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Archiv "Sachverhalt nicht vollständig" (05.10.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 40

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5. Oktober 2012 665

M E D I Z I N

DISKUSSION

Komplexe medizinethische Probleme

Jana Wandrowski hat eine aufschlussreiche Arbeit zu medizinethischen Kenntnissen von Ärzten verfasst. Auf der Basis unserer Erfahrung in der Patientenversorgung und der Weiterbildung in Medizinethik halten wir aller- dings einige Anmerkungen für angebracht.

Mehr Ethik in der ärztlichen Praxis erfordert mehr Ausbildung in Medizinethik. Auch wenn man diese These der Autorin intuitiv für richtig hält, sind die vor- gebrachten empirischen Belege zu schwach, um diese weitreichende Aussage zu tragen. Andere haben zu Recht daraufhin gewiesen, dass die verwendete Metho- dik von Fragen mit vorgegebenen Antworten der Kom- plexität medizinethischer Probleme nicht gerecht wird (1). Die oberflächliche Fallbeschreibung kann nur Kenntnisse in medizinethischer Nomenklatur testen.

Sie fördert aber kein tiefergehendes Verständnis ethi- scher Positionen. Das Nichtanlegen einer PEG-Sonde ist entgegen der Interpretation der Autoren nicht auto- matisch eine passive Sterbehilfe, da Patienten auch in- travenös ernährt werden können. Überhaupt kommt mit dem Begriff „passive Sterbehilfe“ eine überholte Ter- minologie zum Einsatz.

Der Arbeit fehlt eine klare Definition für den Termi- nus „medizinethische Kenntnisse“. Das implizite Ver- ständnis der Autoren ist thematisch geleitet und fokus- siert ausschließlich auf die Autonomie. Medizinethik ist thematisch mehr als Autonomie!

Mit zunehmender Berufserfahrung ändern sich teil- weise die ethischen Positionen von Ärzten. Diesen Be- fund macht die Studie deutlich. Da wir dies schon frü- her erkannt haben, initiierten wir für erfahrene Ärzte ein spezielles Seminarangebot (2). Wir können die Meinung der Autoren bestätigen, dass der Bedarf nach Vermittlung von medizinethischem Wissen groß ist.

Die Inhalte sollten zielgruppenspezifisch vermittelt werden, damit sie klinisch anwendbar sind.

DOI: 10.3238/arztebl.2012.0665a

LITERATUR

1. Singer PA, Viens AM: The Cambridge Textbook of Bioethics.

(1st Edi tion). Cambridge: Cambridge University Press 2009.

2. Schäfer C: Klostergespräche zur Medizin: Arzt-Sein im Spannungs- feld zwischen Patientenwohl und Eigenwohl. Ethik in der Medizin 2011; 23: 337–9.

3. Wandrowski J, Schuster T, Strube W, Steger F: Medical ethical knowledge and moral attitudes among physicians in Bavaria.

Dtsch Arztebl Int 2012; 109(8): 141–7.

Sachverhalt nicht vollständig

In der Studie ist die Patientenverfügung des zu beur- teilenden Falles nicht vollständig wiedergegeben worden. Es fehlt die Angabe, ob nach dem Text der Patientenverfügung lebenserhaltende Maßnahmen nach Eintritt eines Komas grundsätzlich, also unab- hängig von einer Chance eines Aufwachens aus dem Koma, oder erst bei einem irreversiblen Koma unter- sagt werden. Weiter fehlt die Mitteilung, ob Chancen bestehen, nicht bestehen oder ungewiss sind, dass der Patient aus seinem Koma aufwacht. Damit war der Sachverhalt nicht vollständig wiedergegeben, so dass der Fall nicht sinnvoll beantwortet werden konnte.

In allen Texten von Patientenverfügungen heißt es, dass lebensverlängernde Maßnahmen erst unterbleiben sollen/müssen, wenn der Zustand der Äußerungs- und Einwilligungsunfähigkeit „unumkehrbar“ oder „ohne Aussicht auf Besserung“ ist. Weil in dem zu beurteilen- den Fall dieser übliche und selbstverständliche Textbe- standteil von Patientenverfügungen nicht wiedergege- ben wurde, sollten die Ärzte also einen Fall beurteilen, der so nicht vorkommen kann.

Die Ärzte sollten dann die Frage beantworten, ob ih- re Entscheidung, lebenserhaltende Maßnahmen abzu- brechen, von der Prognose abhinge. Besteht eine Chan- ce auf ein Aufwachen aus dem Koma, will der Patient selbstverständlich lebenserhaltende Maßnahmen – je- denfalls solange, bis eine Prognose sicher feststeht.

Diese Frage konnte folglich nur mit Ja beantwortet werden, so dass es seltsam war, sie zu stellen.

Die durchgehende Meinung der Autoren ist, dass

„persönliche Wertvorstellungen und moralische Posi- tionen von Ärzten in Entscheidungsprozessen mit Pa- tienten eine zentrale Rolle“ spielen. Das ist falsch.

Voraussetzung für die rechtmäßige Umsetzung von Patientenverfügungen ist allein der urteilsfähig gebil- dete Patientenwille. Denn Behandlung und Ernäh- rung sind nur mit einer Einwilligung des Patienten erlaubt. Verweigert der Patient urteilsfähig seine Einwilligung, dann wären Behandlungen und Ernäh- rungen wegen der fehlenden, aber rechtlich zwingend erforderlichen Einwilligung rechtswidrige Zwangs- behandlungen und -ernährungen.

DOI: 10.3238/arztebl.2012.0665b zu dem Beitrag

Medizinethische Kenntnisse und moralische Positionen von Ärztinnen und Ärzten aus Bayern

von Jana Wandrowski, Dr. rer. nat. Tibor Schuster, Wolfgang Strube, Prof. Dr. med. Florian Steger in Heft 8/2012

PD Dr. med. Susanne Sehlen München

PD Dr. med. Christof Schäfer, M. Bioethics MVZ Klinikum Straubing

christof.schaefer@t-online.de

Interessenkonflikt

PD Dr. Sehlen und PD Dr. Schäfer erhielten Vortragshonorare von den Firmen Merck und Nutricare. PD Dr. Schäfer wurden Kongressgebühren und Über- nachtungskosten von Merck Serono erstattet.

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5. Oktober 2012

M E D I Z I N

Schlusswort

Wir freuen uns über das Interesse und die Anregun- gen unserer Kolleginnen und Kollegen, die sich so- wohl in Leserbriefen als auch mit direkten Anfragen an uns gewandt haben. Wie die Verfasser der ersten Zuschrift sehen wir den Bedarf nach Vermittlung medizinethischen Wissens. Bereits in den ausge- wählten Themen, die weitreichende Konsequenzen für den Patienten haben, zeigten sich grundlegende Unsicherheiten im Umgang mit medizinethischen Fragestellungen. Das Zurückgreifen auf Fallbeispie- le trägt der Komplexität der klinisch-ethischen Pro- blemstellungen Rechnung und greift Situationen der Praxis auf. Zudem dienen sie, wie es die Verfasser selbst beschreiben, der Konsolidierung und Korrek- tur von Wissen. Eine Definition des Terminus „medi- zinethische Kenntnisse“ wurde vorgenommen und ist weitaus breiter gefasst, als die Autoren es be- schreiben.

Die Einwände des Verfassers der zweiten Zuschrift bezüglich der Prognose sind im Sinne der „Lebenser- haltung“ nachzuvollziehen, berücksichtigen jedoch nur eine Dimension ärztlicher Grundziele. Die Aussage, dass der Patient selbstverständlich lebenserhaltende Maßnahmen möchte bis eine Prognose feststeht, ist ei- ne Behauptung. Jene ist problematisch und bestätigt die Befürchtungen vieler Patienten vor der „verselbststän- digten Gerätemedizin“. Ob man einem Patienten mit le- benserhaltenden Maßnahmen „wohltut“, hängt von vie- len Faktoren wie zum Beispiel der Lebensqualität und Lebenseinstellung ab und sollte daher im Ermessen des Patienten liegen. Der Verfasser stellt richtig fest, dass für medizinische Maßnahmen die Einwilligung des ur- teilsfähigen Patienten gebraucht wird, dies trifft jedoch auch auf lebenserhaltende Maßnahmen zu. Wenn Äu- ßerungs- und Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben sind, ist der Wille, in welcher Form er auch zuletzt ge- äußert wurde, ausschlaggebend. Wie sich hier noch- mals gezeigt hat, spielen persönliche Wertvorstellungen und moralische Positionen von Ärzten eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen die Art und Weise des Aufklä- rungsgesprächs und damit die Entscheidungsbildung des Patienten sowie das Zustandekommen des Behand- lungsangebotes. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0666

LITERATUR

1. Wandrowski J, Schuster T, Strube W, Steger F: Medical ethical knowledge and moral attitudes among physicians in Bavaria.

Dtsch Arztebl Int 2012; 109(8): 141–7.

Jana Wandrowski Prof. Dr. med. Florian Steger Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg jana.wandrowski@medizin.uni-halle.de florian.steger@medizin.uni-halle.de

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

LITERATUR

1. Coeppicus R: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Sterbehilfe:

Rechtssicherheit bei Ausstellung und Umsetzung. Klartext-Verlags - gesellschaft 2009.

2. Coeppicus R: Das Gesetz über Patientenverfügungen und Sterbehilfe:

Wann sind die Umsetzung von Patientenverfügungen und eine Sterbehilfe rechtmäßig? ecomed Medizin 2011.

3. Wandrowski J, Schuster T, Strube W, Steger F: Medical ethical knowledge and moral attitudes among physicians in Bavaria.

Dtsch Arztebl Int 2012; 109(8): 141–7.

Dr. jur. Rolf Coeppicus Oberhausen rolf.coeppicus@gmx.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Berichtigung

In dem Beitrag „Patienten - verfügungen in stationären Einrichtungen der Senioren - pflege“ von Sarah Sommer et al.

im Deutschen Ärzteblatt vom 14. September 2012 ist in Grafik 3 die Höhe der Balken fehlerhaft. Die korrekte Höhe, orientiert an den absoluten Werten (Y-Achse), ist folgender Grafik zu entnehmen: MWR

Anzahl Verfügungen 60

50

40

30

20

10

0

1 2 3 4 Aussage der Verfügung vs. Absprache Pflegepersonal

nichteinwilligungsfähig einwilligungsfähig 10

7

17

9

13 1 48

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