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Archiv "FEUILLETON: Der Mann, der nicht lachte" (09.10.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FEUILLETON

Der Mann, der nicht lachte

Viele Menschen wurden wegen ihrem Gesicht berühmt, eher als für ihre Taten. Große Schauspie- ler hauptsächlich wegen ihrer Vielgesichtigkeit, mit der sie je- de Kleinigkeit nuancierten. Auf Buster Keaton traf das Umge- kehrte zu: Bei allem, was er tat, blieb stets sein Gesicht das ein- zig Unerschütterliche, Unverän- derbare im Chaos; der Felsen, den nur die Gezeiten abgetra- gen haben.

Buster Keaton wurde am 4. Ok- tober 1895 in Pickway/Kansas geboren. Als die Bilder laufen lernten, war er laufend im Bilde, in jeder Beziehung. Am laufen- den Band produzierte er Filme, zwischen seinem ersten Auftritt 1917 und 1929 etwa doppelt so viele wie. Hollywoods ungekrön- ter König Chaplin. Während je- ner durch zwei Scheidungen le- diglich zwangspausieren mußte, war mit Keatons erster Schei- dung 1933 der Todesstoß für dessen stagnierte Karriere be- siegelt. Er hatte nämlich in die Filmgesellschaft eingeheiratet, die ihm nicht nur nach und nach die Produktionsleitung seiner Filme, sondern auch sein Famili- enleben aus der Hand nahm.

Nach wie vor gut bezahlt, war Buster Keaton künstlerisch auf Eis gelegt und zu Paraderollen in trivialen Komödien degra- diert, die später zu Nebenrollen schrumpften.

Nebenbei arbeitete er als Bera- ter bei Dreharbeiten, so auch als Gagautor für die Marx-Brothers.

Doch wird er auch hier nur ein Schatten im Licht neuer Sterne gewesen sein; womöglich ver- faßte er die Dialoge für Harpo Marx, der genausooft sprach wie Keaton grinste.

Es war in seinen letzten Jahren in der Tat ein abgetragenes Ge- sicht, das die Ehrungen entge- gennahm, die ihm als wiederent- decktem Veteranen nach einer

Retrospektive der Cinöma- thöque Francaise 1962 haupt- sächlich in Europa zuteil wur- den. Wie er in seinen Filmen alle Katastrophen mit unbewegter Miene meisterte, so hatte er das Karrieretief seiner zweiten Le- benshälfte mit Fassung getra- gen. Noch 1960 blickte er in sei- ner Biografie ohne Zorn zurück und stellte fest: „Ich will hundert

Oben: Keaton als Hamlet als Keaton; mit heidnischer Selbstver- ständlichkeit annektierte er klassi- sche Posen für sich würdig und seri- ös. Unten: Begraben im Zeitungs- meer; Kafka hätte an diesem „Herrn K." seine helle Freude gehabt ...

Jahre alt werden." Doch auch die Euphorie über den späten Ruhm hielt sich in den Grenzen keatonscher Nüchternheit. Am 1. Februar 1966 starb er 71jäh- rig. Wie später Boris Karloff mit

„Bewegliche Ziele" und John Wayne mit „The Shootist" war auch ihm vor seinem Tod im la- konisch betitelten „Film" einer jener „Abtritts-Auftritte" ster- bender Filmmythen beschieden.

Der vielbeschriebene und damit unbeschreibliche Blick des Bu- ster Keaton erschien in diesem letzten Film halbiert als der ei- nes einäugigen Greises.

Initiiert von ausgerechnet Samu- el Beckett, fand sich der einfa- che Keaton so in einem morbi- den Intellektsprodukt wieder, mit dem er selber am wenigsten anzufangen wußte. Ironischer- weise erfolgte zur selben Zeit das Kinodebüt eines anderen lu- stigen Ritters von trauriger Ge- stalt, der den Intellekt auf witzi- ge Weise kultivierte und damit zum größten heute lebenden Komiker wurde: Woody Allen.

Eine Szene, wie der 71jährige Buster Keaton beim Austritt aus der Leinwand dem eintretenden Woody Allen die Hand reicht, um ihn willkommen zu heißen und sich von ihm stützen zu lassen, bleibt unserer Vorstellung über- lassen. Was Woody Allen mit Verstand und der Erfahrung ei- nes Dreivierteljahrhunderts Film im Rücken just in seinem neue- sten Werk „The Purple Rose of Cairo" über das Durchbrechen filmischer Ebenen manifestiert — Buster Keaton tat es vor sechzig Jahren in „Sherlock junior" zum ersten Mal, den Schritt hinein in einen Film-im-Film mit der Naivi- tät eines Kindes, das ohne es zu wissen über die Grenzen zwi- schen Alltag und Abenteuer spa- ziert. Der Wahnwitz seiner Filme konnte nur mit einem Helden glaubhaft sein, den es kaltzulas- sen schien, selbst die verrückte- sten Abenteuer zu durchschrei- ten. Sogar Leinwände. Ohne mit der Wimper zu zucken. cue Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 41 vom 9. Oktober 1985 (97) 3005

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