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Archiv "Lettre: high text der taz" (03.11.1988)

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Paul Wunderlich: Odaliske (nach Ingres), Lithographie, 1975

Foto: Karin Szkessy

noch einmal, und etwas aus dieser Zeit ist dabei einge- flossen: Nur bei genauer Be- trachtung fallen die leicht na- zarenischen Züge Ledas auf, die einen Hauch zu lieblich geraten sind.) Ein Unfall, verursacht durch Über- spanntheit oder durch zu gro- ßen Liebreiz der Darstellung.

Tiefer und, was die mo- derne Problematik betrifft, weiter dringt Palma Vecchio vor. Auf dem Gemälde „Ju- piter in der Gestalt Dianas wirbt um Kallisto" (Frank- furter Städel) hocken zwei füllige nackte Damen an ei- nem Bach; hinter ihnen schützt sie ein Gebüsch, Feig- wurz und Hahnenfuß bilden das Lager, auf dem sie sitzen.

Die Malerei vermittelt eine schwerfällige Sinnlichkeit, wie es venezianische Bilder aus dieser Zeit oft tun.

Jupiter, der sich in Diana verwandelt hat, schildert Kal- listo die Vorzüge der lesbi- schen Liebe, er überredet sie also zur Homosexualität, und man kann sich schon denken, daß Kallisto den Überre- dungskünsten eines Gottes —, und wenn er auch als Frau daher kommt, nicht widerste- hen wird.

Zu sehen sind aber zwei Frauen, die, schon entklei- det, sich bald der gleichge- schlechtlichen Liebe hinge- ben werden. Doch bevor wir den Titel gelesen haben, wis- sen wir, daß es so nicht sein kann, denn eine solche Dar- stellung wäre im sechzehnten Jahrhundert nicht erlaubt ge- wesen. Und die Situation ist ja auch dann tatsächlich nicht so, wie sie aussieht: Die Da- me im Purpurmantel ist in Wirklichkeit ein Herr, sie ist Jupiter. Damit ist die Welt wieder in Ordnung, obwohl nach wie vor dort eine Liebesszene zwischen zwei Frauen geschildert wird. Ei- gentlich erstaunlich, wie schnell Beruhigung eintritt, wird doch von der lesbischen Liebe nichts vertuscht, sie wird nur ein wenig entschul- digt.

Der Lauf der Zeit verän- dert außerdem manches.

Cranachs Bilder der Venus,

einst als Lustbilder eher heimlich gekauft, genießen jetzt wieder den vollen Schutz des Mythos. Doch auch die Vorstellung von ver- führerischen Reizen scheint sich geändert zu haben. Auf uns wirken die gotisch-grazi- len Damen mit dem Namen

„Venus" eher wie entkleide- te Madonnen, mit ihren gro- ßen Köpfen, kleinen Rümp- fen und ihren langen formlo- sen Beinen.

Normalerweise aber hat der offene Sex-Appeal kei- nen Zutritt zur Kunst. Er wird gefürchtet, weil er den Kitsch mitbringt und dieser

wiederum binnen kurzem alle dargestellten Objekte mit sei- nem schwülen Parfüm durch- dringt. Der Kitsch fängt fast immer mit einer peinlich ko- misch gemalten Venus an.

Schon viele Maler stürzten ab, als sie versuchten, den Grat zwischen Eros und Sex zu wandeln. Giorgione mit seiner „Schlummernden Ve- nus" ist traumhaft sicher dar- über erhaben, aber Ingres mit seiner „Odaliske" ist ge- fährdet, und Courbet, mit seinem „Frauenpaar" , ist ein Grenzfall. Im übrigen kämpf- te die offizielle Malerei des neunzehnten Jahrhunderts einen hoffnungslosen Kampf mit dem schlechten Ge- schmack, den sie fast immer bei der Erotik verlor. Man verstrickte sich tiefer und tie- fer im Dickicht der Gefühle, bis hin zu den nackt posieren- den Kommerzienrätinnen auf den Bildern von Mackart, wo

das angeblich Sinnliche eher komisch wirkt. Der Mythos bewahrte die Kunst im neun- zehnten Jahrhundert nicht mehr so recht. Mochte auch noch so sehr Adonis und Aphrodite attributiert sein, der schützende Schirm hatte seine Wirkung verloren;

heimliche Lusterwartung gleißte durch die Akte, und je mehr man das mit Mytho- logie zu vertuschen suchte, um so schlimmer wurde es.

Die Moderne ist viel strenger als das neunzehnte Jahrhundert und hat den Sex- Appeal aus der Kunst ver- bannt; die Angst davor war

zu groß, und nur die Porno- graphie, die ehrlichere Schwester des Sex-Appeals, durfte in der modernen Kunst verbleiben.

Die moderne Kunst hat ganz auf die Tarnkappe des Mythos verzichtet; Schieles magere Nymphen sind nur auf Sexualität kapriziert. Je- der lockende Blick fehlt da, und das Sexuelle hat pur — ohne jede Sentimentalität — in der Kunst Einzug gehal- ten. Für Pornographie gibt es mittlerweile in der Kunst kei- ne Schranken mehr, doch jetzt, am Ende der Moderne ist auch einiges aus der Mot- tenkiste des neunzehnten Jahrhunderts wieder da.

Manchem Maler geraten jetzt Busen und Beine allzu ver- führerisch, ob es sich um eine aufrechte Aktivistin aus der siegreichen Arbeiterklasse handelt oder um freizeit-ge- staltende Westlerinnen, die

Formen sind zu schmeichelnd geworden und sprechen wie- der die bekannt schwülstige Sprache des neunzehnten Jahrhunderts. Sogar der offe- ne Sex-Appeal eines Mel Ra- mos segelt jetzt als Kunst mit. Außerhalb der Kunst re- giert der Sex-Appeal unum- schränkt, und wir begegnen ihm auf Schritt und Tritt in Il- lustrierten, Filmen etc. Auf den Darstellungen dieser gro- ßen Medien gibt es nichts Mythologisches mehr, kein Amor verschießt seine Pfeile, und Aphrodite verbindet ihm nicht mehr die Augen. Man möchte dort die körperliche Schönheit pur. Ohne die Hil- fe des Mythos ist die Illusion des Schönen aber nur kurz, Enttäuschung folgt bald.

Doch wird auch hier die Ent- kleidung so unerbittlich vor- angetrieben, wie einst in der Kunst.

Anschrift des Verfassers:

Klaus Fußmann

Professor an der Hochschule der Künste in Berlin Grainauer Straße 19 1000 Berlin 30

Lettre: high text der taz

—In ein intellektuelles europä- isches Abenteuer hat sich

„die tageszeitung" gestürzt, das in Berlin und Hamburg erscheinende Kultblatt der jungen Linken: Lettre Inter- national (Dominicusstraße 3, 1000 Berlin 62) ist die deut- sche Ausgabe einer in Pa- ris gegründeten Kulturzeit- schrift, die nun in französi- scher, italienischer, spani- scher und deutscher Sprache erscheint. Im Editorial der Nummer eins heißt es zur Definition des Prograrhms, daß sich Personen mit den Erfahrungen des Prager Frühlings und des Herbstes 1968 mit anderen, für die der Mai 1968 wichtiger war, zu- sammengefunden haben, um eine deutsche Ausgabe dieser europäischen Zeitschrift her- auszugeben. Der Start ist ei- ne Vierteljahresschrift, die sich bei entsprechendem Abonnentenecho zu einer Monatsschrift entwickeln

möchte. r-h

Dt. Ärztebl. 85, Heft 44, 3. November 1988 (75) A-3079

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