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Archiv "Zwölf Thesen zur Reform der ärztlichen Ausbildung" (11.01.1988)

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THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

In vielen Ländern wird die Qualität der ärztlichen Ausbildung in Frage ge- stellt. Ziele, Formen und Inhalte des gegenwärtigen Studiums werden überdacht und mit den voraussehba- ren Anforderungen an den Arzt im 21.

Jahrhundert verglichen. Eine erste Stellungnahme der Vereinigung Ame- rikanischer Medizinischer Hochschu- len (GPEP-Report, 1984) macht eine Vielzahl weitreichender Vorschläge zur Reform des seit siebzig Jahren in seinen Grundzügen unveränderten Medizinstudiums. Im Arbeitskreis Me- dizinerausbildung der Robert Bosch

Stiftung - Murrhardter Kreis - haben Ärzte, Naturwissenschaftler, Psycholo- gen, Soziologen, Historiker, Juristen, Politiker und Ökonomen gemeinsam versucht, die theoretischen und empi- rischen Grundlagen eines problem- und zukunftsangemessenen Verständ- nisses des Arztes zu erarbeiten, neue Anforderungen zu benennen und hand- lungsleitende Vorschläge zu machen.

Als erste Zwischenbilanz dieser in den Anfängen bis in das Jahr 1980 zurück- reichenden und seit 1985 institutiona- lisierten Arbeit werden hier die nach- folgenden zwölf Thesen vorgelegt.

1 Die Bundesrepublik

Deutschland hat in der ärztlichen Ausbildung den in- ternationalen Erfahrungsaus- tausch vernachlässigt.

Zur Jahrhundertwende galt das deutsche Medizinstudium als vor- bildlich. Es bestimmte z. B. über den von Flexner 1910 vorgelegten Bericht die Entwicklung der nord- amerikanischen Ärzteausbildung bis zum heutigen Tage. In der Bundes- republik Deutschland ist es demge- genüber zu einem Rückschritt ge- kommen, der bei einem internatio- nalen Vergleich am augenfälligsten wird. Diese Entwicklung ist durch den Versuch einer weitreichenden Reform des Studiums im Jahr 1970 nicht aufgehalten, in manchen Tei- len sogar beschleunigt worden. So haben etwa die Reformuniversitäten Ulm und Hannover ihre ursprüng- lich mit anderen europäischen Län- dern abgestimmten Ansätze aufge- geben. Am Erfahrungsaustausch in der internationalen Gemeinschaft der für die Ärzteausbildung Verant- wortlichen hat die Bundesrepublik Deutschland geringen Anteil. Dies betrifft sowohl die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen als auch Publikationen in Fachzeit- schriften. Bei der jüngsten Zusam-

Zwölf Thesen zur Reform der ärztlichen

Ausbildung

Vorläufige Folgerungen des Murrhardter Kreises

Zusammengestellt von Michael Wirsching

menstellung von Reformmodellen durch die Weltgesundheitsorganisa- tion ist keine Hochschule der Bun- desrepublik erwähnt. Die Medizin- didaktik hat an den Universitäten keinen Ort. Dabei wird das gegen- wärtige Ausbildungssystem weitge- hend abgelehnt von Hochschulleh- rern und Studenten, von Gesund- heitspolitikern wie von der Öffent- lichkeit, die sich zunehmend um die Qualität ihrer künftigen Ärzte sorgt.

Der naheliegende Schritt, aus den

Erfahrungen anderer Länder zu ler- nen, im partnerschaftlichen Aus- tausch eigene Konzepte zu entwik- keln und sich so von kurzatmigen Reparaturversuchen zu lösen, wird nicht vollzogen. Solche selbstge- wählte Isolation mag dazu beitra- gen, das Übel kurzfristig zu verber- gen, bewirkt jedoch eine zusätzliche Verschlechterung des ohnehin kaum noch zu verantwortenden gegenwär- tigen Zustandes.

Den Anschluß an den in- ternationalen Erfahrungsaus- tausch auch in Ausbildungsfra- gen zu suchen, ist eine der vor- dringlichsten Aufgaben zur Verbesserung der ärztlichen Ausbildung.

Ausbildungsfragen wer-

Qm

den in den Fakultäten und Fachbereichen fast nur noch im Hinblick auf juristische und ökonomische Fragen disku- tiert.

Numerus Clausus und Kapazi- tätsverordnungen, Zulassungstest und Zulassungsinterviews, Multiple Choice und mündliches Examen, Arzt im Praktikum und Ärzte- schwemme sind neben der Stunden-

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plangestaltung gegenwärtig fast die einzigen von den Unterrichtsverant- wortlichen der Hochschulen bear- beiteten Themen. Fragen nach Form und Inhalt der Ausbildung stehen demgegenüber zurück. Wer sich ih- rer annimmt, läuft Gefahr, isoliert, ja verdächtigt zu werden, mangeln- de wissenschaftliche Qualifikation durch Interesse am akademischen Unterricht auszugleichen.

Die pädagogische Qualifikation wird bei der Berufung zum Hoch- schullehrer vernachlässigt. Qualität und Intensität der Beteiligung am

3 Gesetzesregelungen und

überhöhte Studentenzah- len blockieren Reformansätze und demotivieren die Lehren- den und Lernenden

Kurzfristige Novellierungen der bestehenden Gesetze bieten keine grundlegende Neuorientierung.

Statt dessen werden alle Beteiligten wachsendem Druck ausgesetzt. Da- zu kommen Berechnungen der Stu- dienplatzkapazität, welche sich aus- schließlich an quantitativen und for- malen Kriterien, nicht hingegen an der Qualität und an der Gestaltung des Unterrichts orientieren. Über- füllte Hörsäle und Praktika, die Sor-

4 Das Medizinstudium ver-

nachlässigt wesentliche voraussehbare Anforderungen an den künftigen Arzt.

Derzeit werden die Ärzte des 21. Jahrhunderts ausgebildet. Die- sen stehen hochentwickelte natur- wissenschaftliche Methoden der Diagnostik und Therapie zur Verfü- gung, deren sinnvolle (und ökono- mische) Anwendung die Anamnese und die körperliche Untersuchung unverzichtbar macht.

Weiterhin steigende Lebenser- wartung konfrontiert den künftigen Arzt mit einer wachsenden Zahl äl- terer Menschen mit vielfältigen und langwierigen Leiden (Multimorbidi- tät und Chronizität), welche eher Begleitung als Behandlung erfor- dern. Einsichten in die genetische Struktur des Menschen erlauben

Unterricht haben keinen Einfluß auf die Stellung des jeweiligen Hoch- schullehrers in seiner Fakultät. Das latent bei vielen vorhandene Enga- gement bleibt weitgehend unge- nutzt.

Als Grundlage jeglicher

1-ünftiger Reform müssen Form und Inhalt des Studiums von den Hochschulen als wis- senschaftsrelevante Themen erkannt und kontinuierlich be- arbeitet werden.

ge, durch innovative Schritte (z. B.

Einbeziehung außeruniversitärer Krankenhäuser) weitere Lasten auf- gebürdet zu bekommen, und wach- sende Konkurrenz angesichts ver- knappter Arbeitsplätze schaffen ein reformfeindliches Klima

Den Hochschulen sollte mehr Entscheidungskompe- tenz bei der Auswahl der Stu- denten, der quantitativen und qualitativen Unterrichtsgestal- tung und bei der Erprobung al- ternativer Studienkonzepte zu- rückgegeben werden.

weitere Erkenntnisse des Zusam- menwirkens angeborener und er- worbener Faktoren in einem multi- faktoriellen Krankheitsprozeß.

Daraus ergeben sich einerseits Möglichkeiten der Prävention, auf der anderen Seite schwerwiegende ethische Konflikte

Der Student lernt gegenwärtig auf der Grundlage hochausgelesener Krankheitsbilder fast ausschließlich die Arbeitsweise universitärer Zen- tren der Maximalversorgung ken- nen, welche durch hohen apparati- ven Aufwand, kurzfristige Patien- tenkontakte und überwiegend natur- wissenschaftliche Sicht charakteri- siert ist. Alltägliche primärärztliche Behandlungssituationen kommen kaum vor.

Daran schließt sich eine eben- falls klinikgebundene Weiterbildung an. Nach zehn- bis zwölfjähriger ein-

seitiger Ausrichtung ist eine Neu- orientierung nur schwer möglich.

Unser Gesundheitssystem ist des- halb geprägt durch die kostspielige Umsetzung der so verinnerlichten Behandlungssituation auf die Praxis des niedergelassenen Arztes, welche zusätzlich erhebliche finanzielle An- reize bietet.

Ein reformiertes Medizin- studium muß an den gegen- wärtigen und in Zukunft zu er- wartenden Anforderungen der Gesellschaft orientiert sein.

Das Konzept der heuti- IiiP ■ gen Ausbildung besteht fast nur noch darin, komplizier- te Zusammenhänge in ihre Be- standteile zu zerlegen.

Das Ganze ist mehr als die Sum- me seiner Teile. Enzyklopädisches Wissen verbürgt nicht die Fähigkeit zur Erkennung komplexer Wechsel- wirkungen in einem krankheitsbe- stimmenden Feld. Zu mechanische, an einfachen (linearen) Ursache- Wirkungszusammenhängen ausge- richtete Behandlungskonzepte lau- fen Gefahr, zusätzliche Störungen (Nebenwirkungen) in ein bereits maximal beanspruchtes körperlich- seelisch-soziales System hineinzutra- gen. Die Problemerkennungs- und Problemlösungsfähigkeit wird in der gegenwärtigen Ausbildungssituation nicht gestärkt. Gerade auch neue unvorhersehbare Krankheiten ge- hen, wie das Beispiel der erworbe- nen Immunschwäche (AIDS) be- legt, mit komplizierten biologischen Prozessen, weitreichenden persön- lichen und familiären Konflikten und grundlegenden gesellschaft- lichen (z. B. ethisch-juristischen) Fragen einher. Gleiches gilt mit mehr oder weniger großen Ein- schränkungen für andere alltägliche, für den Betroffenen und seinen Arzt hingegen immer wieder neue, indivi- duell zu bewältigende Krankheitssi- tuationen. — Die Bereitschaft zur freien, je nach Patient, Krankheit und Krankheitsphase entschiedenen Wahl der bestgeeigneten Gesichts- punkte (Perspektiven) und Behand-

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lungskonzepte, die Möglichkeit, Komplexität soweit als möglich zu erhalten und soweit als nötig zu re- duzieren, ist für den Arzt auch in Zukunft unabdingbar.

Die Fähigkeit zur Pro- blemerkennung und zur Pro- blemlösung muß neben der Vermittlung von Faktenwissen im Medizinstudium gefördert werden.

6 Die Bereitschaft ärzt-

licher und nichtärztlicher Berufsgruppen, in einem ar- beitsteiligen Gesundheitssystem zusammenzuarbeiten, beruht auf Kenntnis und Respektie- rung der jeweils unterschied- lichen Fähigkeiten und Gren- zen.

Wenn die grundlegende Ausbil- dungserfahrung ist, sich im Allein- gang maximales Wissen anzueignen,

7 Der gegenwärtigen Aus-

& • bildung liegt ein eher sta- tisches, an der Fächerhierarchie orientiertes Bild der Medizin zugrunde. Die Alternative wäre ein dynamisches, an Störungen von komplexen Systemen aus- gerichtetes Verständnis.

In Fortsetzung des von Hum- boldt im 19. Jahrhundert begründe- ten Bildes der Universität gliedert sich die Medizin in Grundlagenfä- cher, klinische Fachdisziplinen und Spezialbereiche, die aufeinander fu- ßend zu einer vielfältigen Ausgestal- tung eines „Lehrgebäudes" führen.

Folgerichtig durchläuft der Student einen Lernprozeß, dessen Ziel die größtmögliche Verfügbarkeit eines logischen, in sich schlüssigen Wis- sensbestandes ist, welcher konti- nuierlich ersetzt wird und eher zur Lösung klinischer Probleme befähi- gen soll. Dem steht ein eher erfah- rungsbegründetes Konzept gegen- über, welches den Prozeß der Pro- blemlösung selbst vor dem Wissens- bestand betont. Dann wird nur noch

welches in Konkurrenz mit anderen abgeprüft wird, so fällt es schwer, Grenzen der eigenen Kompetenz wahrzunehmen, sie zu akzeptieren und in Kooperation mit anderen auszugleichen. Selbstüberschätzung und Übernahme unbegründeter Entscheidungsautorität werden statt dessen gefördert. Wenn das maxi- mal verfügbare Expertenwissen al- lein die Stellung in einem stark hier- archischen System bestimmt, so fällt es schwer, anderen, gemessen am Spezialistenwissen weniger Kompe- tenten — für die Krankenversorgung gleichwohl Wichtigen — eine ange- messene Position zuzugestehen.

Fächer und Berufsgruppen übergreifende Kooperation und kritische Selbstbeurteilung müssen als wesentliche Ele- mente zeitgemäßer Kranken- versorgung vom Beginn des Studiums an erlebt und geübt werden.

ein begrenztes Grundlagenwissen vermittelt, welches zum Erkennen der jeweiligen Probleme und zum Schließen der hier notwendigerweise größeren Lücken befähigt.

Das künftige Studium soll- te Anteile enthalten, in denen Probleme auf wissenschaft- liche Weise herausgearbeitet sowie durch Zusammenfügung (Integration) der Teilgesichts- punkte einer Lösung zugäng- lich gemacht werden. Traditio- nelle Grenzen zwischen den Fächern sowie zwischen Vor- klinik und Klinik sollten hier- bei bewußt überschritten wer- den.

8 Das gegenwärtige Studi-

um beruht zu großen Tei- len auf der unkritischen Aneig- nung vorgegebenen Faktenwis- sens. Dies wirkt sich negativ auf die künftige Beziehung von Arzt und Patient aus.

Entscheidend sind der Respekt und das Vertrauen in die jeweilige Verantwortung, in die Entwick- lungs- und Entscheidungsfähigkeit des Studenten wie auch des künfti- gen Patienten. Wenn der angehende Arzt (aus welchen Gründen auch immer) sein sechsjähriges Studium fast durchweg in der Rolle des in- struierten und kontrollierten Ler- nenden durchlaufen hat, dann er- scheint es naheliegend, daß er solche Grunderfahrung auf seinen künfti- gen Patienten überträgt, der so in die Rolle eines unmündigen, passi- ven Behandlungsobjektes gedrängt wird. Diese Grundeinstellung wird dann besonders problematisch, wenn Stärkung von Eigenverantwor- tung und Selbstbestimmung des Pa- tienten nicht „nur" ethisch, sondern gerade auch im Hinblick auf ein Ge- lingen der Behandlung angezeigt sind. Dies ist für die Mehrzahl aller Patientenkontakte außerhalb des akut lebensbedrohenden Bereiches zutreffend.

Ein reformiertes Studium wird aktivere eigenverantwort- liche Lernformen zu fördern suchen in der Hoffnung auf ei- ne entwicklungsfördernde und Selbstbestimmung respektie- rende Beziehung von Arzt und Patient.

9 Die Gestaltung der Stu- dienbedingungen be- stimmt das Studierverhalten. In der Bundesrepublik sind die Voraussetzungen für Wissens- erwerb im Alleingang geschaf- fen.

Die Wirkung der Rahmenbedin- gungen auf das tatsächliche Verhal- ten der Studenten wird unterschätzt.

Das Zulassungsverfahren, die Zahl der Studierenden im Verhältnis zur Zahl der Lehrenden, die im Unter- richt eingesetzten Methoden (z. B.

Frontalunterricht), das Verhalten der Lehrenden, der Ort der Lehr- veranstaltungen, der Zugang zu Bü- chern und anderen Medien, Wech- selwirkungen innerhalb studenti- scher Gruppen (fast analog den Selbsthilfegruppen) — zusammenge-

(4)

Der Arbeitskreis Medizinerausbildung der Robert Bosch Stiftung GmbH —

,Murrhardter Kreis" — besteht seit 1980.

Ausgehend von der gemeinsam geteilten '

Unzufriedenheit mit der ärztlichen Ausbil- dung begann eine kleine Gruppe medizini- scher Hochschullehrer damit, bestehende Mängel der Ausbildung und Möglich- keiten ihrer Veränderung zu diskutieren.

1982 legten die Professoren Arnold, Grundmann, Heimann, Lasch, Mattem und Ungeheuer eine von der Robert Bosch Stiftung geförderte „Denkschrift zur Reform der ärztlichen Ausbildung"

vor. Darin wurden die gedanklichen Aus- gangsbedingungen einer grundlegenden und umfangreichen Kritik der Arzteaus- bildung niedergelegt. Sie wurde in Zu- sammenarbeit mit neu gewonnenen Mit- gliedern (auch aus nicht-medizinischen Bereichen) weiterentwickelt und präzi- siert. Seit 1985 wird diese Zusammenar- beit unter der Projektbezeichnung „Arzt- bild — Grundlagen und Entwicklung der Qualifikation" von der Robert Bosch Stiftung gefördert.

Heute hat der Arbeitskreis 22 Mitglie- der. Er versteht sich als eine von berufs- politischen Interessen unabhängige, nicht in allen Fragen und Positionen homogene Gruppe. Aus der heterogenen Zusam- mensetzung ergab sich eine . große Chan- ce, die seit Jahren in der Öffentlichkeit kontrovers geführte Diskussion über die Angemessenheit der ärztlichen Ausbil- dung im kleinen Kreis nachzuvollziehen, Hintergründe aufzudecken und im inter- disziplinären Austausch einen tragfähigen Konsens zu entwickeln.

Alle Mitglieder teilen die Überzeu- gung, daß der derzeitigen Misere der ärzt- lichen Ausbildung nur begegnet werden kann, wenn differenziert und umfassend die Bedingungen zukunftsangemessenen ärztlichen Selbstverständnisses bestimmt, künftige Anforderungen benannt und daraus handlungsleitende Vorschläge ent- wickelt werden.

Die vorgestellten „12 Thesen zur Re- form der ärztlichen Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland" stellen Grundannahmen des Arbeitskreises dar.

Sie fassen die als wesentlich erachteten Defizite der bisherigen ärztlichen Ausbil- dung und zukunftsweisende Forderungen zusammen. Ihre Veröffentlichung ist ge- dacht als ein erster, diskussionsanregen- der Schritt, von dem sich der Arbeitskreis eine die weitere Arbeit stimulierende Kri- tik erhofft.

Weitere Beiträge, die in differenzier- ter Form die Arbeit des Murrhardter Kreises vorstellen, sind geplant. So wird zur Zeit ein Modellstudiengang zu Inhalt und Form ärztlicher Ausbildung entwik- kelt. Begleitend werden dazu Untersu- chungen an ausländischen Universitäten durchgeführt, die die Ergebnisse auf den Stand internationaler Erfahrung und Dis- kussion beziehen sollen.

Dem Arbeitskreis gehören an:

Prof. Dr. M. Arnold, Tübingen; Prof.

Dr. E. Doppelfeld, Köln; Prof. Dr. G.

Feifel, Homburg/Saar; Prof. Dr. Ch. von Ferber, Düsseldorf; Prof. Dr. H. U.

Gallwas, München; Prof. Dr. D. Habeck, Münster; Privatdozent Dr. F. Hartmann, Tübingen; Prof. Dr. H. Heimpel, Ulm!

Donau; Prof. Dr. P. Heimich, Brüggen;

Prof. Dr. K. Hinrichsen, Bochum; Dr. J.

Hoppe, Düren; Dr. H. J. Lutz, Germe- ring; Prof. Dr. H. J. Mattem, Heidel- berg; Prof. Dr. D. Sasse, Basel/Schweiz;

Prof. Dr. H.-E. Schaefer, Freiburg; Dr.

F. Salomon, Gießen; Prof. Dr. H. Scho- merus, Rotenburg (Wümme); Prof. Dr.

J. Siegrist, Marburg/Lahn; Prof. Dr. E.

Ungeheuer, Frankfurt a. M.; Prof. Dr.

M. Wirsching, Gießen; Frau Prof. Dr. R.

Wittern, Erlangen.

Information und Kontaktadresse:

Wissenschaftliches Sekretariat des Ar- beitskreises Medizinerausbildung; Zen- trum für Psychosomatische Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, Fried- richstr. 28, 6300 Gießen. ❑ nommen also das ganze „informelle

Curriculum" haben einen gleichen, wenn nicht größeren Einfluß auf die Erfahrungen und Einstellungen, welche im Lauf des Studiums erwor- ben werden, als die offiziellen Lehr- inhalte und Lehrformen. Diese

„Studienlandschaft" ist in der Bun- desrepublik so gestaltet, daß der Student in großer Abhängigkeit von vorgegebenen Bedingungen, Di- stanz zu Lehrenden und Mitstuden- ten und einseitiger Konzentrierung auf Lehrbücher den „erfolgreich- sten" Studienabschluß erzielen wird.

Die künftige Studienland- schaft muß so gestaltet wer- den, daß ein wissenschaftlicher Lernprozeß in partnerschaft- licher Zusammenarbeit geför- dert statt behindert wird.

10 Nicht nur der Inhalt,

sondern auch die Form der Prüfungen bestimmt das Studierverhalten. In der Bun- desrepublik werden die meiste Zeit und Energie in den Erwerb der Fähigkeit zum Bestehen ei- nes Multiple-Choice-Examens investiert.

Das gegenwärtige Prüfungssy- stem legt dem Studenten nahe, je- weils kurzfristig zu bestimmten Zeit- punkten ein sehr spezialisiertes Wis- sen in Frage-Antwort-Form wieder- zugeben. Große Teile des Wissens werden schnell wieder vergessen, um neuen Inhalten Platz zu machen.

Bei einer Studienreform ist der Einfluß der Prüfung auf das Studierverhalten mitzube- denken. Die Prüfung muß dem Ausbildungsziel und damit den Unterrichtsinhalten und Un- terrichtsmethoden angeglichen werden und nicht umgekehrt.

1 1Beim gegenwärtig ein-

. seitig auf Wissenser- werb ausgerichteten Studium bleiben die Vermittlung grund-

legender Fertigkeiten, die Ent- wicklung der Fähigkeit zur Pro- blemlösung und die Vermitt- lung adäquater ärztlicher Hal- tungen weitgehend unberück- sichtigt.

Fertigkeiten (zum Beispiel Un- tersuchungsmethoden, Gesprächs- führung und so weiter) müssen früh- zeitig geübt werden (Phantome, Me- dien, Simulationen, Kommilitonen), wenn nicht der Patient zum Übung- sobjekt gemacht werden soll. Die Befähigung zur Problemlösung muß entscheidend für jegliches ärztliche Handeln durchgehendes Element des Unterrichts sein (zum Beispiel Gruppenarbeit). Haltungen und

Einstellungen können durchdacht werden und blinde Flecke der Selbstwahrnehmung müssen zu Be- wußtsein gebracht werden, um die unsicherheitsbedingte, unkritische Imitation scheinbar einleuchtender Rollenklischees zu vermeiden.

Eine Studienreform muß die Wissensvermittlung in den Dienst des Kompetenzerwerbs stellen, um der Erlangung von Fertigkeiten, Problemlösungs- fähigkeiten und ärztlichen Hal- tungen ausreichenden Raum zu lassen.

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

12 Eine Studienreform ist . niemals ausschließlich durch das idealistische Enga- gement einzelner zu leisten.

Vielmehr sind bereits einfachste Schritte an eine weitreichende Änderung des Selbstverständ- nisses der Lehrenden und Ler- nenden sowie der gesetzlichen und ökonomischen Rahmenbe- dingungen gebunden.

Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, daß gegen- wärtig Annäherungen an das oben thesenhaft skizzierte Ausbildungs- konzept nur in Hochschul-Neugrün- dungen möglich waren, beziehungs- weise in der Einrichtung paralleler alternativer Studiengänge, die ver- schiedenen Prinzipien folgten. Aber auch Neugründungen sind auf die nachhaltige Unterstützung durch Politiker, Standesorganisationen und Öffentlichkeit angewiesen. Wo die Rahmenbedingungen unverän- dert blieben, versandete die Reform oder führte gar zur zusätzlichen Komplizierung einer bereits schwie- rigen Ausbildungssituation. Dies be- legen in unserem Lande die man- gelnde Verwirklichung der Appro- bationsordnung von 1970 (manche sprechen vom Scheitern) und vor al- lem die Rückentwicklung an den so- genannten Reformuniversitäten.

In einem geschlossenen zeit- und gesellschaftsgerechten Ausbil- dungssystem einzelne strategisch be- deutsame Anteile ändern zu wollen, heißt, eine Krise des Ausbildungssy- stems zu provozieren, welche die un- mittelbar Betroffenen tatkräftig ab- wenden werden. Erst wenn erkannt wird, daß das System nicht mehr sei- nen zeit- und gesellschaftsabhängi- gen Aufgaben gerecht wird, ist eine Veränderung vorstellbar.

Die Notwendigkeit einer Reform unserer ärztlichen Ausbildung im Hinblick auf die künftigen Aufgaben des Arztes zweifelsfrei zu belegen, ist das selbstgestellte Ziel der hier thesenhaft zusammenge- faßten Arbeit des Murrhardter Kreises.

Arznei-Report:

Eine Trendwende im Verordnungsverhalten

1986 sind 3,3 Prozent mehr Arz- neimittelpackungen als ein Jahr da- vor ärztlich verordnet worden. Die- se Feststellung verbindet der Arz- neiverordnungs-Report '87 des Wis- senschaftlichen Instituts der Orts- krankenkassen (WIdO), Bonn-Bad Godesberg, mit dem Hinweis auf ei- ne „deutliche Trendwende im Ver- ordnungsverhalten" der Ärzte. Die im Jahr 1986 zu verzeichnende

„deutliche Mengenausweitung" hat im wesentlichen den von den gesetz- lichen Krankenkassen verzeichneten Ausgabenanstieg für Arzneimittel in Höhe von 4,9 Prozent verursacht, wohingegen die Preissteigerungsrate mit 1,2 Prozent deutlich abflachte.

In dem 500 Seiten starken Arz- neiverordnungs-Report '87 (Heraus- geber: Prof. Dr. med. Ulrich Schwa- be, Pharmakologisches Institut der Universität Heidelberg, und Dr. rer.

pol. Dieter Paffrath, Leiter von WIdO; Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart) sind Daten zu den führen- den 2000 Arzneimitteln und phar- makologisch-therapeutische Kom- mentare zu 30 wichtigen Indika- tionsgebieten zusammengefaßt. Im einzelnen kommt der Report zu fol- genden Feststellungen:

I> Bei den Neuzugängen domi- nieren preiswerte Generika bekann- te Substanzen, besonders in der In- dikationsgruppe der Beta-Rezepto- renblocker und der Calcium-Antago- nisten. Der Marktanteil der „Nach- ahmerpräparate" (Generika) beträgt 10 Prozent, gemessen am Umsatz, und 13 Prozent, gemessen an der Zahl der Verordnungen. In Präparate- gruppen, in denen überwiegend Zweitanmelderpräparate eingesetzt werden, hat der Generika-Umsatzan- teil 40 Prozent erreicht.

> Nach Meinung des Ge- schäftsführers des AOK-Bundesver- bandes, Dr. jur. Franz Josef Oldi- ges , stecken in der Verordnung von preisgünstigen Generika noch „Ein- sparpotentiale" in Milliarden-DM- Höhe. (Die Arzneimittelausgaben

der GKV liegen zur Zeit bei rund 18 Milliarden DM jährlich).

> Der Gesamtwert der in der Bundesrepublik eingesetzten Korn- binationsarzneimittel wird für 1986 mit mindestens 4,8 Milliarden DM geschätzt (rund 30 Prozent des ge- samten Verordnungsvolumens).

Der Report kritisiert erneut, daß immer noch 200 Millionen Ver- ordnungen auf Arzneimittelgruppen mit „unsicheren oder umstrittenen therapeutischen Konzepten" entfie- len. Als besonders „umsatzstarke Gruppen" werden genannt: durch- blutungsfördernde Mittel (1,3 Mil- liarden DM), Venenmittel (560 Mil- lionen DM), hustenlösende Mittel (590 Millionen DM), Rheuma-Ein- reibungen (370 Millionen DM).

Besonders stark gestiegen ist nach Angaben des WIdO-Reports die Verordnung von Beruhigungs- mitteln. Würden alle verordneten Tranquilizer nicht länger als vier Wochen angewendet, müßten 40 Prozent der Bevölkerung — rein rechnerisch — diese Arzneimittel ein- nehmen.

Hohe Übermedikation bei Älteren

Für ältere Patienten wird ein er- hebliches Maß an Übermedikation vermutet. Rund die Hälfte der ge- samten Arzneimittelkosten entfällt auf die Gruppe der 60jährigen und älteren Patienten. Versicherte mit einem Lebensalter von mehr als 70 Jahren erhielten im Durchschnitt drei verschiedene Medikamente in Dauertherapie. Allein an Versicher- te im Alter zwischen 71 und 80 Jah- ren werden so viele Psychopharma- ka, Hypnotika und Sedativa verord- net, daß jeder fünfte — im statisti- schen Durchschnitt und theoretisch

— von ihnen damit dauertherapiert werden könnte.

Deutlich nachgelassen habe der kostendämpfende Effekt der „Ne- gativliste" (§ 182 f RVO) für „Ba- gatellarzneimittel" (gültig seit 1.

April 1983). Nach den erheblichen Verordnungs- und Umsatzrückgän- gen in den Jahren 1983/84 stiegen die Arzneimittelkosten in den be- troffenen Indikationsgebieten seit

1985 wieder deutlich. HC

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