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Archiv "Petitionsausschuss: Auf den falschen Hund gekommen" (04.07.2008)

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A1490 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008

P O L I T I K

D

eutschland gilt als Land der emsigen Meckerer und Klä- ger. Das geht in Ordnung. Denn selbst das Grundgesetz sieht in Arti- kel 17 vor: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemein- schaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zu- ständigen Stellen und an die Volks- vertretung zu wenden.“ Um das Ganze zu kanalisieren, gibt es unter anderem den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Seit 2007 tagt er hin und wieder öffentlich.

Vor Kurzem standen gesundheits- politische Ärgernisse auf der Tages- ordnung.

Die schreckt erst einmal ab, denn sie ist in bestem Administrations- deutsch gehalten: Nummer 2-16-15- 82714 beanstandet das GKW-Wett- bewerbsstärkungsgesetz im Hin- blick auf die Regelungen zu Hilfs- und Heilmitteln. Nummer 2-16-15- 2124 will erreichen, „dass die in der DDR erworbene Ausbildung zur Sprechstundenschwester zum Füh- ren der Berufsbezeichnung Kran- kenschwester berechtigt“.

Die Namen der Petenten werden in der Einladung nicht genannt, statt dessen wird eine vielstellige Vor- gangsnummer aufgeführt. „Ja, Frau oder Herr 2-16-15-82714“, denkt man sich, „mit Ihrer Kritik am GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz stehen Sie nicht allein da. Ob aber eine Eingabe bei der Volksvertre- tung nutzt?“

Besonders schräg liest sich die Forderung von 2-16-15-8271: „Der Petent begehrt eine gesetzliche Re- gelung des Berufsbilds Blinden- führhundeausbilder, um den Wild- wuchs lebensgefährdender, unquali- fizierter deutscher Führhundeaus- bildung zu beenden.“ Schräg ist in- teressant. Also zum Ortstermin, 26.

Mai, 13 Uhr. Der Petitionsausschuss tagt in einem der Bundestagsneu- bauten, dem hohen, lichten Saal 4 900 des Paul-Löbe-Hauses mit Blick auf die Spree.

Erstes Thema: die Blindenführ- hundeausbildung. 2-16-15-8271 hat nun Gesicht, Gestalt, Namen und Funktion: Dr. August Rügge- berg, Geschäftsführer des Deut- schen Vereins für Blindenführhunde und Mobilitätshilfen (DVBM).

Rüggeberg macht erst einmal klar, mit welchen Laien und Dilettanten sich Leute wie seinesgleichen her- umschlagen müssen. Er dürfe sicher unterstellen, „dass hier im Raum nicht gerade Blindenführhundex- perten sitzen, das ist so der Normal- zustand in unserer Gesellschaft“.

Auch bei den Krankenkassen gebe es „keinen einzigen Mitarbeiter, der sich fachlich auskennt“.

Für Außenstehende hört sich das wie eine gute Vorlage für eine Come- dy-Nummer an. Für Rüggeberg ist es dramatisch. Seit Jahren kann sich demnach jeder, der sich nicht völlig dusselig anstellt, bei den Ordnungs- ämtern einen Gewerbeschein ausstel-

len lassen, dann eine Schule aufma- chen und behaupten, dort Blinden- führhunde auszubilden. Ob ein Hund dann kann, was man von ihm erwar- tet, nämlich Blinde sicher durch den Alltag draußen zu geleiten, ist frag- lich. Der DVBM kritisiert, dass die Kassen zahlen, aber nicht genau hin- gucken. Blinde wiederum beschwer- ten sich selten, weil sie sich schnell an ihren Hund gewöhnten und sich nicht mehr von ihm trennen wollten, auch wenn er als Führhilfe nichts tauge.

Großbritannien bildet sehr viel besser aus

Und wo Herr Rüggeberg mal dabei ist, erzählt er noch mehr: Freiwilli- gen Standards entzieht man sich in der Branche offenbar gern. Der Ent- wurf einer Ausbildungsordnung wiederum war schon weit gediehen und mit zig Führhundexperten ab- gestimmt – man kennt solches Pro- zedere ja sehr gut aus anderen Ecken des Gesundheitswesen. Doch der schöne Konsens nutzte nichts.

Ein großer Krankenkassenverband bekam kalte Füße, dass ein Führ- hundausbilder sich in seiner Berufs- ausübungsfreiheit verletzt sehen und klagen könnte, das Ganze wur- de eingestampft.

Im Ausland ist es offenbar, wie immer, besser. Rüggeberg verweist auf Großbritannien, wo ja auch vie- le deutsche Ärzte lieber arbeiten als hierzulande. Die Briten haben eine landesweite Stiftung gegründet und bilden 800 bis 900 tadellose Blin- denführhunde pro Jahr aus, das Sechsfache dessen, was hier ge- schafft wird.

Was Herr Rüggeberg eigentlich will? Am liebsten ein klares Berufs- bild, wenigstens eindeutige Vorga- ben im SGB V. Die Mitglieder des Petitionsausschusses haken konzen- triert und freundlich nach. Einer

PETITIONSAUSSCHUSS

Auf den falschen Hund gekommen

Vor Kurzem hat sich der Petitionsausschuss mit Beschwerden über die jüngste Gesundheitsreform befasst. Vor allem bei den Heil- und Hilfsmitteln sorgen sich Bürger wegen der neuen Vorgaben.

HIER SCHREIBT DAS VOLK

Langeweile kennt der Petitionsausschuss des Bundestags nicht. Jährlich bearbeiten seine Mitglieder aus allen Frak- tionen im Schnitt 15 000 Eingaben. Ein Drittel davon sind Bitten, die mit der Gesetzgebung zusammenhängen.

„Prüfen, beraten, empfehlen“ – so lautet der Arbeits- dreiklang. Der Ausschuss kann die Bundesregierung um Stellungnahmen bitten und deren Vertreter anhören, sich Akten vorlegen lassen und vor Ort recherchieren. Er hat auch das Recht, auf Änderungen von Gesetzen und Verord- nungen zu drängen.

Derzeit läuft ein Modellversuch: Wenn die Antragsteller einverstanden sind, wird ihr Anliegen im Internet veröffent- licht. Andere Bürger können es dann unterstützen oder kommentieren. Weitere Infos: www.bundestag.de/petitio

nen. Rie

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stellt klar, dass sie zum Kern der Sa- che trotz mangelnder Detailkennt- nisse vorgestoßen sind: „Ein Führ- hund muss verlässlich sein.“ Dann soll Rolf Schwanitz, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, kundtun, was man ändern könnte.

Schwanitz meiert den Antragstel- ler nach allen Regeln der adminis- trativen Kunst ab. Erstens seien quantitative Fragen „nicht unerheb- lich“, wenn es um die Regelung ei- nes Berufsbilds ginge. Soll heißen:

Wegen so ein paar Blindenführhund- ausbildern gehen wir doch nicht ran ans SGB V. Zweitens gehe es doch um sehr geringe Fallzahlen im Ver- gleich zu vielen Heil- und Hilfsmit- teln, nicht wahr? Drittens seien im BMG gar keine Beschwerden von Blinden bekannt, fügt von Schwa- nitz an. Und dann zitiert er aus all den schönen Qualitätsvorgaben zu Heil- und Hilfsmitteln und erinnert an die Prüfpflicht der Kassen. Im Klartext: Da machen wir gar nichts.

Plötzlich ist einem die Heiterkeit abhandengekommen. Schon klar, dass nicht wegen jedes einzelnen Blinden oder Lahmen ein Gesetzes- paket aufgeschnürt werden kann.

Aber im großzügigen Saal des Bun- destags lässt sich gerade nachvoll- ziehen, wie kleinlich man manche kranken oder behinderten Men- schen durch die Maschen der schö- nen Gesetze und Verordnungen fal- len lässt, die doch stets von guter Versorgung, Qualität und Wirksam- keit künden.

Deutlich wird das auch, als eine Mutter von ihrer schwerstbehinder- ten achtjährigen Tochter erzählt.

Das Kind braucht nicht irgendwel- che Hilfsmittel, sondern sehr genau angepasste. Ihr hilft kein kostengüns- tiger Lieferant weit weg, sondern der um die Ecke, der ein bisschen Fantasie mitbringt und sich in das Mädchen einfühlen kann.

„Sie sagen, rechtlich ist alles ge- regelt“, hat Ausschussmitglied Mar- lene Rupprecht (SPD) den langen Vortrag von Staatssekretär Schwa- nitz zusammengefasst. Sicher, recht- lich ist im Gesundheitswesen fast alles perfekt geregelt. Aber nach den individuellen Bedürfnissen von Kranken – immer weniger. I Sabine Rieser

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er Grund für die Aufregung mehrerer Hilfsmittelherstel- ler, Vertreter von Sanitätshäusern und Homecare-Unternehmen sowie Selbsthilfevereinigungen ist nicht neu: Vom 1. Januar 2009 an, so steht es im GKV-Wettbewerbsstärkungs- gesetz (GKV-WSG), soll die Ver- sorgung mit medizinischen Hilfs- mitteln wie Bandagen, Rollstühlen, Prothesen oder Produkten zur In- kontinenz ausschließlich durch Ver- einbarungen zwischen Krankenkas- sen und festen Vertragspartnern or- ganisiert werden. Diese Regelung, findet Klaus Grunau vom Vorstand des Bundesverbandes Medizintech- nologie (BVmed), sei schlichtweg

„Murks“. Und da das Bewusstsein der Bevölkerung für diesen

„Murks“ mehr als ein Jahr nach In- krafttreten der letzten Gesundheits- reform kaum noch vorhanden sei, habe man nun das Aktionsbündnis

„meine Wahl“ gegründet, erklärte Grunau Mitte Juni in Berlin.

Neue Ansprechpartner, neue Fehlerquellen

In Deutschland sind nach Angaben des Bündnisses rund sechs Millio- nen Menschen auf Hilfsmittel ange- wiesen. Bei welchem Sanitätshaus oder Homecare-Unternehmen diese Patienten ihre Hilfsmittel beziehen, stand ihnen bislang frei. So entstan- den gewachsene Kundenbindungen zum Anbieter um die Ecke. Bei den im GKV-WSG geregelten Aus- schreibungen nach § 127, Absatz 1 SGB V können Krankenkassen sich für den Anbieter von Hilfsmitteln entscheiden, der das Ausschrei- bungsverfahren gewonnen hat. Hat ein Sanitätshaus eines Stomapatien- ten keinen Vertrag mit der Kranken- kasse des Betroffenen, kann es den Patienten nicht mehr versorgen.

Oder der Patient wechselt seine

Krankenkasse beziehungsweise zahlt hinzu. „Damit werden gewachsene Versorgungsstrukturen zerstört“, är- gert sich Grunau.

Nicht nur das. Dr. Martin Danner beobachtet zudem eine verstärkte Orientierung der Krankenkassen am Preis – nicht an der Qualität der Hilfsmittel. „Viele der bereits durchgeführten Ausschreibungen weisen eklatante Mängel bei der qualitativen Leistungsbeschreibung auf“, so der Leiter des Referats Ge- sundheitspolitik und Selbsthilfeför- derung der Bundesarbeitsgemein- schaft Selbsthilfe (BAGS). Dies ha- be sich beispielsweise bei einer Ausschreibung der AOK Hessen zur Versorgung mit Antidekubitus-Sys- temen gezeigt. „Qualitätskriterien, die zuvor mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbart und als Standards in das Hilfsmittelver- zeichnis aufgenommen wurden, wurden ignoriert“, sagt Danner. Bis- lang haben nach Angaben des Bünd- nisses mehr als 20 gesetzliche Kran- kenkassen Ausschreibungen initi- iert. Bis Ende 2009 gilt eine Über- gangsfrist, in der die Hilfsmittelver- sorgung wie bisher erfolgen darf.

Auch aus Anbietersicht birgt die neue Rechtslage Probleme. Michael Heil leitet seit 15 Jahren einen Re- hafachhandel, er hat mit vielen Pati- enten täglich Kontakt. „Wenn der Kontrahierungszwang fällt, werden langjährige Beziehungen zwischen Arzt, Therapeut, Techniker und Ver- sorger aufgegeben und für jedes Hilfsmittel ein anderer Lieferant, ein anderer Ansprechpartner, eine immer wieder neue Fehlerquelle initiiert“, so Heil. Das führe zu unnötigen Kosten und Neuanam-

nesen. I

Martina Merten

HILFSMITTEL

Qualität wird ignoriert

Von 2009 an steht es Versicherten nicht mehr frei, Hilfsmittel am Ort ihrer Wahl zu beziehen. Das Aktions- bündnis „meine Wahl“ will das nicht hinnehmen.

Infos: www.buendnis-meine-wahl.de

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