Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 13|
2. April 2010 A 613K U L T U R
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iese Ausstellung ist einzigar- tig und überfällig. Einzigar- tig, weil noch nie eine Ausstellung den Realismus in der bildenden Kunst seit Prägung des Begriffs durch Gustave Courbet im Jahr 1855 in allen seinen Facetten bis zur Gegenwart dargelegt hat, und über- fällig, weil realistische Tendenzen in der Ausstellungsszene bisher weitgehend ausgegrenzt wurden. In acht Kapiteln präsentiert die groß- zügig gehängte Ausstellung, die zur- zeit in der Kunsthalle Emden zu se- hen ist, einen Überblick über realis- tische Strömungen vom späten 19.Jahrhundert bis zu aktuellen Beiträ- gen in der Fotografie und Malerei.
Vertreten sind circa 100 Künstler mit etwa 200 Kunstwerken.
Edward Hopper (1892–1967) ist für eine Realismusausstellung mitt-
lerweile unverzichtbar. Das typi- sche Großstadtgenre-Bild „Hotel Lobby“ von 1943 mit seiner kine- matografischen Anmutung musste aus den USA ausgeliehen werden.
In Europa gibt es kein einziges Mu- seum, das zu Lebzeiten des Malers Interesse an einem seiner Werke ge- habt hätte. In den Zeiten der damals speziell in Deutschland propagier- ten Abstraktion als Weltsprache der Kunst waren Hoppers Bilder un- zeitgemäß, später jedoch unbezahl- bar. Für die Kunst nach 1945 wird in der Ausstellung die wichtige Rol- le der Hamburger Künstlergruppe
„Zebra“ mit ihrem in den 60er Jah- ren als Gegenbewegung zum Infor- mell begründeten Neuen Realismus gewürdigt. Mit Dieter Asmus ist zwar nur einer der drei „Ze- bra“-Maler vertreten, aber dafür steuert Asmus mit dem Porträt eines Laborarztes, „Froschtest (Dr. Rock)“, eines der Highlights der Ausstel- lung bei.
Bereits bei der Eröffnung entwi- ckelte sich das imposante in den Jahren 1998 bis 2008 nach unzähli- gen selbst vorgenommenen Luft- aufnahmen und Skizzen entstande- ne Gemälde „Landschaft an der Emscher“ von Heiner Altmeppen
zu einem Publikumsmagneten. In einem langwierigen Arbeitsprozess hat der Künstler eine prototypische Ideallandschaft des Ruhrgebiets komponiert. Alles Zufällige, Unty- pische ist einer radikalen Formre- duktion unterworfen worden, und damit unterscheidet sich Altmep- pen, und in gleichem Maß auch Bernd Schwering, für den ähnliche Kriterien gelten, von den amerika- nischen Fotorealisten, die ihre Schnappschüsse eins zu eins auf riesige Leinwände übertragen.
Mit dieser Ausstellung ist Nils Ohlsen, Leiter der Kunsthalle Em- den, und Christiane Lange, Direkto- rin der Hypo-Kulturstiftung, Mün- chen, eine epochale Ausstellung ge- lungen. Bei so viel Lob muss eine kritische Bemerkung erlaubt sein.
In seinem Einführungstext subsu- miert Ohlsen die DDR-Malerei pauschal unter dem Begriff sozia- listischer Realismus. Entsprechend ist nur ein Bild („Frauen bei der Feinmontage“) eines DDR-Malers in der Ausstellung vertreten. Spä- testens seit der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg“ (DÄ, Heft 49/2009) sollte dieses westdeutsche Vorurteil ausgeräumt sein. ■
Dr. med. Helmut Jaeschke Die Ausstellung „Realismus – Das Abenteuer der Wirklich-
keit“ ist bis zum 24. Mai in der Kunsthalle Emden und vom 11. Juni bis zum 5. September in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, zu sehen. Danach geht sie noch weiter in die Kunsthalle Rotterdam. Der Ausstel- lungskatalog, 300 Seiten, kostet im Museum 25 Euro.
INFORMATIONEN
REALISMUS
Das Abenteuer der Wirklichkeit
Die Ausstellung, die zurzeit in der Kunsthalle Emden zu sehen ist, präsentiert einen Überblick über realistische Strömungen vom späten 19. Jahrhundert bis zu aktuellen Beiträgen in der Fotografie und Malerei.
Edward Hopper ist für eine Realis- musausstellung unentbehrlich. Sein Großstadtgenre-Bild
„Hotel Lobby“ aus dem Jahr 1943 wurde aus den USA ausgeliehen.
Foto: dpa