Folter und Strafe in Iran vom 13. bis 18. Jahrhundert
Von DJAFAR Shafiei-Nasab, Kirchheim-Bolanden
Während das Phänomen der Folter in Europa schon seit langer Zeit
Gegenstand der öffendichen Diskussion ist - man denke nur an die krid¬
schen Sdmmen Friedrich von Specs' und Chrisdan Thomasius'2 im 17.
Jh. zu den Hexenprozessen, dann an die Aufklärer des 18. Jh.s, ihnen allen
voran der Franzose Voltaire - hat in anderen Teilen der Welt trotz einer
weit zurückreichenden geschichdichen Überlieferung so gut wie keine
Auseinandersetzung mit diesem Thema stattgefunden.
Dennoch wird hierzulande häufig die Idee geäußert, daß der Orient nicht
nur die "Wiege der Zivilisation", sondem auch die "Geburtsstätte der Fol¬
ter" sei.3
Zweifellos ist die Folter nach unserem Verständnis ein Produkt der
menschlichen Zivilisation. In dem Maße, wie diese sich entwickelt hat, üitt
jene in immer subtileren Formen auf, dies nicht zuletzt aufgmnd des tech¬
nischen Fortschritts. Dennoch können wir der These vom Urspmng der
Folter nicht ohne weiteres zustimmen, da sie zum einen historisch nicht
belegt ist, zum anderen eine wissenschafdiche Erforschung des Urspmngs
der Folter auf der Gmndlage der Mythologie und der Entstehung der Reli¬
gionen noch aussteht. Auch Organisationsformen der menschhchen Zivih¬
sation wie Jagd und Armee sind in diesem Zusammenhang zu untersuchen,
um theoretische und technische Erkenntnisse über die Herkunft der Folter
zu gewinnen. Darüber hinaus ist die politische Machtstmktur zu berück¬
sichtigen, die - unter anderem in Iran - die unbegrenzte Macht der Könige
darstellt und eine Rolle bei der Entstehung und Entwicklung der Folter ge¬
spielt haben könnte. Auch in Iran haUe die Folter ihren festen Platz im
Räderwerk des jeweihgen Machtapparates.
In dieser Studie wollen wir einige Besonderheiten des Phänomens Fol¬
ter in Iran aufzeigen.
Herauszustellen ist hier die geopolitische Lage des Iran, die das Eindrin¬
gen fremder Mächte arabischer bzw. türkischer Herkunft begünstigt hat.
Diese Invasionen, die mit grausamstem Tcrtor einhergingen, haben die
Kultur von Folter und Strafe in Iran entscheidend beeinfußt. Vor diesem
1 Friedrich von Spee: Cautio Criminalis. [Zit. nach Edition DTV, München 1987].
2 Christian Thomasins: Über die Folter. In: Untersuchimgen zur Geschichle der Fol¬
ter. Hrsgg. von ROLFLIEBERWIRTH. Weimar I960.
3 BAUER-HELBIG:D/e7"or<«r. Berlin 1926, S.9.
Cornelia Wunsch (Hrsg.): XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991
(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart
Hintergrund ist die Bedeutung der hier zu untersuchenden Epoche zu verstehen.
Unsere Untersuchung setzt mit dem Anfang des 13. Jh.s ein, das durch
den Niedergang des Landes nach der Eroberung durch die Mongolen ge¬
kennzeichnet war. Der dabei ausgeübte mongolische Terror bildete von
nun an eine der Hauptquellen für die Entwicklung von Folter und Strafe in
Iran.
Die Epoche der Ilkhaniden mit der Stabilisierung der Mongolenherr¬
schaft auf der Grundlage von Dschingis Khans "Yäsä" hat das soziale und ix)lidsche System des Iran nachhaltig geprägt. Das Gericht "Yärgu",
das in Übereinsdmmung mit der "Yäsä" eingesetzt wurde, hat eine neue
Ära in der rechtspolitischen Organisation des Landes eingeleitet Die Inva¬
sion Timurs hat die Bedeutung des "Yärgu" nicht geschmälert, obwohl
Timur die Rehgion als Werkzeug seiner blutigen Herrschaft benutzt hat'*
Ungeachtet dessen war Timur der Hüter des gesamten kulturellen und poli¬
tischen Erbes der Mongolen.
Die drei blutigen Invasionen durch Dschingis Khan, Holagu und Timur
haben das psycho-soziale Klima des Iran verändert. Es war in der Tat die
psychologische Schwäche des Volkes, welche den Boden für die Unter¬
jochung unter den Despotismus der Dynastien bereitet hat.
Der Terror der Eroberer hatte zur Folge, daß das Repertoire cm Folter-
und Straf methoden, zum Teil unter Weiterentwicklung klassischer Prak¬
tiken, erweitert wurde. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung menschlicher
Schädel beim Bau von Denkmälem.
Die historischen Quellen machen die enge Verbindung zwischen Folter
und Strafe deudich. Folter wurde nicht in erster Linie als ein Mittel be¬
trachtet, die Strafe zu verschärfen. Dieses Phänomen findet sich bereits in
vorislamischer Zeit zum Beispiel unter des Sassaniden. Zu erwähnen ist
hier die Verfolgung und Bestrafung von Christen und Häretikern (Mul¬
hid). Während des von uns untersuchten Zeitraumes tritt diese zweite
Funktion der Folter in verstärktem Maße auf.
In der persischen Sprache finden sich entsprechend der historischen
Situation die verschiedensten Bezeichnungen für "Folter". Mehrfache Er¬
obemngen des Landes blieben auch im 13. Jh. nicht ohne Einfluß auf die
persische Sprache und Literatur. Die Tatsache, daß zwischen Folter und
Strafe nicht unterschieden wurde, hat zu einer Erweitemng im lexikalischen Bereich geführt.
Vgl. Timurs Äußerungen zur Religion in: Instituts politiques et militaires de Ta¬
merlan (TazuJcät Timur). Paris 1787, Teil 1. S. 15-26.
Folter und Strafe in Iran vom 13. bis 18. Jahrhmidert 255
Uns sind folgende Wörter bekannt, welche gleichzeidg "Folter" und
"Strafe" bedeuten: äzär - Idä' - rang - 'uqübät - t'azib - siyäsat -
kistär - 'iqäb - yäsä.
Die Verwendung verschiedener Begriffe in einem Text mag stilisdsche
Gründe haben. Sie unterstreicht aber auch die Bedeutung der Folter als
historischer Faktor in der Zeit der großen Invasionen.
Das Wort Sikanga ist persischen Ursprungs. Eine Ableitung davon ist
Sikang. Wir kennen auch die Begriffe iSkung und Sikung mit der Bedeu¬
tung "einem Körperteil Schmerzen zufügen", bzw. "zwicken". Die ur¬
sprünghche Bedeutung von Sikastan und piCldan ist "zerbrechen" bzw.
"zwirbeln". Der Begriff Sikanga wird ebenfalls im Sinne von fiSär dädan, d.h. "pressen", benutzt, wie man z.B. ein Buch bei der Herstellung preßt^
Der gemeinsame Nenner all dieser Begriffe ist das Zufügen von Schmer¬
zen. Leider ist die Erforschung der Etymologie des Begriffes "Folter" im
Persischen noch sehr unzureichend, nicht zuletzt auch deshalb, weil Folter
im Iran noch nie Gegenstand einer wissenschafdichen Untersuchung war.
Es gibt zu diesem Thema keine Dokumentation. Folter und Strafe als
historische Reahtät sind zwar in zahlreichen historischen Quellen erwähnt,
auf genaue Definidonen oder kridsche Reflexion wird jedoch meist ver¬
zichtet. Ganz im Gegensatz dazu stellt sich die Quellenlage zum Thema
Folter im europäischen Raum dar. Dies mag damit zusammenhängen, daß
sich in Iran die Historiographie als offizielle Institudon des Hofes nicht um
das Schicksal der Betroffenen kümmerte. Sicher spielte auch die Selbst¬
zensur eine Rolle. So bleiben dem Historiker insbesondere Reiseberichte
als Informadonsquelle, wie beispielsweise der Bericht Chardins, der sich
unter anderem für das Rechtswesen und insbesondere für das Straf recht
interessierte.
Auch die Dichtung kann uns wertvolle Hinweise liefem. Zu nennen ist
hier die habsiya-Poesie^ - das Wort habs bedeutet "Gefangenschaft" -,
welche die bedrückende Atmosphäre des Gefängnisses und die psychische
Verfassung der Inhafderten eindringlich wiedergibt. Schon der Name
spricht für sich.
^ GERHARD EXDERFER: Türkische und mongolische Elemente im Neupersischen.
Wiesbaden 1963, Bd. 1, S. 357; siehe auch 'ALI AKBAR DIHUDÄ: Lx>gatnama.
Bibliographische Angaben unter dem Suchwort Sikanga.S. 520; siehe auch I.A.
VULLERS: Lexicon Persico-Latinum. Bd. 2, Bonn 1864 [Graz 1962], unter dem Stich¬
wort Sikanga S. 451 ff
^ Zum Thema "habsiya" erschien vor kurzem eine Studie, die als Fortschritt gegenüber der traditionellen Dichterbiographie zu betrachten ist: W. ^FARI: Habsiya daradab-i Färj/. Teheran: Amirkabir 1364/1985.
Viele wertvolle Texte und Dokumente stehen uns heute nicht mehr zur
Verfügung, sie sind entweder organisierten Bücherverbrennungen zum
Opfer gefallen oder anderweitig vernichtet worden, nachdem man sie als
"entartet" eingestuft hatte.
Interessante Ergebnisse erbringt auch der Vergleich von historischen
Texten und Miniaturen. Obwohl das Interesse der Miniaturen nicht in er¬
ster Linie im sozialen und politischen Bereich zu suchen ist, ist ihnen -
unter angemessener Berücksichtigung klassischer Topoi - ein gewisser
Realitätsgehalt nicht abzusprechen. So finden sich im "indischen Stil"^
realistische Züge. Gleiches gilt für die Literatur. Einen solchen methodi¬
schen Ansatz halten wir für durchaus aufschlußreich hinsichtlich der
Erforschung von Folter und Strafe in Iran.
Die Folter im eigentiichen Sinne, d.h. als Methode, um Geständnisse zu
erzwingen, ist bei Chardin erwähnt, welcher erklärt: "Les Persans ont la
torture en usage"^ Wenn er jedoch fortfährt, daß die Perser sich dieses Mittels sehr selten bedienten, so sehen wir darin ein Indiz, daß die Folter
nicht offiziell praktiziert wurde. Die massiven Repressionen gegen Häreti¬
ker wie die Hurüfiya, die damals an der Tagesordnung waren, schienen der
Öffentiichkeit also nicht bekannt gewesen zu sein.
In den Reiseberichten werden zwei Arten von Folter genannt, eine "ge¬
wöhnliche" und eine "außergewöhnliche" Art^, wobei erstere die "Ba¬
stonade" ist.io. Deni Gefangenen wurden dabei in aller Öffenüichkeit Schläge auf die nackten Fußsohlen verabreicht, bis die Fußnägel herausfie-
lenM Diese Methode war seit alters her bekannt und wurde auch in spä¬
terer Zeit angewendet. Bei der "außergewöhnlichen" Methode schnitt man
vor dem Schlagen die Fußsohlen ein und streute Salz in die Wunde.i^
Auch das Ausreißen von Fußnägeln wurde praktiziert.gine andere Tor-
' Für genauere Infomiationen s. Akten des VII. Internationalen Kongresses fiir Iranische Kunst und Archäologie, München 7.-10. September 1976. Berlin 1979, S.
438-448.
* Chardin: Voyage du Chevalier Chardin en Perse et autres Lieux de l'Orient. Bd. 3, Neue Ausgabe, Amsterdam 1735, S. 421.
^ Choix des Lettres Edifiantes, äcrites des missions itrangäres, tome quatriime, Missions du Levant. Paris 1825, S. 288; s. auch Sanson: Safarnäma. Pers. Übers, von T. TAF?ULI. Teheran 1346/1967 (Original: Sanson: Missionaire apostolique. Estalprä¬
sente du royaume de Perse. Paris 1696).
10 /fcjU.S. 210-211.
11 Chardin: op. cit. (Anm. 8), S. 421. Bei der Beschreibung der Bastonade weist Chardin auf die Existenz von Regeln hin, S. 420.
12 Sanson: op. cU. (Anm. 10). S. 210-211.
13 Ibid.; s. auch Lettres Edifiantes. .. (vgl. Anm. 9), S. 288.
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tur bestand darin, den Gefangenen an Händen und Füßen festzubinden und
mit glühenden Eisen zu verbrennen.''* Es wird weiterhin von glühenden
Kneifzangen berichtet sowie von einer Presse, mit deren Hilfe der Bauch
des Opfers zusammengedrückt wurde. Die Methoden variierten je nach¬
dem, wer die polidsche Macht ausübte.
Neben den Schlägen auf die Fußsohlen exisderte auch das öüb zadan,
die Prügelstrafe. Im Yärgu fand dies, so Rasld ad-din, vor den Khan
statt. 1^ Später unter den Safawiden wurde das äüb zadan auch bei ge¬
wöhnlichen Verbrechen auf offiziellen Hätzen durchgeführt.'^
Die politische Folter hatte in Iran eine besondere Dimension. Es wurden
die verschiedensten Methoden angewendet. Das Studium von Dokumenten
aus der von uns behandelten Epoche zeigt, daß es eine Organisation von
geheimen Agenten gab, welche die Aufgabe hatten, Dissidenten aufzuspü¬
ren.
Unter den Ilkhaniden war das Erdrosseln sehr verbreitet, eine Hin¬
richtungsart, der unter anderem die Mitglieder der königlichen Famile zum
Opfer fielen, deren Blut gemäß den Vorschriften der Yäsä nicht vergossen
werden durfte, i' Dies muß als Gnadenakt betrachtet werden im Vergleich
zu einer anderen Methode, bei der der Delinquent in zwei Teile geschnitten
und dann aufgehängt wurde.'^
Von Holagu ist überliefert, daß er Malik Sälih in der Zitadelle Mossul
auf folgende Weise töten ließ: Sein Körper wurde mit Fett begossen, und
er wurde gefesselt in die glühende Sonne gelegt. Nach einer Woche, so ein
Chronist, begann ihn ein entsetzlicher Juckreiz zu quälen, nach einem
Monat starb er.'^ Seine ganze Familie wurde mit ihm vemichtet, sein drei¬
jähriger Sohn wurde in zwei Teile geschnitten und dann aufgehängt, bis die
verwesten Überreste zu Boden fielen.
Unter der Herrschaft des Yärgu sind auch Fälle von Kannibalismus zu
verzeichnen. Man kann hier von einer nachhaltigen Bereicherung der
Folterkultur sprechen, wenn man bedenkt, daß sehr viel später, unter den
14 Chardin:op. c/i. (Anm. 8), S. 421.
15 Raäid ad-dln Fazlullah:(5ämi' at-Tawärift. Teheran: Eqbäl o. J., S. 824.
16 Jean Baptiste Tavernier: Safarnäma. Pers. Übers, von ABÜTURÄBNÜRl Teheran:
Sanäi.S. 539.
" SPULER zeigt in seinem Buch einige Delikte und Strafen auf: Die Mongolen in Iran. Beriin:Akadeniie-Veriag 1955, S. 376-381.
18 RaäIdad-din:op. ci7. (Anm. 15),S. 932.
19 /Wd..S.73I.
Safawiden, eine Gruppe namens öigin "Menschenfresser", nicht davor zu¬
rückschreckte, die Dissidenten der murSid-i kämil aufzuessen.^o
Ra§id ad-din berichtet, daß Malik Kämil, nachdem man ihm auf Geheiß
Holagus Fleischstücke aus dem Körper geschnitten hatte, diese aufessen
mußte.2i
Aus der Mongolenzeit sind uns weitere Beispiele bekannt. Guwayni
beschreibt den Tod seines Gegners wie folgt: Nach seiner Vemrteilung im
Yargu fiel Magd ad-daula den Mongolen und Mushmen in die Hände, die
unter Anrufung Gottes seine Gliedmaßen über dem Feuer brieten und
aßen. Einzelne Körperteile wurden in alle Welt verschickt.22 Dies sollte
der Abschreckung dienen und wurde politisch auch in diesem Sinne aus¬
genutzt. RaSld ad-dins Behauptung, daß die Mongolen Menschenfleisch
aßen23, erscheint somit gerechtfertigt. So entiud sich der Volkszom gegen
Magd ad-daula in einer Aktion, die ihren Ursprung in der eigenen Kultur
hatte, selbst wenn in ähnhchen Fällen versucht wurde, den Einfluß der
antiken Mythologie nachzuweisen.^^ Aus derselben Zeit ist uns auch das
Abziehen der Haut als Foltermethode bekannt. ^5 Eine genaue Beschrei¬
bung können wir einem Bericht Tavemiers über das ottomanische Reich
entnehmen.26 ^.us der Safawidenzeit ist überiiefert, daß man Rebellen die
Haut "wie Schafen" abgezogen habe.^'
Die Schicksale von pohtischen Gefangenen, die der Häresie beschuldigt
wurden, stellen einen der blutigsten Aspekte von Folter und Strafe in Iran
dar. Die Geschichte der Hurüfiya und der Nuqtawiya unter den Timuriden
20 Vgl. NASRULLÄH FALSAFI: ZindgänU Säh 'Abbäs-i Awal. Teheran, Bd. I. S. 51-
52 und 238; weitere Einzelheiten zu "Cigin" s. ibid., Bd. 2, S. 469-471.
21 Raäid ad-din: op. cit. (Anm. 15), S. 727.
22 'ALÄ AD-DiN 'ATÄ MALK ÖUWAYNI: Tärih-i ÖahängüSä. Hrsgg. von M.
QAZWINi. Bd. I. Leiden 1911, s. Einleitung.
23 Fadl Allah Rashid ed-Din: Djami el-Tevarikh. Hrsgg. von E. BLOCHET. Bd. 2.
Leiden. 1911,8.19-20.
24 SPULER kritisiert den Bericht von Haytonus imd Ricoldus, nach dem man das
Fleisch des getöteten rum-seldschukischen Machthabers Mu' in ad-din-Parväna seinen Höflingen zu essen gegeben habe. Er unterstreicht, daß Ricoldus sich dabei von der An¬
tike hätte inspirieren lassen: op. cit. (Anm. 17): S. 379-380. Für einen anderen Bericht über den Tod des o.g. Prinzen vgl. M. QAZWINI: op. cit. (Anm. 22), Einleitung.
25 Die Hinrichtimg des Dichters NazimI, eines der Anführer von IJurüfiya, fand in Aleppo statt. Dies zeigt, daß diese Tötungsmethode audi in anderen islamischen Län¬
dem existierte.
26 Tavernier: op. cit. (Anm. 18), S. 449-450.
27 MUHAMMAD KÄZIM: Tärih-i 'Älam Ärä-i Nädiri. Bd. I. S. 169, zit. bei M.R.
AROONOVA—K.Z. ASRAFIAN, Da/</ar-/ Nädir Säh-i Aßär. Übers. vonljAMID
MUMINi. Teheran, 1352/1873.
Folter und Strafe in Iran vom 13. bis 18. Jahrhimdert 259
und Safawiden ist beispielhaft dafür. Abülqäsim Amri wurde mit einer
Klinge in Stücke geschnitten.^^ Darwish Hosrau wurde mit dem Kopf
nach unten an ein Kamel gehängt, ihm wurde der Bauch aufgeschnitten,
und er wurde so in der Stadt herumgeführt. 29 Fest steht, daß die Art und
Weise, wie man gegen polidsche Häfdinge vorging, die Bedeutung ihres
Vergehens in bezug auf die Natur des Regimes enthüllte.
Zum Verständnis der Anwendung von Folter und Strafe muß man die
Rolle des "Qisäs" (Wiedervergeltung) und dessen Rolle innerhalb des
Strafprozesses verstehen als eines Faktors, der den Urteilsspruch beschleu¬
nigte und den Parteien freie Hand bei der Vollstreckung des Urteils heß.
Unter den Safawiden, besonders unter Schah 'Abbäs, wurde die staatli¬
che Repression straffer organisiert. Iskandar Bayk zeigt, daß die Bespitze¬
lung bis in die Familien hineingetragen wurde.^o Schah 'Abbäs kontrol¬
lierte den Geheimdienst und nahm persönlich an Aktionen gegen verdäch¬
tige Personen teil. Er war sogar bei Strafmaßmahmen und Exekutionen
zugegen. Hier manifesdert sich die Vorherrschaft des 'urf gegenüber dem
Sar', woraus sich, wie selbst Chardin bemerkt,^' praktische Mittel für eine
Intervention des Schahs im Bereich der Rechtssprechung ergeben.
Die Akdvitäten der Spitzel sind in Zusammenhang mit denen der Süfi-
Organisationen zu sehen. Hieraus entstand die bereits erwähnte Organisa¬
don "Cigin".
Unter den Mongolen gab es auch Anklagen wegen Hexerei. In Wirk¬
hchkeit waren diese Verfolgungen jedoch polidsch modviert. Die Ange¬
klagten wurden in der Regel enthauptet oder ertränkt. So geschehen mit
Fätima, der Sklavin Träklnäs, welche die Frau Uktäys war.32 Hier handelt
es sich ganz offensichdich um den zu großen Einfluß eines Tägik im Re¬
gierungsapparat des Khan.
Die Verhängung einer Gefängnisstrafe kam im allgemeinen einem To¬
desurteil gleich. Die Insassen gingen in den Gefängnissen meist jäm-
meriich zugrunde. Sie wurden in schwere Ketten gelegt, ihre Füße steckten
in dicken Holzbalken, ein dreieckiger Holzrahmen, der um den Hals getra-
28 Zu Abülqäsim Amii vgl. Tadhara-i Haft Iqlim. Hrsgg. von ÖAV/AD FÄDIL. Tehe¬
ran; s. auch Mahzan-ul-garä'ib. Lahour 1968, S. 162; s. auch FASÄI: Färsnäma.
Teheran, S. 142-143; s. auch NASRULLÄH FALSAFI: op. cit. (Anm. 20), Bd. 3, S. 908;
s. auch W. ZAFARl: op. cit. (Anm. 6), S. 136-137.
29 Iskandar Bayk Mun§I: 'Älam Ärä-i 'Abbäsi. Hrsgg. von IRAG AFSäR. Teheran, S.
473.
30 Ibid., S. 473-474; s. auch NASRULLÄH FALSAFI: op. eil. (Anm. 20). Bd. 3, S.
1075 ff
31 Chardin: op. cit. (Anm. 8), S. 404 ff.
32 Raäid ad-din: op. eil. (Anm. 15), Bd. 1. S. 564-566.
gen wurde, wobei eine Seite zur Fixierung des Armes verlängert war,
schränkte ihre Bewegungsfreiheit einP Nach Tavernier war es den Ge¬
fangenen unmöglich, djunit zu schlafen.^^ Dies bezeichnet man auch als
"Wachfolter".
Eine Miniatur der Safawidenepoche im indischen Sdl bietet uns eine
gelungene Illustration dieser Haftbedingungen^^, ebenso wie die berühmte
Miniatur des "Prisonnier turcman"^^ mit ihrer genauen Darstellung des Halsrahmens.
Die Gefängnisse, die sich in der Regel auf Anhöhen oder Bergen befan¬
den, sind in den historischen Quellen kaum erwähnt Die habsiya-LiteraXuT,
die die physischen und psychischen Hafterfahrungen der Dichter wider¬
spiegelt, zeigt uns, in welchem Maße die Existenz der Dichter in diesen
Gefängnissen bedroht war.
Tavemier berichtet, daß es nicht möghch war, zugunsten eines Gefange¬
nen zu intervenieren, welcher den Zom des Schahs auf sich gezogen hat-
te.37 Nach alter Sitte sollten die Inhaftierten dem Vergessen anheimge¬
geben werden. Dies erinnert an die farämüS-fßna der Sassaniden.^^
Zum Teil wurden die Häfdinge auch im Palast des Schahs unterge¬
bracht, wo sie unter Aufsicht eines seiner Vertrauten standen und geschla¬
gen wurden.39 Manchmal sperrte man die Gefangenen mit wilden Tieren
zusammen.40
Es wurden auch regelrechte Bestrafungs- und Folterspektakel veranstal¬
tet, die an die griechische und römische Antike erinnem."*! Beim tahta-
kuläh-i diwänigän'^'^ handelte es sich um eine öffenthche Zurschaustel-
33 Chardin: op. dt. (Anm. 8), S. 416-417, lUustraüon 33.
34 Tavemier: op. dt. (Anm. 16), S. 532. Der Autor unterstreicht ebenfalls die Schmer¬
zen, die durch den Halsrahmen hervorgerufen werden.
35 Akten des 7. Internationalen Kongresses: (Amn. 7), S. 447.
36 B.w. ROBINSON: A Descriptive Catalogue of ihe Persian Paintings in the Bod¬
leian Library. Oxford 1958. S. 143, Blatt XXI.
37 Tavemier: op. cit. (Amn. 16), S. 256.
38 ARTHUR CHRISTENSEN: L'empire des Sassanides - Le peuple, L'Etat, la cour.
Kopenhagen 1907. S. 70.
39 Tavemier: op. cit. (Anm. 16), S. 550.
40 Alexandre Chodzko: Guilan. Übers, von SlRÜS SAHÄMl Teheran 1354/1975, S.
26-27.
41 Zum Tode der Venuteilten in den gnechischen imd rränischen Amphitheatern durch wilde Tiere sowie die Inszenienmg von Tragödien, in denen die Verurteilten als Sdiau- spieler agierten, s. Dictionnaire des Antiquites grecs et romains. Graz 1963, Bd. 4, Artikel "venatio", S. 707 ff, s. auch Bd. 5, Arükel "tormentum", S. 362-363.
42 Chardin: op. cit. (Anm. 8), S. 425. Tavemier liefert dazu in seinem Reisebericht einige Informadonen, op. dt. (Amn. 16), S. 212.
Folter uiid Strafe in Iran vom 13. bis 18. Jalirhundert 261
lung, wobei dem Delinquenten eine Art Narrenkappe aufgesetzt wurde, mit
der er dann, vom Volk verhöhnt und mißhandelt, in der Stadt hemmgeführt
wurde. 43 Zu einem lebenden Kerzenständer wurde der Gefangene beim
Sam 'a-ägin-kardan. Dabei wurden Löcher in seinen Körper gebohrt und
mit brennenden Kerzen bestückt. So wurde der Unglückliche in der Stadt
hemmgeführt, manchmal mehrere Tage hintereinander.**
In manchen Fällen wurde die Strafe in Anlehnung an die verübte Straftat
gewählt. So waren ein Bäcker und ein Kebabkoch angeklagt, der eine, zu
teuer verkauft, der andere, falsch abgewogen zu haben. Nach einer öffendi¬
chen Anprangemng wurde der Bäcker in einem Ofen, den Schah 'Abbäs
auf dem Platz hatte errichten lassen, verbrannt. Der Kebabkoch aber wurde
auf einem langen Bratspieß über dem Feuer gebraten.45
Diese Greueltaten verbreiteten sich sehr schnell unter der Bevölkemng.
Die Menschen fürchteten den Jusdzapparat des Schahs, und keiner wagte
es, sich gegen den Herrscher zu stellen. Die Beschreibung dieser Straf-
aküon macht das Modv für solch spektakuläre Maßnahmen deutiich.
Als Repressionsmittel des Machtapparates hatte die Folter auch eine
ökc«omische Zielrichtung. Die Folge waren eine Lähmung der Produktiv¬
kräfte sowie ein Motivationsdefizit bei der Bevölkemng im Bereich der
Produktion. In dem Maße, wie politische Faktoren zu einer wirtschafthchen
Entfaltung beitragen können, kann ein Mißbrauch derselben zum Nieder¬
gang der Wirtschaft führen.
RaSid ad-din berichtet, daß man öuwayni folterte und nackt auf der
Straße hemmfuhrte, um die Herausgabe seines Vermögens zu erpressen.46
Der Einfallsreichtum Timurs schien in dieser Hinsicht unbegrenzt. Greuel¬
taten lähmten auch die bäueriiche Wirtschaft. Zur Steuereintreibung hängte
man die Bauern an den Füßen auf und mißhandelte sie, um sie geständig
zu machen. 47
Die Teilnahme Rasid ad-dins an den Reformen von Ghazan Khan
macht deutiich, daß diese Realität tatsächhch existierte Aggressionen dieser
Art finden sich auch unter Nadir Sah.
43 Chodzko: op. cit. (Anm. 40), S. 37; s. auch ENGELBERT KAEMPFER: Safar-
nämeh (Am Hof der persischen Großkönigs 1684-85). Pers. Übers, von KAYKAVÜS
GAHÄNDÄRi.Teheran: Edition Khärazmi 1363/1984,8. 165.
44 Tavemier: op. cit. (Anm. 16), S. 561-562; s. auch Chardin: op. cit. (Anm. 8), S.
420-421.
45 Ibid.; s. auch Tavemier: op. cit. (Amn. 16), S. 516.
46 Raäid ad-ctn: op. cit. (Anm. 15), Bd. 2, S. 777.
47 lbid.,S.71S.
Lerch berichtet von der Existenz eines Hauses in Rast, wo Bauem ge¬
foltert wurden. Diese Folter nannte man fallah äübak. Die Schreie der
Opfer hätten zu Protesten mssischer Diplomaten geführt. ^8
Repressionsmaßnahmen wie das Abtrennen von Ghedmaßen, Blendun¬
gen, Kollekdvmorde, Konfiszierungen von Vermögen, Verhaftungen von
Familienangehörigen tmgen dazu bei, die Rolle des Volkes im Produk¬
tionsprozeß zu reduzieren und, wichtiger noch, der Entfaltung sozialer Ak¬
dvitäten entgegenzuwirken. Man stelle sich nur vor, daß Nadir §ah bei
einer Militärexpedition 32 kg menschlicher Augen überbracht wurden.49
Die Zunahme derartiger Greueltaten führt zu einer Art kollektiver
Flucht. Bei Revolten in Kerman erklärten die Aufständischen, daß sie es
vorzögen, in Kerman auszuharren, als am Hofe des Schahs ihres Augen¬
lichts beraubt zu werden.^o
Nach einem Lageplan der von Bazin, dem Leibarzt des Nadir Sah,
angefertigt wurde, war das Tribunal mit seinen Abteilungen für Strafe und
Folter, insbesondere Schlagen und Erwürgen, fester Bestandteil von Nadir
Sahs Heerlager.51 Diese mobile Folterkammer läßt sich am ehesten mit
den Yargu der Mongolen vergleichen.
Bei der Folter wurde zwischen Männem und Frauen unterschieden. Die
Safawiden stürzten die Frauen, die nach islamischer Vorschrift mit dem
Tschador bekleidet sein mußten, von hohen Türmen hinab. Die Überteste
wurden von eigens zu diesem Zweck gehaltenen Hunden gefressen. Es war
auch üblich, Frauen kleine Katzen unter die Kleider zu setzen, um sie ge¬
ständig zu machen.52 Nach unseren Erkenntnissen kannten die Mongolen
diese Geschlechtertrennung jedoch nicht
In unseren Ausführungen haben wir uns bemüht darzulegen, daß sich
die Bedeutung des Phänomens Folter nicht auf den juristischen und pohti¬
schen Bereich beschränkt, sondem daß sie sich in den verschiedensten
Aspekten unserer Geschichte manifestiert Eine genauere Analyse wird uns
deshalb nicht nur Erkenntnisse als solche vermitteln, sie wird uns auch da¬
zu befähigen, die Geschichte des Iran in einem weiteren Sinne zu erfassen.
48 LERCH in: Busching-Magazin 11, S. 432.
49 M.R. AROONOVA: op. eil. (Anm. 27), S. 240.
50 lbid..S.209.
51 Bazin: Näma-hä-i Tabib-i Nädir Säh. Übers, von ALI ASÖAR HARlRl , S. 70 (Kar¬
te). Der Plan von Nadir Sahs Heerlager wurde zuerst von Bazin gezeichnet, später diente er als Modell für eine Gravur tmter Ludwig XVI.
52 Chardin: op. cit. (Anm. 8), S. 421. KAEMPFER erwähnt in seinem Reisebericht imter den Einrichtungen des Hofes den Hundezwinger "sagbänhäna" , wo man nicht nur Jagd- und Spürhunde hielt, sondem auch wilde Hunde dressiert wurden, die die zum Tode Vemrteilten fressen sollten; op. cit. (Anm. 43), S. 153.
Einige Bemerkungen zur Reformpolitik Reza Schahs
(1925-1941): Erfolge, Möghchkeiten, Grenzen
Von ILSE ITSCHERENSKA, Berlin
Reza Schah und seine Reformpohtik sind bis heute heftig umstritten.
Auch was hier geäußert wird, soll keine umfassende Einschätzung, son¬
dern ledighch ein Diskussionsangebot sein.
Walther Hinz schrieb 1938, daß es "allein das Werk Rezä Schahs"
gewesen sei, daß "Iran vor dem endgühigen Verlust seiner nationalen Ei¬
genständigkeit bewahrt blieb"', und an anderer Stelle: "Der anfeuernde
Wille Rezä Schah Pahlawis steht hinter jeder einzelnen Maßnahme und
durchpulst das ganze öffentliche Leben ... Eine ungeheuerliche Umwand¬
lung vollzog und vollzieht sich ... in Iran. Doch hat sich Rezä Schah Pah¬
lawi bei keiner Neuerung übemommen, sondem hat stets die Dinge reifen
lassen. Sein Werk ist daher festgegründet und von Dauer. Schon heute ist
ihm ein ehrenvoller Platz unter den Größten seiner Nation gewiß."^
Derartigen Aussagen stehen völlig entgegengesetzte Einschätzungen
gegenüber, die Reza Schah jede positive nadonale Bedeutung absprechen.
Im Gefolge der "Islamischen Revolution" verdüsterte sich das Bild oft
noch mehr. Man warf Reza Schah vor, er sei mit britischer Hilfe an die
Macht gekommen und habe zum Schaden Irans seinen imperialistischen
Herren gedient - anfangs den Briten und später den Deutschen.^ Glei-
1 W. HINZ: Politik und Kultur von Kyros bis Rezä Schah. Leipzig 1938, S. 113.
2 Ibid., S. 136.
3 Vgl. B. ALAVI: Kämpfendes Iran. Berlin 1955, S. 127 ff; M.S. IVANOV: Noveßaä istoria Irana. Moskau 1965, S. 41 f.; ders.: Antinarodnyj Charakter pravleniä dinastü Pechlevi v Irane. In: Voprosy istorii. Moskva 1980, H. 11, S. 58 f; ähnlich auch A.
MAHRAD: Iran auf dem Weg zur Diktatur. Militarisierung und Widerstand 1919-1925.
Ein Beitrag zur Konfliktforschung nach Archivmaterialien aus deutsch-britischen Quel¬
len. 2. Aufl. Hannover 1976, S. 157, 167. (Herr MAHRAD hat - nach einer Bemerkung auf dem Deutschen Orientalistentag zu urteilen - seine Ansichten über Reza Schah in¬
zwischen revidiert.) D. GHOLAMASAD bezeichnet Iran unter der Herrschaft von Reza Schah als einen "vom Imperialismus abhängigen Staat"; vgl. dens.: Iran. Die Entstehung der "Islamischen Revolution" . Hamburg 1985, S. 165,169 ff H. KATOUZIAN wendet sich trotz seiner kritischen Haltung zu Reza Schah gegen die Darstellung, daß dieser ein Agent oder Spion Großbritanniens gewesen oder auch nur von Anfang an in Iran als solcher betrachtet worden sei und verweist darauf, daß Nationalisten verschiedener Couleur ihn anfangs unterstützten; vgl. dens.: Nationalist trends in Iran, 1921-1926. In:
Intemational Joumal of Middle East Studies 10/4 (1979), S. 540 f ; dens.; The political
economy of modern Iran. Despotism and pseudo-modernism, 1926-1979. London —
Cornelia Wunsch (Hrsg.); XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991
(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart