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Archiv "Die Risiken der Hyposensibilisierungs-Therapie" (26.01.1989)

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Tabelle 1: Zwischenfälle und Nebenwirkungen anläßlich einer Hypo- sensibilisierungsbehandlung (nach W. Kauder, 1983)

1. Lokalreaktionen:

leicht — Rötung und Schwellung am Injektionsort, Durchmes- ser unter 5 cm

mittel — Rötung und Schwellung am Injektionsort, Durchmes- ser über 5 cm

stark — gelenkübergreifende Lokalreaktionen 2. Organreaktionen:

leicht — zum Beispiel rhinokonjunktivale Reizung mittel — zum Beispiel Asthma

stark — zum Beispiel schwerer Status asthmaticus 3. Allgemeinreaktionen:

zum Beispiel Urtikaria, Schock usw.

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

AKTUELLE MEDIZIN

Die Risiken der

Hyposensibilisierungs-Therapie

it der Neufassung des Arzneimittelgesetzes 1976 und dessen „In- krafttreten" 1978 (1) wurden die Allergen-Extrakte für die Hyposen- sibilisierungstherapie als Hyposensi- bilisierungsimpfstoffe definiert und, soweit sie unter den Begriff des

„Fertigarzneimittels" fallen, zusam- men mit den Allergen-Extrakten für die „In-vivo-Diagnostik" der Zulas- sungs- und Chargenprüfungspflicht unterstellt. Dies hatte zur Folge, daß diese Präparate seit 1978 hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Unschädlich- keit laufend kontrolliert werden.

Dies hatte aber weiter zur Folge, daß diese Therapeutika qualitativ erheblich verbessert wurden, sowohl was die Stabilität der allergenen Ak- tivität als auch deren Wirksamkeit anlangt. Diese Verbesserungen sind vor allem für die Hyposensibilisie- rungsimpfstoffe von großer Bedeu- tung, stellt doch die Hyposensibili- sierung oder Desensibilisierung eine Behandlungsform dar, bei der die allergische Reaktivität eines Patien- ten verringert beziehungsweise auf- gehoben werden soll.

Die Hyposensibilisierung stellt derzeit die einzige kausale Therapie- form zur Beeinflussung einer Aller- gie dar. Dabei besteht das Wesen dieser Therapie in der meist protra- hierten Zufuhr unterschwelliger Do- sen des spezifischen Allergens, wo- bei im Verlauf der Hyposensibilisie- rung die applizierten Allergendosen langsam erhöht werden. Das immu-

MMIMIM

Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, Frankfurt

(Präsident: Prof. Dr, med. Reinhard Kurth)

nologische Geschehen, das während der Hyposensibilisierung abläuft, ist noch nahezu unbekannt. Diskutiert werden verschiedene Hypothesen, wie die Induktion einer „low dose tolerance" mit dem Ziel, durch Ver- ringrung der für eine Allergie cha- rakteristischen IgE-Antikörper, der sogenannten Reagine, sowie durch andere — noch unbekannte Reak- tionsmechanismen — eine zeitlich be- schränkte oder permanente Unter- (Hypo-) oder Un-(De-)Empfindlich- keit zu erreichen. Eine andere Hy- pothese erklärt den Hyposensibili- sierungseffekt mit der Bildung soge- nannter „blockierender Antikör- per" des Typs IgG 4. Diese blockie- renden Antikörper sollen nach ihrer Bildung neu eintreffende Allergen- moleküle abfangen und inaktivie- ren, bevor diese mit den für sie spe- zifischen Reaginen zusammentref- fen. Beide Hypothesen klingen ein- leuchtend, aber selbst zusammen ge-

nommen können sie nicht allein den Wirkungsmechanismus einer erfolg- reichen Hyposensibilisierung erklä- ren. Worin bestehen nun die Gefah- ren und Risiken dieser Therapie?

Die Hyposensibilisierungs- therapie stellt einen Eingriff in das immunologische Reaktionsvermö- gen dar. Wird bei der Allergenappli- kation zu hoch dosiert, kann es zu schweren Notfallsituationen kom- men, an deren Ende ein nicht mehr beherrschbarer anaphylaktischer Schock mit letalem Ausgang steht.

Wird zu niedrig dosiert, stellt sich kein Therapieerfolg ein.

Diese Problematik setzt beim Arzt, der eine Hyposensibilisie- rungstherapie durchführt, ein ent- sprechendes immunologisches Wis- sen voraus, das ihn in die Lage ver- setzt, die Risiken dieser Behandlung abzuschätzen beziehungsweise die Hyposensibilisierung beim Patienten als eine unschädliche und erfolgrei- che Therapie durchzuführen.

Neben den Risiken, die in dieser Therapie selbst liegen, kön- nen aber auch andere Ursachen zu Zwischenfällen führen:

a) Zwischenfälle verursacht durch das Präparat beziehungsweise den Hersteller (zum Beispiel fehler- hafte Zusammensetzung oder Kon- zentration der Therapielösungen,

Die Hyposensibilisierung ist keine Therapie zwischen Tür und An- gel, das beweisen die Todesfälle der letzten Jahre. Die meisten davon waren Tatrogen bedingt. Daraus folgt, daß diese Therapie nur in die Hände erfahrener Allergologen mit großem immunologi- schen Verständnis gehört.

Gerhard Siefert

Dt. Ärztebl. 86, Heft 4, 26. Januar 1989 (37) A-167

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falsche Etikettierung, unzureichen- des Dosierungsschema oder mangel- hafte Therapieanweisungen)

b) Zwischenfälle, verursacht durch den Patienten (zum Beispiel unzureichende Mitarbeit bei der Anamneseerhebung; Verschweigen von Nebenwirkungen, Infekten und anderen Belastungen des Immunsy- stems während der Therapie. Kör- perliche Belastungen nach der In- jektion. Allergendisposition, Ver- lassen der Praxis nach der Injektion vor Ablauf der Beobachtungszeit, usw.)

c) Zwischenfälle, verursacht durch den Arzt (zum Beispiel unzu- reichende oder falsche Diagnose.

Unzureichende Anamnese, Nichter- fragen von Reaktionen nach der letzten Injektion. Keine Aspira- tionskontrolle, daher vasale Injek- tion der Allergenlösung. Falsche In- itialdosis. Unberücksichtigtlassen von Unterbrechungen der Therapie wegen Urlaub, Krankheit usw.

Nichteinhalten der 30minütigen Verweildauer des Patienten in der Praxis nach der Injektion. Keine Übung in der Schockbehandlung.

Kein Schockbesteck zur Hand usw.) d) Zwischenfälle, verursacht durch unglückliche, nicht vorherseh- bare Umstände (zum Beispiel Stich eines Insektengiftallergikers auf dem Heimweg nach der Injektion usw.)

Die auf Grund des § 62 AMG gemeldeten Zwischenfälle und Ne- benwirkungen anläßlich einer Hypo- sensibilisierungsbehandlung lassen sich je nach Reaktionsausfall in ver- schiedene Gruppen unterteilen (Ta- belle 1). Die in den Jahren 1981 bis 1988 bekannt gewordenen und dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Zwischenfälle mit letalem Ausgang anläßlich einer Hyposensibilisie- rungstherapie sind in Tabelle 2 auf- geführt. Es kann angenommen wer- den, daß die Dunkelziffer weit über den tatsächlich gemeldeten 22 Fällen liegt.

Analysiert man die Ursachen, die zu einem letalen Ausgang führ- ten, dann kommt man zu der in der Tabelle 3 aufgeführten Verteilung.

Hieraus geht hervor, daß von 22 ge- meldeten, tödlichen Zwischenfällen 16 iatrogen verursacht waren, wobei vor allem falsche Injektionstechnik

Tabelle 2: Zwischenfälle mit le- talem Ausgang (1981 bis 1986)

Jahr Todesfälle

1981 1

1982 2

1983 1

1984 3

1985 8

1986 3

1987 1

1988 3

Tabelle 3: Tödliche Zwischen- fälle und deren Ursachen Allergen-Extrakt

bzw. Hersteller 0

Patient 5

Arzt 16

unvorhersehbare

Umstände 1

oder das Unvermögen, einen ana- phylaktischen Schock sofort und sachgemäß zu behandeln, zu diesen Zwischenfällen mit letalem Ausgang führten. Die Nebenwirkungen ei- ner Hyposensibilisierungstherapie — gleich welcher Schwere — sind aber bei sachgemäßer Durchführung meist sicher beherrschbar. So wur- den im Jahre 1986 76 schwere Schockzwischenfälle anläßlich von Hyposensibilisierungen gemeldet, von denen aber nur drei zum Tode führten, und zwar ausschließlich auf Grund ärztlichen Fehlverhaltens.

Betrachtet man die Verhältnisse in anderen europäischen Ländern, so fällt auf, daß auch hier — soweit veröffentlicht — die Rate an Zwi- schenfällen angestiegen ist (3, 4, 5).

Die Gesundheitsbehörden dieser Länder haben unterschiedliche Kon- sequenzen daraus gezogen. So wur- de zum Beispiel in England die Ver- weildauer des Patienten in der Pra- xis nach einer Injektion von 30 Mi- nuten auf zwei Stunden angehoben.

Das führte dazu, daß die Zahl an Hyposensibilisierungsbehandlungen stark zurückging und diese Therapie meist nur noch in der Ambulanz ei-

ner Klinik oder gar stationär durch- geführt wird, denn kein Arzt kann es sich erlauben, seinen Patienten in der Praxis zwei Stunden lang nach einer Injektion zu beobachten oder beobachten zu lassen.

Ein anderer Weg wurde in Skandinavien beschritten. Hier gab man der besseren Ausbildung und laufenden Schulung der mit der Be- handlung von Allergosen befaßten Ärzte den Vorzug. Trotzdem wur- den zum Beispiel in Schweden 1986 noch vier Zwischenfälle mit letalem Ausgang nach einer Hyposensibili- sierungstherapie beobachtet, die alle iatrogener Natur waren (5).

Die Bedeutung der Allergie in der Medizin sowie die Zunahme all- ergischer Erkrankungen sollte dazu führen, daß die Diagnose von Aller- gosen beziehungsweise die Immun- therapie in Form einer Hposensibili- sierung nur von einem fachlich ge- schulten und mit dieser Therapie und deren Risiken vertrauten Arzt durchgeführt werden darf. Die zu- ständigen ärztlichen Standesorgane sind aufgerufen, sich dieser Proble- matik anzunehmen, um zu verhin- dern, daß die Hyposensibilisierung als derzeit einzige Kausaltherapie bei allergischen Erkrankungen nicht noch mehr in Mißkredit kommt.

Prof. Dr. med. Ostyin Günther zum 80. Ge- burtstag gewidmet

Literatur

1. „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel- rechts" vom 24. August 1976, BGBl. I S.

2445, 2448

2. Kauder, W.: „Therapie allergischer Atem- wegserkrankungen — unter besonderer Be- rücksichtigung der Hyposensibilisierung", Allergie Kolloquien Hollister-Stier 1981/82, Herausgeber: Troponwerke Köln 1983, 109 3. Vervloet, D.; Khairallah, E.; Arnaud, A.;

Charpin, J.: „A prospective national study of the safety of immunotherapy", Clir ical Allergy, Volume 10 (1980) 59-64

4. CSM Update, „Desensitisting vaccines", Brit. Med. J. Volume 293 (1986) 948 5. Regulatory Control and Standardization of

Allergenic Extracts, Fifth Intern. Paul-Ehr- lich-Seminar, Arbeiten aus dem Paul-Ehr- lich-Institut (Bundesamt für Sera und Impf- stoffe), Fischer Verlag Stuttgart, Bd. 82, 1988

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. phil. nat. G. Siefert Paul-Ehrlich-Institut

Paul-Ehrlich-Straße 44 6000 Frankfurt a. M. 70 A-168 (38) Dt. Ärztebl. 86, Heft 4, 26. Januar 1989

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