• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Wiedereingliederung von Suchtkranken: Nur bescheidene Erfolge" (13.04.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Wiedereingliederung von Suchtkranken: Nur bescheidene Erfolge" (13.04.1978)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Ergebnisse der (sozialen) Rehabilitation von Suchtkran- ken sind bisher nicht zufrie- denstellend. Der Verfasser stellt dar, was seiner Meinung nach die Wiedereingliederung so erschwert. Er hat langjähri- ge Erfahrungen mit Selbster- fahrungsgruppen und ist einer der Initiatoren des Kölner

„Zentrums für Selbstrehabili- tation", das seit etwa zwei Jahren mit bescheidenen Mit- teln (70 Rehabilitanden), aber, was die bisherigen Rückfall- quoten angeht. relativ erfolg- reich arbeitet.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 15 vom 13. April 1978

Wiedereingliederung von Suchtkranken:

Nur bescheidene Erfolge

Bedeutung der Selbsterfahrungsgruppen

Rudolf A. Zierholz

1.

Ambulante

Selbsterfahrungsgruppen

Die vorhandenen ambulanten Selbsterfahrungsgruppen für Sucht- kranke können ihre Aufgabe meist deshalb nicht richtig erfüllen, weil es:

> zu wenige Gruppen gibt,

> die einzelne Gruppe zu groß ist (oft hat sie mehr als dreißig Mitglie- der bei jeder Sitzung),

1> das therapeutische Klima bei vie- len Gruppen unstabil ist, weil die Empfehlung der sich als erfolgreich bewiesenen Genesungsprogramme nicht mit der notwendigen Konse- quenz beherzigt wurde und dadurch speziell in jenen Gruppen mehr Rückfälle als Abstinente produziert werden (dies gilt auch für die allge- mein als besonders erfolgreich be- kannten Gruppen der Anonymen Al- koholiker),

> zwischen den Gruppen mit un- terschiedlichen Genesungspro- grammen ein der Sache schädlicher Konkurrenzneid bisher nicht genü- gend abgebaut werden konnte, weil u. a. die für eine Koordinierung von Maßnahmen und die Herstellung ei- ner gut funktionierenden Kommuni-

kation eigentlich zuständigen Insti- tutionen ihre Aufgaben nicht opti- mal zufriedenstellend erfüllen kön- nen (über die dafür maßgeblichen tatsächlichen Gründe muß in einem Sonderbericht eingegangen wer- den, da die Erläuterung zu umfang- reich ausfallen würde),

> die Bedeutung der Gruppen noch immer — teilweise gewiß auch aus der Kenntnis ihrer Schwachstel- len — von Ärzten, Fachärzten (Psychiatern), Psychologen, Sozial- arbeitern, Geistlichen, Kriminolo- gen, Richtern, Staatsanwälten usw.

zu wenig anerkannt wird und des- halb nicht die notwendige Förde- rung findet, wobei davon auszuge- hen wäre, daß selbst eine noch nicht gute Gruppe immer noch besser ist als keine.

Obgleich die Anonymen Alkoholiker in der Bundesrepublik mit über 600 Gruppen den größten Beitrag zur (sozialen) Rehabilitation von Alko- holikern und Medikamentenabhän- gigen in ihren Selbsterfahrungs- gruppen bieten, stellt die Zahl der Gruppen, die einigermaßen gut bis gut funktionieren, auch bei einer solchen aktiven Selbsthilfeorganisa- tion nur etwa zehn Prozent des tat- sächlichen Bedarfs an solchen Gruppen dar.

905

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Wiedereingliederung von Suchtkranken

Teilstationäre Einy'chtungen

Teilstationäre Einrichtungen, wie sie unter anderem als Übergangswohn- heime für eingliederungswillige Suchtkranke, die aus Gefängnissen, Landeskrankenhäusern und/oder Heilstätten entlassen werden, in der Enquete zur Lage der Psychiatrie als besonders vordringlich zu schaffen bezeichnet worden sind, gibt es bis- her nur in wenigen Ausnahmefällen.

Verantwortlich für diese unbefriedi- gende Lage ist vor allem die Unklar- heit, wer als Kostenträger dafür auf- zukommen hat. Deshalb können die dennoch vorhandenen Übergangs- wohnheime die ihnen von der Psychiatrieenquete zugedachte Auf- gabe kaum richtig erfüllen. In man- chen Fällen hat das zur Resignation und Wiederauflösung solcher Ein- richtungen, in anderen wenigen Ausnahmen zur Umstellung auf Selbsthilfe etwa nach dem Beispiel der Release I (Synanon), Berlin (Lei- ter: Ingo Warnke), des SSK (Sozial- pädagogische Sondermaßnahmen Köln — Jetzt: Sozialistische Selbst- hilfe Köln) und beim Zentrum für Selbstrehabilitation Köln geführt.

Aus eigener Erfahrung stellen sich die Ursachen, weshalb solche Ein- richtungen die ihnen in der Enquete als besonders wichtig zu erfüllende Aufgabe doch nicht zufriedenstel- lend lösen können, so dar:

I> Sofern sich ein Kostenträger für die Rehabilitanden findet, dauert das Genehmigungsverfahren viel zu lange und dann kommt für die Ein- richtung noch die Durststrecke bis zur ersten Pflegekostenzahlung.

Beim Zentrum für Selbstrehabilita- tion zum Beispiel hat es von der im September 1976 erfolgten Zustim- mung des Landschaftsverbandes Rheinland bis zur ersten Zahlung ei- nes vorläufigen Pflegekostensatzes von 25 DM pro akzeptierten Rehabi- litanden bis zum April 1977 gedau- ert; und bis heute sind noch nicht einmal für alle akzeptierten Rehabi- litanden diese Abschlagzahlungen eingegangen. Aus diesem Beispiel dürfte verständlich werden, welche

Probleme die Zwischenfinanzierung dem Träger einer solchen Einrich- tung stellt.

> Die Kontrolle durch den Kosten- träger ist übermäßig belastend. Die Auflagen, welche der Heimträger punktgenau zu erfüllen hat, sollen dem Kostenträger seine Kontroll- funktion erleichtern. Das gilt auch für die Therapiepläne. Dabei wird aber vielfach nach bürokratischen Vorschriften in einer Art und Weise verfahren, daß durch die Auflagen- erfüllung die Aufgabenerfüllung leidet.

I> Bei den für die Rehabilitation im weitesten Sinne zuständigen Ko- stenträger gibt es zu wenig Exper- ten, die konkret wissen, welche Prio- ritäten betriebsintern von einem Übergangswohnheim gesetzt wer- den müssen und daß die richtige Reihenfolge einer Vielzahl von Maß- nahmen erst dazu führen kann, daß keine Rückfälle entstehen.

> Die für die Rehabilitation von Suchtkranken verantwortlichen Stellen haben offenbar keine gut und über Bundesländergrenzen funktionierende Kommunikation, so daß es schwer ist, einen Suchtkran- ken aus einem Bundesland zur Re- habilitation stationär in einem ande- ren Bundesland unterzubringen und seinen weiteren Werdegang genau zu beobachten.

I> Die Problemlösung (dauerhafte Abstinenz trotz privaten und berufli- chen Belastungen) wird auch bei Übergangswohnheimen überwie- gend durch eine Fortsetzung der un- zweckmäßigen „Käseglockenthera- pie" mit konventionellen stationären Methoden zu erreichen versucht.

Erst die Überwindung dieser „Käse- glockenprinzips" bringt jedoch Erfolg.

• Die Unfähigkeit von Suchtkran- ken, nach ihrer Entlassung aus klini- scher Behandlung abstinent zu blei- ben, hat die Notwendigkeit von Übergangswohnheimen zwar ver- ständlich gemacht. Die derzeitige Wirtschaftslage trägt aber zu einer erneuten Problemverschärfung bei,

weil die aus einer Entziehungsbe- handlung kommenden Suchtkran- ken (abgesehen von besonders ge- fragten Fachleuten) kaum direkt wieder eine gute Stellung, wenn überhaupt eine Arbeit, finden. Dem- zufolge muß beim Übergangswohn- heim im gesamttherapeutischen Konzept deutlich ein Schwerpunkt zur beruflichen Wiedereingliede- rung bei dauerhafter Abstinenz ge- setzt werden. Dazu ist die Integra- tion der Rehabilitanden in existie- rende oder neu zu gründende Selbsterfahrungsgruppen zwingend nötig, weil die Erfahrung zeigt, daß selbst der in jeder Weise krankheits- einsichtige und motivierte Sucht- kranke auf Dauer nicht ohne einen guten Kontakt mit einer Selbsterfah- rungsgruppe abstinent zu bleiben vermag. Diese Kontaktanbahnung, die in der Einrichtung, in der der Verfasser tätig ist, konsequent be- trieben wird, ist freilich für den oder die Begleiter mit erheblichen Über- stunden oder Freizeitverlust verbun- den, da die ambulanten Gruppen meistens von 20 bis 22 Uhr tagen.

III. Stationäre Einrichtungen

Grundsätzlich kann jede stationäre Einrichtung für Suchtkranke — ins- besondere für Alkoholkranke — trotz ihrer teilweise sehr erheblichen Ab- weichungen voneinander im Thera- piekonzept den entscheidenden Wendepunkt herbeiführen. Die Fra- ge ist nur, ob prinzipiell nach dem Grundsatz verfahren wird, den Suchtkranken nicht nur zu einem guten Teammitglied der hauseige- nen Therapiegruppe zu machen, sondern — was viel entscheidender ist — ihn auf die Wirklichkeit nach seiner Entlassung mit schonungslo- ser Offenheit vorzubereiten.

Auch dann ist das noch alles nur blasse Therorie, solange der motiva- tionsfähige und -bereite Abhängig- keitskranke nicht gleichzeitig und kontinuierlich an eine neue für ihn von nun an lebenswichtige Gewohn- heit praktisch herangeführt wird.

Mit anderen Worten: Seine Integra- tion in eine ambulante Selbsterfah-

906 Heft 15 vom 13. April 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Wiedereingliederung von Suchtkranken

rungsgruppe müßte eigentlich wäh- rend seines stationären Aufenthaltes in einer Fachklinik (oder auch einem Landeskrankenhaus) erfolgen; und zwar so, daß er den Besuch der am- bulanten Gruppen nach seiner Ent- lassung auch ohne weitere Anstöße von sich aus fortsetzt.

Bisher wird das fast nirgendwo in der Bundesrepublik auch nur annä- hernd richtig gehandhabt.

Im Gegenteil: Man lädt die Vertreter von ambulanten Selbsterfahrungs- gruppen zwar in das Landeskran- kenhaus oder die Klinik ein, wo sie vielleicht einmal alle vierzehn Tage einen Gruppenabend zu gestalten versuchen. Doch der entspricht na- türlich niemals der Wirklichkeit ei- ner draußen tagenden ambulanten Selbsterfahrungsgruppe. Damit ist natürlich nichts gegen die Kontakt- besuche von Selbsterfahrungsgrup- pen in Kliniken und Landeskranken- häusern gesagt, weil dadurch in vie- len Fällen eine erste Verbindung mit einem nach seiner Problemlösung suchenden Kranken in einer ge- schlossenen Abteilung — oder auch in einem Gefängnis — hergestellt wurde, die später tatsächlich zur dauerhaften Abstinenz führte. Aber in Fällen, wo die Kranken in die Gruppen nach draußen gehen könn- ten, sind die Kontaktbesuche keine genügende Kompensation. Einmal schon deshalb nicht, weil es den Rehabilitanden nicht zu bequem ge- macht werden darf, wenn sie tat- sächlich selbst die nötigen Änderun- gen bei sich vorzunehmen lernen sollen. Weiter auch nicht, um auszu- schließen, daß sie sich an das Leben

„da drinnen" mit seiner rundum or- ganisierten Geborgenheit gewöh- nen, was zu Hospitalisierungsschä- den führt, die später nur recht schwer und mühselig abgebaut wer- den können.

Damit ist nichts gegen die endlich eingeführten größeren Freiheiten für Patienten in den Landeskranken- häusern gesagt. Sie waren lange überfällig. Aber — sie sind nicht die Freiheit selbst. Auf die kann sich ein suchtkranker Patient nur richtig vor- bereiten, wenn er draußen in den

ambulanten Selbsterfahrungsgrup- pen seine ehemalig lebensuntüchtig gewesenen „Brüder und Schwe- stern von der gleichen Fakultät"

trifft, die nun schon jahrelang absti- nent sind und sich sozial integriert haben. Denn sie können ihm sagen, wie es bei ihnen war, als sie wieder draußen nach der Entlassung ohne Rückfall Fuß zu fassen versuchten.

Das im Landeskrankenhaus mit dem seinen vielleicht 33. Aufenthalt an- getretenen Alkoholiker zu führende Gespräch wird für einen neuen Ab- hängigen, der zum erstenmal drin ist, kaum positiv sein können. Eher wird es schädlich wirken, weil sich auch die, die den Glauben, es doch noch schaffen zu können, aufgege- ben haben, sich trotzdem noch raffi- nierte Alibis für die Schuld von Um- ständen und anderen Menschen zu beschaffen wissen und damit sich selbst einen Rest von Selbstwert zu ergattern versuchen.

IV. Praktische Vorschläge

Die Qualität der ambulanten Selbsterfahrungsgruppen müßte verbessert werden, damit eine höhe- re Erfolgsquote von abstinent wer- denden und/oder bleibenden Grup- penmitgliedern entstehen kann.

Die Gruppenanzahl ließe sich allein durch Gruppenteilungen verdop- peln. Die Qualität würde durch die niedrige Zahl an Gruppenmitglie- dern leichter zu steigern sein.

Neugründungen würden durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kliniken, Landeskranken- häusern und Übergangswohnhei- men (Beschickung von Außengrup- pen!) begünstigt.

(9

Eine bessere Zusammenarbeit der zuständigen Amtsstellen, weni- ger Bürokratie, zügige Bearbeitung der Anträge bei den Kostenträgern, mehr Logik in der Auslegung von Vorschriften und Gesetzen (damit nicht das Gegenteil dessen produ- ziert wird, was der Gesetzgeber mit dem Erlaß von bestimmten Vor- schriften bezweckte); klare Bestim-

mungen, daß erfolgreich angelaufe- ne Übergangswohnheime und ihnen angeschlossene Wohngemeinschaf- ten als Länder- oder Bundesmodelle gefördert werden müssen. Abkehr von „Käseglockentherapie" in mög- lichst allen stationären und teilsta- tionären Einrichtungen.

Verringerung der internen Thera- pie, Beschickung von Abendsitzun- gen der ambulanten Selbsterfah- rungsgruppen mit Klinik- und/oder Landeskrankenhaus-Patienten. Da- durch würde auch eher vermeidbar, daß weiter Hospitalisierungsschä- den im bisherigen Ausmaß ent- stehen.

Anschrift des Verfassers:

Rudolf A. Zierholz Zentrum

für Selbstrehabilitation Postfach 65 01 25 5000 Köln 60

ZITAT

Riesenkästen

„Die Probleme im Bereich der Gesundheitspolitik werden doch von der falschen Seite her angegangen, wenn man so tut, als seien die Honorare der Ärzte — also Freiberufler — der verursachende Faktor für die Kostenexplosion. Die größte Kostenexplosion gibt es im Krankenhauswesen. Sie ist nachweisbar die Folge ei- ner Bürokratisierungsten- denz, die zwangsläufig erheb- liche Mehrkosten mit sich bringt. Es geht darum, in die- sem Bereich mehr Wirtschaft- lichkeit einzuführen und viel- leicht mehr auf ein kleines frei-gemeinnütziges Kranken- haus zu vertrauen als auf ei- nen solchen Riesenkasten wie den in Steglitz, mit vorherseh- baren unwirtschaftlichen Fol- gekosten."

CDU-Abgeordneter Professor Dr. Gerhard Zeitel im Deut- schen Bundestag

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15

vom 13. April 1978

907

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Hin- gegen sind Absetz- oder Rebound- Symptome, wie sie bei trizyklischen Antidepressiva oft als Ausdruck ei- ner cholinergen Supersensitivität aufgefaßt werden (6), nicht für eine

Der Gemeinderat Riehen setzt sich für offene Grenzen ein und bringt sich dazu überall dort ein, wo er dies tun kann.. Grenzschliessungen aufgrund der Pandemie machen

Dazu gehören alle degenerativen und un- fallbedingten Erkrankungen der Bandscheiben und der Gelenke, Zustand nach Gelenkersatzoperationen (Total- endoprothesen), Zustand

Bei letzterem führten zahlreiche Rutschungen zur Bereitstellung von sehr viel Sediment im Gerinne, woraufhin sich eine sehr große Mure entwickelte, die sehr große Schäden

Münchner Hilfenetzwerke für Kinder und ihre suchtkranken und psychisch erkrankten Eltern..

Sowohl der Sachverständi- genrat als auch die Konjunktur-For- schungsinstitute rechnen damit, daß die Tarifparteien die veränderte La- ge berücksichtigen und ihre Ab- schlüsse auf

„interaktiven“ (Jütte & Walber, 2012) oder „interaktionalen Professionalisierung“ (Meyer, Walber & Jütte, 2019), wird der Stellenwert wissenschaftlichen Wissens

Die Situation ist aber nur von kurzer Dauer: 71 Prozent befinden sich nach 2 Monaten nicht mehr in dieser Situation, im häu- figsten Fall sind sie nach wie vor beim RAV registriert