• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sachverständigengutachten: Anschein von Befangenheit vermeiden" (20.09.2013)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sachverständigengutachten: Anschein von Befangenheit vermeiden" (20.09.2013)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1724 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 38

|

20. September 2013

SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN

Anschein von Befangenheit vermeiden

Fallbeispiele sollen verdeutlichen, zu welchen Unstimmigkeiten es bei medizinischen Gutachten vor Gericht kommen kann und wie sich diese vermeiden lassen.

Ä

rzte können in allen Rechts- gebieten zu medizinischen Sachverständigen-Gutachten aufge- fordert werden, entweder durch Verwaltungen und Versicherungen oder durch die zuständigen Gerich- te, beispielsweise im:

Sozialrecht: Klärung von Er- werbsminderung, Unfallrenten

Verwaltungsrecht: Klärung von Dienstunfähigkeit und Folgen von Dienstunfällen

Zivilrecht: Leistungen aus pri- vater Unfallversicherung, Berufs- unfähigkeitsversicherung, Klärung von Haftungsfolgen

Strafrecht: Schuldfähigkeit.

In Prozessen mit medizinischem Schwerpunkt ist das Sachverständi- gengutachten das Herzstück, denn dem Entscheidungsgremium fehlt die Sachkunde, um einen solchen Rechtsstreit auf zutreffender Tatsa- chengrundlage entscheiden zu kön- nen. Zugleich nehmen Rechtsstrei- tigkeiten mit medizinischem Bezug zu, unter anderem, weil Patienten heute ihr Selbstbestimmungsrecht wesentlich bewusster ausüben als früher; zugleich steigt das An- spruchsdenken von Patienten auch aufgrund von Medienberichten, beispielsweise über „Kunstfeh-

ler“. Auf der anderen Seite nimmt der Kostendruck in Praxen und Kli- niken stetig zu.

Die an einem Rechtsstreit mit medizinischem Schwerpunkt betei- ligten Mediziner und Juristen stel- len sich einer großen Verantwor- tung, aber auch einer Herausforde- rung kommunikativer Art. Es gilt für den Richter, den Gutachtenauf- trag, nämlich den Beweisbeschluss, korrekt zu formulieren. Für den medizinischen Sachverständigen geht es darum, das Gutachten für die beteiligten Personen verständ- lich zu formulieren. Schwierigkei- ten treten dann auf, wenn sich me- dizinische und juristische Fachbe- griffe überschneiden, so dass es Missverständnisse geben kann, zum Beispiel bei den Begrifflich- keiten Kausalität oder (grober) Be- handlungsfehler.

Beispiele sollen im Folgenden verdeutlichen, zu welchen Unstim- migkeiten es im Rahmen der Begut- achtung kommen kann und wie die- se vermieden werden können.

Da die Mehrzahl der medizini- schen Sachverständigen über diese Aufgabe hinaus beruflich tätig sein wird, sei es in Kliniken, Laboren oder eigener Praxis, gibt es vielerlei

mögliche Berührungspunkte mit den Parteien eines Rechtsstreits.

Nicht jeder Bezug begründet dabei die Besorgnis der Befangenheit.

Die Rechtsprechung hierzu ist viel- fältig, es kommt jeweils auf den konkreten Einzelfall an. Hierzu fol- gende Entscheidungen, aus denen sich jedenfalls der Schluss ergibt, dass der Sachverständige bereits bei Erhalt der Akte mögliche Verknüp- fungen zu einer Partei prüfen und gegebenenfalls dem Gericht anzei- gen sollte.

Geschäftliche Kontakte lassen Parteilichkeit befürchten

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Sachver- ständiger – im Ergebnis mit Erfolg – wegen Besorgnis der Befangen- heit abgelehnt worden war, weil er als Chefarzt eines Lehrkrankenhau- ses des beklagten Universitätsklini- kums tätig war (1). Das OLG Stutt- gart entschied, es bestehe der ob- jektive Anschein der Parteilichkeit, weil die Bezeichnung „Akademi- sches Lehrkrankenhaus der Univer- sität X“ den Anschein ständiger en- ger Kooperation und vertraglicher Beziehungen erwecke.

Foto: Fotolia DOC RABE Media

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 38

|

20. September 2013 A 1725 Das OLG Karlsruhe hat in einer

Entscheidung aus dem Jahr 2012 die Ablehnung eines Sachverständi- gen für begründet erklärt, der tech- nischer Leiter eines Labors war, das geschäftliche Kontakte zu Firmen aus dem Konzern der Beklagten pflegte (2). In dem dort entschiede- nen Fall verlangte der Kläger Scha- densersatz von der Beklagten, die Hüftgelenksprothesen vertrieb, mit der Behauptung, aufgrund der Fehl- konstruktion des Hüftgelenks sei es zu Metallabrieb und dadurch zu ei- ner Schaft- und Prothesenlockerung gekommen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe bejahte hinreichende An- haltspunkte, die die Besorgnis der Befangenheit begründeten. Dabei betonte es, dass nicht jede Koopera- tion und nicht jeder geschäftliche Kontakt zwischen wissenschaft - lichen Einrichtungen und Wirt- schaftsunternehmen auf eine Ab- hängigkeit oder Verbundenheit der beteiligten Personen schließen las- se, die geeignet sei, die Objektivität eines Sachverständigen zu beein- trächtigen. Im entschiedenen Fall habe jedoch der Sachverständige vielfältige Kontakte zu der Beklag- ten und ihrer Schwesterfirma ge-

habt, so dass der Anschein „nicht vollständiger Unvoreingenommen- heit“ gerechtfertigt sei.

Auch die Kundmachung von Distanz zu einer Gruppe, der eine Partei eines Rechtsstreits angehört, ist nicht unproblematisch. Das OLG Koblenz hat die Besorgnis der Befangenheit in einem Rechtsstreit zwischen einem Patienten und ei- nem Krankenhausbetreiber bejaht (3). Der Sachverständige hatte in seinem Internetauftritt deutlich sei- ner „Grundidee“ Ausdruck verlie- hen, dass es „infolge einer zu miss- billigenden, am Gewinnstreben ori- entierten schlechten Organisation der Patientenversorgung in Kran- kenhäusern und Arztpraxen“ zu

„Patientenschädigungen“ komme.

Dazu hatte der Sachverständige Hinweise zur strafrechtlichen Ver- antwortung nach § 222 StGB (fahr- lässige Tötung) aufgenommen so- wie dazu, wer bei organisationsbe- dingten Sorgfaltspflichtverletzun- gen als (Neben-)Täter in Betracht komme, und mehrere Links zu Presseberichterstattungen über Kunstfehlerprozesse vorgehalten.

Konfliktträchtig ist auch die Be- schaffung von Unterlagen und In-

formationen durch den Sachver- ständigen, vor allem die Untersu- chung einer Partei.

Das OLG Bamberg hielt ei- nen Sachverständigen, der Diagnos- tik- und Behandlungsunterlagen oh- ne Information an das Gericht oder die Gegenseite direkt bei der Arzt- seite angefordert hatte, im Ergebnis nicht für befangen (4). Es handele sich um einen nur vorläufigen for- malen Regelverstoß gegen den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit, der dadurch geheilt worden sei, dass der Sachverständige im Gut- achten offengelegt habe, von wem er welche Informationen erlangt hatte. Hier wäre auch eine andere Entscheidung denkbar gewesen.

Sprachliche Entgleisungen auf jeden Fall vermeiden Einen ungewöhnlichen Fall hatte das Landessozialgericht Baden- Württemberg zu entscheiden (5):

Die Sachverständige war mit der Er- stattung eines orthopädischen Gut- achtens beauftragt und kam zu dem Ergebnis eines GdB (Grad der Be- hinderung) von 30, wobei sie mit- teilte, die Klägerin „trägt einen gut gefüllten DIN-A4-Aktenordner (der 3 kg gewogen hat)“. Die Klägerin, die die Neufeststellung des GdB mit mindestens 50 beanspruchte, lehnte die Sachverständige mit der Be- gründung wegen Besorgnis der Be- fangenheit ab, dass diese hinter ih- rem Rücken an ihrer Tasche mani- puliert und Gegenstände gesichtet habe. Die Sachverständige teilte da- zu in ihrer Stellungnahme mit, sie habe spontan die Anweisung gege- ben, die Tasche der Klägerin mit den darin befindlichen Akten zu wiegen, da die Klägerin zuvor er- klärt habe, sie könne nichts Schwe- res heben, während einer Helferin aufgefallen sei, dass die Klägerin ei- ne augenscheinlich schwere Tasche dabeigehabt habe. Leider sei ver- säumt worden, die Klägerin, die währenddessen in einem anderen Zimmer gewesen sei, um ihre Zu- stimmung zu bitten. Das Landesso- zialgericht sah den Ablehnungsan- trag als unbegründet an. Eine Be- fangenheit sei nur dann anzuneh- men, wenn das Vorgehen einer aus- reichenden Grundlage entbehre und Aus den hier erörterten Zivil- und Sozialgerichts-

entscheidungen ergeben sich für den medizini- schen Sachverständigen zusammenfassend die folgenden Leitsätze:

Bei Eingang der Akte hat der Sachverstän- dige den Auftrag sogleich zu prüfen, insbesonde- re ob der angeforderte Kostenvorschuss aus- kömmlich ist und ob Beziehungen zu einer Partei bestehen, welche die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten.

Werden Zusatzinformationen oder Unterla- gen benötigt, hat der Sachverständige diese grundsätzlich ausschließlich über das Gericht und nicht direkt bei den Parteien oder ihren Anwälten zu erfordern.

Untersuchungen müssen transparent, aber vertrauensvoll sein, hier ist Sensibilität erforderlich.

Der Sachverständige muss sein Gutachten höchstpersönlich erstellen. Die Beteiligung von Mit- arbeitern ist zulässig, soweit der Sachverständige die Verantwortung für das Gutachten trägt, sie muss spätestens im Gutachten offengelegt werden.

Beweisthema und Beweisfragen sind vom Gericht vorgegeben. Der Sachverständige ist an die Beweisfragen gebunden und hat nur diese zu beantworten. Bei Unklarheiten sollte er Rückfrage beim Gericht halten.

Grundsätzlich bestimmt das Gericht die Tat- sachengrundlage der Begutachtung. Bei mehr als einem möglichen Geschehensverlauf sollte eben- falls Rücksprache mit dem Gericht gehalten wer- den. Notfalls sollte eine Alternativbegutachtung ins Gutachten aufgenommen werden.

Der Sachverständige sollte sich vor rechtli- chen Bewertungen hüten, diese obliegen allein dem Gericht.

Zu jeder Zeit sollte der Sachverständige sachlich und professionell bleiben, auch wenn er harscher, gegebenenfalls unsachlicher Kritik aus- gesetzt ist und sich durchaus dagegen zur Wehr setzen darf, müssen Inhalt und Art seiner Ausfüh- rungen stets angemessen sein, damit kein Anlass für einen Ablehnungsantrag wegen der Besorgnis der Befangenheit entsteht.

SACHLICH UND PROFESSIONELL BLEIBEN

T H E M E N D E R Z E I T

(3)

A 1726 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 38

|

20. September 2013 sich so sehr von dem normalerweise

geübten Verfahren entferne, dass sich für den betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhen- den Benachteiligung aufdränge. Von einer „Manipulation“ oder gegen die Klägerin gerichteten planend- strategischen Ermittlungen der Sachverständigen sei hier aber nicht auszugehen. Zum einen sei die Ta- sche insgesamt gewogen und nicht durchsucht worden. Die Sachver- ständige habe auch dargelegt, war- um sie die Ermittlung des Gewichts der Tasche für sachdienlich gehalten habe und dass sie sich dazu spontan entschlossen habe. Insbesondere weil die Mitteilung über das Tragen der Tasche für das Ergebnis des Gutachtens keinerlei Relevanz hat- te, wurde zwar einerseits die Be- sorgnis der Befangenheit nicht gese- hen, es fragt sich aber andererseits, warum die Mitteilung dann in das Gutachten aufgenommen worden ist. Der anschließend durch den Be- fangenheitsantrag eingetretene Auf-

wand und Zeitverlust wären für alle Beteiligten vermeidbar gewesen.

Konflikte treten selbstverständ- lich besonders häufig vor dem Hin- tergrund des Inhalts eines Sachver- ständigengutachtens auf, aber auch im Hinblick darauf, wer eigentlich das Gutachten erstattet hat bezie- hungsweise dafür verantwortlich zeichnet. Gerade in Fällen mit me- dizinischen Sachverhalten kommt es dem Gericht, aber auch den Par- teien vor allem auf die besondere Sachkunde des bestellten Sachver- ständigen an. Andererseits wird es nicht immer möglich sein, dass der Sachverständige jedes Gutachten bis in jedes Detail höchstpersönlich erstellt. Unschädlich ist nach einer Entscheidung des Landgerichts Kieldie Beteiligung von Mitarbei- tern, solange der beauftragte Sach- verständige die volle Verantwor- tung für das Gutachten trägt und für dieses einsteht und die Beteiligung

von Mitarbeitern offenlegt (6). We- gen der hohen Anforderungen an das medizinische Wissen, die klini- sche Erfahrung und die medizin- rechtlichen Kenntnisse ist unbe- dingt an dem Grundsatz der persön- lichen Erstellung festzuhalten

Vielfach wird Sachverständigen vorgeworfen, sie hätten ihren Gut- achtenauftrag überschritten. Nicht immer zu Recht. Gleichwohl sollten Sachverständige hier besonders sorgfältig sein, um Konflikte zu vermeiden. Das Oberlandesgericht Oldenburg wies in einer Entschei- dung nochmals darauf hin, dass der Sachverständige lediglich die ge- stellten Beweisfragen beantworten und nicht über den Beweisbeschluss hinausgehen darf (7). Auch wenn es manchmal naheliegen mag, darf der Sachverständige nicht den aus sei- ner Sicht richtigen Weg der Ent- scheidungsfindung weisen (nicht Behandlungsfehler, sondern Verlet- zung der Aufklärungspflicht) oder womöglich die Partei auffordern, die Aufklärungsrüge zu erheben.

Um den Vorwurf der unzulässi- gen Beweiswürdigung durch den Sachverständigen ging es in einer Entscheidung des OLG Branden- burg (8). Der Sachverständige soll- te in einem Ergänzungsgutachten die Frage beantworten, ob sich an seiner bisherigen gutachterlichen Beurteilung etwas ändere, wenn er die Zeugenaussagen berücksichti- ge, was der Sachverständige ver- neinte. Die Beanstandung, darin lie- ge eine unzulässige Beweiswürdi- gung, wies das OLG Brandenburg zurück. Dem ist beizupflichten. Das Gericht, welches allein die Tatsa- chengrundlage der Begutachtung bestimmt (§ 404 a Abs. 3 ZPO), hat- te den Sachverständigen aufgefor- dert, sein Gutachten anhand der Zeugenaussage zu überprüfen. Ob der Zeugenaussage am Ende zu fol- gen ist, hat das Gericht, nicht der Sachverständige zu entscheiden.

Für die Praxis ergibt sich: Bei strei-

tigem Sachverhalt und im Zweifel lieber Rücksprache mit dem Ge- richt nehmen. Erforderlichenfalls bei Vorliegen von widersprechen- den Zeugenaussagen: eine Alterna- tivbegutachtung vornehmen. Und schließlich: Auf keinen Fall eine rechtliche Bewertung abgeben!

Häufig ergeben sich Konflikte aus dem Stil der Kommunikation, die absolut vermeidbar sind. Im fol- genden besonders krassen Fall war der Sachverständige der Auffas- sung, bereits der Beweisbeschluss bedürfe der Kommentierung. Er be- zeichnete die Beweisfragen, die ja Behauptungen einer Partei darstell- ten, als „Schutzbehauptungen“, „et- was grotesk“, „fragwürdige Frage- stellungen“, „unsinnige Fragen“,

„absolut irrelevant“, „Pseudofra- gen“, „keine Diskussion wert“ et cetera. Das Landgericht Nürnberg- Fürth entschied, es bestehe wegen dieser sprachlichen Entgleisungen und herabsetzenden Äußerungen die Besorgnis der Befangenheit, da der Eindruck entstehe, das Gutach- ten baue nicht auf einer unvoreinge- nommenen Grundlage auf (9). Der Sachverständige hatte jedoch in weiser Voraussicht bereits um Ent- bindung von dem Gutachtenauftrag gebeten.

Eine besondere Herausforderung können mündliche Anhörungster- mine sein, zu welchen der Sachver- ständige, meist auf Antrag einer Partei, geladen wird, um sein Gut- achten zu erläutern. Dort ist der Sachverständige unmittelbar kriti- schen Fragen und Einwendungen, deren Ton nicht immer angemessen sein mag, ausgesetzt. Hier gilt es, Ruhe zu bewahren, den sachlichen Kern der Äußerungen zu erfassen und erforderlichenfalls den Richter um Anleitung zu bitten („Herr Vor- sitzender, muss ich darauf antwor- ten?“). Im äußersten Notfall sollte der Sachverständige um eine Unter- brechung bitten, um durchzuatmen und gegebenenfalls den Richter in einem persönlichen Gespräch um ordnendes Eingreifen zu bitten.

Abschließend eine Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, die zeigt, dass auch bloß flapsige Be- merkungen zu Konflikten führen

Bei mündlichen Anhörungen sollte der Sachverständige

im Notfall um eine Unterbrechung bitten, um durchzuatmen und gegebenenfalls den Richter um ordnendes Eingreifen zu bitten.

T H E M E N D E R Z E I T

(4)

A 1728 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 38

|

20. September 2013 können (10). Der Sachverständige

hatte bei der Untersuchung der Klä- gerin wegen einer Schmerzerkran- kung geäußert, diese betreibe

„Arzthopping“. Das Gericht sah darin keine Herabwürdigung der Klägerin, da der Sachverständige in seiner Stellungnahme zum Befan- genheitsantrag der Klägerin darge- legt habe, dass häufige Arztwechsel ein charakteristisches Merkmal ei- ner Schmerzerkrankung seien. Da- mit sei „Arzthopping“ ein rein sachbezogener Begriff, der der Klä- gerin zudem im Verfahren eher zum Vorteil gereiche, so dass die Be- sorgnis der Befangenheit nicht be- stehe. Es dürfte fraglich sein, ob dem ohne weiteres gefolgt werden kann. Zur Nachahmung ist dieser Fall nicht zu empfehlen, zeigt er doch, dass jedenfalls Irritationen bei der zu untersuchenden Klägerin aufgetreten sind, die die weitere Begutachtung empfindlich hätten stören und damit den Gutachten- zweck gefährden können. Sicherer fährt ein Sachverständiger in jedem Fall mit eine jederzeit angemesse- nen Ausdrucksweise, gerade im Rahmen von Untersuchungssitua-

tionen.

Dr. jur. Katrin Meins, Vorsitzende Richterin, Referentin für Sach - verständigenangelegenheiten, Landgericht Kiel Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Departement Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie, Universitätsklinikum Heidelberg,

Email:marcus.schiltenwolf@med.uni- heidelberg.de

QUELLENNACHWEIS

1. Beschluss vom 22.10.2007, 1 W 51/07, GesR 2008, 618.

2. Beschluss vom 08.03.2012, 13 W 13/12, GesR 2012, 422.

3. Beschluss vom 24.01.2013, 4 W 645/12, RDG 2013, 80.

4. Beschluss vom 12.08.2008, 4 W 38/08, VersR 2009, 1427.

5. Beschluss vom 25.06.2012, L 8 SB 1449/12 B, NZW 2012, 880.

6. Beschluss vom 13.08.2008, 8 O 19/07, IBR 2009, 360.

7. Beschluss vom 13.11.2007, 5 W 133/07, GesR 2008, 163.

8. Beschluss vom 10.06.2008, 12 W 20/08, zitiert nach juris.

9. Beschluss vom 21.03.2006, 4 O 5612/02, GesR 2006, 252.

10. Beschluss vom 05.11.2012, L 2 SB 320/12 B, zitiert nach juris.

D

as mit dem Begriff „Big Data“

bezeichnete massenhafte Sammeln und Auswerten von Daten ist derzeit ein beherrschendes Thema in den Medien. Datenschutzskandale wie die weitreichende Ausspähung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste oder der Missbrauch personenbezogener Daten beim Han- del mit Rezeptdaten haben daran ei- nen großen Anteil. Auch die Gegner der elektronischen Gesundheitskarte sehen sich durch diese Ereignisse in

ihrer Kritik bestätigt und befürchten

„eine neue Dimension der zentralisier- ten Überwachung“, in der die Karte als

„Zugangsschlüssel für einen bundes- weiten Krankheitsdatenberg“ fungiert.

Naiv wäre jedoch die Annahme, dass sich Big Data stoppen ließe, denn zu groß sind die wirtschaftlichen Potenziale, wie der Erfolg großer IT- Konzerne wie Google, Apple, Facebook oder Amazon belegt. Ebenso interes- sieren sich beispielsweise Kranken- kassen, Versicherungen, Banken und Versandhandelsunternehmen für Mas- sendaten.

Profitieren können aber auch Wis- senschaft und Forschung. So bieten sich beispielsweise im Gesundheits- bereich mit entsprechenden Analyse- werkzeugen neue vielversprechende Ansätze zur Bekämpfung von Krank- heiten und gefährlichen Epidemien.

Das Ausmalen von Katastrophen und diffuser Bedrohungsszenarien hilft somit nicht weiter. Vielmehr geht es um die Frage, wie sich die informati- onstechnischen Chancen nutzen las- sen, ohne dass der Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung dabei auf der Strecke bleiben. „Big Data ist verfassungskonform mög- lich“, meinte dazu Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für

Datenschutz (ULD), Dr. Thilo Weichert bei der diesjährigen Sommerakademie des ULD in Kiel. Er beruft sich dabei auf die differenzierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das dem Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in vielen Entscheidungen einen grundle- genden Stellenwert für Rechtstaatlich- keit und Demokratie beigemessen hat.

Zwar stehen Datenschutzprinzipien wie Datensparsamkeit und Zweckbin- dung in einem Spannungsverhältnis

zu Big-Data-Anwendungen. Durch ho- he Transparenz- und Verfah rens an for - derungen und den Einsatz daten- schutzfreundlicher Technik etwa zur Anonymisierung lässt sich dieses Spannungsverhältnis Weichert zufolge jedoch auflösen.

Aus Sicht des Datenschützers steht Deutschland – im Vergleich etwa mit den USA – gar nicht mal so schlecht da, weil das deutsche Datenschutz- recht besonders klar und die Daten- schutzaufsicht flächendeckend wie kaum irgendwo sonst sei. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Weichert, deut- sche oder europäische E-Mail- und In- ternetdienstleister zu nutzen, da etwa die Nutzer von Google oder Facebook in undurchschaubare Datenschutzbe- stimmungen einwilligen müssen, wenn sie diese Dienste nutzen wollen.

Transparenz ist auch im Zusam- menhang mit dem Projekt der elektro- nischen Gesundheitskarte (eGK) oberstes Gebot: Sie kann dazu beitra- gen, dass Deutschland eine sichere Kommunikationsinfrastruktur für das Gesundheitswesen erhält. Denn die Patientendaten werden so verschlüs- selt, dass sie nur mittels des Schlüs- sels des Patienten, der eGK, wieder entschlüsselt werden können, und für den Zugriff auf die Daten ist zudem ein Heilberufsausweis erforderlich.

KOMMENTAR

Heike E. Krüger-Brand, DÄ-Redakteurin

BIG DATA

Big Problem?

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

[r]

Für die Befangenheit aber ist von Bedeutung, dass Richter Oehm den als Anlass genutzten Vorgang der Ungebühr vom vorangegangenen Prozesstag aus politischer Motivation

(5) Wenn infolge von Ausschluss oder Be- sorgnis der Befangenheit eine ordnungsge- mäße Besetzung des Prüfungsausschusses nicht möglich ist, kann die zuständige Stelle

1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfas- sungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Beset-

Allein auf Grund seines Berufs als Rechtsanwalt ist Richter Jentsch, zumal die Rechte aus der Zulassung gemäß § 104 Abs. 1 BVerfGG ruhen, nicht am Ausgang des Verfahrens im Sinne des

Herr Manfred Kanther, der damalige Generalsekretär und spätere Vorsitzende des Landesverbandes Hessen der Beschwerdeführerin, beteiligt gewesen sein. 1993 wurden die Gelder in

Geeignet, Zweifel an der sachlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu be- gründen, sei insbesondere seine Teilnahme am Liberalen Salon am 15. März 2011 zum Thema „Stabilität

Die Beschwerdeführer haben keine solchen besonderen Umstände dargelegt, die eine Besorgnis der Befangenheit belegen könnten. Weder wird der Charakter der zi- tierten Äußerungen