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Archiv "Nichtsteroidale Antirheumatika: Sorgen ohne Ende? — Risikofälle als Denkanstoß" (07.11.1984)

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Nichtsteroidale Antirheumatika:

Sorgen ohne Ende?

— Risikofälle als Denkanstoß

Lutz Blumenbach

Aus dem Institut für Arzneimittel

(Leiter: Professor Dr. med. Bernhard Schnieders) des Bundesgesundheitsamtes Berlin

Seit einiger Zeit ist ein Antirheumatikum nach dem anderen auf die Anklagebank geraten. Woran hat sich die wachsende Kritik an dieser Arzneimittelgruppe entzündet? Welche Wirkstoffe kann der Arzt noch mit gutem Gewissen verordnen? Was ist von fixen Kombinationen zu halten? Wie können Hersteller, Aufsichtsbe- hörden und Ärzte die Sicherheit der antirheumatischen Pharma- kotherapie verbessern?

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Wer die Debatte über die nichtste- roidalen Antirheumatika verfolgt, die seit Jahren immer wieder auf- flackerte und in letzter Zeit deut- lich an Schärfe zugenommen hat, kann leicht den Eindruck gewin- nen, hier werde in Raten ein un- heilvolles Geschehen aufgedeckt, bei dessen bisheriger Verheimli- chung finanziell interessierte Her- steller und nachlässige Aufsichts- behörden einträchtig zusammen- gewirkt hätten. Träfe dies zu, so hätte der oft strapazierte Begriff des Arzneimittelskandals hier zweifellos seinen Platz. Wie sieht jedoch die Wirklichkeit aus?

Benoxaprofen

Die erhöhte Wachsamkeit, mit der heute den nichtsteroidalen Anti- rheumatika (NSAID) begegnet wird, hat sicher eine ihrer Wurzeln

im Fall Benoxaprofen*). Hier schien aus dem Strom eines ge- mächlichen Fortschritts, der diese Arzneimittelgruppe — ausgehend von der klassischen Azetylsalizyl- säure — über das Phenylbutazon und das Indometacin zur soge- nannten zweiten Generation der

zahlreichen Arylessig-, Arylpro- pion- und Anthranilsäurederivate geführt hatte, plötzlich ein neuer Stoff mit einem abweichenden Wirkprofil herauszuragen. Das be- sondere Prinzip — Hemmung vor allem der Lipoxygenase, nicht nur der Zyklooxygenase, und damit ei- ne verminderte Leukotrienbil- dung — versprach eine Entzün- dungshemmung auf verbreiterter Basis. Solche günstigen Aussich- ten waren abzuwägen gegen ebenfalls ungewöhnliche uner- wünschte Wirkungen, nämlich phototoxisch bedingte, vermut- lich durch einen Metaboliten des Wirkstoffes hervorgerufene Haut- und Nagelschäden. Nach zu- nächst erheblicher Skepsis emp- fahl die für Präparate mit neuen Wirkstoffen zuständige Zulas- sungskommission beim Bundes- gesundheitsamt (BGA) unter dem Eindruck einer von Rheumatolo- gen, Dermatologen und insbeson- dere Patienten vorgebrachten po- sitiven Nutzen-Risiko-Bewertung dem BGA die Zulassung des Prä- parates. Diese erfolgte mit der Auflage, eine erheblich einge- schränkte Nierenfunktion als Kon- traindikation anzugeben. Man

darf annehmen, daß diese Vor- sichtsmaßnahme mit dazu beige- tragen hat, im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes Ereig- nisse zu verhindern, wie sie in der Folge überwiegend in Großbritan- nien auftraten und schließlich zur weltweiten Rücknahme von Beno- xaprofen führten. Beruhte doch die beobachtete schwere bis töd- liche Lebertoxizität bei älteren bis sehr alten Patienten auf einer ver- langsamten Elimination infolge eingeschränkter Nierenfunktion.

Ebenso wesentlich war jedoch wohl der hierzulande recht gerin- ge Umsatz von Benoxaprofen, das trotz aggressiver Einführungswer- bung recht zögernd eingesetzt wurde, vor allem, 'nachdem ein tödlich verlaufenes Lyell-Syndrom (bei Kombination mit einem Gold- präparat) die breite Aufmerksam- keit auf seine potentielle Hauttoxi- zität gelenkt hatte. Betont werden muß übrigens, daß die Unterlagen für den Zulassungsantrag keine Berichte über bedrohliche Haut- reaktionen enthalten hatten.

Ebensowenig hatten sich dort ir- gendwelche Hinweise auf mög- liche Lebertoxizität bei Tier oder Mensch gefunden.

Osmogits/Amuno-Gits

Unter recht anderen Aspekten stand der bald darauf folgende Fall Osmogits/Amuno-Gits. Ein klassischer Wirkstoff — Indometa- cin — mit seit Jahrzehnten bekann- tem Verträglichkeitsprofil wurde hier in einer bestechend anmu- tenden neuartigen Darreichungs- form (Membrankapsel) präsen- tiert, die schon während der klini- schen Prüfung von renommierten pharmazeutischen und rheumato- logischen Sachkennern erheb- liche Vorschußlorbeeren erhalten hatte.

Im Zulassungsverfahren konnte der Hersteller die behaupteten Vorteile einer osmotisch gesteu-

") Die Freinamen und ausgewählte Handelsbe- zeichnungen der im Text erwähnten Wirk- stoffe sind in Tabelle 1 zusammengefaßt.

3332 (54) Heft 45 vom 7. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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erten gleichmäßig verzögerten Freisetzung — nämlich fehlende Konzentrationsspitzen und damit geringere sogenannte zentralner- vösen Nebenwirkungen als bei unverzögerten Zubereitungen — überzeugend belegen. Nicht be- legt — und vom BGA auch nicht zu verlangen — war dagegen ein Vor- teil gegenüber konventionell re- tardiertem Indometacin. Spezifi- sche Risiken waren zur Zeit der Zulassung nicht zu erkennen. Ins- besondere erschien die Verwen- dung von Kaliumhydrogenkarbo- nat als Hilfsstoff nicht besorgnis- erregend, da dieses Salz nur in sehr geringen Mengen auf ständig wechselnde Darmanteile treffen würde, so daß mit einer nennens- werten additiven Toxizität nicht gerechnet werden mußte.

Bei der Einführung wurden die beiden Präparate in sicherlich überzogener Weise als Jahrhun- dertfortschritt dargestellt. Die ärztliche Erwartung, einen nach- weislich besonders wirksamen Stoff nunmehr verordnen zu kön- nen, ohne mit seinen sehr stören- den subjektiven Nebenwirkungen rechnen zu müssen, führte rasch zur breiten Anwendung.

Erste Bedenken bezüglich eines spezifischen Risikos erhoben sich auch in diesem Falle in Großbri- tannien. Die Hypothese, nach der die beobachteten, im Prinzip auch von allen anderen Indometacin- Zubereitungen her bekannten Darmperforationen hier durch ein Haftenbleiben der Membrankap- sel und folgende additivtoxische Wirkungen besonders begünstigt würden („Lötlampeneffekt"), wur- de in der Folge von gleicherma- ßen kompetenten Sachkennern entweder als bewiesen angenom- men oder völlig abgelehnt. Nach- dem weder experimentelle noch epidemiologische Ansätze zur eindeutigen Widerlegung dieser Hypothese geführt hatten, nahm der Hersteller vor einer vom BGA vorgesehenen Stufenplananhö- rung und auf dringende Empfeh- lung des Amtes die Präparate weltweit vom Markt zurück. Ob es

in Zukunft gelingen wird, diese im Prinzip zweifellos interessanten Arzneimittel durch weitere Unter- suchungen von dem geäußerten Verdacht zu entlasten, erscheint zweifelhaft.

Pyrazolidinderivate

Auch die antiinflammatorischen Pyrazolidinderivate — ältester und bedeutendster Vertreter das Phe- nylbutazon — sind seit Jahrzehn- ten eingeführte, in ihrem Neben- wirkungsprofil seit Mitte der fünf- ziger Jahre wohlbekannte Wirk- stoffe. Wenn dennoch vor kurzem im Rahmen des Stufenplans eine Anhörung über acht Stoffe aus dem mehr oder weniger engen chemischen Umkreis des Phenyl- butazons erforderlich wurde, so stehen dahinter weniger neue Er- kenntnisse als ein gewandeltes Bewußtsein. Schon recht bejahrte Auflagen verbreiteter Lehrbücher der Pharmakologie wiesen deut- lich darauf hin, daß Phenylbuta- zon und seine engeren Verwand- ten vor allem wegen des relativ hohen hämatologischen Risikos ihrer Anwendung nur in solchen Fällen, wo ihre hohe Wirksamkeit tatsächlich benötigt werde, und dann auch nur in der erforder- lichen Dosis und so kurzfristig wie möglich verordnet werden sollten.

Hinter diesen Warnungen standen betrübliche Erfahrungen aus den ersten Anwendungsjahren, die in der jüngst erstellten und über Schweden Ende letzten Jahres in die hiesige Diskussion gelangten Sammelstatistik des größten Her- stellers solcher Arzneimittel einen beträchtlichen Anteil einnehmen.

Die Einführung immer neuer, nicht ganz so stark wirkender, da- für aber besser verträglicher NSAID hat es in der Folge dem Arzt sicher leichter gemacht, die Indikation für Pyrazolidinderivate streng zu stellen. Damit sind de- ren Umsätze laufend gesunken und dementsprechend weniger Nebenwirkungen aufgetreten.

Hätte sich jedoch die sachgerech- te restriktive Verordnungsweise

voll durchgesetzt, so wäre die Be- troffenheit über kumulative, stark vergangenheitslastige Daten schwer verständlich. Aber ein Großteil der hier beteiligten Fir- men machte eben in der Informa- tion über solche Mittel die er- wähnten Restriktionen bisher nicht ausreichend deutlich; und es wäre ein Sonderfall, wenn die ärztliche Verschreibung den vom Hersteller angebotenen Rahmen nicht weitgehend in Anspruch nähme.

Es geht hier also darum, einer Gruppe hochwirksamer Stoffe aufgrund einer erneuten Be- standsaufnahme ihren richtigen Platz in der Therapie zuzuweisen.

Gewisse Unterschiede innerhalb der Familie machen diese Aufga- be nicht ganz einfach.

Insbesondere für Phenylbutazon und Oxyphenbutazon wird es aber darum gehen müssen, einem Zu- stand abzuhelfen, der in dem Be- richt der US-Gesundheitsbehörde über die kürzlich dort abgehalte- ne Anhörung zu diesen beiden Stoffen kritisiert wird und sicher nicht nur auf die Vereinigten Staa- ten beschränkt ist. Es heißt dort:

„Diese Arzneimittel werden ge- genwärtig in nennenswertem Aus- maß zur Behandlung geringfügi- ger und selbstheilender Zustände eingesetzt, bei denen der erwarte- te Nutzen das eingegangene Risi- ko nicht rechtfertigen kann."

Indoprofen

Wiederum andere Gründe haben dazu geführt, daß auch Indcpro- fen kürzlich Gegenstand einer Stufenplan-Anhörung des BGA geworden ist. Aus breit angeleg- ten, nicht vergleichenden Post- Marketing-Studien, die der Her- steller in Auftrag gegeben hatte, war eine in Großbritannien von niedergelassenen Ärzten durch- geführte Untersuchung hinsicht- lich der gastrointestinalen Ver- träglichkeit ungünstig herausge- fallen; die britische Arzneimittel- behörde hatte daraufhin die Zu- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (57) 3333

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Nichtsteroidale Antirheumatika

lassung vorläufig mit Einschrän- kungen suspendiert; der pharma- zeutische Unternehmer hatte die Indikationen und Risikoangaben in der deutschen Packungsbeila- ge auf Veranlassung des BGA ge- ändert.

Entwicklung neuer Wirkstoffe ausgegangen sei. Ein derartiger Kahlschlag ist keineswegs zu be- fürchten. Er würde nicht einmal dann stattfinden, wenn ein in ei- nem anderen Land ausgespro- chenes Verbot die Rücknahme

Freinamen und ausgewählte Handelsbezeichnungen der im Text erwähnten Wirkstoffe

Azetylsal izylsäu re z. B. Aspirin®

Benoxaprofen z. B. Coxigon®

Diclofenac z. B. Voltaren® lbuprofen z. B. Bruten®, Dolgit®

Indemetaein z. B. Amuno®

lndoprofen z. B. Flosin®

Phenylbutazon z. B. Butazolidin®, Elmedal®

Tabelle 1

Die Anhörung beim BGA am 16.

März 1984 sollte vor allem die Fra- ge beantworten helfen, wie hoch das Risiko schwer gastrointestina- ler Nebenwirkungen unter lndo- profen tatsächlich ist und auf wel- chen Anwendungsgebieten der Nutzen dieses Risiko überwiegt.

Während das Amt mit der Auswer- tung der Anhörung beschäftigt war, wurden Versuche an Ratten bekannt, bei denen lndoprofen zu gastrointestinalen Tumoren ge- führt hatte. Daraufhin mußte bis zur Klärung der Frage, welche Be- deutung diese Befunde für den Menschen haben können, das Ru- hen der Zulassung angeordnet werden.

All diese Ereignisse haben nicht nur bei Patienten, sondern auch in der Ärzteschaft erhebliche Be- sorgnis hervorgerufen. Manche Rheumatelagen fragen ernsthaft, ob die Sicherheitspolitik der Be- hörden, die auf jede neue Schrek- kensmeldung mit Verboten zu reagieren drohen, am Ende nur noch die Azetylsalizylsäure übrig lassen werde, von deren offen- sichtlichen Nachteilen doch die

der Zulassung auch für den Gel- tungsbereich des Arzneimittelge- setzes zwingend nach sich ziehen müßte. Bei der Bewertung einer im Ausland getroffenen Maßnah- me sind jedoch regionale Unter- schiede- durchaus nicht nur poli- tischer, sondern auch medizini- scher Natur- zu berücksichtigen, die nicht selten gegen ein analo- ges Vorgehen sprechen werden.

Dieses differenzierte Verfahren hat andererseits natürlich seine Grenzen. So hätte man das Beno- xaprofen sicher nicht mit der Be- gründung, das unvertretbare Risi- ko habe sich nur im Ausland ge- zeigt, am Markt lassen können. Es ließ sich ja nicht ausschließen, daß eine hierzulande bessere Ver- träglichkeit nur durch geringeren Marktanteil und geringere Melde- bereitschaft der Ärzte vorge- täuscht worden war. Der Herstel- ler hätte also damals mit Rück- nahme der Zulassung rechnen müssen, wäre er dieser nicht durch freiwillige Zurückziehung des Präparates zuvorgekommen. Auf jeden Fall wird in Zukunft wei- terhin eine Medikamentenpalette zur Verfügung stehen, die es dem 3334 (58) Heft 45 vom 7. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

Arzt erlaubt, von den Präparaten, die er in der Regel einsetzt, im Einzelfall auf Alternativen auszu- weichen. Da die symptomatische antiinflammatorische Therapie, gleich mit welchem existierenden Arzneimittel, noch viele Wünsche offenläßt und kausal orientierte Therapieansätze für keine Krank- heit des rheumatischen Formen- kreises in Sicht sind, ist überdies mit einem ständigen Strom neuer Wirkstoffe zu rechnen. Besteht al- so zur Panik kein Anlaß, so doch zu heilsamer Beunruhigung, die in die Frage münden sollte, wo vielleicht Fehler gemacht worden seien und was man in Zukunft besser machen könne.

Die Hersteller

Zunächst müßte sich jeder Her- steller fragen, welchen Anteil er selbst daran haben kann, daß sein Präparat in die Schlagzeilen ge- rät. Hier gibt es vielfältige Mög- lichkeiten:

..,.. Der Hersteller kann tierexperi- mentelle Hinweise auf ungewöhn- liche toxische Wirkungen als irre- levant abtun und sie deshalb viel- leicht sogar der Behörde vorent- halten. Die Versuchung hierzu ist besonders groß, wenn die Schä- den etwa nur bei einer bestimm- ten Versuchsanordnung auftreten und in der klinischen Prüfung mit ihrer relativ kleinen Fallzahl zu- nächst keine analogen Beobach- tungen gemacht werden. Kommt es zu entsprechenden Schäden bei breiter Anwendung, wird sich der Hersteller kaum von der Ver- antwortung entlasten können. ..,.. Der Hersteller kann in der klini- schen Prüfung die gezielte Unter- suchung spezifischer Risiken un- terlassen. Er gibt sich z. B. damit zufrieden, daß in vitro und am ge- sunden Probanden eine bestimm- te denkbare Interaktion mit einem anderen Medikament nicht aufge- treten ist. Später kommt es dann doch dazu, weil die behandelte Krankheit einen zusätzlich begün- stigenden Faktor eingebracht hat.

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..,. Oder der Hersteller vertraut darauf, daß in der klinischen Prü- fung alle später denkbaren Risi- kogruppen vorgekommen sein müssen und sich dennoch durch- schnittlich nichts Auffälliges ge- zeigt hat. Er betreibt also eine Art fahrlässiger "Mischkalkulation", die später durch das Auftreten von Schäden - z. B. bei mehrfach risikobelasteten Patienten - als solche erkannt wird.

~ ln dem verständlichen Wunsch, sein Präparat möglichst günstig im Spektrum anzusiedeln, kann der Hersteller schon die mittlere empfohlene Dosis in ei- nen Bereich hoher antiinflamma- torischer Wirksamkeit legen. Dies muß über den gemeinsamen Me- chanismus, der die Entzündungs- hemmung mit den meisten der unerwünschten Wirkungen ver- bindet, zu relativ häufigen Unver- träglichkeiten führen. Ein solches

"Ausreizen" des erwünschten

Wirkungsspektrums ist aber nur in solchen Fällen sinnvoll, wo das entzündliche Geschehen ganz im Vordergrund steht. Da, wo die an- algetische Wirkkomponente allein schon weitgehend ausreicht, ge- nügen bei vielen NSAID niedrige- re und damit deutlich besser ver- trägliche Dosen. Wer hier in der Dosierungsempfehlung nicht dif- ferenziert, belastet das Verträg- lichkeitsprofil seines Präparates ohne Not.

~ Der Hersteller kann mit Hilfe bewährter Methoden der wissen- schaftlichen Werbung die mög- lichst rasche und "flächendecken- de" Einführung seines Präparates betreiben. Allen Versicherungen zum Trotz, daß es sich bei Arznei- mitteln um "Waren besonderer Art" handele, gibt es für dieses Vorgehen einige neuere Beispie- le. Die Gefahr liegt auf der Hand: Wird eine gravierende neuere Ne- benwirkung oder das unvermutet häufige Auftreten einer schon ge- läufigen Komplikation bekannt, sind bereits unnötig viele Patien- ten betroffen. Für die Erkennung auch seltener Erscheinungen rei- chen ja Fallzahlen aus, die bei

überhasteter Einführung rasch überschritten werden. Auf die Zu- lassungsentscheidung kann sich übrigens der Hersteller bei einer derartigen "Markteroberung"

nicht mit gutem Gewissen beru- fen; sie schafft ja nur die materiel- len Voraussetzungen für das ge- wissenhafte Sammeln der prak- tisch immer zu erwartenden wei- teren Erfahrungen.

Folgerungen

für die Aufsichtsbehörde

Welche Folgerungen ergeben sich aus den geschilderten Ge- schehnissen für die zuständige Aufsichtsbehörde?

1. Die Datenbasis der Risikoer- mittlung und-bewertungmuß ver- bessert werden. Die Behörde kann, was das Spontanmeldesy- stem angeht, keinen Wunschträu- men nachhängen; sie muß vorläu- fig weiter davon ausgehen, daß er- ste Hinweise auf unerwartete Ne- benwirkungen hierzulande ver- wendeter Arzneimittel bisher häu- fig aus dem Ausland gekommen sind, um dann allerdings bestäti- gende einheimische Berichte aus- zulösen. Aber auch bei größerer Meldefreudigkeit könnte ein Sy- stem spontaner Meldungen nicht alle Erwartungen erfüllen. Ohne eine systematische Beobachtung neu eingeführter Mittel wird es auf die Dauer nicht abgehen kön- nen. Hier ist nicht der Ort, über die Möglichkeiten einer "kontrol- lierten Freigabe" zu diskutieren, die im Rahmen unserer Gesetze, insbesondere auch unserer Da- tenschutzregeln, denkbar wären. Erfahrungen anderer Länder mit unterschiedlichen Modellen stün- den jedenfalls schon zur Verfü- gung.

Die Finanzlage würde vielleicht die Beschränkung auf nur einen Teil der neuen Stoffe nahelegen, was jedoch zu einer nicht wünsch- baren Auswahl aufgrund von Vor- urteilen führen müßte. Neue NSAID wären aber dabei immer mit einzubeziehen.

2. Die Erkenntnisse, die insbe- sondere aus den Anhörungen her- vorgegangen sind, müssen sich in der Information über Arzneimittel niederschlagen. Vor allem muß das spezifische Wirkungsprofil der einzelnen NSAID in Zukunft in den Gebrauchsinformationen deutlicher zum Ausdruck kom- men. Dies betrifft vor allem die unerwünschten Wirkungen. Wenn z. B. das Häufigkeitsverhältnis zwischen gastrointestinalen und kutanen Nebenwirkungen für eine bestimmte Substanz 9: 1, für eine andere aber 0,3 : 1 beträgt (Daten des britischen Committee on Safety of Medicines), so muß die- ser Unterschied aus den bei- den Packungsbeilagen abzulesen sein. Erfreulicherweise verlangt das "Technische Merkblatt" der gerade verabschiedeten einschlä- gigen EG-Richtlinie die Angabe der unerwünschten Wirkungen nicht nur nach Art, sondern auch nach Schwere und Häufigkeit. Der Boden für eine solche Forderung ist also offenbar bereitet.

Quantitative Angaben über Ne- benwirkungen könnten übrigens auch der von den meisten Ärzten beklagten Verunsicherung der Pa- tienten entgegenwirken. Zumin- dest ein Teil der Patienten käme in die Lage, anhand von Zahlenan- gaben das wirkliche Risiko besser abzuschätzen.

3. Die gesamte Gruppe der NSAID bedarf einer synoptisch an- gelegten Aufarbeitung vorhande- ner Erkenntnisse. Ziel dieser Ar- beit muß eine Klassifikation sein, die es dem Arzt erlaubt, aus die- ser gar nicht so homogenen Wirk- stoffgruppe jeweils diejenige Substanz auszuwählen, die ihm im Einzelfall die besten therapeu- tischen Aussichten zu bieten scheint. Diese Aufgabe obliegt der Kommission B 2 (Rheumatolo- gie) beim BGA, einer der soge- nannten Aufbereitungskommis- sionen, die aufgrund von § 25, Abs. 7 AMG das wissenschaftliche Erkenntnismaterial über bekannte Wirkstoffe aufzuarbeiten haben.

Die Kommission B 2 hat in ihrer Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (61) 3335

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Nichtsteroidale Antirheumatika

konstituierenden Sitzung am 14.

März 1984 die Aufbereitung von Erkenntnissen über NSAID als dringlichste Teilaufgabe einge- stuft und schon erste Arbeits- schritte eingeleitet.

Der Arzt als Anwender

Was kann der Arzt tun, um auf die- sem Felde zur größeren Sicher- heit beizutragen?

• Vor der Teilnahme an der klini- schen Prüfung eines neuen Stof- fes sollte er fragen, welche harten Gründe hier einen klinisch rele- vanten Fortschritt erwarten las- sen. Chemisch neue, pharmakolo- gisch-klinisch aber von bekannten Stoffen kaum unterscheidbare NSAID vermehren meist nicht die Zahl der nützlichen Alternativen, sondern schränken nur die Mög- lichkeiten ein, mit vorhandenen Präparaten breitere Erfahrungen zu sammeln. Im Zweifel ist hier der Rat eines erfahrenen Rheu- matologen oder eines klinischen Pharmakologen zweckmäßig.

• Neu eingeführte NSAID sollten zuerst bei nur wenigen Patienten, und zwar überwiegend bei sol- chen eingesetzt werden, die mit vorhandenen Mitteln nur unbe- friedigend zu behandeln waren.

Die bloße, durch die Werbung be- flügelte Hoffnung, das neue Mittel könnte noch besser als das bisher verwendete gute Präparat sein, sollte nicht zur Umstellung veran- lassen.

O Der Indikationskatalog sollte in der Regel eher enger verstanden werden, als er in der Gebrauchsin- formation angeboten wird. Zwar sind die dort aufgeführten Anwen- dungsgebiete, wenn das Präparat das Zulassungsverfahren durch- laufen hat, natürlich durch die ge- setzlich geforderten Nachweise belegt. Dies erspart aber nicht das Nachdenken über vielleicht weni- ger riskante Maßnahmen, die ei- ner Behandlung mit NSAID zu- nächst vorzuziehen wären. Natür- lich kann ein „Weichteilrheuma-

tismus" mit einem solchen Stoff wirksam behandelt werden. Die- ses Etikett tragen aber auch die so häufigen psychogenen Muskel- verspannungen, die doch wohl ei- ne so differente Medikation nicht rechtfertigen.

O Ein wichtiger Punkt ist die Do- sierung. Bei neuen Präparaten sollte sich der Arzt zunächst Klar- heit darüber verschaffen, ob die vom Hersteller empfohlene mittle- re Dosis eher auf hohe Wirksam- keit oder aber auf gute Verträg- lichkeit hin gewählt wurde. Nur dann weiß er, in welcher Richtung er diese mittlere Dosis beim ein- zelnen Patienten zu modifizieren hat.

Bei Substanzen mit langer Halb- wertszeit neigen die Hersteller da- zu, eine Dosierung zu empfehlen, die zwar einen ausreichend ra- schen Wirkungseintritt sichert, in der Folge aber zu Blut- und Ge- webskonzentrationen führt, die die therapeutisch erforderliche Höhe im Einzelfalle weit überstei- gen können. Bei solchen Stoffen ist also von dem Zeitpunkt ab, in dem der Patient deutlich auf die Medikation anspricht, eine Dosis- reduktion meist möglich und ge- boten. Aber auch bei rascher eli- minierbaren Stoffen läßt sich die Dosis nach Abklingen akuter Krankheitsstadien sehr oft ohne Wirkungseinbuße herabsetzen.

Solche Überlegungen kommen besonders den Patientengruppen zugute, denen in den Gebrauchs- informationen für neuere zugelas- sene NSAID ein besonderes Risi- ko zugeordnet wird.

O Vor dem Einsatz parenteraler Darreichungen sollte der Arzt sich fragen, ob er hier Vorteile gegen- über der oralen Gabe sieht, die über den Placeboeffekt der

„Spritze" hinausgehen und das zusätzliche Risiko rechtfertigen können. Bei sehr vielen NSAID kommt es nach intramuskulärer Gabe nur wenig früher zu effekti- ven Wirkspiegeln als nach oraler Verabreichung. Dem steht die

Möglichkeit lästiger bis gravieren- der lokaler Reaktionen gegen- über. Die intravenöse Gabe wirkt natürlich am raschesten, ist aber wiederum mit dem Risiko von ört- licher Gefäßreaktion, Kollaps und anaphylaktischem Schock behaf- tet.

Für parenteral zu verabreichen- de Mischpräparate aus NSAID und wasserlöslichen Glukokortikoiden gibt es erstaunlicherweise keine Untersuchungen, aus denen der relative Anteil der beiden Kompo- nenten an der Wirksamkeit abzu- lesen wäre.

Das stets angeführte Argument, die Kombination zweier verschie- dener Wirkprinzipien führe zu ho- her Wirksamkeit bei optimaler Verträglichkeit, steht damit hier auf ziemlich schwachen Füßen.

Wenn aber das Glukokortikoid keine sichere Aufgabe hat, jedoch zumindest bei wiederholter Ver- abreichung unerwünschte Wir- kungen erwarten läßt, so er- scheint sein Einsatz bedenklich.

Ist hier noch eine andere Ein- schätzung denkbar, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß par- enterale Zubereitungen aus NSAID und Kortikoid-Kristallsus- pensionen sowie oral zu verabrei- chende NSAID-Kortikoid-Kombi- nationen auf keinen Fall mehr an- gewendet werden sollen. Die en- dokrinologischen Gründe für die- se Einschätzung dürften hinrei- chend bekannt sein.

Treten unerwünschte Wirkun- gen auf, sollte sie der Arzt auf jeden Fall melden, auch wenn sie ihrer Art nach von dem betreffen- den Wirkstoff schon bekannt wa- ren.

Wie schon erwähnt, bestehen zwi- schen verschiedenen NSAID mit qualitativ gleichem Nebenwir- kungsspektrum erhebliche quan- titative Unterschiede. Hiervon dürften die neueren Substanzen keine Ausnahme machen. Solche klinisch wichtigen Unterschiede können aber nur dann gefunden 3336 (62) Heft 45 vom 7. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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werden, wenn der Arzt systema- tisch neue Fälle einer grundsätz- lich schon bekannten Nebenwir- kung immer wieder meldet.

(;) Wenn der Arzt nach einem Er- satz für ein nicht mehr verfügba- res oder inkriminiertes Präparat sucht, so sollte er sich die verblei- benden Alternativen gründlich an- sehen. Pauschalierende Empfeh- lungen, wie sie jetzt öfter in Publi- kationen auftauchen, genügen hier kaum als Entscheidungs- grundlage. So wurden z. B. unter dem Motto „Wirkstoffe mit kurzer Halbwertszeit sind zweckmäßig"

in einem Atemzug Azetylsalizyl- säure, Ibuprofen, Diclofenac und Indometacin genannt (Arzneitele- gramm 1/84). Eine solche Empfeh- lung setzt natürlich beim Arzt die Kenntnis voraus, daß die genann-

ten vier Wirkstoffe sich zwar in der Eliminationsgeschwindigkeit äh- neln mögen, ansonsten aber — ge- rade auch bezüglich unerwünsch- ter Wirkungen — unterschiedliche Profile besitzen. Da es sich sämt- lich um langerprobte Substanzen handelt, sind ihre typischen Ei- genschaften auch bekannt und können der Auswahl zugrunde ge- legt werden.

Resümee

Die Unruhe, die das Gebiet der nichtsteroidalen Antirheumatika befallen hat, sollte nicht als Folge unberechtigter Störmanöver ab- getan werden. Sie spiegelt doch wohl Unsicherheiten wider, so- wohl was die Kenntnisse über die- se Arzneimittel als auch was den Umgang mit ihnen angeht. Wenn

die zuständige Aufbereitungs- kommission jetzt begonnen hat, den Wissensstand über NSAID zu kompilieren, ihn in kurzgefaßte In- formation umzusetzen und präzi- sere Regeln für die Anwendung solcher Stoffe zu formulieren, so wird sie damit nicht nur die Vor- aussetzungen für die kommende Nachzulassung schaffen, sondern einem ganz aktuellen Bedürfnis der behandelnden Ärzte und ihrer Patienten dienen können.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Lutz Blumenbach Direktor und Professor im Institut für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes Seestraße 10

1000 Berlin 65

FÜR SIE GELESEN Bekanntmachung

der Bundesärztekammer Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gibt bekannt

FLECAINID (TAMBOCOR®) — Dosierung kritisch!

Flecainid hat die Behand- lungsmöglichkeiten von Herzrhythmusstörungen be- reichert. Aus gegebenem Anlaß ist jedoch darauf hin- zuweisen, daß bei der Ver- ordnung von Tambocor®

nicht nur die Dosierungs- richtlinien des Herstellers in der „Gebrauchtsinformation für Fachkreise" sorgfältig zu beachten sind, sondern auch im Rahmen dieser Empfehlung eine individuel- le Dosierungsanpassung und Überwachung erforder- lich ist. Auch hierüber ist in der „Gebrauchsanweisung für Fachkreise" Näheres zu finden.

Die in der „Roten Liste"

1984 angegebene Initialdo- sis von 2 x 2 Tabletten

gleich 400 mg täglich, die für einen Teil der Patienten zu hoch ist, sollte nicht unkri- tisch als Erhaltungsdosis fortgeführt werden und kann in einzelnen Fällen auch zu Beginn der Therapie zu schweren Erregungsaus- breitungsstörungen, Verlän- gerung der Erregungsrück- bildung -und akuter Links- Herz-Insuffizienz führen.

Sorgfältige Überwachung ist daher, insbesondere bei Therapiebeginn, ratsam.

Selbst bei einer Dauerthera- pie mit 2 x 1 Tablette (200 mg) können in Einzelfällen kardiale Dekompensation oder schwere Erregungslei- tungsstörungen im EKG auf- treten. Beta-Rezeptoren- Blocker verstärken diese ne- gativen Wirkungen auf das Herz.

Präparat: Tambocor® (Ket- telhack Riker) Tabletten 100 mg (20, 50, 100), Ampullen 50 mg (5).

Hyperimmun- globulinämie D

und periodisches Fieber:

Ein neues Syndrom

Bei sechs Patienten holländischer Abstammung mit einer langen Krankengeschichte, die von wie- derholten Rückfallfieberschüben unbekannter Genese geprägt war, wurden ein hoher lmmunglobu- lin-D-(IgD-)Serumspiegel und eine große Anzahl Plasmazellen mit zy- toplasmatischen IgD im Knochen- mark diagnostiziert.

Da das klinische Bild dem des fa- miliengebundenen mediterranen Fiebers (FMF) ähnelte, wurden ebenfalls die Sera von FMF-Pa- tienten untersucht. Nur einer von acht FMF-Patienten hatte — so die Autoren — erhöhte IgD-Serum- werte. dpe

Van der Meer, J. W. M., et al.: Hyperimmuno- globulinaemia D and periodic Fever: A New Syndrome, The Lancet I (1984) 1087-1090; J.

W. M. van der Meer, Infectious Diseases, Aca- demisch Ziekenhuis Leiden, Rijnsburgerweg 10, 2333 A Leiden, The Netherlands

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 45 vom 7. November 1984 (65) 3337

Referenzen

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