

1' Vgl. A. BANANI: The modernization oflran 1921-1941. Stanford 1961. S. 57.

Ähnlich urteilen auch A.I. DEMIN und V.V. TRUBECKOJ; vgl. dies.: Iran nakanune vtoroj mirovoj vojny. In: Iran, ocerki novejiej istorü. Moskva 1976, S. 151.

'8 Vgl. ABRAHAMIAN: op. cit. (Anm. 3), S. 178. Nach DEMIN—TRUBECKOJ; op. cit.

(Anm. 17), S. 151 waren es 150 000 Mann, wobei keine genaue Jahreszahl angegeben wird.

19 Vgl. BANANI: op. cit. (Anm. 17), S. 57.

20 Von 1930 bis 1941 sank der Anteil für Verteidigungsausgaben am Budget von 31%

auf 16%; vgl. W. FLOOR: Industrialization in Iran 1900-1941. Durham 1984, S. 32.

Nach DEMIN—TRUBECKOJ: op. cit. (Anm. 17), S. 151 soll der Anteil der Ausgaben für Militär und Polizei 1940 40% des offiziellen Budgets beüagen haben.

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270 ILSE ITSCHERENSKA

Angabe ist allerdings insofem unvollständig, als z.B. die von der

Anglo-Persian (bzw. Anglo-Iranian) Oil Company gezahlten Gelder

(die freilich mit den heutigen Erdöleinnahmen Irans nicht zu verglei¬

chen sind) nicht im offiziellen Budget enthalten waren und gerade

dieser Reservefonds zu einem großen Teil - aber keineswegs aus¬

schließlich - für den Kauf kostspieliger Militärausrüstungen verwendet wurde.2i

- Zu einem weiteren Problem, der Entwicklung des Kapitalismus auf ei¬

ner nur relativ schmalen Basis: Sicher hätten hier andere Akzente ge¬

setzt werden können, der Entscheidungsspielraum war indes keines¬

wegs unbegrenzt. War doch die Summe des für Industrieunternehmen

notwendigen Startkapitals zur Zeit Reza Schahs bedeutend größer als

im 19. Jh. So ist es sicher kein Zufall, daß sich z.B. in Indien, wo die

Evolution kapitalisdscher Verhälmisse trotz aller Behinderungen durch

die Briten früher einsetzte, der Kapitalismus auf breiterer Grundlage

entwickelte als in Iran.

- Daß die Kosten der Reformpolitik hauptsächlich von den unteren

Schichten der Bevölkemng zu tragen waren, muß jeder um Objektivität

bemühte und erst recht jeder demokratisch denkende und sozial enga¬

gierte Historiker herausstellen. Ein Blick in die Geschichte anderer

Länder zeigt freilich, daß Iran in dieser Hinsicht kein Sonderfall ist und

der Staat den unteren Klassen überall schwere Opfer für den Aufbau

einer Infrastmktur und ähnliche Aufgaben auferlegte. Da Iran keine

Kolonien ausbeutete, mußte die eigene Bevölkerung besonders

schwere Opfer bringen.

- Es wurde auf die schwerwiegenden Folgen der Tatsache verwiesen,

daß die Agrarverhältnisse im wesentlichen unverändert blieben. Dabei

ist jedoch zu fragen, ob Agrarreformen in Iran in der Zeit zwischen den

beiden Weltkriegen durchsetzbar waren. In der Türkei z.B. schienen

die Voraussetzungen für solche Reformen viel günsdger zu sein als in

Iran; war doch die Bauernschaft das Rückgrat einer von den Kemah¬

sten geführten Bewegung gewesen, die 1923 zur Gründung der Repu¬

blik Türkei führte. Viele Appelle sowie eine Reihe emsthafter Reform¬

versuche zeugen von dem Bemühen der Kemahsten, die Verhältnisse

auf dem Lande zugunsten der Produzenten zu ändem. Dennoch kam es

nicht zu durchgreifenden Reformen. Dem stand zum einen die auf

Klassenharmonie gerichtete nadonalistische Ideologie entgegen, die

ihrerseits eine wichtige historische Funktion erfüllte. Zum anderen

Vgl. BANANI: op. cit. (Anm. 17), S. 57.

(9)

waren die Träger einer modemen, kapitalistischen Entwicklung oft

gleichzeidg Großgmndbesitzer.22 Genau diese Verflechtung war auch

für Iran charakteristisch.

- Kritik an Mängeln in der staadichen Planung (eigendich kann man nur

von Elementen einer solchen Planung sprechen) sowie an der ober¬

flächlichen, iranischen Verhältnissen zu wenig angepaßten Modemisie-

mng ist berechtigt. Doch an welchen Vorbildem hätten sich Reza Schah

und die Reformpolitiker in seiner Umgebung orientieren können? Und

muß man den Fühmngskräften Irans angesichts der Neuheit und Größe

der Aufgaben, vor denen sie standen, nicht einen Lernprozeß - ein¬

schheßhch mancher Irrtümer - zugestehen?

- Daß die Folgen der undemokratischen Verhältnisse und der diktato¬

rischen Herrschaftsform unter Reza Schah schwerwiegend waren,

wurde bereits gesagt. Doch scheinen Autoren, die den Schah z.B. für

seinen Umgang mit dem Parlament kritisieren, zu vergessen, daß das

Magles, das der Monarch allmählich zu seinem willfährigen Werkzeug

machte, alles andere als eine demokratische Institution war. Denn seine

Abgeordneten, die nicht sehen feudale Partikularinteressen vertraten,

wurden von des Lesens und Schreibens unkundigen, abhängigen

Bauem gewählt, die von ihren Herren - Großgmndbesitzem - einfach

als Stimmvieh mißbraucht wurden. Vor allem aber haben historische

Erfahmngen in der ganzen Welt gezeigt, daß eine einigermaßen funk¬

tionierende bürgerliche Demokrade nie über Nacht aus rückständigen

Verhälmissen erwächst.

Die Autorin ist sich der Gefahr bewußt, daß manche Iranhistoriker sie

inißverstehen und meinen werden, sie unterschätze die negativen Züge der

Entwicklung unter Reza Schah. Das ist aber nicht der Fall. Selbstverständ¬

hch sollte die "Islamische Revolution" für alle, die sie nicht haben herauf¬

ziehen sehen - und wer könnte schon das Gegenteil von sich behaupten -

Anlaß sein, manche Fragen auch zur Reformpolitik Reza Schahs neu zu

stellen und zu beantworten. Dennoch sollten Historiker immer Historiker

bleiben und bei der Darstellung von Prozessen in der Vergangenheit

unbeeindmckt von Modeerscheinungen nach den Ausgangsbedingungen

und nach den damals realen historischen Altemativen fragen.

22 Vgl. H. GRIENIG: Das Scheitern der kemalistischen Entwicklungsstrategie der öko¬

nomischen Unabhängigkeit und die ungelöste Agrarfrage in der Türkei. In: asien, afrika, lateinamerika 11/2 (1983), S. 247-254.

(10)

272

In der Fachgruppe Iranistik standen außerdem die im folgenden genannten

Vorträge auf dem Programm:

Buichhard Brentjes, Halle/Berlin: Klimaschwankiing und frühe Eisenzeit

Djahangir Dorn, Moskau: Satirische und humoristische Asjiekte in der iranischen Lite¬

ratur

Ronald E. Onmerick, Hamburg: Neue khotanische Fragmente

Michael Glünz, Bern: Revolutionäre Botschaften an die iranischen Mekkapilger

Anja Pistor-Hatam, Freiburg: Der Besuch des persischen Schahs Näsir ad-Dln an den Heiligen Stätten im Irak imd die iranisch-osmanischen Beziehungen

Manfred Lorenz, Berlin: Zur Adjektiv-Wortbildung im Persisdien

Mauro Maggi, Hamburg: Graphonemische Systeme in Kontakt: die khotanischen Zahl¬

wörter in tibetischer Schrift

Estiphan Panoussi, Eichstätt: Weiteres neues Materialüber den aussterbenden Senaya- Dialekt

Das Lateini schyPersische Wörterbudi - ein Ari)eitsbericht

Javad Tabatabai, Teheran: Henri Corbin et le concept de la philosophie iranienne

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