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Archiv "Pränataldiagnostik: Paradigmenwechsel" (22.06.2012)

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A 1306 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 25

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22. Juni 2012

PRÄNATALDIAGNOSTIK

Paradigmenwechsel

Der Test auf Trisomie 21 aus dem Blut der Schwangeren

„Praenatest“ soll ab Sommer in Deutschland verfügbar sein. Ein Paradigmenwechsel, meinen die Autoren.

D

er Bluttest der Firma Life - codexx in Konstanz auf Trisomie 21 könnte in mehrerlei Hinsicht einen Paradigmenwechsel in der Pränataldiagnostik einläu- ten. Erstmals können dann nämlich ohne eingriffsbedingtes Kompli - kationsrisiko für die Schwangere oder den Fetus ein definitiver genetischer Befund erhoben und gegebenenfalls die Entscheidung über einen Schwangerschaftsab- bruch getroffen werden.

Rein technisch ist die nicht - invasive Pränataldiagnostik (NIPD) an aus mütterlichem Blut gewon- nener fetaler DNA eine relevante Innovation. Sie verbindet die Vor- teile zweier – ungeachtet aller verbreiteten ethischen Bedenken – legaler und gesellschaftlich ak - zeptierter ärztlicher Maßnahmen, nämlich die des bisherigen Erst - trimesterscreenings (ETS) und der Amniozentese. Die NIPD zeichnet sich durch Nichtinvasivität bei gleichzeitiger Verlässlichkeit des Ergebnisses aus – sofern die An- wendung hält, was die klinischen Studien versprechen.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die öffentliche Kritik an der fi- nanziellen Unterstützung der NIPD- bezogenen Methodenentwicklung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als nicht angemessen: Es ist nun einmal dessen Aufgabe, die Entwicklung in- novativer Technologien zu fördern.

Durch entsprechende Förderpro- gramme stellt das BMBF kontinuier- lich die begleitende ethische und rechtliche Reflexion sicher. Darüber hinaus kann die der NIPD zugrunde- liegende Technologie auch bei ande- ren medizinischen Fragestellungen einsetzbar werden, etwa für die De- tektion aneuploider Zellklone im Blut von Leukämiepatienten.

Andererseits wird durch den Wegfall des eingriffsbedingten Komplikationsrisikos die bislang für die Indikationsstellung zur in - vasiven pränatalen Chromosomen - diagnostik gängige, in sich selbst allerdings offenkundig inkonsisten- te Abwägung zwischen der statis - tischen altersabhängigen Wahr- scheinlichkeit einer fetalen Chro- mosomenfehlverteilung und der

Foto: dapd

Bevölkerungsstruktur in den nächs- ten Jahren einen grundlegenden Wandel im Gesundheitssystem für unumgänglich. Die Effektivität der Therapie müsse bei gleichzeitiger Kostenreduzierung gesteigert wer- den. Dafür sei eine individuell zu- geschnittene Medizin neben der Prävention ein möglicher Ansatz.

Gegen einen vorschnellen Einsatz individueller diagnostischer Tests und Therapien sprach sich auch der Sozialmediziner Prof. Dr. Dr. med.

Heiner Raspe von der Universität zu Lübeck aus. Die Aussicht auf Profit führe einerseits zu überzogenen Versprechungen der Anbieter von in- dividuellen Gesundheitsleistungen und andererseits zu einer gleichzeiti- gen Entwertung des Angebots der gesetzlichen Krankenkassen mit dem Vorwurf, sie würden dem anti- quierten Modell „one size fits all“

folgen. Eine Finanzierung der häufig teuren Maßnahmen durch die Kas- sen bringe Probleme für die Soli - dargemeinschaft mit sich, betonte Raspe. Es fehlten dann nicht nur Ressourcen in anderen Bereichen, sondern auch die Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit von Krank- heiten würden überschätzt.

„Ein Schritt auf dem Weg zur effektiveren Therapie“

Aus Sicht der Industrie ist die Ent- wicklung von Arzneimitteln für klei- nere Patientengruppen dann sinn- voll, wenn der klinische Nutzen durch den individuellen Zuschnitt der Therapie noch so groß ist, dass er auch den Einsatz bei einer kleinen Gruppe rechtfertigt. „Die personali- sierte Medizin ist eine Weiterent- wicklung auf dem Weg zur effekti- veren Therapie“, erklärte Dr. Hagen Pfundner von der Pharmafirma Ro- che. Höhere Kosten bei der For- schung ließen sich im Idealfall durch die Vermeidung von Fehlbehandlun- gen und eine gesteigerte Versor- gungsqualität ausgleichen, Prof. Dr.

med. Jürgen Windeler vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen forderte, in je- dem Fall die etablierten Methoden der evidenzbasierten Medizin bei der Evaluierung der neuen Ansätze

einzusetzen.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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22. Juni 2012 einer durch die Fruchtwasserpunk-

tion ausgelösten Fehlgeburt aufge- hoben. Wäre auch künftig das ein- griffsbedingte Komplikationsrisiko maßgeblich für die Indikationsstel- lung zur pränatalen Dia gnostik, dann müsste nun in jeder Schwan- gerschaft eine Indikation für eine nichtinvasive Pränataldiagnostik gesehen werden. Auch wenn der Anbieter des NIPD-Tests betont, er sei nur für Schwangere mit er - höhtem individuellem Risiko für chromosomale Veränderungen beim Ungeborenen und für die Anwen- dung nach der zwölften Woche vor- gesehen, so liegt doch die langfris- tige Tendenz zur Ausweitung des Indikationsspektrums in die große und damit ökonomisch interessante Gruppe der jungen „Niedrigrisiko- schwangeren“ auf der Hand.

Beim gegenwärtigen Stand der NIPD-Methodik besonders bedenk- lich ist die allein der bislang limitier- ten Leistungsfähigkeit des Verfah- rens geschuldete Einengung des dia - gnostischen Ziels auf Trisomie 21.

Auf die selteneren, im klinischen Bild eines betroffenen Kindes un- gleich schwerwiegenderen Triso- mien 13 und 18 wird ebenso wenig untersucht wie auf andere unbalan- cierte Chromosomenanomalien, die einer konventionellen Amniozentese ja zugänglich sind. Als für die betroffenen Familien verheerender sozialer Kollateralschaden wird dadurch das in der Bevölkerung ohnehin schon weitverbreitete, me- dizinisch wie ethisch durch nichts begründbare Bild des Down-Syn- droms als diejenige Form von Be- hinderung verfestigt, mit der ein Kind keinesfalls geboren werden dürfe.

Auch wenn sie zweifellos nicht dafür konzipiert ist: Die absehbare Erweiterung des Indikationsspek- trums der NIPD auf Niedrigrisiko- schwangere birgt in Verbindung mit der Zentrierung auf Trisomie 21 letztlich die Gefahr, dass sie in der

Gesellschaft als Instrument zur mög- lichst umfassenden „Verhinderung“

der Geburt von Kindern mit Down- Syndrom wahrgenommen wird. Ei- ne solche kollektivistische Strategie hätte neoeugenische Züge und wäre mit dem ärztlichen Berufsethos un- vereinbar. Deshalb muss die NIPD auf jeden Fall streng von der all - gemeinen Schwangerenvorsorge ge- trennt bleiben. Dies sollte schon auf der Ebene der nach dem Gendia - gnostikgesetz vor und nach jeder genetischen Pränataldiagnostik ver- pflichtenden genetischen Beratung deutlich werden. Da die NIPD, an- ders als das bisherige ETS, unmittel- bar zum abschließenden genetischen Befund des werdenden Kindes führt, müssen an die Beratungsinhalte wie

an die Qualifikationsanforderungen dieselben Maßstäbe angelegt wer- den wie an die invasive Pränatal - diagnostik.

Die Übernahme der NIPD durch die Krankenkassen außerhalb harter individueller Indikationen wie dem Nachweis eines zu Trisomie 21 pas- senden Herzfehlers per Ultraschall sollte ebenfalls aus den genannten Gründen ausgeschlossen bleiben, auch wenn dieses Vorgehen den Vorwurf der Etablierung einer

„Zweiklassenpränatalmedizin“ auf sich ziehen wird. Eine klare Posi- tionierung von Ärzteschaft und Me- dizin zum Umgang mit NIPD, ins- besondere wenn sie ausschließlich auf den Nachweis einer fetalen Tri- somie 21 ausgerichtet ist, erscheint dringend notwendig.

Prof. Dr. med. Wolfram Henn, Institut für Humangenetik, Universität des

Saarlandes, Homburg/Saar Dr. med. Dagmar Schmitz, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum, Rheinisch-Westfäli-

sche Technische Hochschule Aachen

Während in Deutschland die Einführung des Bluttests auf Trisomie 21 kurz bevorsteht, ist es amerikanischen Genetikern gerade gelungen, nahezu das komplette Genom eines Feten mit Hilfe einer Blutprobe der Mutter und einer Spei- chelprobe des Vaters zu rekonstruieren (Science Translational Medicine 2012; 4: 137ra76). Die Wissenschaftler um Jay Shendure und Jacob Kitzman von der Universität Washington in Seattle mussten dazu zunächst das Genom der Mutter entziffern. In deren Blut suchten sie dann nach kleinen DNA-Bruchstücken, die von den mütterlichen Sequenzen abweichen, und konn- ten so nach und nach das Genom des Feten rekonstruieren. Die Genauigkeit der nichtinvasi- ven Genomanalyse geben Shendure und Mitarbeiter mit 98 Prozent an.

Durch den Vergleich mit dem Erbgut des Va- ters, der eine Speichelprobe abgegeben hatte, konnten die Forscher schließlich 39 von insge- samt 44 Veränderungen des Erbguts des Feten, die in den Keimzellen der Eltern neu aufgetreten sind, aufspüren. Dabei könnte es sich um neue und möglicherweise genetische Erkrankungen handeln. Die Wissenschaftler werten die Methode bereits als einen ersten Schritt zu einem nicht -

invasiven Test auf Tausende von Krankheiten, die durch Veränderung eines einzelnen Gens verur- sacht werden.

Auch für deutsche Genetiker ändern die neuen Ergebnisse die Perspektive auf vorgeburtliche Un- tersuchungen: „Technologisch ist dies der Schritt in eine neue Ära der Genomanalyse, aus ethi- scher Sicht aber wäre es sehr problematisch, El- tern pränatal das komplette Genom ihres Kindes zu offenbaren“, erklärte Prof. Dr. med. Wolfram Henn von der Universität des Saarlandes gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt. Es sei nun an der Politik, sich mit den ethischen Fragen dieser technischen Möglichkeit auseinanderzusetzen.

„Wir werden eine Pflicht der Eltern auf Nichtwis- sen generieren müssen, damit ihnen Daten ihres Kindes nicht preisgegeben werden, die nur des- sen künftige Lebensgestaltung betreffen. Hier geht es etwa um Anlageträgerschaften auf rezes- sive Krankheiten, die sich erst in der übernächs- ten Generation manifestieren können“, meint der Humangenetiker.

Noch wird Zeit für Diskussion sein: Denn für die klinische Anwendung ist die Methode noch nicht ausgereift genug.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

EMBRYO-ERBGUT ENTSCHLÜSSELT

Erstmals kann ohne ein eingriffsbedingtes Kompli- kationsrisiko für die Schwangere oder den Fetus ein definitiver genetischer Befund erhoben werden.

Wolfram Henn, Universität des Saarlandes

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