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Der Mann mit der Couch

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98 DIE PTA IN DER APOTHEKE | April 2017 | www.diepta.de

S

igmunds Vater Jacob war wohl das, was man heute einen Womanizer nennen würde. Er heiratete in drit- ter Ehe die bildschöne Amalia Nat- hansohn, obwohl er finanziell nicht viel zu bieten hatte: Als Wollhändler verdiente man nicht gerade üppig und dann waren da auch noch zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe.

Die neue Frau gebar schnell nach der Hochzeit Sohn Sigismund Schlomo und danach noch sieben weitere Kinder. Doch der Erstgeborene sollte Lieblingssohn werden, der einzige mit eigenem Zimmer, ein Überflie- ger in der Schule, der 1873 seine Matura in Wien mit Auszeichnung ablegte.

Kokain, die neue Substanz Sig- mund, der ein völlig anderes Wesen als sein Vater besitzt, schreibt sich für Medizin ein, bekommt ein Jahr später ein Stipendium, seziert für seine Doktorarbeit rund 400 Aale, um zu beweisen, dass sie Hoden be- sitzen. 1882 tritt er seine erste Stelle an, am Wiener Allgemeinen Kran- kenhaus, befasst sich in dieser Zeit mit der pharmazeutischen Wirkung von Kokain, das damals noch wenig bekannt ist. Er probiert es auch selbst aus, ist begeistert, entdeckt erst spä- ter dessen Suchtpotential und rudert kleinlaut von den ehemals eupho- rischen Empfehlungen zurück. Im-

merhin, etwas bleibt aus dieser Zeit:

eine Studie, die von der lokalanäs- thetischen Wirkung Kokains auf das Auge handelt – damals eine bahn- brechende Neuerung.

In die Zeit seiner ersten Anstellung fällt die Begegnung mit dem Lebens- thema: Während einer Studienreise nach Paris lernt er einen Arzt ken- nen, der „Hysterie“ als echte Krank- heit wertet und die Hypnose als Heilungsmöglichkeit. Bisher waren psychische Störungen lediglich von Seiten der Symptome betrachtet worden – jetzt wendet man sich langsam den Ursachen zu.

Vom Bewussten und Unbewuss- ten Obwohl Freud sich schnell von der Hypnose abwendet, legt sie in ihm doch den Grundgedanken, dass die Psyche des Menschen mehrere Ebenen haben muss. Er verwendet erstmals den Ausdruck des „Unbe- wussten“, die später in der weltbe- rühmten Veröffentlichung über das

„Es, Ich und Über-Ich“ münden soll.

Freud postuliert darin das „Es“ als Sitz der Triebe, Bedürfnisse und Af- fekte und das „Ich“ als Sitz der Ver- nunft und selbstkritischen Denkens, das nur reagiert, und schließlich das

„Über-Ich“, in dem Gebote, Verbote und moralische Wertvorstellungen verankert sind. Sein Denkmodell vom Bewussten und Unbewussten wirft für ihn die Frage auf, ob der

Der Mann

mit der Couch

© GrigoriosMoraitis / iStock / Thinkstock

Sigmund Freud begründete die Psychoanalyse. Er hatte sechs Kinder,

liebte seinen Hund über alles und starb elend an den Folgen seiner Nikotin- sucht. Das Thema seines Lebens hatte viel mit Sex zu tun.

PRAXIS WELCH EIN NAME

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Mensch überhaupt noch „Herr im eigenen Haus“ ist.

Sigmund Freud ist besessen davon, die menschliche Psyche zu ergrün- den. Er kombiniert in der Wiener Berggasse 19 seine Wohnung und die Praxis und lässt sich dort als Ner- venarzt nieder; 47 Jahre lang wer- den seine Patienten die Stufen mit dem fein ziselierten Treppengelän- der hochsteigen, um sich bei dem Psychoanalytiker auf die Couch zu legen, ein Möbelstück das heute im Freud Museum in London steht. In seiner „Sprechtherapie“ dürfen Men- schen mit psychischen Leiden von ihren Träumen, ihren Assoziationen dazu, von ihrer Kindheit und ihren Ängsten erzählen. So etwas gab es damals noch nicht.

Masturbation als „Ursucht“ Doch Sigmund Freud ist ein Kind seiner Zeit. „Man müsse den „gesellschaft- lichen Puritanismus dieses versun- kenen Zeitalters berücksichtigen“, wenn man über Freud urteile, schreibt sein Biograf Peter Gay. Es ist die Zeit, in der Masturbation eine schwere Sünde darstellt und angeb- lich zu Gehirnerweichung und Rü-

ckenmarksschwund führt. Sigmund Freud sieht in ihr die Ursache neu- rotischer Erkrankungen, bezeichnet sie als „Ursucht“, an deren Stelle spä- ter erwachsenentypische Süchte wie das Rauchen träten. Freud spricht in seinen Vorträgen von den Folgen se- xueller Unterdrückung, von männ- licher Hysterie und kindlicher Se- xualität. Er wird dafür ausgepfif- fen. Die Ärzte seiner Zeit wollen von solchen Themen nichts hören.

Der Wiener Psychiater lässt sich

nicht beirren. Bei sich selbst hat er erlebt, was er jetzt griffig den „Ödi- puskomplex“ nennt, und schreibt in einem Brief dazu: „Ich habe die Ver- liebtheit in die Mutter und die Ei- fersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit.“ Er entwickelt die Traum- deutung zu einer Wissenschaft. An seiner Seite: C. G. Jung, mit dem er sich später überwirft. Freud äußert

seine Meinung zur Religion („Der Mann Moses und die monotheisti- sche Religion“), verfasst „Jenseits des Lustprinzips“ und Arbeiten zur Neu- rosentheorie und Triebverdrängung.

Er ist unermüdlich, obwohl schon nicht mehr gesund.

Schwere Erkrankung 1923, Sig- mund Freud ist 67 Jahre alt, wird bei ihm ein Oberkieferkarzinom dia- gnostiziert. Er zeigt es seinem Arzt erst, als es schon weit fortgeschrit -

ten ist. Der starke Raucher lässt auch dann nicht von seiner Sucht, als ihm der größte Teil des Oberkiefers, ein kleiner Teil des Unterkiefers, des Gaumens sowie der Wangen- und Zungenschleimhaut entfernt und in der Folge eine Metallprothese einge- setzt wird. Diese führt zu fortwäh- renden Entzündungen und stärksten Schmerzen. Insgesamt 34 Operatio- nen lässt der berühmte Psychoana- lytiker über sich ergehen, bis er am 22. September 1939 seinen Arzt um eine Überdosis Morphin bittet. Der verabreicht sie ihm in zwei Dosen:

Am frühen Morgen des Folgetages stirbt der Psychiater durch Lähmung des Atemzentrums.

Seine letzten Lebensjahre bescher- ten ihm dennoch eine unerwartete Freude: Für seine Tochter Anna, die später sein Lebenswerk verwalten wird, schafft er einen Schäferhund an. Das Tier begeistert ihn so sehr, dass er sich einen Chow-Chow schenken lässt. „Jofie“ wird der erste Therapiebegleithund der Welt. Die Hündin nahm neue Patienten stets mit ihrem Herrn zusammen in Emp- fang. Knurrte sie und verzog sich dann unter den Schreibtisch, wusste

Freud Bescheid: „Wen Jofie nicht mag, mit dem stimmt etwas nicht.“

Andererseits gesellte die ansonsten nicht gerade schmusige Hündin sich neben Patienten, die sehr aufgewühlt waren; diese durften sie dann strei- cheln. Nach exakt 50 Minuten ging Jofie zur Tür: Sie wusste, wann eine Therapiestunde zu Ende war. ■

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion SIGMUND FREUD …

wurde am 6. Mai 1856 im mäh- rischen Freiberg geboren. Der Neurologe gilt als Begründer der modernen Psychoanalyse, war aber auch Religionskritiker und Kulturtheoretiker. In der Berggasse 19 in Wien behan- delte er seine Patienten in der so genannten „Sprechthera- pie“. Der mit Martha Bernays verheiratete Wissenschaftler jüdischen Glaubens hatte mit seiner Frau sechs Kinder.

Er starb im 1939 Londoner Exil.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | April 2017 | www.diepta.de

Im Jahr 1933 fallen auch Freuds Werke der Bücher-

verbrennung durch die Nationalsozialisten zum Opfer.

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