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Es fehlt auch nicht der Superlativ: der Schah ist der absoluteste König auf der ganzen Welt

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Academic year: 2022

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SEKTION 8: IRANISTIK

SEKTIONSLEITER : W. EILERS

DAS SAFAVIDISCHE KÖNIGTUM UND

DER NIEDERGANG DES REICHES IM 17. JAHRHUNDERT

Von Hellmut Braun, Hamburg

Die meisten Reisenden, die im 16. oder 17. Jahrhundert aus Europa nach

Iran kamen und ihre Eindrücke von diesem Land für die Nachwelt nieder¬

schrieben, sind sich alle in einer Feststellung einig, nämhch darin, daß der

Schah ein sehr absoluter Herr seines Landes sei. Alle Reisenden kamen aus

absolut regierten Ländern in Europa, und doch fiel ihnen der Unterschied

aut. Verschiedene, die die Möghchkeit hatten, zwischen mehreren orientali¬

schen Staaten zu vergleichen, vor allem zwischen dem osmanischen, mogul¬

indischen und dem safavidischen Reich, stellen fest, daß der safavidische

Herrscher eine noch unumschränktere Stellung innehabe als die beiden

anderen Staatsoberhäupter. Es fehlt auch nicht der Superlativ: der Schah

ist der absoluteste König auf der ganzen Welt. Diese Feststellung traf der

Pater Sanson', dem wir eine wohl durchdachte und durchaus nüchterne

Darstellung des Aufbaus des persischen Staates in der zweiten Hälfte des

17. Jahrhunderts verdanken.

Der Schah saf avidischer Prägung nahm in der Tat eine einzigartige Stell-

lung ein. Das Bild des Königtums, das sich aus den zahlreichen Einzel¬

bemerkungen in persischen Quellen wie aus den teilweise sehr genauen

Beobachtungen und gut belegten Erkundigungen der europäischen Reisen¬

den gewinnen läßt, ist das Bild des Herrschers, des Königs schlechthin. Eine

Steigerung irgendwelcher Herrscherfunktionen ist nicht mehr denkbar, und

es fällt schwer, sich einen Menschen aus Fleisch und Blut vorzustellen, der

ein solches Amt hinreichend ausfüllen konnte. Es hat den Anschein, als ob

solch eine Leistung nur ein Übermensch hätte zustande bringen können.

Ich will zunächst versuchen, die besonderen Kennzeichen des Amtes und

der Person des safavidischen Schahs darzustellen, ohne daß ich die ver¬

schiedenen Elemente, die in diesen Vorstellungen zusammenlaufen, hier

analysieren könnte oder wollte. Im zweiten Teil meiner Ausführungen

möchte ich dann die Folgen, die eine solche Auffassung vom Königtiun für

das gesamte Staatswesen haben mußte, erörtern.

' Voyage ou relation de l'etat prdsent du royaums de Perse. - Paris 1695, S. 110.

(2)

I

Die Einzigartigkeit des Schahs läßt sich schon an einer Äußerlichkeit

ablesen : an der offenbaren Scheu, das Wort Schah zu gebrauchen. Normaler¬

weise wird von dem Herrscher weder als ,, Schah" gesprochen noch wird er

mit seinem persönlichen Namen benannt, sondern diesem Zweck dienen Um¬

schreibungen, in deren metaphorischer Bedeutung ein Bezug auf die all¬

gemeine Stellung des Schahs, seltener allerdings auf die Person eines be¬

stimmten zu erkennen ist^. Oft muß aus dem Zusammenhang oder auch

nur aus empirischem Wissen geschlossen werden, wer gemeint ist. Eine

kleine Auswahl derartiger Bezeichnungen sei hier angeführt: hätir-i 'älam-

ärä, der die Welt zierende Geist; hazrat-i zill-i ilähi, die Gegenwart des

göttlichen Schattens (oder Schutzes) ; säja-i parvardagär, der Schatten des

Schöpfers; jagäna-i zamän, der Einzigartige der Zeit; 'älam-panä bzw.

gahän-panä, der Zuflucht für die Welt ist; pädMh-i 'älam, der Herrscher

der Welt; zät-i humäjün, bä-kamäl, aqdas oder ähnlich, das Glückswesen,

der Herr der Vollkommenheit, die heiligste Person usw. Die direkte Anrede

für den Schah von Männern, die in einem engeren, persönlichen Verhältnis

zu ihm standen, war gewöhnlich qiblajam, d. h. meine Gebetsrichtung, der,

der für mich Richtpunkt, zunächst und in erster Linie in religiöser, dann

auch in jeder anderen Hinsicht ist. Während in den Chroniken die Benennun¬

gen für die lebenden Herrscher noch durchaus wechseln - das Umgekehrte

gibt es auch - sind für die verstorbenen feststehende Umschreibungen, so¬

genannte post-mortem-Titel^, üblich. Sie lauten, wobei gewisse Abwei¬

chungen möglich sind, z. B. für 'Abbäs I. : navväb-i gitl-sitän-i firdaus-makän (oder ' illijln-äsjän), der die Welt eroberte und im Paradiese weilt.

Wenn das Wort Schah (säh) erscheint, dann bezieht es sich meist auf ver¬

storbene Herrscher und steht in Verbindung mit dem post-mortem-Titel.

In diesem Zusammenhang kann auch die sehr selten gebrauchte Bezeichnung

Großkönig, sahansäh, stehen. Beide Ausdrücke werden aber nur für den

iranischen Herrscher gebraucht. Niemals wird der osmanische Sultan, der

erste özbekische Chan oder ein europäischer Herrscher Schah genannt. Die

Benennung der Mogulkaiser zeigt noch eine weitere Tendenz der saf avidisch-

persischen Quellen: für sie wird meist der persönliche Name, nicht der üb¬

liche und bekannte Herrschername gebraucht, so Salim, nicht Gahängir, so

2 Eine vergleichende Untersuchung über ähnliche Erscheinungen in anderen

islamischen Reichen steht noch aus.

^ Die post-mortem-Titel der meisten safavidischen Herrscher erscheinen bei

Heribert Busse, Untersuchungen zum islamischen Kanzleiwesen, Kairo 1959

(= Abh. d. Dt. Archäol. Inst. Kairo, Isl. Reihe, Bd 1), im Index ,, Titel und

IBeinamen" S. 236-238; einige Titel auch bei Minobsky in Tadhkirat al-mulük,

a manual of Safavid administration, London 1943 (= E. J. W. Gibb Memorial

Series. N.S. 16), S. 109, Anm. 1.

(3)

Das safavidische Königtum 943

für dessen Nachfolger Hurram, nicht Sähgahän. Diese Herrschernamen ver¬

körpern in ihrem Wortsinn einen Anspruch auf Weltherrschaft, die die An¬

hänger der Safaviden nicht anerkennen konnten.

Während das Wort pädsäh allgemein auf jeden souveränen Herrscher im

asiatischen oder europäischen Bereich angewandt werden konnte, war die

gewöhnliche Bezeichnung für einen Herrscher im Sinne von König das

Wort väli, das eigentlich nicht souveräner Herrscher bedeutet, sondern

denjenigen bezeichnet, der die Macht im Auftrage eines souveränen Herr¬

schers ausübt. So heißen die osmanischen Sultane meist väli-i Rüm, die

Mogulkaiser väli-i Hindüstän, die özbekischen Chane väli-i Buhärä oder

Türkistän, der russische Zar väli-i Arüs. Außerdem ist väli der terminus

technicus für die Vasallenfürsten des safavidischen Reiches, die unter der

Oberhoheit des Schahs, meist als Angehörige einheimischer Dynastien, ihr

Land regierten, das zugleich Provinz des safavidischen Reiches war, z. B.

der väli-i Ourgistän oder Kärtil, der väli-i 'Arabistän u. a. m. Es besteht also

in der Theorie grundsätzlich kein Unterschied etwa zwischen dem zuletzt

genannten väli und dem osmanischen Sultan.

In der geschilderten Anwendungsweise des Wortes Schah ist also der deut¬

liche Niederschlag der einzigartigen Stellung des safavidischen Schahs zu

erkennen. Kein anderer Herrscher war ihm gleich. Das Begehren, Oberherr,

und wenn auch nur in der Theorie, über alle anderen Herrscher zu sein,

manifestiert sich nicht nur im Alleinanspruch auf das Wort Schah, sondern

auch in der Degradierung der anderen Herrscher zu seinen Verwesern, zu

väliivulät.

Der Safavidenschah erhebt Anspruch auf die Herrschaft über die ganze

Welt. Hierin spiegelt sich die schiitische Anschauung, daß dem Propheten

Muhammad nicht nur die geistliche, sondern auch die weltliche Macht zu¬

komme und daß diese Macht sich auf die leiblichen Nachkommen vererbe.

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gibt es die, offenbar ad hoc erfundene

Tradition, wonach der Stammbaum der Safaviden auf die Reihe der schüti¬

schen Imame und damit auf 'All, den Schwiegersohn des Propheten und

diesen selbst zurückzuführen sei. Doch ist der safavidische Schah kein

Imam, sondern lediglich Stellvertreter - ich erinnere an das erste Element

der post-mortem-Titel: nawäbjnuvväb, Plural von nä'ib, Stellvertreter.

Sollte der entrückte zwölfte Imam plötzlich wieder erscheinen, so hätte der

Schah seine Stelhmg mit allen ihren Rechten an diesen übergeben müssen.

Wie lebendig dieser Glaube noch im 17. Jahrhundert war, zeigt die Tatsache,

daß man in Isfahan und in zwei weiteren Städten Ställe unterhielt, in denen

immer gesattelte Pferde bereitstanden, damit dem erscheinenden Imam so¬

fort ein Reittier zur Verfügung gestellt werden könnte*.

* Gegen diese religiösen Ansprüche des safavidischen Schahs bildete sich im

(4)

Damit, daß die Schabe nur Stellvertreter des Imams waren, entfiel nach

der allgemeinen und herrschenden Anschauung die Anforderung an die

Könige, wie die Imame im höchsten Grade rein und weise zu sein. Anderer¬

seits ergibt sich aus einer solchen Auslegung des HerrscherbegrifFs ein An¬

spruch auf die unumschränkte Ausübung der Macht in dem Bereich, der

unter der Herrschaft des Safavidenschahs steht. Für diesen existieren kei¬

nerlei Einrichtungen oder Bestimmungen, die seine Entscheidungs- oder

Verfügungsgewalt einschränken. Seine Befehle bedürfen keiner, auch noch

so formalen Bestätigung oder Billigung durch eine zweite Person ; keine In¬

stitution des Staates verfügt über die Möglichkeit, entscheidend mitzu¬

bestimmen. Der Schah war nach dem religiösen und weltlichen Gesetz un¬

umschränkter Herr in seinem Lande. Oder umgekehrt ausgedrückt: das

Reich ruhte ganz allein auf den Schultern des Schahs. Gewiß führte der

Großwesir im großen ganzen die Staatsgeschäfte, aber er handelte und ent¬

schied - zumindest in der Theorie - nur im direkten Auftrage des Schahs.

Unter einem Schah, der die Regierungsgeschäfte maßgeblich bestimmte,

war der Großwesir dessen ausführendes Organ.

Dieselbe unumschränkte Stellung hatte der Schah im Rechtswesen inne.

Er war in seinen Entscheidungen an kein Gesetzbuch, an keine Vorschriften

irgendwelcher Art gebunden. Er sprach Recht nach Gesichtspunkten, die

für ihn persönlich von Bedeutung waren, nach seinem eigenen Gutdünken.

Das Justizwesen war gut durchorganisiert und arbeitete ohne den Schah.

Aber dieser hatte die Möglichkeit, alle, auch schon abgeschlossene Fälle,

neu aufzurollen. Der oberste Richter des Reiches, der Reichsprofoß, divän-

begi, konnte kein Urteil fällen, ohne dieses vorher mit dem Schah bespro¬

chen zu haben.

Mit diesen Prärogativen war der Schah auch unumschränkter Herr über

Leben und Tod, ja auch über Hab und Gut seiner Untertanen. Zahlreich

sind die überlieferten Geschichten, die schildern, wie bedenkenlos die Herr¬

scher ihre Vorrechte gegenüber ihren Untertanen anwandten. Für den euro¬

päischen Betrachter war dabei die Art und Weise, wie sich die Untertanen

im safavidischen Reich gegenüber offensichthch unberechtigten Übergriffen

der Herrscher verhielten, noch erstaunlicher als die Übergriffe selbst. Alles,

was vom Schah kam, sei es Gunst oder Unbill, kam für den Iraner aus einer

anderen, für die gewöhnhchen Menschen unzugänglichen Welt. Es war

quasi-göttliche Fügung. Nach allem, was überhefert ist, waren die Men¬

schen ihrer Religion sehr stark und leidenschafthch verbunden. Nur aus

dieser Grundhaltung ist es erklärlich, daß der Glaube aUenthalben ver¬

breitet war, den Unwillen des Schahs zu erregen, bedeute das schlimmste

Unglück, das einem widerfahren konnte.

17. Jahrhundert vor allen Dingen in der schütischen Geistlichkeit eine gewisse

Opposition, die nooh eigens untersucht werden muß.

(5)

Das safavidische Königtum 945

Die Lage war auf ahen Gebieten ähnhch. Alles, was im öfFentlichen Leben

geschah, war auf den Schah ausgerichtet, denn er konnte, wenn der wollte,

überall eingreifen. Der Schah war der Angelpunkt, um den sich alles drehen

mußte tmd auch drehte. Der Schah verkörperte gleichsam das Staatswesen.

Ist es nicht notwendigerweise so, daß damit die Person, die diese Stelle

innehat, und ihr Wirken von ausschlaggebender Bedeutung für Gedeih

und Verderb des ganzen Staatswesens ist ?

II

Es kann nicht zweifelhaft sein : die Theorie des safavidischen Königtums

war, wenn auch in folgerichtiger Weiterentwicklung alter Anschauungen,

überspannt. Die in diesem Amt gebündelte Machtfülle war unheimlich. In

der Praxis mußte ihre Durchführung angesichts der Realität des Menschen

auf Schwierigkeiten stoßen. Nur ein Mensch mit außergewöhnlichen cha¬

rakterlichen und geistigen Gaben hätte einem solchen Amte gerecht werden

können; oder: nur eine sorgfältige Vorbereitung hätte einen Menschen

vielleicht befähigen können, ein solches Amt auszufüllen. Und hier begannen

schon die Fehler, die verhängnisvolle Wirkungen nach sich zogen. Keiner

der safavidischen Prinzen - zumindest im 17. Jahrhundert - wurde auf das

Herrscheramt vorbereitet. Schlimmer noch, es wurde den Prinzen mit List

und Gewalt unmöglich gemacht, selber etwas dafür zu tun. Der schwerste

Vorwurf, diese Situation herbeigeführt zu haben, lastet auf 'Abbäs I. Er

hat mit der Anordnung, die Prinzen nicht wie sonst übhch zu Männern zu

erziehen, sondern sie im Harem unter Eunuchen und Frauen aufwachsen zu

lassen, die wahrscheinlich wichtigste Ursache für die Entartung des König¬

tums verschuldet. Der Grund für diese Anordnung, die von allen safavidi-

schern Herrschern nach 'Abbäs I. beibehalten wurde, lag in dem Mißtrauen

und der Furcht des regierenden Schahs vor seinen heranwachsenden Söhnen.

Die Erfahrung hatte es gelehrt: jeder Prinz glaubte sich zur Herrschaft be¬

stimmt und suchte so bald wie irgend möglich, den Thron zu erringen. Da

aber ein Thronfolger gebraucht wurde, sperrte man die Prinzen ganz von

der übrigen Welt ab und erzog sie zwischen den hohen Mauern des Harems

im königlichen Palast in der Hauptstadt. Geistig und meist auch körperlich

unentwickelt, des Umgangs mit Menschen entwöhnt, trat ein solcher Prinz

erst zu dem Zeitpunkt in die Welt, wenn er zum Schah gekrönt wtude.

Es erscheint nicht vorstellbar, daß ein Prinz, der die entscheidenden Ent¬

wicklungsjahre in dieser Umwelt zugebracht hat, sich später von all diesen

ihm selbstverständlich erscheinenden Vorstellungen hätte lösen können.

Auch der Schah selbst lebte ja weitgehend in dieser Welt des Harems; es

war gar nicht so, daß er täglich oder nächtlich in diese Atmosphäre zurück-

(6)

kehrte, nein, er lebte vielmehr in üir und ließ sich immer seltener oder

schließlich kaum mehr aus ihr herauslocken. Das war die zwingende Folge.

Dies war so bei Safi wie bei Sulaimän. Dabei hatten beide von der Natur

gute Gaben mitbekommen ; vielleicht war SafT aufs ganze gesehen ein etwas

primitiverer Mensch, dafür versackte aber Sulaimän um so tiefer. Etwas

anders war es bei 'Abbäs II. Bei ihm war es entscheidend, daß er schon im

zarten Alter von zehn Jahren erfuhr, daß es auf der Welt noch etwas anderes

als die stickige Luft des Harems gab. Sein späteres Leben ist aber der Be¬

weis dafür, daß diese Harenisluft auch den angeblich freien Monarchen noch

mit aller Zähigkeit umklammert hielt. Er stieß zwar einerseits in Bereiche

des ÖfFentlichen und auch des geistigen Lebens vor, empfing und erteilte

Impulse, aber er blieb mit einem anderen Teil seiner Persönlichkeit wieder

der Welt des Harems verhaftet.

Es war jedoch nicht allein der Harem, der für die Entfaltung der Persön¬

lichkeit des Herrschers hinderlich war. Es war die Struktur des ganzen Hofes.

Auch die Männer des Hofes, und seien es die wichtigsten Würdenträger, lagen

vor dem Schah im Staub. Der Schah und sein Wille waren - in der Theorie -

alles. Wie war es aber, wenn der Schah nicht über einen unbeirrbaren Willen

verfügte ? Der Herrscher wurde zwangsläufig das manipulierte Opfer seiner

Hof leute. Ein kluger Großwesir, der sich um eine saubere und kontinuierliche

Staatsführung bemühte, hatte es sehr, sehr schwer. Die tüchtigen Gro߬

wesire Safis und Sulaimäns verdienen daher eine besondere Würdigung. Es

sind dies in erster Linie Mirzä Muhammad Taqi (1634-1645) und Saih-'Ali

Hän Zangana (um 1673-1690). Nach dem vorgezeichneten Verhältnis

zwischen dem Schah und seinem Wesir konnte der Minister, vollends dann,

wenn er kaum mehr einen direkten Zugang zum Herrscher hatte, wie es sich

unter Sulaimän entwickelte, lediglich versuchen, den Stand der Dinge zu

halten. Keine weiterführende Initiative konnte von ihm ausgehen, kein

kühner Entschluß. Dieser Zustand wucherte, alles ansteckend, in sämtlichen

Zweigen der Staatsverwaltung weiter. So kam es zur allgemeinen Stagna¬

tion.

Bei einem Staatswesen, in dem alles auf den Herrscher ausgerichtet ist,

in dem Leib und Leben, Hab und Gut dem Gesetz nach Eigentum des

Schahs sind, in dem von seiten des Schahs oder der zentralen Oberbehörden

keine scharfe Kontrolle mehr ausgeübt wird, in dem die Sendlinge des

Schahs alles für ihren hohen Auftraggeber herauszupressen versuchen, was

irgend möghch ist, in einem solchen Staatswesen mußte die Staatsmoral

immer weiter absinken. Die Folge war, daß zur Stagnation die Schrumpfung

kam.

Mit dem Nachlassen der aktiven Beeinfiussung der öfFentlichen Meinung

durch den Schah konnten zunehmend auch jene Kräfte wieder stärkeren

Einfluß gewinnen, die durch weitschauende und großzügig denkende Herr-

(7)

Das safavidische Königtum 947

scher zurückgedrängt worden waren. Zu nennen ist hier das Wiedererstarken der schütischen Geisthchkeit, das zu einer Einengung der in den Jahrzehnten

davor von den Reisenden so lobend erwähnten geistigen Freiheit führte.

Dies war nicht nur für die Nichtmushme, sondern auch für die Muslime

selbst spürbar. Diese Entwicklung hatte zwar auch gute Folgen, wenn etwa,

allerdings erst unter Sultän Husain, der übermäßige Alkoholgenuß, wenig¬

stens zeitweise, bei Hofe etwas eingedämmt wurde. Aufs ganze überwogen

aber die negativen Folgen, die auf der Linie der Stagnation, der Zurück¬

drängung persönlicher Initiative lagen. Die sich ergebende Drosselung des

Verkehrs mit Europa hatte wiederum eine Schrumpfung der Handels¬

beziehungen zur Folge.

So griff eins ins andere. Das Reich stand noch scheinbar in alter Weise da.

Der Schah regierte scheinbar wie immer. Eine lange Friedenszeit ließ Handel

und Wandel noch lange Zeit blühen. Der Glanz der Feste war nicht geringer

als ehedem; die Geschenke, die die Beziehungen zwischen den Menschen

glätten sollten, waren üppiger als je. Dennoch wurden die Staatseinnahmen

geringer, die Aussaugung größer. Ungerechtigkeiten und Übergriffe kleiner

Machthaber nahmen zu. Jeder suchte in steigendem Maße wenigstens sein

Leben so vorteilhaft wie möglich zu führen oder zu verkaufen. Wenn ir¬

gendwann einmal das Schicksal hart zugreifen sollte, so mußte es an der

Bereitschaft wie auch an den Mitteln fehlen, solchen Ereignissen ebenso

hart zu begegnen. Dieses Schicksal kam in Gestalt von Mahmüd Galzä'I,

dem Afghanen - und das zweihundertjährige Reich der Safaviden stürzte

zusammen.

(8)

PERSISCHEN LITERATURPROSA

Von Richard Flower, Berlin

Sadeq Hedayät und seine Zeit

Es ist allgemein bekannt, daß die moderne Literatur im Iran mit der Ver¬

öfFentlichung von ,,yek-i bud yek-i nä-bud" von Mohammad Jämal-zade im

Jahre 1921 begann. Diese Sammlung von sechs Novellen (mit einer Einlei¬

tung, die die Ziele der neuen Literatur darlegt) bheb vorläufig das einzige

Beispiel des neuen Geistes in der persischen Literatur. Junge und fortschritt-

hchere inteUektuelle ICreise fanden es genial, während die reaktionären

klerikalen und traditionellen Gruppen es aufs heftigste verurteilten und als

gotteslästerhch und unpatriotisch verdammten. Auch Zeitungen, die wag¬

ten, die NoveUen zu veröfFenthchen, wurden lauthals von den Mollas de¬

nunziert und bedroht. Diese Gruppen setzten sich durch den ihnen günstigen

Verlauf der Geschichte der nächsten Zeit vorläufig durch, und wenige inter¬

essierten sich für „yek-i bud yek-i nä-bud" . Hedayät soUte der erste sein, jene Richtung, die Jämal-zade eingeschlagen hatte, fortzuführen.

Sadeq Hedayät, ein Urenkel von Reza Qoli Xan Hedayät, dem Direktor

des Daroi-Fonun, wurde am 17. Februar 1903 in einer hohen Teheraner

Beamtenfamilie geboren. Er absolvierte die französische Missionarschule

St. Louis 1925 und ging dann mit einem Regierungsstipendium zuerst nach

Belgien imd dann nach Frankreich, wo er 1926-1930 lebte und studierte

(Paris und Besanfon). Er konnte sich schwer entscheiden, ob er Architekt,

Kunsthistoriker, Maler oder Zahnarzt werden sollte. Er wurde mit der euro¬

päischen Literatur vertraut und entdeckte eine stärkere dichterische Nei¬

gung in sich, als er vorher gespürt hatte. Er las besonders gern Tschechow,

Dostojewski, Kafka, Maupassant, Poe, Sartre und Stefan Zweig. Er be¬

gann, vorislamische iranische Sprachen und die Kultur der iranischen Antike

zu studieren, kehrte aber 1930 ohne Abschluß nach Teheran zurück, wo er

in verschiedenen unbedeutenden SteUen arbeitete, ohne den Einfluß seiner

Familie in Anspruch zu nehmen, um in jenen hohen Staatsdienst hineinzu¬

kommen, in dem sie seit zwei Generationen gedient hatte. Seine in Europa

vertieften hterarischen Interessen führte er weiter. Mit Bozorg 'Älävi,

Mäs'ud Färzad und Mojtäba Minovi zusammen bildete Hedayät einen

Literaturkreis, der sich ironisch „rdb'e" (,,die Vierer") nannte - im Gegensatz

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