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Archiv "Östrogene für den Mann – sinnvoll oder gefährlicher Unfug?" (27.02.2004)

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M E D I Z I N

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A578 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 927. Februar 2004

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eit Jahren wird von vermeintlich gut Informierten die Östrogentherapie für Männer propagiert.Auch finden sich vereinzelt Erfahrungsberichte über unkontrollierte und nicht von einer Ethikkommission genehmigte Studien in Zeitschriften, die keinem Reviewver- fahren unterliegen (54). Dies hat – oft mit regionalen Schwerpunkten – zu ei- ner gewissen Verbreitung des Einsatzes von Östrogenen bei älteren Männern geführt, wobei die Indikationen und Therapieziele häufig unklar sind. Dies wirft die Frage auf, welche Funktionen Östrogene überhaupt im männlichen Körper ausüben und welche gut doku- mentierten Erfahrungen mit einer sol- chen Therapie beim Mann vorliegen.

Physiologie der Östrogene beim Mann

Die Östradiolkonzentrationen junger Männer sind vergleichbar mit den Kon- zentrationen in der frühen Follikelpha- se junger Frauen und liegen deutlich oberhalb der Spiegel von postmeno- pausalen Frauen. Östradiol ist das wich- tigste biologisch aktive Östrogen beim Mann und stammt zu etwa 20 Prozent unmittelbar aus den Leydigzellen der Hoden. Der überwiegende Teil des zir- kulierenden Östradiols entsteht in peri- pheren Geweben aus der Aromatisie- rung von Androgenen, hauptsächlich Testosteron. Entsprechend ist Testo- steron ein Prohormon für Östradiol.

Die Aromataseaktivität und damit die Konversionsrate von Androgenen zu

Östrogenen nehmen mit dem Alter und der Körperfettmasse zu (57). Insbeson- dere die Menge des subkutanen abdo- minalen Fettgewebes, weniger des vis- zeralen Fettgewebes ist ein wichtiger Prädiktor der Östrogenkonzentratio- nen. Darüber hinaus verfügen zahlrei- che weitere Gewebe (unter anderem Gehirn, Prostata, Knochen) über Aro- mataseaktivität und können so lokal aus Androgenen Östradiol herstellen.

Normalerweise betragen die Serum- spiegel des Gesamtöstradiols bei Män- nern 25 bis 85 pmol/L (7 bis 23 ng/L) und liegen damit an und teilweise so- gar unter der Grenze der Erfassbarkeit mit Routineverfahren. Wie Testosteron wird auch Östradiol an das Sexual- hormon-bindendes Globulin gebun- den, allerdings mit geringerer Affinität als Testosteron.

Bei jungen Männern besteht eine sehr gute Korrelation zwischen Testo- steron und Östradiol sowie freiem Testosteron und freiem Östradiol. Ent- sprechend wäre bei sinkender Testo- steronproduktion mit zunehmendem Lebensalter auch ein Abfall der Östra- diol-Serumspiegel zu erwarten. Dies konnte in der Mehrzahl der Studien nicht beobachtet werden (57). Die um- fangreichste Untersuchung dieser Art, die Massachusetts Male Aging Study, dokumentierte im Rahmen einer Querschnittsuntersuchung von 1 700 Männern keine altersassoziierte Ver- änderung der Östradiolspiegel (wohl aber den bekannten Testosteronabfall und eine Minderung des Östrons) (13, 19). Dem gegenüber wurde kürzlich ei- ne leichte Reduktion des Serumöstra- diols mit zunehmendem Lebensalter beschrieben. Männer nach dem 60sten Lebensjahr hatten im Vergleich zu un- ter 30-Jährigen um 30 Prozent niedri- gere Östradiolserumspiegel (32), wie dies auch eine niederländische Unter- suchung bestätigte (55). Diese wider-

Östrogene für den Mann – sinnvoll oder

gefährlicher Unfug?

Zusammenfassung

Östrogene sind ein wichtiger Bestandteil der hormonellen Gesundheit des Mannes. Sie wir- ken auf den Knochenstoffwechsel, die repro- duktive Aktivität, Fertilität, Prostata, den Lipid- stoffwechsel und die Gefäßreagibilität. Einen eigenständigen klinisch relevanten Mangel an Östrogenen gibt es nur bei Männern mit Muta- tionen des Enzyms Aromatase. Die bisherigen klinischen Studien zur Östrogentherapie bei Männern ohne Aromatasedefekt zeigen aller- dings eindeutig eine erhöhte Rate kardiovas- kulärer Komplikationen. Daher ist zum gegen- wärtigen Zeitpunkt eine Östrogentherapie bei Männern ohne Aromatasedefizienz sicher nicht indiziert.

Schlüsselwörter: geschlechtsspezifische Ge- sundheitsversorgung, Östrogen, Hormonthera- pie, kardiovaskuläre Morbidität, unerwünschte Arzneimittelwirkung

Summary

Estrogenes for Men – Useful or Dangerous Nonsense

Estrogens are an essential part of endocrine health in men. They are of specific importance for bone metabolism, reproductive activity, fertility, prostatic function, lipid metabolism and endothelial function. Only men with muta- tions of the aromatase gene experience clinical relevant estrogen deficiency. Clinical studies with estrogen substitution in men clearly demonstrate increased cardiovascular compli- cations. Therefore, at present, therapy with estrogens is not indicated in men without prov- en aromatase deficiency.

Key words: gender-specific health care, estro- gene, hormon therapy, cardiovascular morbid- ity, unexpected side effect

1Medizinische Abteilung, Evangelisches Krankenhaus Herne (Chefärzte: Priv.-Doz. Dr. med. Friedrich Jocken- hövel, Dr. med. Markus Freistühler), Akademisches Lehr- krankenhaus der Ruhr-Universität Bochum

2Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten Zentrum für Innere Medizin (Direktor: Prof. Dr. med. Hen- drick Lehnert), Otto-von-Guericke-Universität Magde- burg

Friedrich Jockenhövel1 Hendrik Lehnert2

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sprüchlichen Ergebnisse deuten an, dass wahrscheinlich nur der Teil der Männer erniedrigte Östrogenspiegel aufweist, der auch ein Testosterondefi- zit erleidet und diesen Substratmangel nicht durch eine gesteigerte Konversi- onsrate im Fettgewebe kompensiert.

Hingegen wird bei der Mehrzahl der Männer der abfallende Spiegel des Prohormons Testosteron durch eine vermehrte Konversionsrate, unter an- derem durch eine Zunahme des Fett- gewebes kompensiert, sodass die Ös- tradiolspiegel nicht abfallen.

Einen eigenständigen Östrogen- mangel ohne gleichzeitigen Mangel an Testosteron gibt es nur bei dem ange- borenen Mangel an Aromatase. Dies wurde weltweit bisher nur bei vier Männern beschrieben und durch den Nachweis der Mutation im Aromatase- Gen auch belegt (6, 12, 22, 38). Das im- mer wieder postulierte Krankheitsbild einer „Aromataseschwäche“ ist bisher nicht identifiziert worden.

Physiologische Bedeutung der Östrogene beim Mann

Die Entdeckung der beiden Östrogen- rezeptoren und (ER, ER), die Identifizierung von Männern mit inak- tivierenden Mutationen der Gene des ER oder des Aromataseenzyms und die Entwicklung von Mausmodellen mit inaktiviertem Östrogenrezeptor und oder (Estrogenrezeptor-Knock- out, ERKO) haben in den letzten Jah- ren zu neuen Erkenntnissen in der Phy- siologie der Östrogene geführt. Beide Formen des Östrogenrezeptors werden auch beim Mann in vielen Geweben ex- primiert. So findet man den Östrogen- rezeptor im Hypophysenvorderlap- pen, Hoden, Leber, Niere, Knochen und Hirn, den Östrogenrezeptor im Kno- chen, Knorpel, Gastrointestinaltrakt, in der Schilddrüse, Prostata, Haut und Harnblase.

Reproduktionsmedizinische Aspekte Schon lange ist bekannt, dass Östrogene für das negative Feedback auf die Gona- dotropine follikelstimulierendes Hor- mon (FSH) und luteinisierendes Hor- mon (LH) verantwortlich sind (14, 15).

Östradiol reduziert sowohl die Pulshöhe und die Pulsfrequenz von LH und übt somit über das negative Feedback an der Hypophyse eine regulatorische Funkti- on für die Androgenbiosynthese im Ho- den aus. Ferner lösen Östrogene in der Pubertät den Wachstumsschub aus, in dem sie die Sekretionsrate des Wachs- tumshormons durch die Steigerung der Pulsamplitude erhöhen (36, 53).

Paradoxerweise spielen gerade Ös- trogene auch eine entscheidende Rol- le für die Maskulinisierung des ZNS während der pränatalen Entwicklungs- phase (17, 18, 31). Auch beim erwach- senen Mann scheinen Östrogene die Libido und sexuelle Aktivität zu stimu- lieren. Die Behandlung eines aromata- sedefizienten Mannes mit Östrogenen erhöhte die Libido, die Häufigkeit se- xueller Fantasien, Masturbationen und des Geschlechtsverkehrs (7). ER- KO-Mäusen zeigen völliges sexuelles Desinteresse (39), sodass offensicht- lich Östrogene ein wichtiger Stimulus der männlichen Sexualität sind.

Auch für die Fertilität des Mannes sind Östrogene von Bedeutung. Die Sertoli- und Leydigzellen, der Neben- hoden und die testikulären Aus- führungsgänge exprimieren Östrogen- rezeptoren, ebenso wie die Keimzellen selbst. ERKO-Mäuse, nicht jedoch ERKO-Mäuse, sind aufgrund einer gestörten Funktion des Nebenhodens und Rete testis infertil (39). Männer mit inaktiviertem Östrogenrezeptor oder Aromatasemangel sind ebenfalls subfertil (6, 22, 38,51).

Der Einfluss von Östrogenen auf die Prostata ist bisher kaum verstan- den. Beide ER werden in der Prostata exprimiert, der ERwurde nur in Stro- mazellen identifiziert, der ERin Stro- mazellen und im Epithel (27, 50). Wel- che Funktionen Östrogene in der Pros- tata ausüben, ist unklar.

ERKO-Mäuse zeigen keine auf- fälligen histologischen Befunde der Prostata, allerdings weisen alte ER- KO-Mäuse eine Prostatahyperplasie auf, was eine antiproliferative oder proapoptotische Wirkung von Östro- genen andeutet (27). Ferner werden die ER differenziert reguliert. So wei- sen normale Basalzellen den ERauf, nicht jedoch hochgradig dysplastische Zellen, wohl aber wieder die Mehr- zahl der mäßig differenzierten invasi- ven Prostatakarzinome. Mit steigen- dem Gleasonscore gehen die ER wieder verloren, sind aber bei an- drogenunabhängigen metastasierten Tumoren vorhanden (50). Dies könnte darauf hinweisen, dass Östrogene eigenständige, androgenunabhängige Wirkungen auf die Proliferation und die Differenzierung von Prostatazel- len ausüben. Letztlich ist unklar, ob sie wachstumshemmend oder -fördend wirken.

Bedeutung für den Knochenstoffwechsel

Das auffälligste Merkmal der Patien- ten mit Aromatasemangel ist die ein- drucksvolle Störung des Knochen- stoffwechsels. Das klinische Bild dieser Patienten ist durch eine schwerste Osteoporose mit Frakturen schon vor dem 30sten Lebensjahr und offene Epiphysenfugen mit kontinuierlichem Längenwachstum auch im Erwachse- nenalter charakterisiert (6, 12, 22, 38).

Bei drei Patienten mit Aromataseman- gel führte die Gabe von Östradiol zum Verschluss der Epiphysenfugen und ei- ner rasanten Zunahme der Knochen- masse (6, 22, 38). Demnach ist auch beim Mann Östradiol das entscheiden- de Sexualsteroid für den Knochen- stoffwechsel.

Osteoblasten und Osteoklasten ver- fügen über Aromatase, sodass der Be- darf an Östrogenen durch eine lokale Produktion aus Testosteron gedeckt M E D I Z I N

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In Studien dokumentierte und weitere mögliche Nebenwirkungen einer Östro- gentherapie beim Mann

Dokumentiert

Erhöhte kardiovaskuläre Mortalität Lungenembolie

Thrombophlebitis Gynäkomastie

Möglich

Suppression der Testosteronproduktion – Minderung von Libido/Potenz – Minderung der Muskelmasse – Minderung der Fertilität Mammakarzinom Textkasten

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werden kann (5, 28). Auch bei älteren Männern wurde kürzlich ein Zusam- menhang zwischen Serumöstradiol- spiegeln und der Knochendichte ge- funden (55).

Kardiovaskuläre Aspekte

Es gibt eine Vielzahl von Untersuchun- gen zum Einfluss von Östrogenen auf den Fettstoffwechsel, die Endothelfunk- tion, Gefäßmuskulatur und einzelne Aspekte der Herzfunktion und -leistung.

Überwiegend wurden diese Studien mit Frauen durchgeführt und zeigen mei- stens günstige Auswirkungen auf die Surrogatparameter für Morbidität und Mortalität. Kürzlich wurde auch für ge- sunde, ältere Männer gezeigt, dass eine kurzzeitige Gabe (9 Wochen) von bis zu 2 mg Östradiol oral die Spiegel von Ho- mocystein, Fibrinogen und Plasmino- gen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) senkt und das Lipidprofil günstig beeinflusst ohne Marker des Thromboserisikos zu erhöhen (16).

Eine vierwöchige Therapie hypogo- nadaler Männern mit niedrigeren Do- sen konjugierter Östrogene (0,3 mg pro Tag) zeigte dagegen keine Be- einflussung des Fettstoffwechsels (41).

Auch Lipoprotein(a) fällt unter einer Östrogentherapie ab (23). Informatio- nen zum Einfluss auf die Gefäßfunk- tion sind widersprüchlich. Während ei- ne Studie keine Abschwächung der Acetylcholin-induzierten koronaren Vasokonstriktion zeigte (9), demon- strierten andere Untersuchungen sehr wohl vasodilatatorische Wirkungen akut intravenös applizierter konjugier- ter Östrogene nach Acetylcholin oder Kältestress bei Männern mit korona- rer Herzkrankheit oder nach Herz- transplantation (4, 45, 46). Diese Ef- fekte scheinen über nichtgenomische Mechanismen ausgelöst zu werden, die zumindest nicht des ER bedür- fen, wie die rasche Vasodilatation nach sublingualer Östradiolgabe bei einem Patienten mit ER-Mutation zeigt (52). Die Blutfluss-induzierte Vasodi- latation blieb jedoch in Konkordanz mit Untersuchungen an der ERKO- Maus aus, sodass dieser Effekt vermut- lich über den ERvermittelt wird (48).

Ferner scheint es eine geschlechts- spezifische Verteilung der ER in der

glatten Gefäßmuskulatur zu geben.

Während bei Frauen der ER häufi- ger als der ERzu finden ist, sind bei Männern beide gleich häufig (24). Ob diese Geschlechtsunterschiede von Relevanz sind, ist ebenso unklar, wie die Bedeutung der ER auf Kar- diomyozyten (20). Allerdings werden bei Gefäßverletzungen die ER ver- mehrt exprimiert (33).

Trotz der günstigen Effekte auf Vaso- dilatation und Lipidparameter können Östrogene das Risiko von Thromboem- bolien erhöhen, wie dies in den wenigen klinischen Studien mit Östrogenen bei Männern gezeigt wurde (10, 11, 40, 49).

Venöse Thromboembolien sind eine wesentliche Komplikation der hochdo- sierten Hormontherapie bei Mann-zu- Frau-Transsexuellen (56). Ferner doku- mentierte eine Fallkontrollstudie bei Männern mit Herzinfarkt höhere Östra- diolspiegel als bei Männern mit ver- gleichbarer Herzkranzgefäßerkrankung ohne Infarkt (42, 43, 44).

Klinische Studien mit

„harten“ Endpunkten

Vor dem Hintergrund einer rasant an- steigenden Häufigkeit der Mortalität an kardiovaskulären Ereignissen wur- den ab 1966 8 341 Männer mit Herzin- farkt zur Vorbeugung eines zweiten In- farktes unter anderem entweder mit 2,5 mg konjugierten Östrogenen (n = 1 101), 5 mg konjugierten Östrogenen (n = 1 119) oder Placebo (n = 2 789) behandelt. Doch bereits 1970 wurde in der Studie die Untersuchungen zur Be- handlung mit 5 mg Östradiol abgebro- chen, da die Rate nichttödlicher Herz- infarkte gegenüber Placebo zweifach erhöht war. Ferner traten Thrombo- phlebitiden doppelt und Lungenembo- lien vierfach häufiger in der 5-mg- Östrogengruppe als in der Placebo- gruppe auf (10). Drei Jahre später tra- ten die beschriebenen Effekte auch bei der Gruppe mit 2,5 mg Östradiol auf.

Gegenüber Placebo hatte sich keine Senkung der kardiovaskulären Ereig- nisse oder Todesfälle ergeben, wohl aber waren Thrombophlebitiden und Lungenembolien fast doppelt so häufig (11). Retrospektiv waren diese enttäu- schenden Ergebnisse vorhersehbar.

Denn bereits 1969 hatte eine Studie der Veterans Administration mit insgesamt 570 Männern mit Herzinfarkt ebenfalls keinen günstigen Effekt von 1,25 mg konjugierten Östrogenen nachweisen können. Zwar nicht statistisch signifi- kant, so war doch die Mortalitätsrate der Östrogengruppe gegenüber Place- bo leicht erhöht (49). Nach einer mitt- leren Beobachtungszeit von 38,4 Mo- naten waren in der Gruppe derjenigen, die einer Östrogen-Monotherapie un- terzogen wurden, von 141 Männern 27 (19,1 Prozent) verstorben, davon 25 (17,7 Prozent) an einem Herzinfarkt und 26 (18,4 Prozent) hatten einen nichttödlichen Re-Infarkt erlitten. In der Placebogruppe (n = 143) waren 27 (18,9 Prozent) Männer, davon 23 (16,1 Prozent) an Herzinfarkt, verstorben und 19 (13,3 Prozent) hatten einen Re- Infarkt erlitten.

Weiterhin konnte auch eine briti- sche Studie mit der Gabe von 200 µg Äthinyl-Östradiol eine Zunahme der Mortalität (13 von 50 versus 10 von 50) gegenüber Placebo feststellen (40).

Diesen überzeugenden Daten steht le- diglich eine kleinere Studie gegenüber, in der bei Männern eine Senkung der Mortalität durch konjugierte Östroge- ne (1,25 bis 2,5 mg) beobachtet wurde (35). Initial waren in der Östrogen- gruppe 62 Männer und in der Kontroll- gruppe 123 Männer eingeschlossen worden, nach 39 Monaten nahmen noch 6 Männer Östrogene ein und wur- den mit 34 Männern der Kontrollgrup- pe verglichen. Zu jedem Zeitpunkt der Untersuchung lag die Mortalitätsrate in der Kontrollgruppe höher als in der Östrogengruppe. Allerdings wurde in dieser Studie eine unbenannte Zahl von Männern, die bereits nach zehn Wochen die Östrogene abgesetzt hat- ten, noch für die folgenden Jahre in der Östrogengruppe registriert. Daher sind diese Daten nicht verwertbar. Seit die- sen Studien wurden keine größeren Untersuchungen zum Einfluss von Östrogenen auf die kardiovaskuläre Mortalität mehr aufgelegt.

Neuere Erkenntnisse liefern urolo- gische Studien, in denen Männer mit Prostatakarzinom zur Suppression von Testosteron mit hochdosierten Östro- genen behandelt werden. In einer pro- spektiven, randomisierten Studie bei M E D I Z I N

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Männern mit fortgeschrittenem Pros- tatakarzinom wurden 227 Männern mit Poly-Östradiol-Phosphat behan- delt und 217 orchiektomiert. Während die Progression des Prostatakarzinoms in beiden Gruppen nicht divergier- te, erlitten in der Östrogengruppe 24 (11 Prozent) Männer kardiovaskuläre Komplikationen (Herzinfarkt, Schlag- anfall, Lungenembolie) woran 14 Män- ner (6 Prozent) verstarben. In der Orchiektomiegruppe traten bei 10 Männer (5 Prozent) solche Ereignisse auf und 5 (2 Prozent) verstarben daran (37). Selbst bei Ausschluss von Patien- ten mit bekannter koronarer Herz- krankheit, lag die Rate kardiovaskulä- rer Komplikationen bei Patienten, die aufgrund eines Prostatakarzinoms mit Östrogenen behandelt wurden höher als bei Patienten, die orchiektomiert wurden (21).

Die dominierende Relevanz klini- scher Studien mit harten Endpunkten gegenüber Studien mit Surrogatpara- metern oder gar In-vitro-Studien wird eindrucksvoll von der Entwicklung der Hormonsubstitution postmenopausa- ler Frauen unterstrichen. Während et- liche retrospektive epidemiologische Untersuchungen wie auch zahllose Surrogatparameterstudien bei Frauen günstige Effekte auf kardiovaskuläre Ereignisse oder deren Risikofaktoren zeigten, demonstrierten HERS (Heart and Estrogen/Progestin Replacement Study) und WHI (Women's Health In- itiative) entweder keine Vorteile ge- genüber Placebo oder sogar eine er- höhte kardiovaskuläre Mortalität (26, 47). Insbesondere die Analogie der er- höhten Rate an Thrombosen und Lun- genembolien zwischen WHI und der Studie des „coronary drug project“ bei Männern ist eindrucksvoll.

Auch die Daten zu den kardiovas- kulären Effekten der Kombination von Östrogen plus Progesteron zeigen eindeutig, dass diese Therapie keine protektiven kardiovaskulären Wir- kungen besitzt und sogar das Risiko gesunder postmenopausaler Frauen erhöht (34). Ebenso führt die Gabe von 17-β-Östradiol alleine oder ge- meinsam mit Medroxyprogesteron zu keinem signifikanten Effekt auf die Progression der Atherosklerose (25).

Daher darf angesichts harter End-

punktstudien nicht mit günstigen Ef- fekten auf Surrogatparametern argu- mentiert werden. Pointiert formuliert:

Es nützt dem Patienten wenig, mit niedrigem LDL-Cholesterin und guter Gefäßreagibilität an einer Lungenem- bolie zu sterben.

Unerwünschte

Arzneimittelwirkungen

Neben der erhöhten kardiovaskulären Mortalität entwickeln Männer durch die Östrogentherapie regelhaft eine mitunter schmerzhafte und kosmetisch störende Gynäkomastie (Textkasten).

Dieser Effekt ist dosisabhängig und wurde in größeren klinischen Studien mit einer Inzidenz von 40 bis 98 Prozent (!) beobachtet (10, 11, 40, 49).

Ob eine mehrjährige Östrogenthera- pie das Risiko für Mammakarzinome auch beim Mann erhöht, ist unbe- kannt, aber angesichts der Datenlage zur postmenopausalen Hormonsubsti- tution denkbar (3, 8).

Ferner ist zu erwarten, dass die Östrogentherapie dosisabhängig über die Suppression der Gonadotropine auch zu einer Verminderung des Se- rum-Testosterons führt. Dies kann sich nachteilig auf die Potenz und Fertilität auswirken. Ob der fehlende anabole Effekt des Testosterons auch eine Mus- kelatrophie begünstigt und damit dem altersassoziierten Verlust an Muskel- masse Vorschub leistet, ist denkbar, aber nicht untersucht. Nicht zuletzt ist unbekannt, welchen Einfluss Östroge- ne auf die Entstehung oder die Pro- gression von Erkrankungen der Prosta- ta haben.

Fazit

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann von einer Östrogentherapie bei Män- nern nur eindringlich abgeraten wer- den. Die klinischen Studien dokumen- tieren, dass (zu) hohe Dosen an Östro- genen bei Männern die Mortalität nicht senken sondern erhöhen. Ob niedrigere Dosen anders wirken, ist unbekannt, da nicht untersucht. Die günstigen Auswirkungen der Östro- gene auf Surrogatparameter (Lipid-

stoffwechsel, Endothelfunktion, Ge- fäßreagibilität) wiegen die erhöhte Mortalität nicht auf. Es gibt derzeit keinen Beleg, dass eine Östrogenthe- rapie für ältere Männer in irgendeiner Hinsicht von Nutzen ist. Die vielfach postulierte Verbesserung der Befind- lichkeit ist in keiner kontrollierten kli- nischen Studie dokumentiert.

Ferner ist unklar, ob ältere Männer überhaupt einen klinisch relevanten Mangel an Östradiol erleiden und ob dies nicht vielmehr Ausdruck einer nachlassenden Testosteronproduktion ist. Daher entbehrt die Östrogenthera- pie beim Mann zur Behandlung von Altersbeschwerden jeglicher rationa- len Grundlage. Für die Funktion zahl- reicher Organe beim Mann und seine Lebensqualität ist ein ausgewogenes Verhältnis von Androgenen zu Östro- genen wichtig. Daher sollte ein gegebe- nenfalls vorhandener Bedarf einer Hormontherapie im Rahmen des alters- assoziierten Hypogonadismus mit der Gabe von Testosteron ausgeglichen werden, das durch seine Metabolisie- rung zu Östrogenen auch die Serum- konzentration von 17-Östradiol an- hebt und für das auch Daten zur Beur- teilung des Nutzen-Risiko-Verhältnis- ses vorliegen (29, 30).

Ob in Zukunft andere Strategien hinzukommen, wie zum Beispiel die Substitution von Dehydroepiandroster- on (DHEA), das bei Männern ebenfalls die Östrogenspiegel anhebt (2), bleibt abzuwarten. Im Gegensatz zur Testo- steronsubstitution ist für die DHEA- Substitution bei Männern noch kein klinisch relevanter Nutzen nachgewie- sen (1).

Manuskript eingereicht: 16. 5. 2003, revidierte Fassung angenommen: 26. 10. 2003

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 578–582 [Heft 9]

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A582 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 927. Februar 2004

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit0904 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Friedrich Jockenhövel Medizinische Abteilung

Evangelisches Krankenhaus Herne Wiescherstraße 24

44623 Herne

E-Mail: F.Jockenhoevel@EVK-Herne.de

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