Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 11⏐⏐17. März 2006 AA653
S E I T E E I N S
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ie Ärzte an den Universitätsklini- ken verstärken im Tarifstreit den Druck auf die öffentlichen Arbeitge- ber,die Bundesländer.Am 13.März be- gann die Urabstimmung des Marbur- ger Bundes (mb) über einen unbefri- steten Ärztestreik. Das Ergebnis sollte zwei Tage später,erst nach Redaktions- schluss dieser Ausgabe,vorliegen.Alles andere als eine hohe Zustimmung zu den Arbeitsniederlegungen wäre eine Überraschung. Zu groß ist die Wut, die sich bei den Uniärzten aufgestaut hat.Angesichts der „sturen Beton- kopfpolitik“ der Arbeitgeber sah der mb keine andere Möglichkeit mehr, als die Verhandlungen mit der Tarif- gemeinschaft deutscher Länder (TdL) für gescheitert zu erklären.
Nachdem man sich bereits in vielen Punkten und vor allem auf die Struk- tur für einen arztspezifischen Tarifver- trag geeinigt hatte, habe sich die TdL
bei der Vergütungsfrage „konsequent kompromisslos“ gezeigt, sagte Armin Ehl dem Deutschen Ärzteblatt. Der mb-Hauptgeschäftsführer: „Die TdL legte am 3. März ein allererstes Vergü- tungsangebot vor und und machte zu- gleich unmissverständlich deutlich, dass nicht nachgebessert werde – ein sehr ungewöhnlicher Vorgang.“
Schwerpunkt einer ersten Streikwel- le der Ärzte soll Baden-Württemberg sein. Dort sind am 26. März Landtags- wahlen. Damit schließt sich ein Kreis:
Waren es doch die Ärzte der vier Hoch- schulen dieses Landes,die am 11.Okto- ber 2004 die inzwischen bundesweiten Proteste der Ärzte mit einer Demon- stration in Stuttgart eröffnet hatten.
Stoßrichtung der Streiks sind die Ar- beitgeber. Die drohenden Einnahme- verluste, die eintreten, wenn nur noch eine Notfallversorgung gewährleistet ist, sollen die Länder zum Einlenken
bewegen. Von den Streiks betroffen sind aber insbesondere die Patienten.
Und darin liegt die Gefahr: Denn die bislang ärztefreundliche Stimmung in Deutschland könnte schnell kippen – zumal der in ver.di organisierte Pflege- dienst ja ebenfalls seit Wochen streikt.
Ohne den Rückhalt der Bevölkerung wird es aber sehr schwer, die ärztlichen Forderungen durchzusetzen.
Großes Interesse an einer schnel- len Einigung im Tarifstreit haben auch die streikenden Ärzte. Denn an- ders als ver.di verfügt der mb nicht über eine prall gefüllte Streikkasse.
Die Lohnausfälle während der Ar- beitsniederlegungen können deshalb nicht ausgeglichen werden. Um die Einnahmeausfälle etwas zu kompen- sieren, bereitet der mb Sammelklagen vor: Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, nicht bezahlte Überstunden nachträglich zu vergüten. Jens Flintrop
Tarifstreit
Balanceakt
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ass Details zur geplanten Finanz- reform des Gesundheitswesens vor den drei Landtagswahlen am 26. März durchsickern würden, war anzunehmen — nur wann? Jetzt, lautete die Antwort am 13. März.„Aus Kreisen der Koalition“ war eine Handvoll Journalisten gezielt informiert worden.
Demnach hat Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt (SPD) einen Plan ausarbeiten lassen, bei dem sich auf dem Papier Elemente der Bür- gerversicherung mit denen einer pau- schalen Gesundheitsprämie aufs Schönste kombinieren lassen. Die Zielrichtung ist klar: Die umgebaute Krankenversicherung muss Union und SPD zugleich gefallen.
Deshalb soll sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Zu-
kunft angeblich aus drei Quellen finanzieren: erstens wie bisher aus einem vom Einkommen abhängigen Beitrag der Versicherten, der aller- dings auch auf Kapitalerträge erho- ben würde. Zweitens aus einem lohnabhängigen Beitrag der Arbeit- geber. Und drittens aus einer „klei- nen“ Kopfpauschale, die rund zehn Prozent der GKV-Ausgaben decken soll. Dafür werden Beträge bis zu 40 Euro pro Monat genannt.
Dieses Konzept wirkt nur auf den ersten Blick so, als ob es dem Ko- alitionsfrieden dienen könnte. Zwar ließen sich die drei Säulen theoretisch flexibel ausformen und kombinieren.
Dadurch hielten sich Union und SPD die Hintertüren auf, um den Erwei- terungsbau später wieder gemäß den eigenen Plänen gestalten zu können.
Und die Gesundheitspolitiker wür- den sich wie echte Häuslebauer wei- ter in Auseinandersetzungen ver- stricken, sobald es um die Detailpla- nung ginge: Soll der Arbeitgeberbei- trag eingefroren werden, oder soll er weiter steigen dürfen? Muss die Bei- tragsbemessungsgrenze bleiben, stei- gen oder ganz abgeschafft werden?
Ungeklärt ist schließlich nach wie vor, welchen Platz die große Koalition den privat Krankenver- sicherten in ihrem Umbau einräu- men will. Das bisherige Miteinan- der von GKV und PKV lässt sich leicht kritisieren. Doch wie daraus fair und rechtssicher eine zukunfts- fähige Hausgemeinschaft werden soll – dazu schweigen auch wohl- informierte „Kreise der Koalition“
lieber noch. Sabine Rieser