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Archiv "Blitzunfall – Energieübertragungsmechanismen und medizinische Folgen" (24.12.2007)

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litzunfälle sind im Gegensatz zu anderen Hoch- spannungsunfällen durch eine extrem hohe Stromstärke und eine sehr kurze Expositionsdauer charakterisiert. Verletzungen resultieren dabei entwe- der aus der elektrischen Energie, der hohen Tempera- tur und/oder der explosiven Kraft der Druckwelle (1, 2). Blitzunfälle mit Todesfolge ereignen sich rela- tiv selten. Während vor 50 Jahren in Deutschland noch etwa 50 bis 100 Menschen pro Jahr durch einen Blitzschlag starben, ging die Zahl der tödlich Verun- glückten seit dem stetig bis auf 3 bis 7 Sterbefälle pro Jahr nach dem Millenium zurück (3). Aus gegebenen Anlässen – unter anderem den Blitzunfällen mit zahl- reichen Verletzten bei einer Flugschau in Hangelar bei

Bonn im August 2006 sowie auf Fußballplätzen in Gelsenkirchen im August 2006 und in Hamburg-Bah- renfeld im Juni 2007 – wird eine kurze Übersicht über die verschiedenen Energieübertragungswege beim Blitzunfall, über die Todesursachen sowie über häufig beobachtete Schädigungen bei Menschen, die einen Blitzunfall überlebt haben, auf der Basis einer selekti- ven Literaturauswertung gegeben.

Physikalische Parameter

Bei gewittriger Wetterlage können zwischen Wol- ken und Erdoberfläche Spannungen von mehr als 100 000 000 Volt auftreten. Die Blitzentladung dauert etwa 0,02 sec und geht mit Stromstärken bis zu eini- ÜBERSICHTSARBEIT

Blitzunfall –

Energieübertragungsmechanismen und medizinische Folgen

Fred Zack, Markus A. Rothschild, Rudolf Wegener

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Ein Blitz kann den Menschen durch einen direk- ten Treffer, einen Kontakteffekt, einen Überschlagseffekt, einen Blitzschritteffekt oder einen telefon- beziehungswei- se leitervermittelten Effekt schädigen. Der Oberflächen- effekt ist keine eigenständige Energieübertragungsform, sondern kann bei allen beschriebenen Mechanismen auf- treten und ist dafür verantwortlich, dass viele Menschen einen Blitzschlag überleben. Methoden: Auswertung selek- tiv recherchierter Literatur. Ergebnisse und Diskussion: Die meisten durch Blitzschlag geschädigten Menschen überle- ben. Bei unmittelbar nach einem Blitzunfall Verstorbenen stehen Kammerflimmern und Asystolie als Todesursachen im Vordergrund. Bei Geschädigten, die eine Blitzeinwir- kung zunächst überlebt haben, ist das Spektrum der mög- lichen Todesursachen größer. Neben akuten Myokardin- farkten, Schockzuständen nach Verbrennungen und se- kundärem Nierenversagen sind hier vorwiegend schwere Traumata zu nennen. Ein Blitzschlag kann beim Menschen verschiedene Gesundheitsschäden hervorrufen. Am häu- figsten sind Läsionen der Haut, des Herzens, des Nerven- systems, des Hör- und/oder des Sehorgans. Die Behand- lung der Blitzopfer erfolgt wegen der Komplexität der mög- lichen Schädigungen in der Regel interdisziplinär. Aufgrund der relativ guten Erfolgsaussichten bei der Reanimation Blitzgeschädigter hat bei einem Massenunglück die Not- fallbehandlung von scheinbar leblosen Personen Priorität.

Dtsch Arztebl 2007; 104(51–52): A 3545–9 Schlüsselwörter: Blitzunfall, Energieübertragung, Reani- mation, Todesursache, notfallmedizinische Versorgung

SUMMARY

Lightning Strike – Mechanisms of Energy Transfer, Cause of Death, Types of Injury Introduction: Lightning can injure via a direct hit, a contact effect, a side splash, a ground strike or a telephone/wire- mediated strike. The flash-over phenomenon is not an in- dependent energy transfer mechanism. It is observed in all energy transfer modes described, and accounts for the fact that many humans survive a lightning strike. Methods:

Selective literature review. Results and Discussion: The majority of people hit by lightning strike survive. Lightning victims can die immediately after the lightning strike or af- ter a latency period. Death immediately following the event is usually due to a lethal cardiac arrhythmia with ventricu- lar fibrillation and subsequent or immediate asystole. If the lightning strike is survived initially, ensuing myocardial in- farction, shock following burns, secondary renal failure and trauma-related cerebral haemorrhage may occur. A lightning strike can cause numerous different lesions in survivors. Injuries to skin, the heart, the nervous system, ears and eyes are most commonly seen. The management of lightning victims is usually interdisciplinary, due to the complexity of potential injuries. Emergency management of apparently lifeless persons should take priority in a mass accident involving lightning, because of the relatively good chances of success in cardiopulmonary resuscitation of lightning victims.

Dtsch Arztebl 2007; 104(51–52): A 3545–9 Key words: lightning strike, energy transfer, resuscitation, cause of death, emergency

Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Rostock: Prof. Dr. med.

Wegener, Dr. med.

Zack Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Universität zu Köln:

Prof. Dr. med.

Rothschild

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gen 100 000 Ampere einher. Die Luft erhitzt sich da- bei im Blitzkanal bis auf etwa 25 000 bis 30 000 °C.

Hierbei dehnt sie sich explosionsartig aus, was die be- kannten akustischen Effekte eines Gewitters hervor- ruft (4).

Energieübertragung beim Blitzschlag

In der Literatur werden 5 (beziehungsweise 6) Mecha- nismen der Energieübertragung auf den Menschen be- schrieben (5, 6):

>Beim direkten Treffer („direct strike“, „direct hit“) – dem Schädigungsweg mit dem größten Gefähr- dungspotenzial – passiert der Hauptanteil des Stromes den Körper. Man findet häufig Blitz- eintrittstellen am Kopf oder an den Schultern und lochartige Stromdurchschläge an den Füßen be- ziehungsweise am Schuhwerk (Grafik 1).

>Ein Kontakteffekt („contact voltage“) liegt vor, wenn der Blitz in ein Objekt einschlägt, das sich in direktem Kontakt zum Blitzopfer befindet, bei- spielsweise ein Golfschläger. Der Stromweg ver- läuft über den Körper des Opfers, wenn dieser den Weg des geringsten Widerstands darstellt (7) (Grafik 2).

>Ein Überschlagseffekt („side splash“, „side flash“) ist dann gegeben, wenn der Blitz primär in ein an- deres Objekt, zum Beispiel einen Baum, ein- schlägt, und ein Teil der Energie auf eine in der Nähe befindliche Person übertragen wird (8, 9) (Grafik 3).

>Beim Blitzschritteffekt (Schrittspannungseffekt,

„ground strike“, „stride potential“, „step voltage“,

„grounding“, „ground current effect“) geht bezie- hungsweise läuft oder steht die Person mit ges- preizten Beinen bis zu 200 m vom Blitzeinschlag entfernt. Zwischen den Füßen entsteht eine Po- tenzialdifferenz, wobei der Strom über ein Bein in den Körper ein- und über das andere wieder austritt (2, 5) (Grafik 4).

>Beim telefon- beziehungsweise leitervermittelten Blitzeffekt kann der Blitz entweder direkt eine Telefonleitung treffen und die Elektrizität in der Folge den Telefonapparat passieren, den Men- schen erfassen und über unterschiedliche elektri- sche Leiter den Erdboden erreichen. Der Strom- fluss in der Telefonleitung kann aber auch durch einen Blitzeinschlag in ein Elektrokabel erzeugt werden. Die zur Person fortgeleitete Energie ist im Vergleich zum direkten Treffer geringer, je- doch insbesondere gegen das Ohr gerichtet (10).

Innerhalb von Gebäuden können Menschen nicht nur beim Telefonieren über das Festnetz, sondern auch während der Bedienung elektrischer Geräte vom Blitz geschädigt werden (1) (Grafik 5).

>Von einem Übertragungsmechanismus, der bis- her im Zusammenhang mit Blitzunfällen nicht er- wähnt worden war, berichtet Cooper (5). Das Op- fer, das auf einer erhöhten Plattform im Freien gearbeitet habe, sei durch eine entgegengesetzt gerichtete Entladung von der Erdoberfläche in

Richtung Wolke (Aufwärtsblitz, „weak upward streamer“) tödlich verletzt worden. Wenn diese Kasuistik bestätigt wird, sind derartige Aufwärts- blitze als sechster Energieübertragungsmechanis- mus zu klassifizieren.

Der Oberflächeneffekt („skin effect“, „flash-over phenomenon“) kann offenbar bei allen beschriebenen Mechanismen auftreten. Hierbei geht man davon aus, dass der Hauptanteil des Blitzstroms in Form einer Gleitentladung längs der Körperoberfläche abgeführt wird. Als Ursache gilt der Spannungsabfall infolge des Hautwiderstands bei kurzer Expositionszeit. Der Skineffekt erklärt, weshalb Blitzeinwirkungen über- lebt werden können (5, 8, 11).

Leichenschaubefunde

Der bekannteste morphologische Befund bei Blitz- schlagopfern ist die dendritische Blitzfigur, die bei 20 bis 30 % der Fälle zu beobachten ist und mit zu- nehmender Leichenliegezeit abblasst beziehungswei- se verschwindet (12, 13). Neben der Blitzfigur können Verbrennungen der Haut, angesengte Haare, bevor- zugt gruppiert angeordnete Zerreißungen der Beklei- dung beziehungsweise Schmelzeffekte von körperna- hen Metallteilen, wie zum Beispiel einer Kette oder Gürtelschnalle, diagnoseführend sein.

Da nicht alle Blitzopfer äußerlich sichtbare Läsio- nen oder auffällige Befunde aufweisen, besteht bei der ärztlichen Leichenschau prinzipiell die Gefahr, durch Blitzschlag verursachte Sterbefälle zu übersehen (14).

Durch Wettersatelliten werden in Mitteleuropa alle Gewitter registriert und können auf wenige Meter ge- nau lokalisiert werden. Diese Aufzeichnungen können zur Aufklärung von fraglichen Blitztodesfällen ge- nutzt werden (15).

Zerrissene Bekleidung und mechanische Begleit- verletzungen können bei der Leichenschau mitunter den Anschein eines Tötungsdelikts erwecken. (13).

Blitzbedingte Todesursachen

Todesfälle können unmittelbar nach einer Blitzeinwir- kung oder erst nach einem zeitlichen Intervall auftre- ten.

Bei den Soforttodesfällen stehen Herzrhythmus- störungen als Todesursache im Vordergrund (9, 16, 17). Karobath et al. (17) zeigten in Tierversuchen, dass nach experimentellen Blitzentladungen neben Formveränderungen der Kammerkomplexe und Erre- gungsrückbildungsstörungen vor allem Sinusbrady- kardie, Wenckebachsche Periodik, Extrasystolen, Kammerflimmern und Asystolie vorkommen können.

In der Literatur wird auch eine zentrale Atemlähmung mit sekundärem Kreislaufstillstand für einen soforti- gen Eintritt des Todes verantwortlich gemacht (2, 18).

Weiterhin sind mechanische Zerreißungen innerer Or- gane als Todesursache beschrieben worden (17).

Bei den Unfallopfern, die eine Blitzeinwirkung zunächst überlebt haben, ist das Spektrum der mögli- chen Todesursachen größer. Myokardinfarkte und -lä- sionen nach Blitzschlag werden relativ häufig beob- Direkter Treffer

(„direct strike“) mit Stromfluss durch den Körper GRAFIK 1

Kontakteffekt („contact voltage“) mit Blitzschlag in ein Objekt, das vom Opfer berührt wird (zum Beispiel Golfschläger) GRAFIK 2

Überschlagseffekt („side splash“) mit

„Durchschlagen“

des Luftwider- standes bei Blitzschlag in ein nahe gelegenes Objekt (zum Beispiel Baum) GRAFIK 3

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achtet. Weiterhin sterben Blitzopfer an den Folgen der Verbrennungen, an Nierenversagen bei Crush-Syn- drom – das heißt infolge Schädigung der distalen Tu- bulusteile der Nieren durch erhöhtes Hämoglobin, Myoglobin und Eiweiß im Blut etwa nach Traumati- sierung der Skelettmuskulatur – oder aufgrund eines sekundären Traumas (16, 19–23).

In einigen Fällen können bei der Obduktion der Blitzopfer keine todesursächlichen Befunde erhoben werden. Herzrhythmusstörungen beispielsweise sind durch morphologische Untersuchungen nicht fest- stellbar. In solchen Fällen können thermische Läsio- nen an der Kleidung oder an mitgeführten Gegenstän- den zum Nachweis eines blitzbedingten Todes führen (1, 24).

Medizinische Folgen eines Blitzunfalls In die Behandlung der Folgen eines Blitzschlags kön- nen viele klinische Fachrichtungen involviert sein.

Die Hypothese, dass nach einem überlebten Blitz- unfall die völlige Wiederherstellung der Gesundheit erfolgt (25), ist durch zahlreiche Kasuistiken wider- legt worden.

Während einerseits Muehlberger et al. (e1) aufzei- gen, dass 12 durch Blitzschlag geschädigte Patienten nach durchschnittlich 6,7 Jahren keine Spätfolgen mehr aufwiesen, gibt es auf der anderen Seite jährlich eine Weltkonferenz der Blitzschlagüberlebenden in den USA, auf der Opfer unter anderem über Denk- störungen, Parästhesien und Muskelatrophien berich- ten, die noch viele Jahre nach dem Unfall anhalten (e2).

Nachfolgend werden die häufigsten medizinischen Blitzfolgen kurz dargestellt, ohne Anspruch auf Voll- ständigkeit.

Haut

Durch die direkte Einwirkung des Stroms, Überhit- zung der Luft, körpernahe metallische Objekte sowie in Brand geratene Bekleidung können Verbrennungen und Verbrühungen aller Schweregrade verursacht werden. Am häufigsten treten Hautverbrennungen ersten und zweiten Grades auf (11, e3). Das Ausmaß der betroffenen Körperoberfläche kann je nach Fall- konstellation erheblich variieren (e4). Hautareale mit Kontakt zu anliegenden Metallobjekten haben häufig Verbrennungen dritten Grades. Durch hohe Tempera- turen an der Stromübertrittsstelle kann es zur Ver- dampfung des Metalls kommen (Metallisation, Eva- poration).

Eine typische Hautveränderung nach Blitzschlag ist die farnkrautartig aussehende Lichtenbergsche Blitzfigur, die nach mehreren Stunden bis Tagen ver- blasst oder ganz verschwindet (1, 11). Bemerkenswert ist, dass Blitzfiguren nicht nur auf der Haut Blitzge- schädigter, sondern auch an deren Schuhwerk (e5) oder auf der Erde (23) zu finden sind.

Neben der Haut können auch ihre Anhangsgebilde, insbesondere die Haare, durch die Blitzenergie ther- misch geschädigt werden.

Herz

Bei zahlreichen Blitzunfällen findet man Schädigun- gen des Herzens. Als Blitzeffekte werden unter ande- rem verschiedenste Störungen der Erregungsbildung und/oder -leitung, pektanginöse Beschwerden, akute Myokardinfarkte, Perikardergüsse und auffällige Herzgeräusche beschrieben. Sowohl das Kammer- flimmern als auch die Asystolie stehen bei den lebens- bedrohlichen Folgezuständen nach Blitzschlag im Vordergrund.

Die meisten Herzschrittmacher verlieren nach Blitz- einwirkung ihre Funktionstüchtigkeit (e6).

Bei jedem Blitzopfer ist ein EKG aufzuzeichnen und bei Zustand nach Reanimation oder fortbestehen- der kardialer Symptomatik darüber hinaus eine kar- diale Langzeitüberwachung anzuschließen (22).

Nieren

Während direkte blitzbedingte Nierenschädigungen selten sind, zählt das sekundäre Nierenversagen zu den häufiger beobachteten Komplikationen. Letzteres kann zeitverzögert nach etwa 3 bis 8 Tagen auftreten.

Den meisten Fällen liegt eine Myoglobinurie zugrun- de, die aus Nekrosen der Skelettmuskulatur oder ei- nem Trauma resultieren kann (Crush-Syndrom). In schweren Fällen kann eine Hyperkaliämie mit nach- folgendem Herzstillstand auftreten (22).

Neurologische Effekte

Im Vordergrund stehen Bewusstseinsstörungen, die zwischen Desorientiertheit mit retrograder Amnesie und Bewusstlosigkeit variieren können. Derartige Be- wusstseinsstörungen sind entweder zerebral oder kar- dial bedingt (e7).

Die neurologischen Ausfälle betreffen sowohl die Hirnnerven als auch das übrige periphere Nervensys- tem. Schädigungen der Hirnnerven können sich zum Beispiel in optischen und/oder akustischen Störun- gen, Paresen der mimischen Muskulatur, Aphonien und/oder Schluckstörungen äußern. Bei der Beteili- gung des peripheren Nervensystems werden neben motorischen, sensorischen und vegetativen auch re- flektorische Störungen beschrieben, wobei die Be- schwerden in den meisten Fällen innerhalb der ersten Stunden nach dem Blitzunfall nachlassen. Es werden aber auch Kasuistiken berichtet, bei denen die Sym- Blitzschritteffekt („ground strike“) mit abgenommener Schrittspan- nung bei Blitzschlag in den Boden nahe des Menschen

GRAFIK 4

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ptomatik erst nach Tagen oder Wochen auftritt (e8).

Motorische Störungen können sich in Paresen und Paralysen, sensorische in Par-, Hyp- und Anästhesien sowie Schmerzen äußern, dabei wird als dominieren- de Schmerzqualität ein Brennen genannt. Als vege- tative Störungen können Zyanose, Hyperhidrose, Hypertension, Harnblasenatonie und/oder Fehlfunkti- on der Darmmotilität auftreten. Bei den reflektori- schen Störungen werden Hyper-, Hypo- und Areflexie beschrieben (18).

Psychische Effekte

Bei Kindern werden Stimmungsschwankungen, Erre- gungszustände, Vergesslichkeit, Konzentrationsver- lust und Depressionszustände genannt, die von Pha- sen emotionaler Labilität und Todesangst unterbro- chen werden können (e9). Auch bei Erwachsenen kön- nen Depressionen auftreten, die mitunter über Monate persistieren. Hysterisches Verhalten wird als Aus- druck extremer Ängste und Emotionen sowohl bei Leichtverletzten als auch bei Zeugen eines Blitzun- falls beobachtet (8). Als weitere mögliche psychische Folgen werden Ermüdung, kognitive Störungen, Foto- phobien und posttraumatische Belastungsstörungen beschrieben (e10).

Sehorgan

Die häufigste blitzbedingte intraokuläre Läsion ist die sogenannte Cataracta electrica. Derartige Katarak- te entwickeln sich im Allgemeinen 2 bis 4 Monate nach dem Unfallereignis, können jedoch auch sofort oder erst mit einer Verzögerung von vielen Jahren auf- treten (11, e11). Seltener werden Läsionen der Retina – unter anderem chorioretinale Atrophie, Papillen- ödem, Hämorrhagie, Ablatio retinae, Makulaödem und lochartige Makulaläsion – und der übrigen Be- standteile des Sehorgans berichtet (11). Mitunter kann es zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Erblin- dung kommen (e12, e13).

Hörorgan

In mehr als der Hälfte aller Blitzunfälle treten Läsio- nen des Hör- und/oder Gleichgewichtsorgans auf (11). Die otologischen Verletzungen sind dabei auf Barotraumen, Verbrennungen oder vasomotorische Effekte zurückzuführen (e13). Am häufigsten werden Trommelfellrupturen mit nachfolgenden Komplika- tionen wie zum Beispiel Schwerhörigkeit beschrieben (7, 11, 23).

Telefonvermittelte Blitzunfälle verursachen typi- scherweise Verbrennungen des äußeren Gehörganges, Perforationen des Trommelfells, persistierenden Tin- nitus, bilaterale Taubheit, Vertigo und/oder Nystag- mus (e14).

Die otologischen Schäden waren bei nahezu allen Blitzopfern mit weiteren Läsionen, zum Beispiel Hautverbrennungen, kombiniert (11).

Traumatologische Effekte

Sowohl durch die direkte Einwirkung des Blitzes als auch durch Sekundäreffekte, beispielsweise Weg- schleudern des Opfers gegen einen Gegenstand oder Sturz, können traumatologische Schäden verursacht werden. Neben dem Myokard ist auch die Skelettmus- kulatur anfällig für elektrizitätsbedingte Läsionen (e15). Weil ausgedehnte Nekrosen der Skelettmusku- latur ohne Hautschädigungen auftreten können, wer- den sie bei der Erstuntersuchung eines Blitzopfers oft übersehen und erst durch eine deutliche Freisetzung von Myoglobin diagnostiziert (21, e4). Des Weiteren sind blitzbedingte Muskelkontraktionen mitunter so stark, dass sie zu Knochenfrakturen führen können.

Bei Blitzeinwirkung auf den Kopf werden tiefreichen- de thermische Nekrosen, Schädelfrakuren, epidurale, subdurale, subarachnoidale und/oder intrazerebrale Blutungen beschrieben (23). Die blitzbedingte Druck- welle kann zu Rupturen innerer Organe, zum Beispiel der Harnblase, oder zu Gefäßrupturen, beispielsweise der Aorta, führen (e16, e17).

Gynäkologische und geburtshilfliche Effekte

Nach Blitzeinwirkung sollen Störungen des Mens- truationszyklus auf hypothalamischer Ebene beob- achtet worden sein (e18). Laut mehreren Fallberichten ist die Leibesfrucht der Schwangeren stärker durch ei- nen Blitzunfall gefährdet als die Schwangere selbst.

In den vorliegenden 8 Kasuistiken überlebten alle Frauen, hingegen starben 4 Kinder an den Folgen der Blitzunfälle (e19–e21).

Besonderheiten bei der Reanimation nach Blitzschlag

Vom Blitz getroffene Menschen mit Herz- und Atem- stillstand sind grundsätzlich reanimierbar. Auch wei- te, reaktionslose Pupillen dürfen keinesfalls als To- deszeichen interpretiert werden (e6). Durch unver- zügliche und unter Umständen lange fortgesetzte Rea- nimationsmaßnahmen können die Patienten gegebe- nenfalls ohne bleibende Schäden überleben, auch wenn zwischen dem Blitzschlag und dem Beginn der Telefon-/leitervermittelter Unfall („telephone-/wire mediated lightning

injury“) mit Blitzschlag in einen Leiter und Energiefortleitung bis zum Opfer (Grafiken 1–5 aus: Zack F, Schniers E, Wegener R: Blitzunfall – Vorschlag einer Klassifizierung der verschiedenen Energieübertra- gungen auf den Menschen. Rechtsmedizin 2004; 14: 396–401; Ab- druck mit freundlicher Genehmigung des Springer Medizin Verlages, Heidelberg)

GRAFIK 5

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Erstmaßnahmen mitunter ein längeres Intervall be- standen hat (e22, e23).

Die Reanimation Blitzgeschädigter ist Erfolg ver- sprechender als bei Opfern mit Kreislaufstillstand an- derer Genese (1). Als ursächlich vermuten Karobath et al. (17) in Anlehnung an ihre tierexperimentellen Studien ein häufiges Vorliegen von bradykarden Rhythmusstörungen nach Blitzeinwirkung, die für ei- ne gewisse Zeit eine Minimalzirkulation aufrechter- halten können. Dagegen nimmt Taussig (e12) an, dass zwar der Kreislauf im Moment des Blitzschlages zum Erliegen kommt, die anschließende zelluläre Degene- ration jedoch relativ langsam fortschreitet.

Die Tatsache, dass die Reanimation Blitzgeschä- digter mit relativ guten Erfolgsaussichten einhergeht, ist von besonderer klinischer und rechtlicher Rele- vanz. Während bei einem andersartigen Massenun- glück den Verletzten mit erkennbaren Lebenszeichen die erste Aufmerksamkeit gilt, sollten sich die ersten Hilfsmaßnahmen bei einer Gruppe von Blitzgeschä- digten auf die scheinbar leblosen Opfer mit Kreislauf- stillstand konzentrieren (1, e12, e24).

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 16. 3. 2007; revidierte Fassung angenommen: 30. 8. 2007

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Anschrift für die Verfasser Dr. med. Fred Zack

Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Rostock St.-Georg-Straße 108

18055 Rostock

E-Mail: fred.zack@med.uni-rostock.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:

www.aerzteblatt.de/lit5107

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ÜBERSICHTSARBEIT

Blitzunfall –

Energieübertragungsmechanismen und medizinische Folgen

Fred Zack, Markus A. Rothschild, Rudolf Wegener

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