Aufgeschlagene Bücher, in denen nichts zu lesen ist - Anspielung auf die Fülle von Literatur, die zwar gekauft und verschenkt, aber nicht gelesen wird? Dieses Bild von Salvo (8 Libri, 1983, Öl auf Holz 52 x 69 cm, Köln, Galerie Paul Maenz) ist dem Band Kunst der Gegenwart (279 Seiten, 249 Farb- und 26 Schwarzweißabbildungen, Taschen-Verlag, Köln, 1988) entnommen. Klaus Honnef gibt hier einen treffenden Überblick über die Kunst des letzten Jahrzehnts. Die „Neuen Wilden" sind genauso eingeschlossen wie jene Spielart der modernen Manieristen, die italienische Post-Avantgarde
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Wien, Wien allein, Litera- rische Nahaufnahmen, Her- ausgegeben von Erich Hackt, Sammlung Luchterhand 705, Darmstadt/Neuwied, 1987, 246 Seiten, 16,80 DM
Wer nostalgisch die Kai- ser- oder Operettenstadt Wien sucht, wird sie nicht fin- den; aus der Vogelperspekti- ve werden die Stadt und ihr Treiben nicht betrachtet!
Erich Hackt, der Herausge- ber, läßt 32 Autoren - darun- ter Milena Jesenskä, Inge- borg Bachmann, Milo Dor, Friedrich Heer und Gabriel Garcia Märquez - die Metro- pole schildern. Dabei entste- hen Nahaufnahmen, die als Ganzes ein facettenreiches Panorama Wiens ergeben.
Geschichten von Häusern, Straßen, Plätzen und der Stadt als Rumpelkammer ge- hören ebenso dazu wie Be- richte über Friedhöfe, Schre- bergärten, Gerichtsverhand- lungen und Fußball; als bri- sante und lohnende Objekte
für Nahaufnahmen werden auch das „Graue Haus" (das Untersuchungsgefängnis) und das Irrenhaus (die Lan- desheil- und Pflegeanstalt
„Am Steinhof") nicht ver- gessen. Dazwischen einge- blendet Besucherrummel, Schubert-Kitsch, Bazar-Be- trieb an der Donau, Gesprä- che über schlimme Zeiten und anderes mehr, worüber man raunzen oder sich freuen kann. Wiener Atmosphäre, die bekommt man zu spüren, jedoch anders als bisher ge- wohnt, manchesmal schok- kierend oder, was heute ge- fragt ist, auch alternativ. Kei- ne Heurigen-Seligkeit erwar- tet den Leser, sondern die faszinierende Wirklichkeit ei- ner ungewöhnlichen Stadt.
Wie Wien wirklich ist, ver- sucht diese Anthologie zu zeigen. Daß dem Volk dabei aufs Maul geschaut wurde, verrät bereits das Titelbild.
Hans-Erich Meyer Nürnberg
Lotte Eckener, Walter Manggold: Madonnen, Bild- werke und Miniaturen, Ver- lag Stadtler, Konstanz, 1987, 95 Seiten, 70 teils farbige Photographien, 48 DM
Die bekannte Fotografin Lotte Eckener stellt in 70 teils schwarzweißen, teils farbigen Fotografien Wieder- gaben von Bildwerken vor, hauptsächlich aus der Region Bodensee, dazu Miniaturen aus alten Handschriften der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Mit dem Text von Walter Manggold zusammen ist dieser Bildband eine groß- artige Laudatio auf die Got- tesmutter, deren Bildnisse von Madonnen in Kapellen, wie in Kathedralen, im ker- zenhellen Glanz der Altäre oder im dämmerigen Licht der Nischen eines offenba- ren: Dienst am Heiligen und ein Ja zum demütigen irdisch- mütterlichen Dasein.
Hannes Sauter-Servaes, Singen
Oliver Sacks: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, Rowohlt Ver- lag, Reinbek bei Hamburg, 1987, 320 Seiten, gebunden, 34 DM
„Ein Gespräch über Krankheiten ist eine Art Er- zählung aus Tausendundei- ner Nacht" (W. Osler). Ein solches Gespräch will uns der New Yorker Neuropsycholo- ge 0. Sacks nahebringen: ei- nem Publikum von medizini- schen Laien und von auch lai- enhaften Medizinern. Denn nur der Fachneurologe wird wohl auf die gelegentliche Nutzung des sorgfältigen Glossars verzichten können.
Wir finden Krankengeschich- ten von „Menschen, die ihre Identität unter widrigen Um- ständen zu bewahren su- chen` Sie dürften gerade auch den praktizierenden Arzt erinnern, manchmal vielleicht: erschüttern. Der Seemann ohne Gedächtnis, die körperlose Frau, die idio- tischen Zwillinge mit dem Rechengenie; aber auch die Syphilitiker, Epileptiker, Hirntumor-, Parkinson- und MS-Patienten: Ihr Schicksal wird in seiner Nicht-Alltäg- lichkeit vor uns entfaltet, öff- net den klinischen Blick.
Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, arbeitete als Professor an ei- ner Musikhochschule. Wie der Autor uns in die innere Realität seiner isolierten visu- ellen Agnosie auf dem Boden eines M. Alzheimer führt, ent- wickelt er zugleich eine Ana- logie zur gegenwärtigen ko- gnitiven Neurologie und Psy- chologie: „Wir brauchen das Konkrete und Reale ebenso wie er, und gleich ihm sind wir nicht in der Lage, es zu erken- nen. Unsere kognitiven Wis- senschaften leiden selbst unter einer Agnosie, . . . , die das Urteilende, das Besondere, das Persönliche meidet und sich ganz dem Abstrakten und Berechenbaren zuwendet."
Sacks gelingt es, diese Agno- sie übend zurückzudrängen, ohne zu weit ins Meer der An- ekdoten abzutreiben.
Jan Christians, Schöningen A-1654 (86) Dt. Ärztebl. 85, Heft 22, 2. Juni 1988